WEDER Lorbeerbaum | NOCH Bettelstab

Nestroys brillante theatralische Replik auf die oft arrogante und abschätzige Behandlung, die er als Autor Zeit seines Lebens durch Gönner und Kritiker erfuhr. Eine lustvolle satirische Abrechnung mit der selbstgefälligen Borniertheit der bürgerlichen Kulturschickeria, aber auch mit den eigenen Schwächen und Verquertheiten, mit seiner ambivalenten Rolle als Mensch, Künstler und Enfant terrible in der Wiener Gesellschaft. Ein selten gezeigtes Juwel aus dem Schatz des großen österreichischen Theaterdichters in der Interpretation des wunderbaren Ensembles rund um Nestroy-Preisträger Peter Gruber.

„Ich hab’ schon über zweihundertmal diese Reise gemacht, weil ich mich an der herrlichen Gegend zwischen Simmering und Schwechat nicht satt sehen kann.“ (Herr von Überall, Weltenbummler)

45. NESTROY Spiele Schwechat
WEDER Lorbeerbaum | NOCH Bettelstab
24. Juni bis 20. Juli 2017

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Musik

Thomas Franz-Riegler

Bühne

Andrea Bernd

Bühnenrealisation

Günter Lickel

Kostüme

Okki Zykan

Maske

Andrea Zeilinger

Lichtdesign

Harald Töscher

Licht- und Tontechnik

Thomas Nichtenberger
JOHANN LEICHT ein Dichter
Eric Lingens
THERESE seine Frau
Julia Kampichler
STEINRÖTL ein Fabrikant
Ottwald John
AGNES seine Tochter
Lilian Jane Gartner
GRUNDL ein Seifensieder
Christian Dungl
BLASIUS sein Sohn
Valentin Frantsits
ÜBERALL ein Weltenbummler
Franz Steiner
CHARLOTTE Stubenmädchen
Bella Rössler
CHICHO REE In-Beislwirt
Max G. Fischnaller
GECKSI Klatschtante
Maria Sedlaczek
WICHTIG Theaterdirektor
Sandro Swoboda
JUNGSCHAUSPIELERIN
Elisabeth Spiwak
DRUCK Verleger
Christian Leutgeb
DOMKAPLAN
Peter Koliander
BOTOX Gesellschaftsdame
Bella Rössler
KOMPONISTENWITWE
Sissy Stacher
POLITIKERIN
Gabriele Herbsthofer
BOTSCHAFTER VON IRGENDWO
Hasan Al Kasseir
BOTSCHAFTERGATTIN
Sabine Axmann
GOTTFRIEDL ein Praktikant
Ben Koch
FOTOGRAF
Richard Strauss
POLIZISTEN
Sascha Nikodym, Julia Kampichler
NACHBARN
Hasan Al Kasseir, Richard Strauss, Sissy Stacher
SAUNADAMEN
Ines Cihal, Michelle Haydn, Sandra Schuller, Annabelle Staudacher
HEURIGENBESITZER
Andreas Herbsthofer, Gabriele Holzer
JULIE eine naive Tochter
Annabelle Staudacher
JOHANN ihr Bruder
Christian Leutgeb
DER BLINDE POLDL ein Musiker
Thomas Franz-Riegler
DIENSTPERSONAL, GÄSTE, TOURISTEN
Ensemble

1. Akt
Der Dichter Leicht liest einer Gesellschaft sein neues Stück vor, das niemanden begeistert. Nach heftigem Zureden ist der Theaterdirektor schließlich bereit, ihm dieses Stück und ein anderes für zusammen sieben Gulden abzukaufen. Leicht fühlt sich ungerecht behandelt. Während Blasius unverblümt erklärt, ihm habe das Stück nicht gefallen, versichert Agnes allerdings, sie habe sich sehr amüsiert. Um sich dem Essen zuzuwenden, läßt Blasius die beiden alleine. Er ist sich sicher: „ […] ich hab nichts zu reskiern, sie hat mir ja ewige Liebe geschworen, mein Vertrauen ist unerschütterlich.“ Leicht macht Agnes Avancen, die sie nicht zurückweist. Es stellt sich heraus, daß sie nicht auf das Stück, sondern lediglich auf den Dichter geachtet hat. Leicht weigert sich, an der Gesellschaft teilzunehmen. Blasius verabschiedet sich daraufhin von seinem Freund und trägt ihm Grüße an seine Frau auf. Agnes ist schockiert über die Entdeckung, daß Leicht verheiratet ist. Verletzt schickt sie ihn fort. Nach Leichts Weggang erkennen Blasius und Steinröthl, daß sie mit dem Dichter zu hart umgesprungen sind. Auch Agnes glaubt, sie habe ihn zu Unrecht gekränkt. Gedankenverloren steht sie bei Vater und Bräutigam. Dennoch schöpft Blasius keinerlei Verdacht. – Auftrittslied Therese I, 8 („A Dichtersfrau hat nur Malör“). – Als Therese hört, daß Leicht die verdienten sieben Gulden beim Billard verloren hat, ist sie verzweifelt. Doch Leicht bleibt sorglos und wirft ihr vor: „Wie hast du können die Gattinn eines Dichters werden, wenn du Anspruch auf irdische Nahrung machst?“ – Lied Leicht I, 9 („Geh’ her saubers Madl, i lern’ dir a Lierd“). – Um Leicht zu versöhnen, besuchen Überall und Blasius ihn und bringen die Zutaten für einen Punsch mit. Überall erzählt wie immer von Fischament. Er ist sehr stolz darauf, mindestens 200 Mal im Jahr von Wien nach Fischament und zurück zu reisen. – Punschlied mit Chor I, 11. – Zu später Stunde erscheint Charlotte. Sie bringt einen Narrenstab von Agnes, der mit Dukaten gefüllt ist. Darüber ist Blasius leicht verärgert, traut sich aber nicht, Charlotte eine entsprechende Antwort an Agnes aufzutragen. Freudig liest Leicht den beiliegenden Brief. – Finale Leicht I, 13 („Sie schreibt mir a Brieferl auf g’farbten Papier“). – Das Geld, der Punsch und Agnes’ Liebesbrief haben Leicht trunken gemacht. Erschöpft schläft er am Tisch ein. Blasius schüttet die Dukaten über ihm aus, und Überall legt die Rumflasche auf ihn: „So, jetzt ruht [der] Dichter bedecket mit Ruhm.“

