Nestroys "Jux"

Wer kennt sie nicht, die amüsanten Abenteuer des braven Handelsangestellten Weinberl, der endlich auch einmal ein „verfluchter Kerl“ sein möchte und der sich zusammen mit seinem Lehrbuben Christopherl bei seinem heimlichen Ausbruch aus dem tristen, provinziellen Alltag in den Wirrnissen der Großstadt in die turbulentesten Situationen verstrickt?

Auf vielfachen Wunsch feiern die Nestroy-Spiele Schwechat ihr 40-jähriges Bestehen mit einem der großen Klassiker der Weltliteratur: „Einen Jux will er sich machen“. Im stimmungsvollen Ambiente des Hofes von Schloss Rothmühle garantieren die mehrfach ausgezeichneten Nestroy-Spezialisten rund um Peter Gruber für brillante Sommerunterhaltung auf höchstem Niveau.

40. NESTROY Spiele Schwechat
Nestroys "Jux"
23. Juni bis 28. Juli 2012

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Musik

Johannes Specht

Bühne

Nora Scheidl

Kostüme

Okki Zykan

Ausstattungsassistenz

Anna Zadra

Maske

Andrea Zeilinger

Lichtdesign

Robby Vamos

Lichttechnik

Thomas Nichtenberger
ZANGLER Gewürzkrämer in einer kleinen Stadt
Horst Salzer
MARIE dessen Nichte und Mündel
Martina Hinterleitner
WEINBERL Handlungsdiener bei Zangler
Franz Steiner
KRAPS Hausknecht bei Zangler
Andreas Bauer
FRAU GERTRUD Wirtschafterin bei Zangler
Maria Sedlaczek
MELCHIOR ein vazierender Hausknecht
Bruno Reichert
AUGUST SONDERS
Benjamin Turecek
HUPFER ein Schneidermeister
Peter Kuno Plöchl
MADAME KNORR Modewaren-Händlerin
Regine Rieger
FRAU VON FISCHER Witwe
Susanne Adametz
FRÄULEIN BLUMENBLATT Zanglers Schwägerin
Bella Rössler
BRUNNINGER Kaufmann
Harald Schuh
PHILIPPINE Putzmacherin
Conny Schachelhuber
LISETT Stubenmädchen bei Fräulein Blumenblatt
Gabriele Holzer
EIN HAUSMEISTER
Andreas Herbsthofer-Grecht
EIN LOHNKUTSCHER
Peter Kuno Plöchl
EIN WACHTER
Peter Koliander
RAB ein Gauner
Sascha Nikodym
KELLNER
Günter Eberl, Andreas Herbsthofer-Grecht
LIEFERANTEN, DAMEN, PASSANTEN, TÄNZER
Sabine Axmann, Günter Eberl, Andreas Herbsthofer-Grecht, Peter Koliander, Richard Mayer, Sascha Nikodym, Peter Kuno Plöchl, Conny Schachelhuber, Sabine Stacher, Sissy Stacher, Jürgen Zsalcsik

1. Akt
Zangler möchte dem unvermögenden Sonders sein Mündel Marie nicht zur Frau geben. Zu ihrem Schutz will er Marie zu seiner Schwägerin in die Stadt schicken. Durch Zufall erfährt Sonders von diesem Plan. – Auftrittslied Weinberl I, 10 (R: „Da wird wohl auch was g’handelt wer’n.“). – Christoph macht Weinberl auf Wachsspuren, die er auf dem Ladenschlüssel entdeckt hat, aufmerksam. Zangler erzählt Christoph und Weinberl von seinen Plänen: Er wird für drei Tage verreisen und anschließend heiraten. Mit dem Hochzeitstag soll Weinberl seinTeilhaber und Christoph Kommis werden. Weinberl will Zanglers Abwesenheit nutzen und ein richtiges Abenteuer erleben. Zusammen mit Christoph will er sich „einen Jux machen“. Er verkleidet sich mit Zanglers altem Schützenanzug und läßt Frau Gertrud durch Christoph ausrichten, sie solle Weinberl sagen, daß das Geschäft zwei Tage geschlossen bleibe. Überraschend kommt jedoch Zangler von seiner Schützengesellschaft zurück. Weinberl muß sich vor ihm verstecken. Unterdessen hat Sonders Marie getroffen. Weinberl hört aus seinem Versteck, wie Sonders sie bittet, mit ihm fortzugehen. Die beiden entdecken Weinberl jedoch und halten ihn für Zangler. Um nicht erkannt zu werden, gibt Weinberl ihnen wortlos seinen Segen und verschwindet. In diesem Moment erscheint Zangler, entdeckt die beiden völlig verwirrten Liebenden und schickt Marie wütend ins Haus.

2. Akt
Weinberl und Christoph sind in die Stadt gereist, wo sie beinahe auf Zangler treffen. Sie flüchten sich in das Geschäft von Mad. Knorr, wo Weinberl sich als Ehemann einer Frau von Fischer ausgibt. Doch Frau von Fischer erscheint tatsächlich, spielt aber zum Schein die Rolle der Ehefrau. – Lied Weinberl II, 8 (R: „Das is a verruckte Idee“). – Sonders und Marie sind durchgebrannt, werden jedoch von Zangler gesehen, als sie vor einem Gasthaus aus der Kutsche steigen. Er gibt dem Kutscher und einem Wächter die Anweisung, die beiden auf dem Rückweg bei seiner Schwägerin abzuliefern. Auch Mad. Knorr, Frau von Fischer, Christoph und Weinberl, der fast pleite ist, besuchen auf Wunsch der Damen das Gasthaus. Melchior erscheint und verlangt den ganzen Salon für seinen Herrn. Schließlich wird, als Weinberl und Christoph von ferne sehen, wer der Herr ist, eine spanische Wand aufgestellt. Um vor der unbezahlbaren Rechnung zu fliehen, schleicht sich Christoph, mit dem Burnus und dem Hut von Frau von Fischer verkleidet, an Zangler vorbei. Auch Weinberl kann unbemerkt entkommen. Die beiden steigen in Sonders’ Kutsche. Kutscher und Wachter halten sie für das gesuchte Paar, ebenso Zangler und Melchior. Doch in diesem Moment kommen Marie und Sonders in den Salon. Als Zangler auch noch seine Verlobte Mad. Knorr bemerkt, herrscht allgemeine Verwirrung.

3. Akt
Weinberl und Christoph werden von dem Kutscher und dem Wächter bei Frl. Blumenblatt abgeliefert, die die beiden für ihre seit langen Jahren nicht gesehene Nichte und deren Liebhaber hält und dies sehr romantisch findet. Melchior erscheint, weil Zangler Weinberls Zeche bezahlen mußte, und klärt Frl. Blumenblatt über die Verwechslung auf, doch diese glaubt ihm nicht. Sonders, der sich als Weinberl ausgibt, erscheint und behauptet, mit Maries Bewachung beauftragt worden zu sein. Melchior versucht auch diesen Irrtum aufzuklären, aber Frl. Blumenblatt hält ihn für einen Betrüger und ruft den Wächter. In diesem Moment kündigt Lisett Herrn Zangler an. Die entstehendeVerwirrung nutzen Weinberl, Christoph und Sonders zur Flucht. Zangler erscheint in Begleitung von Mad. Knorr und Frau von Fischer. Er klärt Melchiors Identität und übergibt Marie seiner Schwägerin. Christoph hat sich in ein hochgelegenes Zimmer gerettet. Während Weinberl einen Ausweg aus dem ummauerten Garten sucht, hält Christoph Ausschau nach einem Fluchtweg aus seinem ,Gefängnis‘. Er wird von Sonders, der ihn für Marie hält, mit einer Leiter befreit, die Weinberl und Christoph auch zur Flucht aus dem Garten verhilft. – Lied Weinberl III, 16 (R: „Und es schickt sich doch offenbar nicht.“). – Die beiden kehren zum Geschäft zurück, in das gerade Kraps, Zanglers entlassener Knecht, und Rab einbrechen. Kraps, der ihnen direkt in die Arme läuft, wird von Christoph und Weinberl genötigt, seinen Hut und seinen Mantel auszuziehen. Weinberl verkleidet sich damit und hilft Rab zum Schein bei seinem Raubzug, so daß Christoph die Gelegenheit hat, die Polizei zu rufen. Melchior bemerkt die Einbrecher und greift sich Weinberl, während Rab fliehen kann, jedoch auf der Straße von Zangler, Mad. Knorr, Frau von Fischer, Christoph, Marie, Sonders und dem Wachter gestellt wird. Zangler beglückwünscht Weinberl, sehr zum Erstaunen von Melchior, der ihn für einen Dieb hält. Frau von Fischer und Mad. Knorr erkennen Christoph und Weinberl. Letzterer rettet die Situation, indem er Frau von Fischer einen Heiratsantrag macht. Da nun auch der durch ein Erbe reich gewordene Sonders Marie heiraten darf, endet das Stück mit der Aussicht auf eine dreifache Hochzeit. 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 18/I W. Edgar Yates)

