Mein Freund

„Mein Freund“ ist ein eher diffiziles, fast episches Spätwerk, das in seiner Charakteristik zu den dunklen, schwermütigen Stücken Nestroys zählt und wohl auch deshalb äußerst selten gespielt wird. Uraufgeführt wurde es am 4. April 1851, also rund zweieinhalb Jahre nach Niederschlagung der Revolution. Mit 36 Vorstellungen (davon 33 mit Nestroy und drei mit Treumann in der Rolle des Schlicht) kann man es zu den mittleren Erfolgen des Dichters rechnen.

25. NESTROY Spiele Schwechat
Mein Freund
02. Juli bis 02. August 1997

Regie

Peter Gruber

Regieassistenz

Christine Bauer

Bühne und Kostüm

Andrea Bernd

Musik

Kurt Adametz

Licht

Robby Vamos

Bühnenrealisierung

Peter Koliander

Körpertraining

Sigrid Reisenberger

Maske

Susanne Neidhart

Schneiderei

Gabriela Spehar
SPALTNER Besitzer einer Druckerei
Peter Koliander
FANNY seine Tochter
Sigrid Stammer
JULIUS FLINT erster Faktor
Markus Zarl
SCHLICHT zweiter Faktor
Leopold Selinger
HOCHINGER ein Maurer
Poldi Selinger
THERES seine Frau
Traude Selinger
MARIE beider Tochter
Angela Koliander
HUMMER Besitzer einer Leihbibliothek
Konrad Kostmann
SCHIPPL dessen Ladendiener
Bruno Reichert
JAKOB Lebensgefährte von Hummer
Sascha Nikodym
STEIN Juwelier
Willibald Mürwald
AMALIE seine zweite Frau
Christine Zimmermann
KLEMENTINE Steins Tochter aus erster Ehe
Sabine Stacher
MADAME SAUVEGARDE Klementines Begleiterin
Bella Rössler
ANTON Bedienter in Steins Hause
Andreas Herbsthofer
LISETTE Stubenmädchen in Steins Hause
Eveline Bolaffio
KOGL ein Kalkbauer
Horst Salzer
EVA sein Weib
Sylvia Daniel
TONI beider Tochter
Bella Rössler
EIN KOMISSAR
Robert Herret
EIN BEDIENTER
Wolfgang Spinka
EINE KÖCHIN
Sylvia Janousek
STUTZL ein kleiner Junge
Thomas Spinka
STUTZLS GROSSER BRUDER
Lukas Spinka
EINE GEHEIME DAME
Esther Potesil
GEHEIMPOLIZISTEN, ARBEITER IN DER DRUCKEREI, DAMEN UND HERREN, WALDGEISTER
Eveline Bolaffio, Margherita Bolaffio, Veronika Hegler, Sylvia Janousek, Gabi Kozich, Esther Potesil, Maria Schrittwieser, Sissy Stacher, Sigrid Stammer, Eduard Gnadlinger, Andreas Herbsthofer, Peter Koliander, Lukas Spinka, Thomas Spinka, Wolfgang Spinka

Vorspiel
Zu Spaltners Bedauern verläßt Julius die Buchdruckerei, um sich selbständig zu machen. – Auftrittslied Schlicht Vorspiel, 3 (R: „Das wär’ so a Stoff jetzt, allein ich verschluck’s, / ’s kennt ja so jeder Mensch die Geschichte des Druck’s.“). – Spaltner möchte Schlicht seine Buchdruckerei übertragen und ihm seine Tochter Fanny zur Frau geben. Doch Schlicht lehnt ab, da er eine andere Frau liebt. Zwar grollt Spaltner ihm nicht, dennoch nimmt er Schlicht das Versprechen ab, aus der Stadt fortzugehen, damit Fanny ihn nicht mehr zu Gesicht bekommt. Großzügig bietet Spaltner Schlicht ein Darlehen an, das dieser ablehnt, zumal Julius ihm dazu rät. Er bittet seinen Freund Julius, seiner geliebten Amalie einen Abschiedsbrief zu bringen. Angeblich in Schlichts Namen bittet Julius Spaltner um das Darlehen und legt einen gefälschten Wechsel über 2.000 Gulden vor. Gerne bezahlt Spaltner das Geld, ist allerdings höchst verwundert, als ihn Schlicht, der es sich anders überlegt hat, kurze Zeit später ebenfalls um das Darlehen bittet. Als Schlicht hört, daß Julius das Geld bereits geholt hat, vertauscht er in einem unbeobachteten Moment den falschen Wechsel gegen einen richtigen und geht. Zwar ist er enttäuscht, daß Julius ihn auf diese Weise hintergangen hat, doch ist er sich sicher: „[…] ich werd noch Freuden, viel Freuden erleb’n an diesem Freund.“