2. Akt
Chor der Gäste II, 1. – Ein Jahr später schimpft man im Kaffeehaus über Leichts gerade aufgeführtes Stück. Unerkannt sitzt der Dichter zwischen den Gästen. Als auch Gottfriedl über das Stück herzieht, ist seine Geduld jedoch zu Ende. Ärgerlich wirft er den Jungen zu Boden. Man ruft den Wächter zu Hilfe. Wächter mit Chor II, 5. – Grundl löst Leicht beim Wächter aus und bezahlt Gottfriedl zwei Zwanziger Satisfaktion. Entsetzt ist Leicht allerdings, als Grundl ihn bittet, für die an diesem Tag stattfindende Hochzeit von Blasius und Agnes ein Gedicht zu verfassen. Zunächst lehnt Leicht entschieden ab. Dann kommt ihm ein Gedanke, und er beginnt sofort zu arbeiten. Klopfer, der ihn ermahnt, er müsse sich um seinen kleinen Sohn kümmern, beachtet er gar nicht. – Duett Grundl, Blasius II, 9 („Wenn’s Weib dir was schafft, was willst machen? – so thu’s“). – Überall gesteht Agnes seine Liebe. Da sie sich weigert, ihm eine Locke zu überlassen, versichert Überall: „Und im Grund gar so viel liegt mir ja doch nicht dran an Ihnen.“ Er ist überzeugt, sie durch eine kurze Fahrt nach Fischament zu vergessen. – Lied Überall II, 11 (R: „So was gieng mir ab vor mein End, / Nein, ich reis’ nur nach Fischament.“). – Charlotte erzählt Agnes, Leicht sei vor vier Monaten von seiner Frau verlassen worden. Sein kleines Kind, um das er sich überhaupt nicht kümmere, irre ständig durch die Nachbarschaft. Charlotte bittet Agnes, das Kind anzunehmen. Dazu ist sie gerne bereit. Blasius dagegen weigert sich. Da Agnes jedoch hartnäckig bleibt, befiehlt er schließlich gebieterisch, das Kind anzunehmen. – Lied Agnes II, 16 („D’Männer schmachten und seufzen, und schauen uns nach“). – Leicht ist außer sich über die anstehende Hochzeit. Am liebsten würde er den Bräutigam mit seinem Narrenstab erschlagen. – Chor mit Charlotte II, 19. – Das Brautpaar wird mit Jubel begrüßt. Überall übernimmt die Aufgabe, das Hochzeitsgedicht vorzutragen. Nach den ersten Worten, in denen Leicht von Untreue spricht, bricht Überall ab, behauptet, es handle sich um einen Scherz und zerreißt das Blatt. Man begibt sich zur Tafel. Alleine mit Agnes, macht Leicht ihr Vorwürfe. Seiner Meinung nach hätte sie für immer ledig bleiben sollen. In der Theaterzeitung entdeckt Leicht eine schlechte Rezension seines Stückes. An dem Satz „Dem Dichter fehlt es gänzlich an Verstand“ glaubt er, Blasius als Autor zu erkennen. Wütend packt er den eintretenden Bräutigam am Kragen. Es kommt zu einem allgemeinen Tumult, in dessen Verlauf Leicht von den Dienstboten aus dem Haus geworfen wird. – Chor der Dienstleute II, 24.

3. Akt
Chor III, 1. – Zwanzig Jahre später machen Überall, Blasius, Agnes und ihre zwei Kinder nach einem Spaziergang Rast in einem Gasthaus. – Lied Leicht III, 3 („Ich zieh’ als Harfenist herum“). – Leicht zieht als Harfenist durch das Land. Dem Gastwirt, dem der bestellte Harfenist abgesagt hat, kommt er sehr gelegen. In einem ruhigen Moment offenbart Überall Johann, daß er ein angenommenes Kind sei. Von seinem Vater Leicht nimmt man an, daß er seit Jahren tot sei. Johann ist hocherfreut über diese Offenbarung, weil er auf diese Weise die naive Julie heiraten kann, die nun nicht mehr seine Schwester ist. – Ballade Leicht III, 10 („An Sonntag steh i Vormittag“). – Die Familie erkennt den Harfenisten nicht. Nur in Agnes keimt ein Verdacht, als sie den alten Narrenstab sieht und Leicht äußerst abweisend auf einen Gulden reagiert, der in einen Theaterzettel eingewickelt war. Um sich aus dieser Abneigung einen Spaß zu machen, reicht Überall Leicht ein Stück Kuchen auf dem Zettel. Erstaunt liest Leicht, daß man eines seiner Stücke bereits zum 100. Mal spielt. Er führt diesen Erfolg darauf zurück, daß man ihn seit vielen Jahren für tot hält. – Julie beginnt, ein Lied aus Leichts Stück zu singen. Als sie nicht weiter weiß, fällt Leicht ein und singt es zu Ende. Nun erkennt man sich gegenseitig. Freudig bittet die Familie Leicht zu bleiben und seinen Erfolg bei ihnen zu genießen. Er zieht es jedoch vor, weiter durch das Land zu ziehen. Johann erklärt er: „Ich hab nie nach dem Lorber getrachtet, drum is auch das, was ich jetzt in der Hand halt’, kein Bettelstab.“ – Schlußgesang Leicht mit Chor der Landleute III, 10 („Ein steiler Felsen ist der Ruhm“).