38. Nestroy-Gespräche 2012
Tod und Überleben bei Raimund und Nestroy

Dienstag, 3. Juli 2012
Anreise Anreise nach A 2320 Schwechat, Justiz-Bildungszentrum (Schloss Altkettenhof), Schloßstraße 7 (Tagungsbüro im Gästehaus, 14:30 bis 18:30 Uhr geöffnet)
18:30 Begrüßung
20:30 Schwechat, Schloss Rothmühle, Rothmühlstraße, Aufführung, 40. Nestroy-Spiele: Einen Jux will er sich machen (Regie: Peter Gruber)

Mittwoch, 4. Juli 2012
9:00 Einführung
9:10 Galina Hristeva (Stuttgart, D): „In Abgrund g’stürzt [ …]“. Das Unheimliche in der Posse Der Zerrissene von Johann Nestroy
9:50 Henk Koning (Putten, NL): Tod und Überleben bei Nestroy oder die Seinsfragen eines unsicheren Humoristen
Pause
10:40 Michaela Bachhuber (Bayreuth, D): Die Unmöglichkeit und Möglichkeit des Überlebens in einer Gesellschaft der Determination bei Nestroy und Büchner
11:20 Einen Jux will er sich machen Diskussionsrunde über Stück und Aufführung Moderation: Walter Pape (Köln, D)
Mittagspause
15:00 „Nestroy und die Nachwelt“: 1862 – 1912 – 1962 – 2012 Komödiantentum oder moderne Satire Diskussionsrunde Stefan Hulfeld (Wien, A): Kraus und die Folgen
15:30 Diskussion Moderation: Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck, A)
Pause
17:00 Alessandra Schininà (Catania, I): „Bei uns stirbt man im Ernst […]“ – Schwarzer Humor und Entlarvung der alltäglichen Brutalität in Häuptling Abendwind
19:00 W. E. Yates (Exeter, GB): Leiden und Freuden eines Nestroy-Biographen: „Bin Dichter nur der Posse“: Johann Nepomuk Nestroy. Versuch einer Biographie

Donnerstag, 5. Juli 2012
8:30 Exkursion nach Sopron/Ödenburg (Ungarn) Leitung: Otmar Nestroy (Graz, A) Gábor Kerekes (Budapest, H): Raimund und Nestroy in Ungarn – Theater- und literaturgeschichtliche Informationen

Freitag, 6. Juli 2012
9:00 Daniel Ehrmann (Salzburg, A): Et in Arcadia ego. Konfigurationen des Letalen in Ferdinand Raimunds Original-Stücken
9:40 Harald Gschwandtner (Salzburg, A): „Vor mir, mein gnädiges Fräulein, liegt das Gehirn eines unschuldigen Hundes im Spiritus“. Adolf Muschgs Erzählung vom Tod Ferdinand Raimunds
Pause
10:40 Andrea Hanna (Belfast, GB): Das Überleben des Unangepassten: Eberls Kaspar in Konstantinopel und Nestroys Titus im Vergleich
11:20 Marion Linhardt (Bayreuth, D): „der dritte Act dagegen, wo Raimund dem Wahnsinn verfällt und auf der Scene stirbt, ist […] nur für Theaterbesucher mit besonders starken Nerven berechnet“ – Lebens- und Todesdeutungen in den Raimund-Stücken von Carl Elmar, Julius Reuper und Heinrich Jantsch/Alexander Calliano
Mittagspause
Forum: Funde – Fragen – Berichte:
14:30 Matthias J. Pernerstorfer (Wien, A): „Hier liegt nun die saubre Frau“. Zu Ende und Nachleben der versoffenen Gouvernante
15:00 Marc Lacheny (Valenciennes, F): Vom Verschwender (1834) zu Le Prodigue (1992): Ein Beispiel Raimund’schen Überlebens in Frankreich
15:40 Olaf Briese (Berlin, D): Vom Wiener Staberl zum Berliner Eckensteher. Intertextueller und kultureller Transfer
Pause
16:40 Resümee

Samstag, 7. Juli
Abreise

 

38 Jahre Internationale Nestroy-Gespräche in Schwechat

Die Internationalen Nestroy-Gespräche, 1975 von Professor Walter Mock († 1985) gegründet, werden vom Nestroy-Zentrum Schwechat und der Internationalen Nestroy-Gesellschaft veranstaltet. Bis 2011 fanden sie auf Schloss Rothmühle statt, nach einem Zwischenspiel bis 2004 in Felmayers Garten, und haben seit 2005 ein neues Zuhause auf Schloss Altkettenhof (Justiz-Bildungszentrum) gefunden. Die Konferenzen bieten ein Forum für alle Theaterliebenden und Nestroybegeisterten, darüber hinaus für alle am Wiener Volkstheater Interessierten, und verbinden Wissenschaft und Forschung mit Theaterpraxis und Bildungsarbeit. In den ersten Jahren standen sowohl allgemeine Themen und Überblicke im Mittelpunkt als auch konkrete Themen und exemplarische Betrachtungen. So ging es um Nestroy in seiner Zeit, sein Verhältnis zu den Zeitgenossen, um seine Rezeption und Wirkung bis ins heutige Theater, weiters um ästhetische Strukturen und Inszenierungsfragen, um die philosophische, soziale und politische Dimension. Nestroy wurde auf sein Geschichts- und Weltbild befragt, nach seinem Ort im internationalen komödiantischen Theater und in der europäischen Lachkultur, worin seine Originalität liegt, ob und wie er zum (Volkstheater-)‚Klassiker‘ geworden ist. In den folgenden Jahren rückten, wie die Themenliste zeigt, neben Revision überholter und einseitiger Urteile verstärkt Einzelfragen und mehrperspektivische Interpretationen in den Vordergrund, wurden die Betrachtungen differenzierter, wobei auch der soziokulturelle Kontext erörtert wurde, wie die ökonomischen, sozialen und politischen Veränderungen die Produktion und Rezeption der Possen beeinflussten. Parodie, Satire, Sprach- und Zeitkritik erschienen in neuem Licht, ebenso Ausprägungen des bürgerlichen Lachtheaters in Vor- und Nachmärz und die veränderte Rolle des „Spaßmachers“, ferner Aspekte des Kanons und des kulturellen Gedächtnisses sowie des Medienwechsels: Übersetzung in andere Sprachen und Kulturen, in neue Medien, in unsere Zeit. Die Gespräche waren ein wichtiger Begleiter während der Arbeit an der neuen Nestroy-Edition (1977–2010) und bleiben das wesentliche Forum auch für die Zukunft, für den Austausch der Erkenntnisse und Meinungen – in der Forschung wie auf dem Theater. Die durch die Edition gewonnenen Einsichten in Nestroys Werkstatt, seinen Umgang mit den Vorlagen, seine Anspielung auf die aktuelle Wirklichkeit usw. förderten neue und andere interpretatorische Wahrnehmung. Umgekehrt gaben – auch spekulative – Thesen ebenso wie sprachliche, mentalitäts- und sozialgeschichtliche Kommentierung der Editionsarbeit wertvolle Impulse. Nicht selten verdankten Vorträge und Diskussionen wichtige Anregungen den Inszenierungen Peter Grubers, wurde sichtbar, wie viel Vormodernes, Modernes und Spätmodernes bei Nestroy zu entdecken ist, wie sich seine Welt von der Vorstadt ins Universum weitete. Dabei blieb seine Biographie häufig im Hintergrund, kein Wunder, bei einem Theatermann, der nur wenige Tage seines aktiven Künstlerlebens nicht mit dem Theater befasst war. Dennoch konnten auch hier bislang weniger entdeckte Stationen begangen und neue Erkenntnisse erzielt werden, auch in der Synthese biographischer, historischer und poetologischer Betrachtung: Nestroy gibt im potenzierten theatralen Spiel mit sozialkritischer Dimension Antworten auf Probleme der Entfremdung, Täuschung und Selbsttäuschung – seiner damaligen Mitwelt wie heute seiner „Nachwelt“, 150 Jahre nach seinem Tod.