1. Akt
Schippl ist verärgert, weil Marie seit ihrer Anstellung für mehr Kundschaft in der Leihbibliothek sorgt. Er erzählt Theres, Marie habe sich bei der Arbeit in Baron Hohenfint verliebt, und empfiehlt ihr, ihre Tochter aus der Anstellung zu nehmen. Die Familie Hochinger ist sehr erfreut, den seit langen Jahren nicht gesehenen Vetter Schlicht begrüßen zu können. Hochinger, stets bemüht, die Armut der Familie nicht merken zu lassen, bietet ihm großzügig eine Unterkunft an. Dennoch erkennt Schlicht die wahren Verhältnisse und versichert Theres, er sei nicht auf „blutsverwandtschaftliche Brandschatzung“ aus. Unter vier Augen erzählt Schlicht von seiner unglücklichen Liebe zu Amalie, die er vor sechs Jahren zurückließ. Zwei Wochen nach der Trennung hatte sein Freund Julius Fint ihm geschrieben, Amalie habe eine andere Wahl getroffen. Bei Hummer erhält Schlicht eine Anstellung als Geschäftsführer. Darüber ist Schippl sehr verärgert, zumal Hummer ihn wegen seines unfreundlichen Verhaltens gegenüber der Kundschaft zurechtweist. Marie warnt Schlicht vor der Feindschaft des Ladendieners, doch Schlicht sagt: „[…] ich hab’ einmal einen Freund g’habt, und seitdem hab’ ich gar keinen Abscheu mehr vor die Feind!“ Clementine hält die Bibliothek für einen geeigneten Ort, um mit ihrem Geliebten Julius ein heimliches Gespräch zu führen, doch Julius fühlt sich von Marie beobachtet. Clementine möchte wissen, ob sie zum Casinoball mit oder ohne Schmuck erscheinen soll. Sie verabreden, daß sie am nächsten Tag auf Maries Haarschleife achten soll. Ist sie blau, soll sie ohne Schmuck, ist sie rot, mit Schmuck erscheinen. Nach Clementines Weggang versichert Julius Marie, nur sie allein zu lieben. Er wünsche sich aber, daß sie eine rote Schleife im Haar trage, weil sie seiner verstorbenen Schwester dann so ähnlich sehe. Gerne ist Marie dazu bereit. Schippl warnt Marie vor dem angeblichen Baron, doch sie glaubt ihm nicht. Besorgt erkundigen sich Herr und Frau von Stein in der Bibliothek nach dem Verhältnis zwischen ihrer Tochter und Baron Hohenfint. Mit Erstaunen erkennt Schlicht in Frau von Stein seine geliebte Amalie. Sie verspricht, ihm bei einem geheimen Treffen alles zu erklären. Sie verabreden, von Schippl unbemerkt belauscht, daß Amalie noch am selben Tag ein Buch holen läßt, auf dessen letztes Blatt Schlicht einen Plan für ein Treffen schreiben soll.

