Höllenangst

Posse mit Gesang in 3 Akten
Uraufführung
17. November 1849 Carl-Theater (Politisch sozialkritische, tief pessimistische Komödie voll makabren Humors. Erregt Befremden: nur 5 Aufführungen. 1948 eröffnet Karl Paryla das „Neue Theater in der Scala“ mit „Höllenangst“ und hat damit großen Erfolg. Berühmte Aufführung 1961 mit Hans Moser im Theater in der Josefstadt.)
Nestroy-Rolle
Wendelin (Rollenverzeichnis 746)
Musik
Michael Hebenstreit
Nachweise: Hilmar S. 62 f.
HKA Stücke 27/II, S. 341–352
Vorlage
I. B. R. d’Epagny et J. H. Dupin: Dominique ou le Possédé (Comédie en trois actes et en prose, Paris 1831
dt. Übers. 1842)
Überlieferung
Gladt S. 48 f.
Hadamowsky 1934, S. 170
SW Bd. 5, S. 680–722
GW Bd. 5, S. 704–713
HKA Stücke 27/II, S. 93–264
Werkausgaben (Stücktext)
Chiavacci Bd. 3, S. 57–106
SW Bd. 5, S. 313–424
GW Bd. 5, S. 251–344
HKA Stücke 27/II (Herausgeber: Jürgen Hein), S. 5–90
Musik (erhältlich)
Literatur
HKA Stücke 27/II, S. 2–4
Hannemann
Kuhn
Dannecker, Eva: Die theatralische Satire. Eine dramaturgische Untersuchung. Diss. masch. Wien 1969, S. 23–43
Helmensdorfer, Urs.: Himmelangst. Nachtrag zu Der alte Mann mit der jungen Frau (Stücke 27/I) und Höllenangst (Stücke 27/II), Nestroyana 19 (1999), S. 27–47
Holzner, Johann: Theater-Teufeleien. Johann Nestroy und Franz Kranewitter. Nestroyana 18 (1998), S. 119–126
Slobodkin, G. S.: Nestroys Komödie Höllenangst und die Einschätzung des Dramatikers durch die bürgerliche Literaturkritik. Wiss. Zs. Päd. Hochschule Dr. Theodor Neubauer. Erfurt/Mühlhausen 12 (1975), H. 1, S. 37–42
Wimmer, Ruprecht: Der Teufel als Mißverständnis. Gedanken zu Johann Nestroys Posse Höllenangst und ihrer französischen Vorlage. In: Gallo-Germanica […]. Hg. von Eckart Heftrich und Jean-Marie Valentin. Nancy 1986, S. 187–205
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Baronesse Adele von Stromberg eine Waise
Freiherr von Stromberg Bruder ihres verstorbenen Vaters
Freiherr von Reichthal Bruder ihrer verstorbenen Mutter
von Arnstett Staatssekretär
von Thurming Oberrichter
Pfrim ein alter Schuster
Eva sein Weib
Wendelin beider Sohn
Rosalie Kammerjungfer der Baronesse Adele
Johann Bedienter bei Stromberg
Gottfried, Ignaz Bediente bei Thurming
Ein Kommisär
Ein Schließer
Portier bei Arnstett
Leni dessen Tochter
Ein Büchsenspanner bei Stromberg
Ein Schmied
Ein Kohlenbrenner
Ein Rauchfangkehrer
Offizier
Sergeant der Gensdarmerie
1. u. 2. Gensdarm
Bediente, Arbeiter, Gensdarmen
1. Akt

Reichthal befindet sich in einer schwierigen Lage. Nachdem seine Schwester kurz nach ihrem Mann verstorben war, hat sein Schwager Stromberg ihn mit Arnstetts Hilfe einer Verschwörung verdächtigen und ins Gefängnis werfen lassen. Stromberg hat es auf das Vermögen der Familie abgesehen. Aus diesem Grund sorgt Reichenthal sich vor allem um seine Nichte Adele. Nachdem ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen ist, will er jetzt Adeles Amme Eva nach Neuigkeiten fragen. Unterdessen hat Thurming ein heimliches Stelldichein mit Adele, während Ignaz vor dem Fenster Schmiere steht. Bei dieser Gelegenheit trifft er auf seinen alten Freund Johann. Dieser dient bei Stromberg, worüber Ignaz sehr entsetzt ist. Johann weiß zu berichten, daß Stromberg Reichthal ins Gefängnis gebracht hat, um selbst