„Die verjuxte Apokalypse“

Sonntag, 1., 8., 15., 22. Juli 2012, jeweils 10:30 Uhr Schlosshof Rothmühle,
Einlass ab 9 Uhr

Was haben der Jux, Jura Soyfer, die Nestroy-Spiele und der Weltuntergang gemeinsam?
Ein unterhaltsames, kabarettistisches Nestroyfrühstück von und mit Ben Turecek, bei dem die Geburtstagsfeier für Jux und Nestroyspiele über Jura Soyfer direkt in den Weltuntergang führt – und Sie sind dabei, während Sie das Frühstücksbuffet im Garten von Schloss Rothmühle genießen.

Musik: Johannes Specht

„Unmöglich? –
Hm, welcher Entdecker hat das schon bemessen,
wie weit sich die äußersten Vorgebirge der Möglichkeit
ins Meer der Unmöglichkeit erstrecken?“
Der Unbedeutende

Es begann im Sommer 1972.

Anläßlich der feierlichen Eröffnung der von der Gemeinde übernommenen und liebevoll restaurierten Rothmühle spielte eine Amateurtheatergruppe, die unter der Leitung von Walter Mock schon seit den 40er-Jahren in Schwechat und Umgebung äußerst aktiv war, im Schloßhof den Hofmannsthal’schen „Jedermann“.

Unter den Zuschauern befanden sich auch Burgschauspieler Bruno Dallansky,Burg-Chefbeleuchter Sepp Nordegg und der Schriftsteller György Sebestyen, die vom Flair des Ortes und der Veranstaltung mehr als angetan waren.

Genau hier, fanden sie, wäre der ideale Ort, um einen langgehegten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen: im Sommer mit großen Volksschauspielern regelmäßig Nestroy zu spielen und damit diesem großen, oftmals unterschätzten Dichter in der „Vorstadt von Wien“ eine Heimstatt zu bieten. Mit finanzieller Hilfe der öffentlichen Hand, bzw. Unterstützung durch OMV, Flughafen und Brauerei müsse sich das doch realisieren lassen.

Sofort wurden diesbezügliche Gespräche und Verhandlungen aufgenommen, die sich aber dahinschleppten und großteils wieder versandeten.

Walter Mock wollte nicht länger warten. Die Idee schien zu stimmig, zu gut, als dass man sie am Geld scheitern lassen durfte. Er setzte alles auf eine Karte, engagierte (auf Empfehlung von Bruno Dallansky) mit Peter Gruber einen jungen professionellen Regisseur, der mit ihm und seinen Amateuren zwei Nestroy-Einakter einstudieren sollte, und proklamierte die Nestroy-Spiele Schwechat. Eine Art Probelauf, ein Provisorium.

Die Reaktion war verblüffend und mehr als ermutigend, teilweise geradezu enthusiastisch. Gerade die Anonymität des Ensembles, die das Stück in den Vordergrund treten ließ, überzeugte. Seine uneitle, überbordende Spiellaune begeisterte Publikum und Presse ebenso wie Form, Schärfe und Intelligenz der Interpretation. Die Resonanz war derart positiv, dass man sich entschloss, in dieser erfolgversprechenden semiprofessionellen Konstellation weiterzumachen – „Nestroy pur“ in der Vorstadt von Wien, ohne große Gelder und ohne prominente Namen.

Mock ging gleich noch einen Schritt weiter: er initiierte die Gründung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft und schuf die Voraussetzungen für die Abhaltung Internationaler Nestroy-Gespräche in Schwechat, die zwei Jahre später das erste Mal stattfanden. Seitdem kommt es unter der Leitung von Jürgen Hein(parallel zu den Aufführungen unbekannter und bekannter Nestroy-Stücke) zum jährlichen Gedanken- und Erfahrungsaustausch der führenden Nestroy-Forscher aus aller Welt, aber auch zur fruchtbaren Begegnung zwischen Wissenschaftern und Theaterleuten. Die Impulse, die von hier ausgingen, trugen ganz wesentlich dazu bei, dass Nestroy heute einer der am besten erforschten und dokumentierten Theaterautoren der Welt ist, und sich das Nestroy-Bild in der Öffentlichkeit weitgehend gewandelt hat.

Schwechat war somit zum Internationalen Nestroy-Zentrum geworden, das zudem seit einigen Jahren auch außerhalb der Sommerzeit mit der Website www.nestroy.at eine umfassende, fundierte und unentgeltliche Service- und Informationsstelle für Nestroy-Interessierte anbietet, die inzwischen über 240.000 Zugriffe verzeichnen konnte.

Im Schloßhof der Rothmühle hatte sich schon in den ersten Jahren sehr rasch ein eigener Spielstil entwickelt, der sich wohltuend von den gängigen, harmlos-gefälligen Nestroy-Darbietungen abhob. Ging es zunächst primär um Suche, Entdeckung und Eroberung der Nestroy´schen Sprachwelten und des Raumes, in dem sie sich entfalten sollten, so wuchs in den 80ern der Wunsch, mit Nestroys Texten bewußter und deutlicher auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können. Das Schwergewicht verlagerte sich auf die sozialkritschen, politisierenden Stücke des Vormärz, bzw. der Revolution. Mit der frechen, unhistorischen Deutung von Freiheit in Krähwinkel begann eine neue Entwicklung hin zu einer unverblümteren Gegenwartskritik, die partiell Mut zur Textbearbeitung erforderte. Auch die Ästhetik löste sich allmählich vom musealen Biedermeier-Klischee.

Im Ensemble hatte nach Walter Mocks Ableben bereits Mitte der 80er-Jahre ein Generationswechsel eingesetzt. Die Protagonisten der ersten Stunde – Gertrude Pfertner, Erika Stepan, Horst Kummerfeld, Dietmar Liegl, Fritz Pfertner und Walter Sailer – zogen sich allmählich zurück und übergaben die Verantwortung an Jüngere, die – in kleineren Rollen mit der Arbeit bereits vertraut – den gefunden Spielstil weiterentwickelten und verfeinerten. Robert Herret, Franz Steiner, Bruno Reichert, Willibald Mürwald, Traude und Poldi Selinger, Susi Urban-Adametz, Bella Böhm-Rössler, Andreas Bauer, Sylvia Smaha-Hartel, Sabine und Sissi Stacher, Peter Koliander bildeten nun den Kern der Nestroy-Truppe, zu der mit der Zeit – oft eher zufällig – Neue dazustießen. Manche für ein paar Jahre, manche wie etwa Horst Salzer, Regine Ban-Korsos, Andreas Herbsthofer oder Peter Kuno Plöchl sind heute noch da.

Von „Amateuren“ war schon bald kaum mehr die Rede, eher von den Nestroy-Spielen als „Hecht im Karpfenteich“ des sommerlichen Theatergeschehens, der immer für Überraschungen gut war. Und so stieg die Erwartungshaltung bei Publikum und Presse von Jahr zu Jahr, ebenso die eigenen Ansprüche – künstlerisch, technisch und organisatorisch. Zudem schossen ringsum Festspiele aller Art aus dem Boden, die mit weitaus größerem Budget und prominenten Besetzungen nicht selten auch Nestroy-Stücke anboten. Der Druck wuchs.