2. Akt
Schippl erscheint in Steins Haus. Clementine vermutet, er wolle ihrem Vater von ihrem Verhältnis mit Baron Hohenfint berichten, und bezahlt ihm ein hohes Schweigegeld. Tatsächlich jedoch verrät Schippl Herrn von Stein die heimliche Verabredung zwischen Amalie und Schlicht. Unterdessen hat Amalie die verborgene Botschaft erhalten und schickt Lisette mit dem Buch und einem Brief, in dem sie Schlicht bittet, zu ihr zu kommen, zur Leihbiliothek. Noch im Haus wird Lisette von Stein aufgehalten. Er liest auf der letzten Seite, daß Schlicht Amalie um ein Treffen am Abend bei Hochinger bittet. Den Brief entdeckt er nicht. Wütend will Stein sofort seine Frau zur Rede stellen, doch Schippl beruhigt ihn und empfiehlt, bis zum Abend zu warten. Heimlich bringt Lisette Schlicht zu Amalie. Sie erzählt, daß Julius ihr seinerzeit versichert habe, Schlicht habe eine andere Liebe gefunden. Deshalb habe sie dem Drängen ihres Vaters nachgegeben und den verwitweten Stein geheiratet. Zu ihrer Verwunderung reagiert Schlicht scheinbar ungerührt auf diese Enthüllung. Amalie bittet ihn, nicht wiederzukommen, und wünscht ihm, daß sein „Lebensweg sich friedlicher gestalten möge“ als der ihre. Nüchtern stellt Schlicht fest: „Item, mit diesem Glückwunsch schließt sich unsere im Beginn so vielversprechende Idylle gleich einem Roman, dessen Verfasser zwischen dem ersten und zweiten Band gestorben ist […]“. Bei Hochinger schüttet Schlicht sein Herz aus, weil ihn die Begegnung mit Amalie doch tief berührt hat. Unterdessen hat Julius um Maries Hand angehalten. Ihr Vater würde sich jedoch Schlicht als Schwiegersohn wünschen. Nach seiner Erfahrung mit Amalie kommt für Schlicht aber eine neue Beziehung nicht in Frage. Marie hat den Verdacht, daß Julius und Schlicht sich kennen. Schlicht leugnet das entschieden ab, und Julius geht darauf ein. Stein stellt Schlicht über das geplante Rendezvous zur Rede, aber Schlicht versichert, Amalie habe das Treffen entschieden abgelehnt. Aus Wut über Schlichts Verhalten droht Stein ihm Prügel an, Hummer kündigt ihm die Stellung, und Hochinger weist ihn aus seinem Haus. Einsichtig nimmt Schlicht alles hin und verspricht, die Stadt in einer halben Stunde zu verlassen. – Couplet Schlicht II, 20 (R: „Ja hat denn die Sprach da kein anderes Wort“). – Bei dem abendlichen Ball kann Julius die über und über mit Juwelen geschmückte Clementine zur gemeinsamen Flucht bewegen. Er schickt sie mit Schippl, der ihm seine Dienste angeboten hat, zu befreundeten Landleuten nach Finsterbach und verspricht, selbst in einer Stunde nachzureisen. Unerwartet tritt Schlicht dem halbwegs siegesgewissen Julius in den Weg und hält ihm vor, ihn um Amalies Liebe gebracht zu haben. Doch Julius, nie um eine Antwort verlegen, erklärt, ganz im Sinne seines Freundes gehandelt zu haben, da Amalies Vater seine Einwilligung zu der Hochzeit sowieso verweigert hätte. Als Schlicht ihm den gefälschten Wechsel vorhält, spricht Julius von „jugendlicher Unbesonnenheit“ und bietet an, den Wechsel zu begleichen. Doch Schlicht behält den Wechsel, weil er auf diese Weise Julius’ „moralischen Tod im Sack“ habe. Er verlangt, daß Julius, wenn er Marie heiratet, sie glücklich macht. Sollte dies nicht der Fall sein, werde er zurückkehren. Beruhigt hört Julius von Schlichts Reiseplänen. In diesem Augenblick schlägt Stein Alarm, weil er das Verschwinden seiner Tochter mitsamt den 100.000 Gulden teuren Brillanten bemerkt hat. Zwar fällt sein Verdacht auf der Stelle auf Julius, doch dieser ist nicht nur selbst anwesend, sondern erklärt auch öffentlich, er werde ein Mädchen von niederem Stand heiraten. Stein ist verzweifelt.