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 8/II Friedrich Walla)

43. Nestroy-Gespräche 2017
„O, meine Bilder haben auch pharmaceutische Wirckung“ („Theaterg’schichten“ I,4) Theater-Bilder, Körper-Bilder, Text-Bilder

Dienstag, 4. Juli 2017
Anreise Anreise nach A 2320 Schwechat, Justiz-Bildungszentrum (Schloss Altkettenhof), Schloßstraße 7 (Tagungsbüro im Gästehaus, 14:30 bis 18:30 Uhr geöffnet)
18:30 Begrüßung
20:30 Schloss Rothmühle, Aufführung, 45. Nestroy-Spiele: Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab (Regie: Peter Gruber)

Mittwoch, 5. Juli 2017
9:00 Begrüßung und Einführung
9:10 Peter Haida (Münster, D): Die Macht der Bilder
9:50 Bernhard Doppler(Padeborn, D): Gesten und Rhetorik der „desparaten Attitüde“ bei Nestroy
Pause
11:00 Gunhild Oberzaucher-Schüller (Salzburg, A): Den Tanz an der Hand – eine von Nestroys Konzeptstrategien
11:40 Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab – Diskussionsrunde über Stück und Aufführung. Moderation: Johann Hüttner (Wien, A)
Mittagspause
15:00 Karl-Heinz Göttert (Köln, D): Text – Bild – Ton: Über Theaterkunst in Wien in der Mitte des 19. Jahrhunderts
15:40 Federica Rocchi (Perugia, I): „In die ausländische Sprachen lass ich mich nicht spotten“: Bilder und Stereotypen vom Ausland in Nestroys Possen
Pause
16:00 Hauke Kuhlmann (Bremen, D): Friedrich Kaisers ‚Lebens- und Charakterbilder‘ im Kontext
Funde – Fragen – Berichte:
16:30 Christian Neuhuber (Graz, A): Kontextualisierung, Analyse und kritische Edition der Krumauer Hanswurst-Burlesken
Pause
17:20 Roland Sila (Innsbruck, A): Zensurbelege als Quelle zur Innsbrucker Theatergeschichte. Die Theaterzettelsammlung in der Bibliothek des Ferdinandeums. Ein Werkstattbericht
17:20 Ursula A. Schneider, Annette Steinsiek (Innsbruck, A): Karl Schönherrs Erde und die Bearbeitung der „dramatischen Anweisungen“ in den Druckfassungen zu Lebzeiten (1908 und 1927 bzw. 1943)
19:00 Lesung Klaus Nüchtern (Wien)

Donnerstag, 6. Juli 2017
9:00 Exkursion nach Grein im Unteren Mühlviertel (Historisches Stadttheater, 1791)

Freitag, 7. Juli 2017
9:00 Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck, A): Figurendarstellung bei Nestroy
9:40 Hugo Aust (Köln, D): Finkls Kleider oder „Vom wahr’n Element für die Menschen-Natur“. Beobachtungen an Nestroys Posse Karrikaturen-Charivari mit Heurathszweck
Pause
10:30 Martin Stern (Basel, CH): Kierkegaards „Entweder, oder!“ in Österreich. Bemerkungen zu Stifters Brigitta und Hofmannsthals Prosakomödien
11:10 Lina Maria Zangerl (Salzburg, A): „Ein Nestroystück habt ihr aufgeführt, aber keine Revolution gemacht.“ Revolutionsbilder in Stefan Zweigs Nachlassroman Rausch der Verwandlung
Mittagspause
15:00 Heiko Ulrich (Bruchsal, D): Kulisse und Komödienform: Schauplätze in Joseph Richters Singspielen Das Urtheil des Paris travestirt und Die travestirte Alceste
15:40 Beatrix Müller-Kampl (Graz, A): Ein verschollen geglaubtes Bäuerle-Stück: Modeschwindel
Pause
16:10 Maria Piok (Innsbruck, A): „Ort: Gemalte Kulissenstube.“ Satirische Theaterbilder in der Tiroler Gegenwartsdramatik
17:00 Walter Pape (Köln, D): „Wissen Sie denn nicht, daß Sie Anfangs im Tableau erscheinen?“ An- und Abwesenheit im dramatischen Tableau
Gemeinsames Abendessen

Samstag, 8. Juli 2017 
Abreise

Konzeption: Walter Pape, Johann Sonnleitner, Ulrike Tanzer
Organisation: Christine Bauer, Susanne Lindlar

„Wenn alle Stricke reißen …“
und ein Frühstücksbuffet im Garten von Schloss Rothmühle 
Sonntag, 2., 9., 16., 23. Juli 2017, jeweils 10:30 Uhr, Schlosshof Rothmühle, Schwechat-Rannersdorf, Rothmühlstraße 5, Einlass und Frühstück ab 9 Uhr

Mit Mitgliedern des Schwechater Nestroy-Ensembles
Leitung: Max G. Fischnaller

Über 80 Stücke hat er geschrieben, der große Johann Nestroy – 37 davon haben wir Ihnen hier bei uns in der Rothmühle schon zeigen können. Einige gelten als „Klassiker“ und stehen seit vielen, vielen Jahrzehnten immer wieder auf den Spielplänen großer, mittlerer oder kleinerer Theater: Lumpazivagabundus, Zu ebener Erde und Erster Stock, Der Talisman, Einen Jux will er sich machen, Das Mädl aus der Vorstadt, Liebesg’schichten und Heiratssachen oder auch Frühere Verhältnisse. Sie alle sind Garant für volle Kassen und werden deshalb – in mehr oder minder gelungenen Interpretationen –, mit schöner Regelmäßigkeit landauf, landab gespielt. Andere, personenreichere Werke werden da und dort alle paar Jahre hervorgekramt und „wiederentdeckt“: sprödere wie etwa Freiheit in Krähwinkel, Höllenangst, Mein Freund – oder auch scheinbar leichtere wie Nagerl und Handschuh, Umsonst oder Theaterg’schichten. Der Rest bleibt meist in den Schubladen – teils zu Recht, oft aber auch zu Unrecht.