Adeles Vormund zu werden. Auf diese Weise will er sie dazu bewegen, ins Kloster zu gehen und damit auf ihr weltliches Vermögen zu verzichten. Ignaz seinerseits erzählt, daß der Oberrichter von Thurming und Adele bereits seit drei Wochen heimlich verheiratet sind. Das Gespräch wird durch Strombergs Erscheinen jäh unterbrochen. Zwar gelingt es Ignaz zu entkommen, jedoch ohne seinem Herrn ein Zeichen geben zu können. Stromberg entdeckt die Strickleiter, die er kurzerhand abschneidet. Damit glaubt er den ungebetenen Besuch in der Falle zu haben. Erschrocken hören Adele und Thurming den Lärm im Haus. Als er das Fehlen der Strickleiter bemerkt, flieht Thurming auf das Dach des Hauses. – Auftrittslied Wendelin I, 7 (R: „Meiner Seel’, ’s müßt dem Himmel höll’nangst dabey wer’n.“). – Wendelin und seine Eltern leben in bitterer Armut, da Stromberg Eva das Gnadengehalt gestrichen hat. Seine Mutter ist erbost, weil sie glaubt, Wendelin habe seine Arbeitsstelle aus Liebe zu Rosalie aufgegeben. Doch Wendelin kann ihr die Sache erklären: Zwar sei er verliebt, doch habe er als Gefängniswärter gearbeitet, um Reichthal zur Flucht zu verhelfen. Nun wird er selbst als Verräter gesucht. Als Eva hört, daß Reichthal frei ist, holt sie einige Schriften aus dem Schrank, die die Baronin ihr kurz vor ihrem Tod gab, damit sie sie an Reichthal aushändige. Leider kennt Wendelin Reichthals Aufenthaltsort nicht. Pfrim verlangt, daß die Schriften verbrannt werden, doch Wendelin steckt sie in seine Jackentasche. Gemeinsam schimpfen Wendelin und Pfrim über die Verhältnisse, in denen die Reichen gut leben und die Armen hungern müssen. In seiner Wut erklärt Wendelin, er würde sich lieber mit dem Teufel als mit „manchen Menschen“ einlassen. Laut befiehlt er dem Teufel zu erscheinen. Im selben Moment hört man einen lauten Donnerschlag. Erschrocken fliehen Eva und Pfrim aus dem Zimmer. Da erscheint Thurming in einem schwarz-roten Mantel am vom Sturm aufgerissenen Fenster. Freundlich spricht er Wendelin an und gibt ihm 30 Dukaten. Dafür verlangt er, Überrock und Mütze mit Wendelin zu tauschen. Der Preis sei das Seelenheil eines Menschen, sagt Thurming, an Adele denkend, während Wendelin glaubt, er verkaufe gerade seine Seele an den Teufel. Bevor er geht, erklärt Thurming, daß er für immer Wendelins Freund sei und ihm ewig verbunden bleibe. Voller Angst hören Pfrim und Eva von Wendelin, was geschehen ist. Dem eintretenden, nach Hilfe suchenden Reichthal zeigen sie das Geld und erzählen völlig unzusammenhängend die Geschichte. Um ihnen nicht zur Last zu fallen, verabschiedet Reichthal sich sofort wieder. – Lied Wendelin I, 14 (R: „Da müss’n eim bescheidene Zweifel aufsteig’n.“). – Im Wirtshaus trifft Pfrim auf Ignaz, der sich über den Reichtum des Schusters wundert. Da Ignaz auch noch Wendelin in Thurmings Mantel sieht, glaubt er an ein Verbrechen. Er holt seine Kameraden zur Hilfe. Unterdessen kommen Pfrim und Wendelin zu dem Schluß, daß der Teufel Wendelin wohl erst in zehn Jahren holen wird. So wollen sie neun Jahre gut leben und dann eine Pilgerfahrt nach Rom machen. Gemeinsam mit den Kameraden erscheint Ignaz, um den vermeintlichen Räuber und Mörder zum Richter zu bringen. In seiner Not ruft Pfrim den Teufel zur Hilfe, doch der Gerufene erscheint nicht.