3. Akt
Clementine ist überglücklich, als Julius endlich in Finsterbach eintrifft. Großzügig bezahlt er die Familie Kogl für ihre Dienste, zumal Clementine noch einen Tag bei ihnen verbringen soll. Julius will in die Stadt zurück, um alle Verdächtigungen von sich abzulenken und eine sichere Flucht zu ermöglichen. Da er keine Ruhe habe, bevor er Stein nicht Clementines Schmuck zurückgebracht habe, bittet er seine Geliebte, ihm die Brillanten auszuhändigen. Schippl macht Toni Avancen, ohne zu merken, daß sie sich über ihn lustig macht. Schließlich gibt sie ihre Abneigung offen zu, was Schippl tief beleidigt. – Duett Schippl, Toni III, 5. – Schlicht eröffnet Schippl, daß es Julius um einen Diamantenraub geht und Schippl als Helfer mit einigen Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. Unter diesen Umständen ist Schippl gerne bereit, Schlicht zu helfen. In einem, wie er meint, unbeobachteten Moment versenkt Julius das Kästchen mit den Juwelen in einem hohlen Baum, doch nach seinem Weggang holt Schlicht es wieder heraus. In Hummers Haus freuen sich unterdessen Hochinger, Theres und Marie auf die bevorstehende Hochzeit. Als Julius endlich erscheint, wirft er Marie Untreue vor, läßt die Feierlichkeiten abbrechen und stürzt wütend aus dem Raum. Ohnmächtig sinkt Marie inmitten der empörten Gäste auf einen Stuhl. Sogleich bekommt Steins Verdacht gegen Julius neue Nahrung. Er hält Julius’ Gründe für vorgeschoben. Unter diesem Druck gesteht Julius scheinbar zerknirscht, einen Fehler gemacht zu haben, und bittet Marie auf Knien um Verzeihung und Versöhnung. Die Trauung soll auf der Stelle stattfinden. Doch in diesem Augenblick führt Schlicht Clementine herein. Er überreicht Stein die Juwelen. Um Marie zu schützen, berichtet Schlicht in kurzen Worten von Julius’ Untaten. Mit einem Schrei stürzt Marie in die Arme ihrer Mutter. Noch glaubt Julius, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können, und droht Schlicht mit einer behördlichen Untersuchung. Doch Stein hat bereits den Gerichtskommissär herbeigerufen. Nun ist auch Julius klar, daß seine Sache verloren ist. Stein entschuldigt sich bei Schlicht und gibt ihm 10.000 Gulden, die zur Belohnung ausgesetzt waren. Auch bei Hochinger ist Schlicht wieder wohl gelitten. Schlicht will das Geld Marie für ihre Aussteuer schenken. Hochinger macht den Vorschlag, daß Schlicht selbst das Mädchen heiraten soll. Gutmütig stimmt Schlicht zu: „Ich –? Ja, mein Gott – ich hilf ja gern, wo’s nötig ist.“ Man einigt sich, zunächst Stillschweigen über dieses Vorhaben zu bewahren und Marie einige Wochen Zeit zu geben. Auch Schippl geht nicht leer aus: Gegen eine kleine Zulage nimmt er seine Arbeit bei Hummer wieder auf und stellt zufrieden fest: „[…] – mag auch an der G’schicht manches zu tadeln sein, den Ausgang find ich brillant.“

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 30 Hugo Aust)

Die Nestroy-Spiele Schwechat haben sich mit ihren Inszenierungen in der landesweiten Vielfalt des NÖ Theatersommers längst einen festen Platz und ein treues Publikum erobert. Das wird durch nichts besser verdeutlicht als durch das 25-jährige Jubiläum, das die Nestroy-Spiele heuer im schönen Ambiente des Schlosshofes der Rothmühle und mit einer Festveranstaltung in der Körnerhalle feiern. Als Landeshauptmann gratuliere ich zu 25 Jahren Nestroy-Spiele in Schwechat sehr herzlich und freue mich auch über den vorliegenden Katalog, der einen überzeugenden künstlerischen Leistungsbeweis darstellt. Ich wünsche der Intendanz und dem Schauspieler-Ensemble der Nestroy-Spiele auch für das nächste Vierteljahrhundert viel Erfolg, und ganz besonders für die Inszenierung von „Mein Freund“. Ich bin überzeugt, dass auch heuer wieder viele interessierte Besucher zu einem unterhaltsamen Abend in die Rothmühle pilgern werden. (Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann von Niederösterreich)