 Die Nestroy-Spiele, deren Intention es immer war, Nestroy vor museal oder kommerziell motivierter Vereinnahmung und falscher Verniedlichung zu schützen und ihm in der „Vorstadt von Wien“ eine Heimstatt zu geben, wo sich sein Witz, aber vor allem auch sein widerborstiger, gesellschafts- und menschen-kritischer Freigeist voll entfalten kann, haben in den 45 Jahren ihres Bestehens zahlreiche seiner als unspielbar geltenden Werke erfolgreich rehabilitiert – wie z.B. Abenteuer in der Sklaverei, Eine Wohnung ist zu vermieten, Das Geheimnis des Grauen Hauses, Adelheid oder die verfolgte Wittib, Robert der Teuxel, Die beiden Herren Söhne oder Der Mann an der Spitze. Sie alle haben unterschiedliche Färbungen und ihre Eigenheiten, aber – entgegen ihrem Ruf – auch genügend Qualität und Substanz, um in Aufführungen mehr als zu bestehen.
Dies gilt auch für das selten gespielte „Gustostückerl“, das wir Ihnen heuer präsentieren: das 1835 geschriebene Frühwerk Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab. Nirgends zeigt sich Nestroys ambivalentes, gespanntes Verhältnis, seine Hass-Liebe zum Bürgertum (jener sozialen Schicht, der er selbst entstammte) deutlicher als in dieser beinahe „autobiographischen“ Posse. Eigentlich als Parodie auf ein schrecklich papierenes, aber erstaunlich erfolgreiches Melodram des inzwischen zu Recht vergessenen deutschen Autors Karl von Holtei konzipiert, bot die Vorlage Nestroy willkommene Gelegenheit zu einem scharfzüngigen Rundumschlag gegen die Wiener Gesellschaft, von der er sich zeitlebens immer wieder beleidigt, missverstanden und schlecht behandelt fühlte.
„Getarnt“ in der Rolle des Possendichters Leicht, stellte Nestroy nicht nur Holteis verblasenes Machwerk auf den Boden der Realität, er nutzte es zu einer grundsätzlichen und sehr persönlichen Stellungnahme – zu einer unverblümten Abrechnung mit der dummen, anmaßenden Überheblichkeit seiner Kritiker und der spießigen Oberflächlichkeit seiner kulturell letztlich völlig desinteressierten bourgeoisen Zuschauer. Obwohl er dabei auch sich selbst als Mensch und Künstler mit Spott und herber Kritik nicht verschonte, verziehen ihm die „biedersinnigen, gutmütigen“ Wiener – so wie er es im Stück selbst prophezeite – den satirischen Frontalangriff nicht. Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab wurde – trotz seines hohen Unterhaltungswerts und seiner sprachlichen Brillanz – ein weiterer unverdienter Misserfolg unter vielen, die Nestroy bereits erlebt hatte und noch erleben sollte.
Als wir dieses wunderbare Stück 1974, in unserer erst zweiten Spielzeit, zum ersten Mal auf die Bühne brachten, tauchte zu unser aller Überraschung und Freude bei unseren damals noch völlig unbekannten Nestroy-Spielen plötzlich der legendäre Helmut Qualtinger auf – das „enfant terrible“ der Wiener Szene, unser aller Idol, quasi das lebende Pendant zu Nestroys schauspielerndem Theaterdichter Leicht! Er wollte die bissige, geistreiche Realsatire, die er selbst immer wieder in Lesungen vortrug, endlich einmal als richtige Theateraufführung auf der Bühne sehen, denn er liebte dieses Stück wie kaum ein zweites. Sein Kommen und sein Lob waren uns Ansporn, den eben begonnenen Weg weiter zu verfolgen.
Auch uns ist Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab seit jeher besonders ans Herz gewachsen, zeigt es doch – in köstlich-überspitzter Form, mit ungemein pointierten Sequenzen und Formulierungen – das leidige ökonomische und psychische Auf und Ab zwischen erhofftem „Lorbeer“ und zu befürchtendem „Bettelstab“, dem wir als Theatermacher auch heute noch tagtäglich ausgesetzt sind. Und: es hat durch die skurrile Figur des „Weltbürgers“ Herrn von Überall einen äußerst witzigen, ironischen Bezug zu Schwechat, wo wir dem großen Menschenkenner und genialen Sprachkünstler Johann Nestroy seit mehr als vier Jahrzehnten mit Spielen und Symposien lustvoll unsere Reverenz erweisen.
Gründe genug, denke ich, dieses literarische Juwel wieder einmal auf den Spielplan zu setzen.

Viel Vergnügen!

Online Merker, 25. Juni 2017: Selbsterkenntnis in Sachen „Kulturbertrieb

„Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ ist Johann Nestroys Stück über das Selbstverständnis des Dichters. Ob die prägnanten Zitate darin auf ihn selbst umgelegt werden können, quasi als Offenbarungseid des Komödienschreibers, darüber diskutieren sich die Nestroy-Forscher die Köpfe wund – vergeblich natürlich, denn nichts ist beweisbar. Aber hat je einer schöner die Extreme des Möglichen ausgeschritten, wenn Nestroy über die Schöpfer eines „Zwetschkenkrampus“ ätzt, die sich „für einen Rivalen von Canova“ halten…

Er selbst wäre dieser Gefahr nicht erlegen, Kollegen Raimund, der stets nach Höherem strebte (von der Vorstadt her das Burgtheater im Auge), hätte er es zutrauen können. Und die Vorlage für sein Stücks, „Lorbeerbaum und Bettelstab“ von Karl Holtei (der auch recht viel von sich hielt), jammerte über einen Dichter, dem nicht die gebührende Anerkennung zuteil wurde. Da konnte Nestroy mit seiner Parodie nur in voller satirischer Schärfe zubeißen…

Er stellt den Dichter Leicht von Anfang an als rabiat und gleichzeitig illusionslos hin: Im Gegensatz zu Holteis weinerlicher Sentimentalität herrscht hier grimmige Nüchternheit der Einschätzung. Und dennoch ärgert er sich wahnsinnig, wenn er seine Werke als Perlen vor die Säue eines dummen, hochmütigen Publikums wirft…

Sein Abstieg in dem dreiteiligen Stück ist eng mit einer unglücklichen Liebesgeschichte verbunden: In „drei Stationen“ verliebt er sich erst nach einer seiner missglückten „Dichterlesungen“ in die hübsche, reiche Agnes, die seinen dummen Freund Blasius heiraten wird. Im zweiten Akt, ein Jahr später, fällt erst des Dichters Stück durch, dann muss er bei der Hochzeit dabei sein.