Als sich nach Hertha Mock, die über 20 Jahre lang die Spiele als Kostümbildnerin betreut hatte, Herbert Ortmayr als musikalischer Leiter, und schließlich auch Alfred Stepan als Beleuchtungschef sowie Franz Schulczik als Tonmeister zurückzogen, entstand ein Vakuum, das gefüllt werden musste. Also lud Peter Gruber einige Kollegen zur Mitarbeit ein, die er vom Berufstheater her kannte und für geeignet hielt. Ein professionalisierter Stab sollte von nun an das Ensemble, das bisher auch vor und hinter der Bühne mithelfen musste, ein wenig entlasten und helfen, die inzwischen erreichte Qualität zu halten, wenn nicht zu steigern.

Viele dieser Profis blieben bzw. kamen und kommen gerne wieder. Künstler wie Andrea Bernd, Nora Scheidl, Alexandre Collon und Okki Zykan sorgten für spannende Bühnenlösungen und stimmige Kostüme; Charly Apfelbeck, Fritz Gmoser, Robert Vamos oder Thomas Nichtenberger arbeiteten an der Perfektionierung von Licht und Ton; Günter Lickel übernahm die technische Leitung; Christian Sturtzel brachte die benötigten Spezial-Effekte; und als Musiker und Komponisten schufen Kurt Adametz, Otmar Binder, Tommy Hojsa, Erich Meixner oder der inzwischen leider verstorbene Schöpfer der „Staatsoperette“ Otto F. Zykan mit seiner außergewöhnlichen neuen Höllenangst-Vertonung Hörerlebnisse, die Nestroys Texte aus dem Klischee des Allzubekannten befreiten.

Unter jenen, die sofort und auf Dauer hängenblieben, war auch die Co-Direktorin des Wiener Ensembletheaters, Christine Bauer, die rasch zur „Seele“ der Unternehmung wurde. Sie ist heute für Organisation, Werbung und Finanzen verantwortlich und steht Peter Gruber auch dramaturgisch und künstlerisch zur Seite.

Anfang der 90er war die zehn Jahre zuvor in Freiheit in Krähwinkelausgesprochene Befürchtung „Mir is nit geheuer! Kommt a neuch’s Biedermeier?“ anscheinend Realität geworden. Das Publikum schien kritische Inhalte, wenn überhaupt, nur noch in kulinarischer, opulenter Verpackung akzeptieren zu wollen. Das Zurückgreifen auf die (scheinbar) harmloseren, „bunteren“ Stücke der Frühzeit, also die des Biedermeier, ermöglichte die Wiederentdeckung und Rehabilitierung zahlreicher, als unspielbar geltender Werke wie Robert der Teuxel, Die Papiere des Teufels, Abentheuer in der Sklaverey oder Adelheid. Die Interpretation verzichtete jedoch weiterhin auf historisch-museale Authentizität. Sie suchte das Gegenwartspendant, um den Geist des Stückes und dessen Intention, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten, auch heute noch spürbar werden zu lassen.

Die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sich verschärfenden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt begannen sich nun auch indirekt auf das Ensemble auszuwirken. Manche konnten sich das leidenschaftlich betriebene Hobby finanziell bzw. kräfte- und zeitmäßig nicht mehr leisten und mussten schweren Herzens – teils aus beruflichen, teils aus privaten Gründen – aufgeben. Andere wie etwa Michaela Mock, Julia Höfler oder Leopold Selinger (später dann Rebbecca Döltl, Florian Haslinger und Alex Lainer) waren Berufsschauspieler geworden und damit oft in der Schwechater Proben- und Aufführungszeit an andere Theater gebunden.

Ende der 90er-Jahre war auch Robert Herret ausgeschieden. 25 Jahre lang hatte er die Spiele entscheidend mitgeprägt und war nun zur Kabarett-Gruppe Die Brennesseln gewechselt. Fast gleichzeitig nahm mit Franz Steiner ein weiterer Protagonist des Ensembles eine längere Auszeit.

Es schien der richtige Augenblick gekommen, den Rest der inzwischen äußerst Nestroy-erprobten Truppe mit gastierenden Profischauspielern, mit einem „special guest“ zu konfrontieren. Eine neue Herausforderung, die für alle zu einer großen Bereicherung werden sollte.

Robert Herret wurde ausgeschickt, um seinen Brennessel-Regisseur Kurt Sobotka anzufragen. Der hatte Zeit und ließ sich nicht lange bitten. Er machte den Anfang und feierte 1999 inmitten des Schwechater Ensembles als Herr von Ledigin Unverhofft sein glanzvolles 50jähriges Bühnenjubiläum. Im Jahr darauf gab Michael Scheidl ein Kurzgastspiel – als Dichter Leicht in Weder Lorbeerbaum, noch Bettelstab. Und auch Peter Gruber ließ sich ein paar Saisonen später nicht nehmen, wenigstens einmal mit seinem Ensemble auf der Bühne gestanden zu sein – 2008 als Pitzl in Umsonst.

An seiner Seite der Nestroy-Protagonist der letzten Jahre, Christian Graf, der trotz seiner erfolgreichen Profikarriere, immer wenn es ihm möglich war, im Sommer immer wieder an die Stätte seiner ersten Theater-Erfahrungen zurückgekehrt ist.

Egal, ob Profis oder Laien, die auf der Bühne stehen: sie agieren hier unentgeltlich. Größe und Umfang der Produktionen und die noch immer relativ geringe Höhe der Subventionen lassen Schauspielergagen einfach nicht zu.

Und so bleiben die Nestroy-Spiele auch in ihrem 40. Jahr das, was sie von Beginn an waren: ein heißgeliebtes, hochgelobtes und trotzdem stets gefährdetes, im Grunde „unmögliches“ Provisorium. Ein Unikum in der Sommertheaterlandschaft, getragen von viel Idealismus, von an Selbstausbeutung grenzendem Enthusiasmus und der Liebe zur Sache.

Wie dem auch sei: es gibt viele Gründe weiterzumachen. Die lustvolle und zugleich professionelle Auseinandersetzung mit Nestroys wunderbaren Texten; der genius loci des für Theater wie geschaffenen Ambientes; der kaum noch irgendwo zu findende Ensemblegeist; die familiäre, lockere Athmosphäre, frei von Eitelkeit und zermürbenden Rivalitäten; und – last, but not least – eine Reihe hochinteressanter, kaum gespielter Werke, die es auf der Bühne wiederzuentdecken gilt.

„Wirklichkeit ist immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.“
Der Talisman

Vierzig Jahre (Kurzfassung)

Unglaubliche 40 Jahre gibt es sie nun schon: die Nestroy-Spiele Schwechat.Sie sind somit einer der ältesten und beliebtesten Sommerspielorte des Landes. Klein, fein und exklusiv – ein fixer Bestandteil des Theaterfestes Niederösterreich.

Die Schwechater „Nestroy-Pioniere“ waren Burgschauspieler Bruno Dallansky,Burg-Chefbeleuchter Sepp Nordegg und der Schriftsteller György Sebestyen.Sie hatten im Sommer 1972 eine „Jedermann“-Vorstellung des Amateurtheaters St. Jakob im neurenovierten Schloss Rothmühle gesehen und waren von dem für Theater wie geschaffenen Ambiente des Schlosshofs und dem Flair der Veranstaltung begeistert. Genau hier, dachten sie, wäre der ideale Ort, um Nestroy in der „Vorstadt von Wien“ eine bleibende Heimstatt zu geben. Man träumte von großen Burgschauspielern, die, von OMV, Brauerei und Flughafen gesponsert, im Schlosshof jedes Jahr im Sommer Nestroy spielen sollten.

Da sich diesbezügliche Verhandlungen zerschlugen, ergriff Spielgruppenchef Walter Mock die Initiative. Die Idee schien zu gut, zu stimmig, als dass man sie von Geldzusagen abhängig machen durfte. Er wollte nicht länger warten. Er ging es einfach an, proklamierte die Nestroy Spiele Schwechat und wollte das erste Jahr probeweise mit seinen Amateur-Schauspielern bestreiten, allerdings unter professioneller Regie.