Ein Vierteljahrhundert Nestroy-Spiele in Schwechat – kaum zu glauben! Möge die anscheinend unerschöpfliche Vielfalt der Nestroy-Stücke noch genügend Stoff für weitere 25 Jahre oder mehr bringen. Ich wünsche dem Jubiläumsstück „Mein Freund“ einen mit Besuchern gefüllten Innenhof der Rothmühleund allen Beteiligten „Hals- und Beinbruch“. (Mag. Reinhard Gogola, Bürgermeister der Stadt Schwechat)

 

Der Gründer 
Brief an Walter Mock

Lieber Walter! Falls Du von da oben herunterschaust – wirst Du Dich, denke ich, freuen. Deine große Idee, Nestroy in der Rothmühle eine bleibende Heimstatt zu geben, die Du Anfang der siebziger Jahre so konsequent und beharrlich in die Tat umzusetzen begonnen hast, hat nicht nur überlebt, sie hat sich auch in Deinem Sinne weiterentwickelt und feiert heuer ihr 25-jähriges Bestehen. In diesem Vierteljahrhundert ist die Rothmühle tatsächlich das Internationale Nestroy-Zentrum geworden, von dem Du immer geträumt hast – wichtigster Treffpunkt der Nestroy-Forschung und zugleich nicht mehr wegzudenkende Theater-Alternative von hoher Qualität im reichhaltigen Festspielsommer. Unter uns gesagt – zeitweise waren wir ja nicht unfroh darüber, Deinem manchmal etwas rüden Diktat entkommen zu sein, aber bald wurde uns klar, was Du für dieses wagemutige Projekt alles getan hast – darunter auch viele unangenehme Kleinarbeit, die für den großen Erfolg Voraussetzung war. Fast alle Mitwirkenden der ersten Stunde haben sich – wie Du weißt – inzwischen zurückgezogen, auch wenn sie mit dem Herzen noch immer dabei sind. Soe auch Deine Frau Herta, die nicht nur Deine bessere Hälfte war, sondern auch unser guter Geist – als Kostümbildnerin, Souffleuse und Mensch. Oder Fredi Stepan, der uns so lange technisch betreut hat. Aber dafür ist jetzt eine zweite, ja bereits die dritte Generation im Ensemble herangewachsen. Neue Ensemblemitglieder und auch etliche Profis sind dazugestoßen, viele von ihnen hängengeblieben, angesteckt vom Enthusiasmus und dem lustvollen künstlerischen Ernst dieser einmaligen Unternehmung, fasziniert von den großartigen, schier unerschöpflichen Texten Johann Nestroys. Die Begeisterung für die Sache ist also noch immer lebendig – und das, obwohl die Erwartungshaltung der Rezensenten und unserer Zuschauer, aber auch unsere eigenen Ansprüche im Laufe der Jahre sehr gestiegen sind, was es manchmal nicht gerade leichter macht. Da neigt man mitunter dazu, mit einem kleinen Seufzer an die etwas weniger stressigen „guten alten Zeiten“ zu denken, in den Du uns so manche Verantwortung abgenommen hast. Dieser kleine Brief ist ein Dankeschön an Dich im Namen aller Mitwirkenden. Wir wissen: ohne Deine Kraft, ohne Deine Initiative und Dein Durchsetzungsvermögen gäbe es diese Nestroy-Spiele heute nicht – auch nicht die Nestroy-Gespräche, vielleicht nicht einmal die Nestroy-Gesellschaft, jene drei Standbeine, die für die Nestroy-Pflege und die Nestroy-Forschung so wichtig geworden sind.
Und das sollen auch jene erfahren, die Dich nicht persönlich gekannt haben … 

Im Namen aller Mitwirkenden 
Peter Gruber, Robert Herret

Die Presse, 4. Juli 1997: Nestroys Witz blüht aus trüber Quelle

Peter Gruber schlägt in Schwechat helle, komödiantische Funken aus Nestroys später, gallbitter – düsterer Posse „Mein Freund“.