Beim dritten Akt sind zwanzig Jahre vergangen, Agnes und Blasius kommen mit ihren beiden Kindern (der Sohn ist das verlassene Kind von Leicht, das sie aufgezogen haben) zum Heurigen, die Ehehölle wird klar. Leicht vaziert als total heruntergekommener Harfenist (eine Art Volkssänger) herum, gilt für seine Mitwelt längst als tot – und dass sein Stück nun Erfolg hat (wovon er gar nichts wusste), gibt seiner Resignation den Rest. Eine bittere Geschichte.

Und eine brüllend komische, die Regisseur Peter Gruber – wie er es bei den Nestroy-Spielen Schwechat traditionell tut – in die Gegenwart holt (selbst wenn Harfenist und Handy sich nicht wirklich vertragen). Die Qualität des Stücks besteht nicht nur im Schicksal des Leicht, das sich nicht wirklich wandelt, sondern in der Darstellung der Umwelt – ob Nestroy die „Dichterlesung“ ausstellt, wo das Publikum den kulturellen Beitrag nur als lästige Nebenerscheinung betrachtet, die den Sturm auf das Buffet verzögert (immer dasselbe, einst und heute…).

Die „Premierenfeier“ nach Leichts durchgefallenem Stück hat Gruber in ein chices „IN-Lokal“ verlegt und ein Couplet in Nestroys Sinn verfasst, das in allen Farben schillert – niemand aus der gegenwärtigen Seitenblicke-Gesellschaft, der den ätzenden Versen von Peter Gruber, zu einer Tom-Jones-Melodie, entgeht… das Publikum lacht sich krumm, wenn jeder in Nestroys Sinn seinen verdienten Teil bekommt. Im dritten Akt breitet sich beim Heurigen das ganze schrille bürgerliche Elend aus, wobei die einen halt „a Geld hab’n“ und die anderen „kan’s“…. Dabei würde sich Nestroy für seinen Dichter ja nur ein ordentliches Auskommen wünschen.

Eric Lingens als Leicht versprüht den Abend lang kraftvoll Gift und Galle und muss sich am Ende umbringen (was eine kleine Zugabe des Regisseurs ist – bei Nestroy darf er weiterleben). Die Rolle der Agnes zeigt wieder einmal, wie unberechtigt das Vorurteil ist, Nestroy habe keine starken Frauenrollen geschrieben – und Lilian Jane Gartner bringt das Monster der Berechnung hinter schöner Fassade absolut selbstverständlich zur Geltung, mit aufgeschminkter Fratze erschreckend verändert nach zwanzig Jahren. Auch Valentin Frantsits darf sich als ihr immer dümmlicher erst Bräutigam, dann Gatte so sehr zum bürgerlich feisten Schmerbauch verändern, dass man ihn fast nicht erkennt… Eine Köstlichkeit ist der Auftritt der Tochter Julie, die Nestroy gnadenlos überdreht hat, um den Spielstil von Karl Holteis Frau zu parodieren, und es ist schier unglaublich, wie Annabelle Staudacher diese alberne, von sich immer in dritter Person sprechende Julie völlig überzeugend in den Griff bekommen hat.

Eine der prächtigen Nebenrollen ist der „Herr Überall“ (wieder ein Kabinettstück für den unverzichtbaren Franz Steiner), der sein Leben „auf Reisen“ zwischen Wien und Fischamed verbringt, sich solcherart für einen erfahrenen Weltmann hält und jede Eventualität des menschlichen Lebens auf seine winzige Perspektive zurechtstutzt. Witzige Väterrollen haben auch Ottwald John und Christian Dungl (von Peter Gruber in die Sauna geschickt, wo vier wohlgeformte Damen walten), und selbst den Schwechater Beitrag an theaterinteressierten Migranten hat der Regisseur geschickt ins Geschehen gefügt, von den wohl bekannten einheimischen Kräften ganz zu schweigen.

Der Abend ist äußerst musiklastig (wobei nur Thomas Franz-Riegler souverän an seiner Gitarre waltet): Die vielen Musikstücke sind im Original enthalten, auf heute zugespitzt und haben ihre dramaturgische Funktion, selbst wenn sie manchmal zu lang erscheinen. Bloß dass der so melodienverbrämte Abend auf diese Art gelegentlich freundlicher erscheint, als Nestroy und Gruber ihn gemeint haben.

Das Publikum, das sich für den dritten Akt von der Bühne wegbewegen und auf den Holzbänken im Hof Platz nehmen muss (weil schließlich eine Heurigenszene dort richtiger ist), hat einen Abend vor sich, der nicht zuletzt zu mancher Selbsterkenntnis in Sachen „Kulturbertrieb“ anregt. (Renate Wagner)

Kultur und Wein, 25. Juni 2017: Ein scharfzüngiges Statement wider überheblichen Bürgersinn und gehässige Gutmütigkeit

An sich heißt es, dass in Wien einer g’storben sein sollte, ehe man ihn anerkennt. Johann Nestroy war zwar schon zu Lebzeiten berühmt, von der Zensur und ihren Hintermännern gefürchtet und vom Volk geliebt wegen seiner „Stuck“, die ihnen Gelegenheit zum befreiten Lachen gaben. Aber der Dichter konnte sich recht gut in die Künstlerkollegen hineindenken, denen weniger Erfolg als ihm beschieden war. Mit dem Johann Leicht in der parodierenden Posse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ schuf er ihnen eine Gestalt zur Identifikation. Dieser arme Kerl verfügt, dank Nestroy, über eine gewaltige verbale Ausdruckskraft, die jedoch von seinen Zeitgenossen keineswegs goutiert wird. Diesen war allerdings bekannt, dass Nestroys Mitgefühl nicht ganz ernst zu nehmen war. Allein der Titel verrät, dass es sich um eine Persiflage eines in diesen Tagen auch von der Kritik begeistert aufgenommenen Rührstücks aus der Feder eines gewissen Karl von Holtei mit dem Titel „Lorbeerbaum und Bettelstab“ handelte. Nestroy lässt seinen Helden zwischen den beiden Extremen relativ unbeschadet hindurchwandeln.