Bruno Dallansky empfahl ihm einen jungen Mann, dessen Lehrer er am Reinhardt-Seminar gewesen war – Peter Gruber, der die künstlerische Leitungübernahm und bis heute innehat.

Der Erfolg der Testproduktion im Sommer 1973 war mehr als vielversprechend, die Reaktion geradezu enthusiastisch. Gerade die Anonymität des Ensembles, die Stück und Text in den Vordergrund treten ließ, überzeugte. Die uneitle, überbordende Spiellaune begeisterte Publikum und Presse ebenso wie Schärfe und Intelligenz der Interpretation. Und so beschloss man, auf Stars zu verzichten und in dieser so erfolgreichen semiprofessionellen Konstellation weiterzumachen.

Neben den Nestroy-Spielen sollte es aber auch Platz für die Nestroy-Forschunggeben. Nach der Gründung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft schuf Walter Mock die ökonomischen Voraussetzungen dafür, dass nunmehr parallel zu den Nestroy-Spielen Internationale Nestroy-Gespräche in Schwechatstattfinden konnten.

Dieses alljährliche Zusammentreffen der führenden Nestroy-Forscher aus aller Welt, die fruchtbare Begegnung der Wissenschaft mit der Theaterpraxis, haben seitdem entscheidend dazu beigetragen, dass Nestroy heute einer der am besten erforschten und dokumentierten Theaterautoren ist, und sich das Nestroy-Bild in der Öffentlichkeit wesentlich verändert hat.

Innerhalb kurzer Zeit war Schwechat zur Nestroy-Stadt, zum Internationalen Nestroy-Zentrum geworden.

Ob bei den Nestroy-Spielen „Laien“ oder „Profis“ am Werke sind, fragt heute niemand mehr. Im Gegenteil: kaum jemand will glauben, dass die Mitwirkenden keine hauptberuflichen Schauspieler sind.

Mit der Rehabilitation vieler unbekannter, als unspielbar geltender Stücke, aber auch mit gegen den Strich gebürsteten Interpretationen der bekannteren Possen konnten immer wieder Nestroys Genie, seine Brisanz und seine zeitlose Aktualität eindrücklich unter Beweis gestellt werden.

Zwar sind schon beinahe die Hälfte der von Nestroy geschriebenen 83 (!) Stücken in Schwechat gezeigt worden, aber es gibt noch eine Reihe interessanter, kaum gespielter Werke, die es auf der Bühne wiederzuentdecken gilt.

Heuer allerdings feiern die Nestroy-Spiele Schwechat ihr 40-jähriges Bestehen auf vielfachen Wunsch mit einem der ganz großen Klassiker, mit Nestroys meisterhafter Posse „Einen Jux will er sich machen“. Im stimmungsvollen Ambiente des Hofes von Schloss Rothmühle garantieren die mehrfach ausgezeichneten Nestroy-Spezialisten rund um Peter Gruber für brillante Sommerunterhaltung auf höchstem Niveau.

Susanne Adametz, Franz Steiner

Von Pioniertaten zum Profibetrieb: Sommertheater als Erfolgsgeschichte? Das Sommertheater in Niederösterreich ist zum Wirtschaftsfaktor avanciert und steht vor gravierenden Veränderungen.

Sommer 1973. Ein Regisseur startet ein Pilotprojekt. Mit einer Truppe, die im Wesentlichen aus ortsansässigen Laienspielern besteht, wuchtet der Wiener Peter Gruber zwei Nestroy-Einakter mit nachgerade programmatischen Titeln auf die Freilichtbühne von Schloss Rothmühle: „Frühere Verhältnisse“ und „Zeitvertreib“. Der Erfolg bei Kritik und Publikum ist überwältigend. Die rührige Amateurgruppe macht in wechselnder Formation weiter, Jahr für Jahr, bis heute.

Die Schwechater Nestroyspiele stehen gewissermaßen am Beginn der Ära des niederösterreichischen Sommertheaters. Seit damals hat sich das regionale sommerliche Bühnenspiel, das österreichweit nach wie vor eine Sonderstellung genießt und aktuell vor gravierenden Veränderungen steht, zu einem beachtlichen Wirtschafts- und Tourismusfaktor entwickelt. Ein Ausflug zu den saisonalen Bühnen von Österreichs größtem Bundesland.

Wirtschaftsfaktor Kultur

Sommertheater lässt sich als Phänomen entgegengesetzter Pole beschreiben: einerseits als Gipfeltreffen von Branchenstars und Hochkultur-Adabeis – siehe Salzburg und Bayreuth. Andererseits als biederes Bühnenspiel mit Schenkelklopfhumor, das vor pittoresker Kulisse – Burg, Schloss, See – als Zugabe zur eigentlichen Sommererholung dargeboten wird.

Diese traditionell klare Trennung scheint inzwischen, zumindest in Niederösterreich, ziemlich aufgeweicht, wohl auch deshalb, weil Land und Gemeinden die Bühnenaktivitäten mit hohen Summen fördern.

Es sind Zahlen, die durchaus beeindrucken. Kein anderes Bundesland unterhält in der Sommersaison dermaßen viele dezentrale Spielstätten, die von insgesamt rund 500.000 Besuchern aufgesucht werden. Heuer werden 23 Spielorte des sogenannten Theaterfests Niederösterreich von der Landesregierung mit satten 2,5 Millionen Euro subventioniert; die Festspiele Reichenau erhalten 440.000 Euro, das Musikfestival in Grafenegg ist mit 2,8 Millionen Euro dotiert. Laut einer aktuellen Studie der Donau-Universität geben allein Niederösterreichs Kulturtouristen an die 100 Millionen Euro aus; knapp 1400 Arbeitsplätze werden durch die Sommertheateraktivitäten abgesichert.

Unbestritten ist der Theatersommer zum wirtschaftlichen Stimulus avanciert. Die Bühnenaktivitäten in unmittelbarer Nachbarschaft zur Theatermetropole Wien werden jedoch, was Anspruch und Ästhetik betrifft, immer noch belächelt. Gehört da nicht längst etwas revidiert?

Je nach Region wird Sommertheater unterschiedlich interpretiert: Schwechat und Perchtoldsdorf sind Spielorte, die sich durch ihre unmittelbarer Nähe zur Theatermetropole Wien definieren. In Litschau findet eine entschlossene Truppe in der nördlichsten Stadt des Waldviertels zu eigener Bühnensprache. Und das kommerziell wohl erfolgreichste Sommertheatermodell findet sind im Kurort Reichenau.

Die Pioniere in Schwechat

„Eigentlich ist es ein Wunder, dass es uns noch gibt“, sagt Peter Gruber, Langzeitleiter der Schwechater Nestroyspiele. Die „Wiener Zeitung“ traf den Regisseur wenige Tage vor der Premiere von „Einen Jux will er sich machen“ – mit Nestroys beliebtem Lustspiel kehren die Theatermacher gleichsam an ihre Wurzeln zurück. Vergangen die Zeit, als das Spiel noch spontan entstand. „Der Druck ist enorm“, so Gruber sorgenvoll, „der Anspruch gestiegen, die Konkurrenz gewachsen.“

In Schwechat ist am Premierenabend von der Hektik der vergangenen Tage indes nichts mehr zu spüren. Schloss Rothmühle ist festlich beleuchtet, an der Abendkassa händigt eine bestens gelaunte Schauspielerin mit Rothaarperücke Karten aus. Die Besucher sind leger gewandet, man winkt sich zu, flaniert auf Kieselsteinwegen, unterhält sich. Schlag 20.30 Uhr beginnt die Aufführung. Auf der Bühne türmen sich leere Plastiksteige: schlichtes, funktionales Bühnenbild. Einmal nur möchte der biedere Handelsangestellte Weinberl – wie es im Stück sehnsuchtsvoll heißt – „ein verfluchter Kerl“ sein. Für einen Tag und eine Nacht lang lässt er die Routine der ländlichen Gemischtwarenhandlung weit hinter sich – und verstrickt sich mit seinem Lehrbuben Christopherl in so amüsante wie amouröse Abenteuer in der großen Stadt.