In Schwechat hat Nestroy seine wahre Heimat gefunden; seit 23 Jahren werden hier bei einem Symposion neue Forschungsergebnisse präsentiert. Die größten Verdienste aber hat sich der Wiener Regisseur Peter Gruber mit seinen teils von Laien getragenen Theateraufführungen erworben.

Bei der Posse „Mein Freund“ haben all jene zu verstummen, die meinen, den Nestroyanern in der Rothmühle fehle frischer Stoff.

Aus „Mein Freund“, diesem vielfach episodisch verflochtenen Kriminal-Kabarett um einen Idealisten und einen Glücksritter, machte Gruber ein tiefen-scharfes Zeitpanorama: Menschen unterschiedlichster Stände, postrevolutionär depressiv, weil sich nichts geändert hat, treten, jeder für sich präzis profiliert, hervor.

Da sind die ungleichen Freunde, der schneidig-elegante Fint (Markus Zarl) und der mit seinem Anstand ewig vom Regen in die Traufe geratende Schlicht (Leopold Selinger), der schlawinerische alte Diener Schippl (Bruno Reichert), der aus reichlichem Biergenuß Lebensfreude ziehende Maurer Hochinger (Poldi Selinger), die drei Prinzipale: der kreuzbrave Druckereibesitzer Spaltner (Peter Koliander), der wendigschleimige Leihbibliotheksbesitzer Hummer (Konrad Kostmann), der großspurige Juwelier Stein (Willibald Mürwald).

Die Frauen machen das beste aus der Zelebrierung ihrer Abhängigkeiten: still, melancholisch, die von ihrer kurzen Ehe mit dem Juwelier gezeichnete Amalie (Christine Zimmermann), die flattrige Nymphe Fanny (Sigrid Stammer), die enttäuschte, hysterisierte Braut Marie (Angela Koliander).

Alle diese quicklebendigen Figuren erzählen Geschichten, die weit über das Theater in die Welt hinaus reichen, Geschichten von der Verteidigung mittelständischer Sicherheiten gegen emotionales Chaos und ökonomische Veränderungen. Grau ist das Ambiente dieser Inszenierung. Das Publikum, von Gelsengeschwadern, Flugzeuglärm irritiert, vermißte hörbar Farbigkeit, die gewohnten ländlich-lustigen Turbulenzen, den Klamauk bei dieser feinsten Witz aus trüber Quelle schöpfenden, eher strengen Aufführung. Dennoch: So rundum gelungenen Nestroy gab es wohl seit Jahren nicht mehr. (pet)

Wiener Zeitung, 4. Juli 1997: Etwas Ernstes zum Jubiläum

Seit 25 Jahren werden im Schloßhof der Rothmühle in Schwechat selten gespielte Stücke von Johann Nestroy gespielt. Mittlerweile hat sich die engagierte Truppe von größtenteils Laienschauspielern um Regisseur Peter Gruber zur allerersten Nestroy-Adresse entwickelt. Fürs Jubiläum hat sich Peter Gruber einen eher schweren Brocken ausgesucht. „Mein Freund“ zählt zu den Spätwerken Nestroys und erzählt schwermütig und bitter die Geschichte zweier junger Männer, Schlicht und Fint, die unterschiedlicher nicht sein können. Beide wollen der Hoffnungslosigkeit ihres Lebens entfliehen. Zögerlich und introvertiert der eine, skrupellos und karrieregeil der andere. Der politische Hintergrund: Das Scheitern der Revolution, Armut, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche und politische Depression.