Dabei verzichtet er jedoch nicht, diesen Leicht in geübtem Zynismus im Glauben der Leute sterben zu lassen und ihm damit einen verspäteten Erfolg seines Stücks anzuhängen. Ganz nebenbei legt Nestroy in diesem frühen Werk seiner Karriere als Autor von über 80 Stücken ein Bekenntnis zur eigenen Bescheidenheit ab, wenn er diesen Dichter sagen lässt: „Bis zum Lorbeer versteig’ ich mich nicht. G’fallen sollen meine Sachen, unterhalten, lachen sollen d’Leut‘ und mir soll die G’schicht a Geld tragen, dass ich auch lach’, das ist der ganze Zweck.“

Wenn damals sein Publikum genau gewusst hat, wer und was gemeint war, gilt das Gleiche für heute, wenn ein doch selten gespieltes Stück wie dieses dankenswerter Weise der Vergessenheit entrissen wird. Der Unterschied ist die Aufnahme des Nestroy’schen Spottes. Seinerzeit hat man es ihm übel genommen, dass er sich über ein beliebtes Drama lustig gemacht hat. Heutzutage fällt diese Befindlichkeit weg. Mittlerweile weiß man, dass Nestroy der Lorbeer gebührt.

Und man ist bereit, die von ihm karikierte Gesellschaft in all ihrem überheblichen Bürgersinn und der gehässigen Gutmütigkeit, wie sie Nestroy anprangert, herzlich zu lachen. Es darf dabei schon einiges an Kabarettistischem dazu kommen, wie ausführliche Couplets, in denen niemand verschont wird, auch nicht die Kollegenschaft von Bühne, Film und Fernsehen. Begleitet werden die zu Sängern mutierten Schauspieler dabei vom Blinden Poldl (Thomas Franz-Riegler) auf der Gitarre. Die Politik manifestiert sich unter anderem in der Trump-Locke des reichen Seifensieders Grundl (Christian Dungl), die Seitenblicke in der publicitygeilen Gästeschar des Chicho Ree (im Original Cichori, Kaffeesieder) und am Buffet die Verfressenheit der Teilnehmer bei Lesung und Hochzeit, denen es vollkommen wurscht ist, ob einer den Lorbeerbaum erklimmt oder am Bettelstab geht.

Peter Gruber, Intendant der Nestroy Spiele Schwechat hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Kleinode aus der prall gefüllten Schatzkiste, die uns Nestroy hinterlassen hat, zu bergen. Er hat selbst Regie geführt und das Schlingern von Johann Leicht zwischen Lorbeerbaum und Bettelstab im stimmungsvollen Hof des Schlosses Rothmühle inszeniert. Der erste Teil kommt frontal von der Bühne. Nach der Pause muss das Publikum mit den Schauspielern in die Brühl wandern.

Gemeint ist der Gastgarten, um dort vom Heurigenbankerl aus den Showdown zwischen der Liebe des nunmehr zum Harfenspieler (in diesem Fall eine Teufelsgeige) herabgekommenen Dichters und seiner ehemaligen Angebeteten verfolgen zu können.

Die Besetzung ist üppig, mehr als 31 Rollen, die ihre Darsteller wollen – im Grunde eine wundervolle Gelegenheit, jungen Schauspielern, unter anderem aus der Schule der großen Elfriede Ott (gab der Premiere die Ehre ihrer Anwesenheit), eine Auftrittsmöglichkeit zu geben. Zu den „alten Herren“ zählt der „Weltenbummler“ Herr Überall, der Von Wien nach Fischament und dann wieder von Fischament nach Wien mehr Kilometer zurücklegt als James Cook bei seinen Weltreisen, hat mit Franz Steiner einen Komödianten der unaufdringlichen Art gefunden, der mit seinen ständig wiederholten Reminiszenzen an Fischamend zu Recht etliche Lacher erntet.

Ihrer Therese, der bedauernswerten Ehefrau des erfolg- und geldlosen Musensohnes, gibt Julia Kampichler wahre Bodenständigkeit. Gatte Johann (Eric Lingens, der mit seinen Worttiraden gekonnt dem ersten Darsteller dieser Rolle, nämlich Nestroy himself, nacheifert) verschaut sich hingegen neben all dem Jammer in die reiche Agnes (Lilian Jane Gartner). Das hübsche schwärmerische Ding ist jedoch bereits verlobt, und zwar mit Johanns sträflich dummem Freund Blasius (Valentin Frantsits als Sohn des Seifensieders), der stolz behauptet: „Ja es kann auch nix seyn; sie hat mir ja, fallt mir g’rad ein, Dings dader – ewige Liebe geschworen, mein Vertrauen ist unerschütterlich.“ Es wird also nichts mit einem fröhlichen Bäumchen wechsle dich, denn Theresia verschwindet nach Unbekannt und deren Sohn Johann (Christian Leutgeb) wird von Agnes gemeinsam mit der eigenen Tochter Julie (Annabelle Staudacher) großgezogen. Bei soviel Widrigkeiten bleibt dem zur eigenen Mitte gelangten Leicht nichts anderes mehr übrig, als am Schluss nüchtern Fazit zu ziehen: „Leckt’s mich im Arsch!“

APA, 26. Juni 2017: Gelungen

Seit 1973 leitet Regisseur Peter Gruber die Nestroy-Spiele Schwechat und stellt seitdem bemerkenswerte Produktionen auf die Beine. „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ steht (nach 1974 und 2000) zum dritten Mal am Spielplan – und erfreute bei der Premiere am Samstagabend einmal mehr mit beißendem Humor und viel Spielwitz: eine bitterböse Abrechnung mit der spießbürgerlichen Kulturschickeria.