2. Akt

Dank seiner Verkleidung ist Thurming glücklich nach Hause gekommen. Dort sucht ihn Pfrim auf, aus dessen Geschichte Thurming allerdings nicht klug wird. Erst durch Ignaz läßt sich halbwegs klären, daß Wendelin wegen des Mantels und des Geldes verhaftet wurde. Sogleich läßt Thurming Wendelin holen. Durch Pfrim erfährt er auch von Reichthals Befreiung. Der Freund hoffe auf seine Hilfe. Thurming verspricht Pfrim Wendelins Freilassung. Die Reden des alten Mannes vom Teufel führt er auf dessen verwirrten Geist zurück. Rosalie kündigt Adeles Flucht zu Thurming an. Bei dieser Gelegenheit erklärt sie, selbst gern heiraten zu wollen, doch der Mann ahne nichts davon. Sie sei sich aber sicher, er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Erst im weiteren Verlauf stellt sich heraus, daß Wendelin ihr Geliebter ist. Nach einem ordentlichen Verhör soll Wendelin auf freien Fuß gesetzt werden. Er wundert sich über die zuvorkommende Behandlung durch die Wärter. Trotzdem ist er enttäuscht über die ausgebliebene Befreiung durch den Teufel. Im Verhör erkennt Wendelin Thurming und glaubt, der Teufel habe die Gestalt des Oberrichters angenommen. Erst als er von Wendelin beschuldigt wird, den Pakt nicht eingehalten zu haben, erkennt Thurming das Mißverständnis. Er beschließt, Wendelin in seinem Glauben zu lassen, und verspricht ihm die Erfüllung seiner Wünsche. Um eine möglichst unlösbare Aufgabe zu stellen, verlangt Wendelin, Reichthal solle erscheinen. Unbemerkt geht Thurming zu einem Fenster und zeigt das mit Reichthal verabredete Zeichen, ein weißes Tuch. Zudem verlangt Wendelin das Erscheinen seiner Geliebten. Nachdem tatsächlich Reichthal eintritt und er im Nebenzimmer auf Rosalie trifft, ist Wendelin von Thurmings teuflischer Macht überzeugt. Rosalie ist sehr verwundert über das merkwürdige Verhalten ihres Geliebten. Er ist niedergeschlagen und scheint an nichts Freude zu haben. Er glaubt, daß alles Gute, auch Rosalies Liebe, nur ein Werk des Teufels sei. So schwankt er stets zwischen dem Entschluß, das Leben zu genießen, und der Verzweiflung über seine Situation. Schließlich gelingt es Wendelin, Rosalie so zu verärgern, daß sie ihn verläßt. Um Gewißheit darüber zu gewinnen, ob er tatsächlich mit dem Teufel im Bunde sei, beschließt Wendelin, eine letzte Probe aufs Exempel zu machen: Er will sich mit seiner Gefangenenwärter-Uniform unter seine ehemaligen Kollegen mischen. Sollten sie ihn erkennen und als „verrätherischen Flüchtling“ ergreifen und erhängen, wäre die Welt in Ordnung. Falls sie ihn nicht erkennen sollten, müßte wirklich der Teufel seine Finger im Spiel haben. – Lied Wendelin II, 17 (R: „I lass’ mir mein’ Aberglaub’n / Durch ka Aufklärung raub’n, / ’s is jetzt schön überhaupt, / wenn m’r an etwas glaubt.“). – Stromberg hat bemerkt, daß Adele zu Thurming geflüchtet ist. Durch seinen Freund Arnstett konnte er einen Hausdurchsuchungsbefehl erhalten, zumal man auch Reichthal im Haus des Oberrichters vermutet. Von Johann gewarnt, kann Thurming Reichthal noch Wendelins Jacke geben und ihm einen Fluchtweg weisen. Doch Pfrim sieht die Jacke seines Sohnes und glaubt, Wendelin sei ermordet worden. Dem Komissär zeigt Thurming die Heiratsurkunde, doch damit ist dieser nicht zufrieden. Zudem erzählt Pfrim ihm von der angeblichen Ermordung seines Sohnes. Als der Komissär hört, daß es sich bei Wendelin um den gesuchten Gefängniswärter handelt, nimmt er Pfrim fest.