Nestroys „Mein Freund“ ist geprägt von Resignation und Perspektivelosigkeit der handelnden Figuren. Es gibt kein echtes Liebespaar, keine wahren Gefühle, nur Zweckdenken und Eigennutz. Am Ende steht ein liebloses und eigentlich verlogenes Happy-End. Im Gegensatz zu früheren Inszenierungen hat Peter Gruber diesmal auf jede Art von Klamauk oder satirischer Überzeichnung verzichtet. Er läßt in dunkler Grundstimmung das Schicksal des ewigen Verlierers Schlicht wie einen Schwarzweißfilm ablaufen. Die Charaktere sind wie immer scharf gezeichnet, die Darsteller ausgezeichnet geführt.

Leopold Selinger bewältigt die Monsterrolle der Nestroy-Partie Schlicht mit Bravour. Als sein Freund und Gegenspieler Fint gibt Markus Zarl einen glatten und lebenshungrigen Emporkömmling. Bruno Reichert empfiehlt sich wieder einmal als Erzkomödiant und verleiht dem schmierigen, stets auf seinen eigenen Vorteil bedachten Ladendiener Schippl beängstigende wienerische Züge. „Mein Freund“ ist vielleicht nicht das Stück, das sich viele für das 25jährige Jubiläum der Nestroy-Spiele erwartet hätten, aber es zeigt anderseits die Qualitäten des Ensembles, das den galligen Humor dieses Stückes brillant über die Rampe bringt und es regt, zu Zeiten wie diesen passend, zum Nachdenken an. Für das großartige Ensemble und Peter Gruber zum 25-jährigen Jubiläum ein extra großer Applaus. (Brigitte Suchan)

Die Furche, 10. Juli 1997: Ein anderer Nestroy

Die Nestroy-Spiele in Schwechat, in den ersten Jahren ihres Bestehens von der Kritik nie ganz ernst genommen („Die Aufführungen sind gut, aber es ist Laientheater“), feiern heuer ihr 25-Jahr-Jubiläum. Nestroykenner wußten schon lange, daß die Theaterstücke unter der Regie von Peter Gruber im Schloß Rothmühle in Rannersdorf zu den sommerlichen Festspiel-Höhepunkten zählen.

Es ist kein Zufall, daß für heuer das selten gespielte Stück „Mein Freund“, ein Spätwerk Nestroys, das 1851 entstand, zweieinhalb Jahre nach der Niederschlagung der Revolution, ausgewählt wurde. „Mein Freund“ ist ein diffiziles Stück mit epischen, aber auch kriminalistischen Elementen. Nestroy hat resigniert, er besinnt sich innerer Werte und stellt Milieustudien über Arme und Reiche an. So räsoniert der Druckereiangestellte Schlicht über die Liebe und philosophiert über das Leben im allgemeinen. Er hadert ständig mit sich und der Welt, weil ihm sein intriganter Freund Fint die Liebe zu Amalie vereitelt hat.

Leopold Selinger ist als Schlicht ideal besetzt, verbittert spielt er alle Tonarten eines Verzweifelten. Bruno Reichert als Ladendiener Schippl laviert sich geschickt durch den Arbeitsalltag und wird vom Leihbibliotheksbesitzer Konrad Kostmann scharf verwarnt: „Wenn’s noch weiter räsonieren, kriegen’s an Werkvertrag.“

Die Inszenierung von Peter Gruber fasziniert. Der Zuschauer wird in ganz verschiedene Milieus eingebunden: in den Druckereialltag, in das Bürgertum, das Zuflucht in der Literatur sucht, in eine aristokratische Gesellschaft, in eine Kalkbrennerei.

Gekonnt ist das Wechselspiel der herrischen und geduckten Persönlichkeiten. Wer einmal einen anderen Nestroy erleben möchte, sollte sich diese Aufführung unbedingt ansehen. (Claudia Rismondo)

Kurier, 4. Juli 1997: Nestroy völlig neu entdeckt

Die Komik weicht der Spannung, Couplets werden durch bedrohliche Klänge karikiert; und auf der Bühne dominiert das Drama. Auch im 25. Bestandsjahr sind die Nestroy-Spiele in Schwechat stets für Überraschungen gut. Im Schloßhof Rothmühle korrigiert Regisseur Peter Gruber mit „Mein Freund“ alle gängigen Klischees.