„Nestroy vor museal oder kommerziell motivierter Vereinnahmung und falscher Verniedlichung zu schützen“, war laut Gruber, Altmeister jugendfrischer Nestroy-Praxis, seit jeher die Intention des Festivals, das auf dem Gelände von Schloss Rothmühle in Rannersdorf Heimstatt gefunden hat. Den „scharfzüngigen Rundumschlag gegen die Wiener Gesellschaft“, den Gruber im Stück ortet, hat er aktualisiert und erweitert. In den Couplets bekommt jeder sein Fett ab, vom Ex-Landeshauptmann über die Exponenten der Schicki-Micki-Society (köstlich die auf Adabeis umgemünzte Falco-Amadeus-Paraphrase des In-Beislwirts Cicho Ree, gespielt von Max G. Fischnaller) bis zu den dumpfen Kleinbürgern, von denen Nestroy sagt: „Wenn das Volk nur fressen kann!“

Die deutlich autobiografisch angehauchte Geschichte vom glücklosen Komödiendichter namens Leicht (sehr ambitioniert von Eric Lingens verkörpert) reichert Gruber geschickt mit Gegenwartselementen an. Im zweiten Teil findet das Geschehen unvermittelt seine Fortsetzung im Heurigengarten, wo sich die Akteure 20 Jahre später einfinden: der inzwischen beleibte reiche Freund Blasius (Valentin Frantsits), dessen einst dem Dichter zugetane Frau Agnes (Lilian Jane Gartner), der Weltenbummler Überall (Franz Steiner räumt mit seinem Fischamender Running Gag die Lacher ab) und Leicht selbst. Als er sich am Ende des musikantenstadelhaften Finales scheinbar erschießt, ist die Betroffenheit groß – doch Leicht steht auf und entschwindet mit dem Götz-Zitat auf den Lippen.

Dass sich die Dichte der Honoratioren und Adabeis in Schwechat in Grenzen hält, ist bezeichnend. Doch ein treues Stammpublikum – darunter Elfriede Ott, u.a. langjährige Intendantin der Nestroy-Spiele Liechtenstein und Trägerin des Nestroy-Rings – weiß sehr wohl das kritische Potenzial zu schätzen, das Gruber beharrlich auslotet und damit dem sommerlichen Theatergeschehen gehörige Würze verleiht.

Kurier, 26. Juni 2017: Gesellschaftssatire als Nestroy-Musical

Mit „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“ arbeitete Nestroy Frustration ab: Der Text ist eine böse Parodie auf das rührselige Stück eines Konkurrenten, der bejubelt wurde, während Nestroys Stücke durchfielen. Hier liegt das Problem: Der parodistische Bezug ist heute nicht mehr erkennbar, übrig bleibt eine gallige Satire ohne allzu interessante Personen oder Konflikte (es hat meist einen Grund, wenn Stücke in Vergessenheit geraten).

Das bewährte Team der Nestroy-Spiele rund um Intendant und Regisseur Peter Gruber kompensiert das durch hinreißende Spielfreude, großartig gebaute Massenszenen und sehr viel Musik (Thomas Franz-Riegler) – die Aufführung ist eher ein Musical als ein Theaterstück.

Die Hauptrolle spielt der hervorragende Eric Lingens, ihm zur Seite Valentin Frantsits als falscher Freund und Lilian Jane Gartner als „love interest“. (In Wahrheit spielt natürlich der herrliche Hof des Schlosses Rothmühle die Hauptrolle). Rundherum agiert ein bestens gelauntes (Laien)-Ensemble. Bloß die seeeehr laaangen Couplets und G’stanzln lassen sich kürzen – nicht jede Anspielung auf Politik und Prominenz ist so lustig wie geplant. (Guido Tartarotti)

Kronenzeitung, 26. Juni 2017: Aus Nestroys Leben

Jährlich werden im Schloss Rothmühle, Niederösterreichs Nestroy-Zentrum, die großen und kleinen Possen des Autors gespielt, unverkrampft und mit ehrlichem Zugang. Und auch heuer ist das Team rund um Regisseui Peter Gruber wieder am Werk – mit dem Künstlerschwank „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“.

Nirgends ist die Mischung aus Volksfest und Theaterpremiere so gelungen wie in Schwechat. Die professionelle und halbprofessionelle Schauspielertruppe liebt „ihren“ Nestroy und lässt das auch spüren. Man ist dabei – nicht nur mit Haut und Haaren –, sondern auch mit viel Freude und vor allem Begeisterung.

Diesmal also „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“: keiner der großen und berühmten Nestroy-„Kracher“, sondern ein etwas grantelndes, aber amüsantes Stück um einen mit der Gesellschaft und damit auch seinen Kritikern im Streit liegenden Autor. Also auch ein wenig eine Nestroy-Autobiografie …

Peter Gruber lässt es ungemein routiniert ablaufen: Es sitzt jede Geste, jede Pointe, die Typen kennt man – und schätzt sie. Und die Inszenierung hat Tempo und Pfiff, sowohl auf der Bühne als auch im zweiten Teil vor den Heurigenbänken.

In diesem vollkommen souveränen und sicheren Zugang liegt freilich auch ein wenig die Gefahr: Alles läuft so sehr auf Schiene, aus perfekter Routine, dass es schon wieder konventionell und abgeschliffen wirkt (und genau das wollte Peter Gruber stets vermeiden!).