3. Akt

Tatsächlich hat sich Wendelin unter seine ehemaligen Kollegen gemischt. Zunächst scheint ihn niemand zu erkennen, doch zu seiner Erleichterung wird er schließlich verhaftet. Unterdessen verlangt Pfrim von Arnstett, seinen Sohn suchen zu lassen. Daran hat Arnstett erst ein Interesse, als er hört, daß Wendelin im Besitz wichtiger Papiere ist. Man schenkt Pfrim mehr Glauben, als er die ganze Geschichte erzählt: Stromberg habe vor dem Tod der Baronin das Testament stehlen wollen. Doch die nur scheinbar Schlafende habe ihn in ein Handgemenge verwickelt, in dessen Verlauf er einen Brief verlor, in dem Arnstett als sein Komplize erscheint. Nach diesem Vorfall habe die Baronin ein neues Testament verfaßt und es zusammen mit dem Brief Eva anvertraut, mit dem Auftrag, es Reichthal auszuhändigen. Erfreut hören Arnstett und Stromberg von Wendelins Verhaftung. Man verspricht Pfrim, seinen Sohn gut zu behandeln. Siegessicher geht der Vater nach Hause. Arnstett und Stromberg scheinen das Spiel gewonnen zu haben, zumal sie auch Adele in ihrer Gewalt haben. Wendelin wird vorgeführt und ist erneut erstaunt über die freundliche Behandlung. Obwohl er alle seine Taten zugibt, will Arnstett nichts davon hören. Scheinbar bereitwillig will Wendelin die verlangten Papiere herausgeben, gibt aber zu bedenken, daß sie sich in Thurmings Haus befänden und nur er alleine sie holen könne. Arnstett und Stromberg wollen ihn gehen lassen. Adele hat im Nachbarzimmer Wendelins Stimme gehört und kommt heraus. Zu ihrem Erstaunen rät Wendelin ihr, der von Stromberg betriebenen Anullierung ihrer Ehe zuzustimmen. Sie weiß nicht, daß Wendelin Thurming noch immer für den personifizierten Teufel hält. Von Pfrim erfährt Wendelin, daß Reichthal bereits im Besitz der Papiere ist. In einem Brief dankt dieser Wendelin und bittet ihn in Thurmings Auftrag, Adele zu Eva zu bringen. Dort werde Thurming sie und Wendelin in der Nacht holen. Diese Nachricht erschreckt Pfrim und Wendelin zutiefst. – Quodlibet Leni, Wendelin, Pfrim, Portier III, 15. – Thurming und Reichthal erhalten die Nachricht vom Tod des Ministers. Da sie seinen Nachfolger auf ihrer Seite wissen, geben sie den Offizieren den Befehl, Arnstett und Stromberg zu verhaften. Doch muß mit dieser Aktion bis zum Abend gewartet werden. Wegen der scheinbaren Drohung des Teufels sind Wendelin und Pfrim umgehend zu einer Pilgerfahrt nach Rom aufgebrochen. Vor der Stadt treffen sie auf Rosalie. Sie bittet um Hilfe, weil Stromberg und Arnstett versuchen, mit Adele über die Grenze zu fliehen. Doch die Männer wollen nicht aufgehalten werden, zumal sie das anziehende Gewitter als Teufelszeichen deuten. Verärgert läßt Rosalie sie stehen. In dem Gewitter halten Pfrim und Wendelin alle Vorbeikommenden für Gestalten des Teufels. Sie sind ganz außer sich vor Angst, als sie auf Thurming treffen. Dieser glaubt, Wendelin habe fliehen wollen, ohne ihn über die Gefahr, in der Adele schwebt, zu unterrichten. Schließlich gelingt es Rosalie, Wendelin einigermaßen zur Vernunft zu bringen und davon zu überzeugen, daß der Teufel nur in seiner Einbildung existierte. In der Zwischenzeit ist es Thurming gelungen, Adele zu befreien. Arnstett und Stromberg wurden festgenommen. Wendelin bittet Thurming um Verzeihung, die ihm auch gewährt wird. Zudem erhält er zu seiner großen Freude die Erlaubnis, Rosalie zu heiraten.