Als zynische Reflexion über die gescheiterte Revolution von 1848 hat Johann Nestroy seine Posse mit Gesang angelegt. Ein episch – düsteres Kriminaldrama dient dabei als Hintergrund für die präzise Analyse eines totalitären Systems, das die breite Masse in Verzweiflung und Armut stürzt. Sehr ernst, sehr eindringlich schildert Gruber in der praktikablen Ausstattung Andrea Bernds den mit allen Mitteln geführten Kampf zweier Freunde um Liebe, Geld und Ansehen. Träumerisch und verloren sucht der biedere Schlicht seine Erfüllung in der Rolle des Leidenden; anmaßend und skrupellos ringt der intrigante Fint dem Leben ein Quentchen Glück ab. Zum Scheitern verurteilt sind am Ende aber beide. Fints Weg führt direkt ins Gefängnis, während auf Schlicht die Hölle des Kleinbürgertums wartet. Ein zutiefst pessimistisches Stück, das durch Grubers Inszenierung noch an Schärfe gewinnt.

In höchster Spielfreude präsentiert sich das Ensemble. Ambivalent und vielschichtig gibt Leopold Selinger den Schlicht als Biedermann in dem die Abgründe des Bösen bloß schlummern. Markus Zarl gestaltet den Fint als gierigen Dandy, dem Angela Koliander als Marie und das höhere Töchterchen Sabine Stachers nicht gewachsen sind. Für die nötige Komik sorgt Bruno Reichert als arbeitsscheuer Denunziant Schippl; Nestroys Tonfall treffen alle Darsteller. Eine positive Entdeckung. (P. J.)

Neue Kronenzeitung, 4. Juli 1997: Herrn Schlichts Charme

Die Nestroy-Spiele Schwechat feiern Geburtstag: Zum 25. Mal erweckt heuer Peter Gruber mit seinen Laienschauspielern Nestroy im Schloß Rothmühle zum Leben. Nach den „Klassikern“ in den Siebziger Jahren nimmt er sich nun des wenig bekannt Stücks „Mein Freund“ an, einer schwierigen, in der Handlung weitläufigen Posse.

Politisch harmlos, gehört „Mein Freund“ nicht zu den Hits. Aber Gruber macht die Geschichte vom weichherzigen Buchhalter Schlicht, der von den Freunden und Verwandten ausgenützt und betrogen wird, aufführenswert.

Gruber inszeniert – im einfachen Bühnenbild Andrea Bernds – korrekt, mit Witz. Der Mangel an Tempo im ersten Teil wird danach durch Schwung wettgemacht: Die Helden der Vorstellung sind der brave Schlicht (Leopold Selinger), der vor lauter trübseligem Selbstmitleid erst im Finale zum Zug kommt und sein Glück macht, und sein Gegenspieler Fint (Markus Zarl), ein verlogener Karrierist. Rundum köstlich skurrile Typen (Bruno Reichert, Poldi Selinger, Angela Koliander, Konrad Kostmann u.a.). (O. L.)

Täglich Alles, 4. Juli 1997: Ehrlich währt am längsten

Ein Jubiläum in Schwechat: Bereits zum 25. Mal gehen die Nestroy-Spiele im Schloßhof Rothmühle (Rannersdorf) über die Bühne.

Heuer hat sich Regisseur Peter Gruber eines nestroyschen Krimis angenommen. „Mein Freund“ schildert die Geschichte zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein können: Schlicht, ein naiver Träumer, und Fint, ein Emporkömmling, der bereit ist, andere schamlos auszunutzen, solange es zu seinem Vorteil ist, und der auch vor Verbrechen nicht zurückschreckt. Und so spielt sich das Ensemble durch die mit kleinen (aktuellen) Gags angereicherte Inszenierung (Ausstattung: Andrea Bernd, Musik: Kurt Adametz): Allen voran großartig (und mit ausgezeichneter Wortdeutlichkeit) agiert Leopold Selinger als Schlicht, Markus Zarl mimt einen glaubhaft bösartigen Fint. Solide Unterhaltung. (Anja Schmidt)