Die Kritik an der Schickimicki-Welt, am Kultur-Biz und seiner Geschäftemacherei, an der blasierten Oberflächlichkeit der Gesellschaft – das ist alles sauber, aber zu sehr voraussehbar geraten. Wie auch die Figuren – allesamt gut gebracht und präzise charakterisiert von Eric Lingens, Lilian Jane Gartner, Valentin Frantsis, Franz Steiner, Christian Dungl und Ottwald John. Gruber und sein Team arbeiten stets souverän und treffend, aber es gerät alles ein bisserl zu durchschaubar, wo man doppelte Böden und kritische Schärfe erwartete.

Ein sauberer, gut unterhaltender Nestroy-Abend ist’s aber jedenfalls! (OL)

Der Standard, 29. Juni 2017: Rundumschlag auf Wienerisch

Wenn bei einer Theaterpremiere das Buffet – wie auch der Schampusvorrat – üppig ausfällt, versammelt sich die Wiener Schickeria geschwind. Die nasenrümpfende Dame mit der Perlenkette langt da auch ordentlich zu, während Herr Überall, der prinzipiell nur bis Fischamend reist, weil sich im Ausland zu viele Ausländer tummeln, den Punsch kostet. „Sie haben keinen Gram, keine Lieb’, keinen Haß, nicht einmal eine Seel’ haben s’. Nix haben s’ als ein’ Appetit“, empört sich der Dichter Johann Leicht über diese feinen Leute.

Als die Premierenbesucher sein Theaterstück als niederträchtig bezeichnen, verliert er die Contenance. Denn nicht nur das Ego leidet, zu Hause knurren auch der Ehefrau und dem Sohn die Mägen. Doch schnell vergessen sind diese, als die verlobte Agnes mit dem kettenrauchenden Dichter liebäugelt. Während Leicht auf die überschminkte Wiener Gesellschaft schimpft, verliebt er sich doch unausweichlich in sie, wenn er in Agnes’ schöne Augen blickt.

Die 45. Nestroyspiele Schwechat widmen sich Johann Nestroys Posse Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab. Darin macht er beinahe autobiografisch seiner Hassliebe zum gehobenen Bürgertum Luft. Die Wiener verziehen Nestroy den Rundumschlag nicht, das Stück wurde nach der Uraufführung im Jahre 1835 zum Misserfolg.

Auch Regisseur Peter Gruber spart in seiner Inszenierung nicht mit aktueller Gesellschaftskritik. In pointierten Liedtexten werden die Society, wankelmütige Politiker und hochnäsige Theaterkritiker mit viel Sprachwitz aufs Korn genommen. Gruber inszeniert Nestroys Posse leichtfüßig und schafft mit wohldosierten Zuspitzungen einen amüsanten Theaterabend. Wenn der Dichter Leicht nach zwanzig Jahren wieder in einem Heurigen auf Agnes trifft, wechselt auch das Publikum der Authentizität wegen in die ansässige Gastwirtschaft.

Eric Lingens grantelt wunderbar wienerisch als Dichter Leicht, der Hauptstadtschmäh ist deftig. Und so verabschiedet sich der verkannte Dichter auch mit einem beherzten „Geh leckt’s mich doch alle am Arsch“ von der Bühne. (Eva Wallisch)

Wiener Zeitung, 29. Juni 2017: Pointenfeuerwerk

Seit nunmehr 45 Jahren bringen die Nestroy Spiele Schwechat in der Freiluftbühne im Innenhof von Schloss Rothmühle Jahr für Jahr ein Nestroy-Stück heraus. Viele der Akteure sind ortsansässige Laiendarsteller und dem sommerlichen Nestroy-Spiel seit langer Zeit verbunden. Im Lauf der Jahrzehnte hat die Truppe rund um Regisseur Peter Gruber einen unaufgeregt-lässigen Spielstil etabliert, der bei Nestroy ziemlich gut funktioniert, auch sprachlich feuern viele der Mitwirkenden die Pointen präzise ab.

Meriten verdient sich die Bühne vor allem, wenn sie selten gespielte Werke ausgraben. Wie in diesem Jahr: „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“, uraufgeführt 1836, ist eine saftige Satire auf den Theater- und Kulturbetrieb, die nicht mit Seitenhieben auf die bürgerliche Wohlstandsgesellschaft geizt.

Der Dichter Johann Leicht – Nachwuchsakteur Eric Lingens verkörpert ihn mit Grandezza – fällt bei der Uraufführung seines Stückes durch. Völlig verarmt und verlassen von Frau und Kind, tingelt er bis zum genreüblichen Happy End als Wirtshausmusiker durch die Lande.

In der etwa zweistündigen Aufführung fällt vor allem die gelungene musikalische Umsetzung auf. Thomas Franz-Riegler begleitet die gewitzt bearbeiteten Couplets – „der Donald Trump-elt eh alles nieder“ – einfach nur mit der Gitarre. Und das genügt vollauf. Ohne viel Tamtam wird in Schwechat Nestroy von einem 28-köpfigen Ensemble gespielt. Das hat was. (Petra Paterno)

Falter, 5. Juli 2017: Die Schickeria und der Menschenfeind

Die Nestroyspiele haben heuer ein unerbittlich böses Frühwerk auf dem Plan. Regisseur Peter Gruber ergänzt die Satire auf den Wiener Kulturbetrieb um eigene, sagenbaft treffende Couplets zur heutigen Seitenblicke-Society. „Weder Lorbeerbaum noch Mandelzweig“ handelt vom Dichter Leicht, dessen Komödien von der Schickeria ungeniert niedergemacht werden. Er selbst ist auch kein Sympathieträger: Eric Lingens zeichnet ihn als aufbrausenden Menschenfeind, dem der Misserfolg das Herz verhärtet hat. Seinem Glück im Wege stehen auch sein Schnöselfreund (Valentin Frantsits) und dessen an sich kunstaffine Braut (Lilian Jane Gartner). Wer ein Happyend erwartet, nehme sich in Acht. Wer eine brutale Künstlertragödie und doch die witzigste Pointenrevue des Jahres erleben will, fahre nach Schwechat-Rannersdorf. (M P)