Der schlaksige Franz Steiner, im Zivilberuf Lehrer in Schwechat und der Laienbühne seit Jahrzehnten verbunden, verkörpert den Unglücksraben Weinberl mit Grandezza. An seiner Seite glänzt die erst 15-jährige Melina Rössler in einer Hosenrolle als ungezogener Lehrbursch. Steiner und Rössler sind gut aufeinander eingespielt, dem Vergleich mit Profiakteuren halten sie tapfer stand.

Überhaupt versteht es Regisseur Gruber, die Stärken seiner Laiendarsteller herauszustreichen und so unprätentiöses, kurzweiliges Spiel auf die Bühne zu bringen.

Gruber arbeitet gern mit seiner verschworenen Truppe, er schätzt die Arbeit mit dem Freizeittheaterpersonal. „Wir nähern uns Nestroy meist unbefangener, was gerade bei diesem Autor von Vorteil ist!“

Nestroy-Hochburg

Die Schwechater Spieler haben sich bereits den Nimbus einer Art Nestroy-Hochburg erworben: In 40 Jahren wurden 37 verschiedene Stücke gezeigt, häufig Raritäten wie „Die Papiere des Teufels“ und „Robert der Teufel“. Zudem finden regelmäßig Nestroy-Gespräche und Vorträge internationaler Nestroy-Forscher statt. Nicht nur aufgrund der ausschließlichen und intensiven Beschäftigung mit dem Klassiker haben sich die Schwechater Spieler ein unverwechselbares Profil erarbeitet. „Ein wenig Romantik ist auch dabei“, versucht Gruber die schiere Dauer seines Engagements in Schwechat zu ergründen. „Man spürt hier noch so etwas wie ein Urgefühl von Theater.“

Den Konkurrenzdruck durch andere Bühnen bekommt auch Gruber zu spüren. Die zunehmende Professionalisierung des Genres Sommertheaters ist nicht erst seit kurzem bemerkbar, bei Technik, Gastronomie und Marketing tut sich ebenfalls einiges. Bei den Besetzungen ortet Peter Gruber einen Trend zu prominentem, Seitenblicke-tauglichem Personal sowie eine Tendenz hin zu „gigantomanischen Events“. Bei diesem Wettlauf, merkt Gruber abschließend an, könne und wolle er nicht mitmachen: „Unsere Zukunft steht in den Sternen. Ich habe heute noch keine Ahnung, wer nächstes Jahr überhaupt mit dabei sein wird. Wir erfinden uns jedes Jahr neu.“

Eine Neuerfindung prägte auch den Beginn der Festspiele Reichenau. Anfang Juli 1988 belebten Renate und Peter Loidolt das verwaiste Kurtheater in Reichenau mit einem Karl-Farkas-Abend, dargebracht von den Burgschauspielern. 24 Jahre später gehört Reichenau mit regelmäßig ausverkauften Aufführungen zu den bewährten Theatermodellen des niederösterreichischen Sommers.

Das Erfolgsgeheimnis: Das Intendantenpaar nützt, wenn man so will, den Genius Loci – zur Jahrhundertwende logierten im Kurort Literaturgrößen wie Arthur Schnitzler, Franz Werfel und Robert Musil –, in Reichenau wird die Literatur des Fin de Siècle ins Zentrum gerückt. Die Besetzungslisten lesen sich wie ein Who’s who der Theaterstadt Wien, selbst Nebenrollen sind prominent besetzt, zu den saisonalen Stammgästen zählen Regina Fritsch, Petra Morzé, Maria Happel oder Michael Dangl.

Generationenablöse

Von der Nähe zur Bundeshauptstadt profitieren freilich auch die Sommerspiele in Perchtoldsdorf. Intendantin Barbara Bißmeier konnte in diesem Jahr für die „Macbeth“-Titelrolle Burgschauspieler Dietmar König gewinnen, Lady Macbeth wird von Burg-Aktrice Alexandra Henkel verkörpert, die auch privat mit König verheiratet ist.

Solch eine Idealbesetzung ist für Bißmeier „das Allerwichtigste“, gleichsam die Grundvoraussetzung eines gelungenen Theaterabends. Für jede neue Produktion ein erlesenes Ensemble zusammenzustellen, gehört mithin zu den herausragenden Stärken dieser Theaterexpertin, die hierfür auf beste Kontakte in der Branche zurückgreifen kann.

Seit 2002 ist Bißmeier den Sommerfestspielen künstlerisch verbunden, seit 2010 hat sie die Intendanz inne. „Ich stehe für qualitätsvolles Schauspielertheater“, umreißt sie den programmatischen Ansatz.

In den vergangenen Jahren hat an etlichen niederösterreichischen Sommer-Spielorten eine Generationenablöse stattgefunden, in vielen Bereichen sind nun Profis in Sachen zeitgemäßes Unterhaltungstheater am Werk: Die Wiener Regisseurin Vicki Schubert inszeniert die Shakespeare-Paraphrase „Die Zähmung des Widerspenstigen“ im Filmhof Wein4tel in Asparn-Zaya, in Amstetten bürgt das Erfolgsduo Regisseur Werner Sobotka und Choreograf Ramesh Nair beim Musical „Der kleine Horrorladen“ für gekonnt-solides Humor-Entertainment. Andy Hallwaxx und Christoph Campestrini setzen wiederum Donizettis Belcanto-Komödie „Don Pasquale“ in Klosterneuburg als Lachnummer in Szene.

Verjüngungskur

Auch bei den Intendanten gab es eine Verjüngungskur: 2009 übergab Felix Dvorak das Chefzimmer im Stadttheater Berndorf an Michael Niavarani. Unter der Ägide des Wiener Kabarettisten wird in der ehemaligen Hochburg gusseiserner Komik in diesem Jahr die Bühnenadaption des Till-Schweiger-Filmklamauks „Keinohrhasen“ mit Angelika Niedetzky und Reinhard Nowak gezeigt. Der Schauspieler Gregor Bloéb leitet seit kurzem die Sommerbühne in Haag. Es gibt Anzeichen dafür, dass Elfriede Ott, seit 30 Jahren Intendantin der von ihr gegründeten Nestroy-Festspiele in Maria Enzersdorf, nach dem Jubiläum ihre Regentschaft abgeben könnte. Schließlich neigt sich in dieser Spielzeit auch Alfons Haiders Stockerauer Musical-Ära mit dem Broadway-Hit „A Chorus Line“ ihrem Ende entgegen.

Die Nachfolge in Stockerau übernimmt mit Zeno Stanek, Jahrgang 1971, ein Mann, der für den Wechsel von Musik- zum Sprechtheater steht. Geplant ist, die Saison 2013 mit Dürrenmatts Tragödie „Der Besuch der alten Dame“ zu eröffnen. Stanek ist ein Experte seines Metiers, seit fast 20 Jahre sammelt er Erfahrung in Sachen Sommertheater. 1993 gründete der damalige Max-Reinhardt-Student mit Studienkollegen die freie Gruppe „Theater Brauhaus“ in der Nähe von Litschau, nördliches Waldviertel.

Erstes Theatererlebnis

„Wir haben in einem Matratzenlager gewohnt, auf einer Wiese geprobt, nächtelang diskutiert und alles ohne Geld auf die Beine gestellt“, erinnert sich Stanek im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. Ziel der studentischen Anstrengung war freilich nicht die seichte Komödie, eher qualitätsvolles Off-Theater; mit Woody Allens „Mitsommernachtssexkomödie“, gespielt vor einem eigens gepflanzten Maisfeld, gelang 2006 der Durchbruch. 2009 bezog die Truppe ein neu errichtetes Theaterhaus am Herrensee in Litschau. „Viele unserer Besucher haben da überhaupt zum ersten Mal einen Theaterabend erlebt“, so Stanek.

Bei der diesjährigen Produktion treten 20 Komparsen und Kleindarsteller aus der Umgebung auf, am Spielplan stehen „Die letzten Tage der Menschlichkeit“. Intendant Stanek und Musiker Christian Qualtinger haben Karl Kraus’ Mammutwerk ins Hier und Jetzt übertragen; Karl Ferdinand Kratzl führt als eine Art Conférencier durch den Abend. „Wir waren und sind keine Theaterkommune. Dennoch lernt man sich sehr gut kennen, wenn man einen Sommer lang zusammenarbeitet“, resümiert der Sommertheatermacher: „Diese Intensität überträgt sich wohl auch auf das Publikum.“

Die Intendanz der Litschauer-Bühne ist aktuell ausgeschrieben, via „Theater Brauhaus“ und dem alljährlichen Schrammelklang-Festival wird Stanek dem kulturellen Geschehen in Litschau weiterhin verbunden bleiben.

Am Ende einer langen Reise durch das Tiefland der Sommerspiele lässt sich festhalten: Viele Veranstalter setzen bei der Programmierung des sommerlichen Theaters nach wie vor auf Bewährtes und Bekanntes: Nestroy, Kleist, Shakespeare. Burgtheater-Qualität ist selten zu erwarten, Bühnenexperimente sind, wenn überhaupt, in homöopathischen Dosen zu finden und Uraufführungen so selten wie Schnee zu Weihnachten (Ausnahme 2012: „Die Päpstin“ mit Katharina Stemberger). Dennoch: Die Zeiten, als das Spiel wegen Qualitätsmangels außer Konkurrenz stattfand, sind endgültig vorbei. In vielen Bereichen ist ein Generationswechsel zu beobachten, antiquierter Löwingerbühnen-Charme und krachender Brüllhumor ist zeitgemäßem Entertainment light gewichen. Theater in warmer Jahreszeit à la Niederösterreich hält für jeden Geschmack etwas bereit, mutet an wie ein gut sortierter Gemischtwarenladen. Viel Regionalkost, angereichert mit internationaler Küche. Vorhang auf für Delikatessen und Deftiges. (Petra Rathmanner, Wiener Zeitung)

Kurier, 26. Juni 2012: In Schwechat ist Nestroy seit 40 Jahren zu Hause

Jubiläum in Schwechat: Seit 40 Jahren serviert Regisseur und Intendant Peter Gruber im Schlosshof der Rothmühle Nestroy-Spezialitäten. Individuell ist seine Zubereitung: Geschmackiges wird noch schärfer, Mildes bekommt Biteraromen, gewürzt wird kräftig

So auch beim heurigen „Jux“, den sich Handlungsgehilfe Weinberl machen will, um wenigstens einmal der Tristesse seines Arbeitskellers zu entgehen. Mit Scharfblick macht Gruber das sozio-ökonomische Unterfutter der pointensicheren Komödienoberfläche deutlich: Da entsolidarisiert sich gerade eine Gesellschaft im Umbruch; was wirtschaftliche Abhängigkeiten und prekäre Arbeitsverhältnisse betrifft, sind Prallelen zum Heute frappant – aktuell, nicht aktualisiert.

Nora Scheidls Bühne schafft dafür eine klaustrophobische Welt aus Plastiksteigen, die ihre labyrinthischen Strukturen blitzschnell den Entwicklungen anpassen. Franz Steiner lässt such der Tragik der Weinberlschen Ausweglosigkeit adäquaten Spielraum. Auch sonst wird sehr gut gespielt. (Barbara Palffy)

Der neue Merker, 25. Juni 2012: Theaterfest NÖ/Schwechat: JUX

Vierzig Jahre lang konsequent und unverwässert einem Thema treu: Die Nestroy Spiele in Schwechat, unverändert (und unveränderlich) unter der Leistung von Peter Gruber, feierten ein besonderes Jubiläum. Der heutige, der immer hinterfragte, der immer grimmig-grinsende Nestroy – das ist längst ein Markenzeichen.

40 Jahre – welch eine Leistung, allerdings vom Spielplan her leichter zu erfüllen als Bayreuth, denn es gibt wesentlich mehr Stücke. Der Griff nach dem Populären ist hier eher selten, aber zum Jubiläum … „Einen Jux will er sich machen“ wird heuer lapidar auf „Jux“ verkürzt, und das hört sich so scharf an, wie es gespielt wird. In einer Dekoration von Nora Scheidl, die ein Äquivalent dazu bietet, wie Menschen zu Nestroys Zeiten beruflich in ein „G’wölb“ eingesperrt waren: Heute erfüllen Plastikbehälter, die käfigartig zusammen gefügt sind, dieselbe Aufgabe. Als Sinnbild einer kapitalistischen „Handels“-Gesellschaft grenzen und engen sie alle Beteiligten des Spiels gleicherweise ein…

Diese sind Menschen von heute, in heutigen Schäbigkeitsgewändern, aber vor allem in heutigem Sprachduktus (dabei immer noch originaler Nestroy natürlich) und von heutiger Mentalität. Der „Chef“, der „Gewürzkrämer“ Zangler, ist schlechtweg ein brutaler Prolet, aber die entscheidendste Wandlung hat seine Verlobte, die Madame Knorr, in der Auffassung von Peter Gruber durchgemacht: Das „Modewaren“-Geschäft der Dame fungiert nur als Fassade für ein Puff, in dem sich vordringlich Ostblock-Damen umtun … Dies hätte übrigens sogar für Nestroys Zeiten stimmen können, wo die Sitten nicht besser waren als heute…

Eigentlich hat man den „Kommis“ Weinberl selten wirklich „jung“ besetzt, aber oft lustiger als hier mit Franz Steiner: An diesem frisst von Anfang an die Resignation. Als er beschließt, einmal auszubrechen und sich einen „Jux“ zu machen, entwickelt er zwar einige Unternehmungslust unter modischer Haartolle, aber so richtig unbeschwert wird er nie: Die verantwortungslose Freiheit bringt schließlich nur Probleme, wie Nestroy zeigt, ohne ein Moralist zu sein. Gar nicht unbeschwert ist der Lehrjunge Christopherl in Gestalt der patzigen Melina Rössler – da wächst ein kleiner Mitläufer heran, der stets versucht, auf der sicheren Seite zu sein. Ein rechter Homo austriacus…

Der hundsordinäre Zangler des Horst Salzer wurde schon erwähnt, der seinen „Untertanen“ kein Happyend gönnt: Wo Nestroy (wenn auch in entsprechender Ironie) die allgemeinen Hochzeiten ausbrechen lässt, setzt Gruber noch einen gnadenlosen Gedanken darüber: Zangler macht klar, dass für Weinberl und Christopherl das Leben weitergeht wie immer. Malochen sollst du, sollst malochen…

Der Hausknecht Melchior, eine Prachtrolle für die großen Wiener Komiker (Fritz Muliar war einer der letzten, der da brillierte), wird von Gruber mit Hilfe von Bruno Reichert gänzlich umgestaltet. Wenn einer zu allem „Das ist klassisch!“ sagt, dann kommt er wohl aus der Stadt Goethes und Schillers, und dann darf er gerne sächseln, zumal, wenn er es so drollig beherrscht wie dieser Darsteller. Die Lästigkeit der Figur wird nicht gemildert, aber sie gewinnt einen ganz eigenen Charme.

Es ist Bella Rössler als obstinates Fräulein Blumenblatt, die bei den Damen des Vogel abschießt, aber natürlich sind Regine Rieger (ganz im Stil russischer Nutten frisiert und gewandet) und Susanne Adametz als die Damen Knorr und Fischer herrlich halbseiden, Martina Hinterleitner macht aus einer „Das schickt sich nicht!“-Nichte ein herrliches Früchtchen, Maria Sedlaczek tobt eine unübersehbare Wirtschafterin. Benjamin Turecek amüsiert als abgewiesener Verehrer mehr als andere Darsteller zuvor.

Der Abend, von Johannes Specht geschickt mit Musik versehen, zudem vom Ensemble mit zusätzlichen Coupletstrophen versehen, die aus der Fülle aktueller Ereignisse schöpfen konnten, fand den vollen Jubel des Publikums.

Anschließend feierten alle miteinander die 40 Jahre Schwechat. Ad multos annos! Möge man dem ewigen Nestroy hier weit über unsere eigene Lebenszeit hinaus immer neu huldigen. (Renate Wagner)

Niederösterreichische Nachrichten, 28. Juni 2012: Einmal ein ‚verfluchter Kel‘ sein

Wie bereits berichtet, war das Peter Grubers 3. Jux im Schloss Rothmühle. Und jedes Mal hat er, was bei Nestroy durchaus legitim ist, andere Schwerpunkte gesetzt. Und sicher hat diese Inszenierung von den Darstellern ebenso, wie vom Publikum ein Umdenken, angepasst an die heutige Situation, gefordert. Und trotzdem lässt Peter Gruber auch hier der Komödie ihren Raum. Aber ebenso macht er auch deutlich, und hier zieht er Parallelen zu heute, dass der Mensch, als Ware heruntergekommen, wie es Weinberl in seinem ersten Monolog anreißt, auch als solche gehandelt wird. Hier hat der Regisseur versucht den brodelnden Untergrund, der mühsam durch verhaltene Aggressionen oder dem „ich möcht’s noch einmal wissen, bevor alles zugrunde geht“, verdeckt wird, besonders hervorzuheben. Und das ist ihm offensichtlich auch gelungen. Indem er einzelne Charaktere verschärft, aber nicht überzeichnet in Szene setzt, bewirkt er die beabsichtigte Parallelisierung zur Gegenwart. Ein Kunstgriff, der vielleicht nicht jedem einleuchten mag, aber der dennoch auch dieses Stück und seine Personen zu einem Spiegel unserer Zeit werden lässt. Nicht ganz leicht für die Darsteller, mit dieser für sie vorerst einmal fremden Auffassung der Charaktere zurecht zu kommen. Aber es ist ihnen gelungen, absolut überzeugend zu agieren. Lebensecht und ‚trotzdem‘ ambivalent. Letztendlich kommt auch Kommis Weinberl drauf, dass er sich nicht einmal mehr einen Jux leisten kann.

Unterstützt wird diese Stimmung wirkungsvoll durch das einfache aber funktionelle Bühnenbild. Eine Lagerhalle mit aufeinandergetürmten Plastiksteigen bildet eine Kulisse, die Grubers Konzept gerecht wird und die Präsentation der einzelnen Charaktere voll zur Geltung bringt.

Eine gescheite, sehr interessante und beeindruckende Inszenierung, die Ensemble und Publikum gleichermaßen gefordert und amüsiert hat.

Der Standard, 28. Juni 2012: Zum 40er macht er sich wieder einen Jux

Seit 1973 wird im Schloss Rothmühle in Rannersdorf Sommertheater gespielt, damit sind die alljährlich stattfindenden Nestroyspiele Schwechat die ältesten überhaupt. Bisher wurden bereits 33 der insgesamt 85 Stücke des österreichischen Dramatikers aufgeführt. Die Zielsetzung lautet, auch unbekannte Nestroy-Stücke einem größeren Publikum zugänglich zu machen, im Jubiläumsjahr greift man jedoch gerne auf einen Klassiker zurück: „Einen Jux will er sich machen“ –

Nestroy pur in der Vorstadt, unverblümte Gesellschaftskritik unter der Regie von Peter Gruber. In der Verwechslungskomödie um den Kommis Weinberl spielen u. a. Horst Salzer, Martina Hinterleitner und Franz Steiner. Zeitgleich zu den Aufführungen werden die Internationalen Nestroy-Gespräche abgehalten, zu denen Forscher aus aller Welt anreisen. Heuer diskutieren sie über „Tod und Überleben bei Raimund und Nestroy“.

Wiener Zeitung, 28. Juni 2012: Turbulent

Wer kennt sie nicht, die Abenteuer des braven Handelsangestellten Weinberl, der endlich auch einmal ein „verfluchter Kerl“ sein möchte und der sich zusammen mit seinem Lehrbuben Christopherl bei seinem heimlichen Ausbruch aus dem tristen, provinziellen Alltag in den Wirrnissen der Großstadt in die turbulentesten Situationen verstrickt? Die Nestroy-Spiele Schwechat feiern ihr 40-jähriges Bestehen mit Nestroys Posse „Einen Jux will er sich machen“, einem Klassiker. Die Schwechater „Nestroy-Pioniere“ waren Burgschauspieler Bruno Dallansky, Burg-Chefbeleuchter Sepp Nordegg und der Schriftsteller György Sebestyen. Sie hatten im Sommer 1972 eine „Jedermann“-Vorstellung des Amateurtheaters St. Jakob im renovierten Schloss Rothmühle gesehen und waren von dem für Theater wie geschaffenen Ambiente des Schlosshofs und dem Flair der Veranstaltung begeistert. (Christian Hoffmann)

Wiener Zeitung, 30. Juni 2012: Die Pioniere in Schwechat

[…] Schloss Rothmühle ist festlich beleuchtet, an der Abendkassa händigt eine bestens gelaunte Schauspielerin mit Rothaarperücke Karten aus. Die Besucher sind leger gewandet, man winkt sich zu, flaniert auf Kieselsteinwegen, unterhält sich. Schlag 20.30 Uhr beginnt die Aufführung. Auf der Bühne türmen sich leere Plastiksteige: schlichtes, funktionales Bühnenbild. Einmal nur möchte der biedere Handelsangestellte Weinberl – wie es im Stück sehnsuchtsvoll heißt – „ein verfluchter Kerl“ sein. Für einen Tag und eine Nacht lang lässt er die Routine der ländlichen Gemischtwarenhandlung weit hinter sich – und verstrickt sich mit seinem Lehrbuben Christopherl in so amüsante wie amouröse Abenteuer in der großen Stadt.

Der schlaksige Franz Steiner, im Zivilberuf Lehrer in Schwechat und der Laienbühne seit Jahrzehnten verbunden, verkörpert den Unglücksraben Weinberl mit Grandezza. An seiner Seite glänzt die erst 15-jährige Melina Rössler in einer Hosenrolle als ungezogener Lehrbursch. Steiner und Rössler sind gut aufeinander eingespielt, dem Vergleich mit Profiakteuren halten sie tapfer stand.

Überhaupt versteht es Regisseur Gruber, die Stärken seiner Laiendarsteller herauszustreichen und so unprätentiöses, kurzweiliges Spiel auf die Bühne zu bringen. (Petra Rathmanner)

Kronen Zeitung, 2. Juli 2012: Seine „verjuxte Apokalypse“!

Zum 40-Jahr-Jubiläum setzen die Nestroy Spiele Schwechat auf das Stück, mit dem man 1979 und 1989 Erfolg hatte: „Einen Jux will er sich machen“. Nestroys Darstellung des merkantilen Liberalismus scheint gerade in unserer Zeit der Geldverherrlichung und der dadurch erzeugten tiefen Korruption ideal zu passen.

In ihrer „verjuxten Apokalypse“ soll das Stück zum Nachdenken über eine mögliche Umkehr anregen. In diesem Sinne ist Peter Grubers und Christine Bauers Modernisierung zu verstehen. Gruber hat die versteckten Schweinereien, Verlogenheiten und Heimlichkeiten dieser Figuren aufgedeckt. Nora Scheidls Bühne entlarvt den Gewürzkrämerladen mit Bierkisten als Trinkerparadies (Kostüme: Okki Zykan).

Franz Steiner agiert als Kommis Weinberl, der „verruchte Kerl“, der eigentlich beschränkt ist, seine Couplets sind scharf, dennoch etwas langweilig. Melina Rössler hat als pummeliger Christopherl die Lacher auf ihrer Seite, Horst Salzer mimt ausgezeichnet den Parvenu Zangler, Martina Hinterleitner und Benjamin Turecek sind das turtelnde Liebespaar, Renate Rieger und Susanne Adametz agieren als die zwielichtige Knorr und Fischer.

Hinreißend macht Bella Rössler die Versponnenheit des träumenden Fräuleins Blumenblatt deutlich. Und den alles verwirrenden, dummen Hausknecht Melchior macht mit penetrantem Sächseln Bruno Reichert zur heimlichen Hauptfigur. Ein an Kritik, aber auch Atmosphäre durchaus nicht armer Abend. (Volkmar Parschalk)