Kurier, 30. Juni 2019
Schwechat: Die perfekte Sommertheater-Premiere – Jubel um Nestroy-Spiele: Eine Gesellschaft, die sich selbst nicht mehr traut
Welche enorme Sprengkraft Nestroy immer noch besitzt, wenn man seine Komik ernst nimmt, das zeigte sich im Vorjahr. In der Inszenierung gab es das, was für Nestroy selbstverständlich war – nämlichregierungskritische Strophen in Couplets.
Die FPÖ zeigte sich empört, forderte die Streichung der Texte – und stimme schließlich im Gemeinderat gegen die Subventionierung der Festspiele – die Schwechat im Kulturleben Österreichs seit Jahrzehnten einen respektierten Fixplatz bringen. „Warum ned gar!“, wie Nestroy gesagt hätte.
Diese unsinnige Vorgangsweise führte zu einem Solidarisierungseffekt – und heuer wurde das Thema naturgemäß, unter dem Jubel des Premierenpublikums, in den Couplets verarbeitet.
Und damit sind wir im Jahr 2019 und im wunderschönen Innenhof des Schlosses Rothmühle, wo dem wunderbaren Ensemble und Leading Team rund um Intendant und Regisseur Peter Gruber nicht weniger als die perfekte Sommertheater-Vorstellung gelingt.
Unbekanntes Stück
Dabei hatte man es sich schwer gemacht – und mit „Wohnung zu vermieten“ ein unbekanntes Stück des großen, bösen Komödianten ausgewählt. Die Bearbeitung einer deutschen Vorlage fiel bei der Uraufführung durch.
„Wohnung zu vermieten“ ist weniger ein Stück – die Handlung ist mager und paradoxerweise gleichzeitig eher unübersichtlich, alle sind irgendwie in alle verliebt, und alle wollen umziehen – als ein satirischer Menschenzoo, voll von herrlich grotesken, gar nicht sympathischen Typen. Karl Kraus soll folglich das Stück sehr geschätzt haben.
Regisseur Peter Gruber gelingt eine rasante, hoch komische, abgründige, böse Inszenierung, die das Publikum unterhält und begeistert.
Das größte Wunder aber: Es gelingt diesem aus Profis, Halbprofis und Amateuren zusammengesetzten Ensemble, die geradezu absurde Zahl an Rollen – es sind 37! – ausnahmslos hervorragend zu besetzen.
Tolles Ensemble
Es ist fast unfair, einzelne Darsteller herauszuheben, aber einige seien stellvertretend genannt. Robert Herret ist ein herrlich versoffener, gewissenloser Hausmeister mit Liebes-Ambitionen. Bruno Reichert und Bella Rössler porträtieren das Spießer-Ehepaar Gundlhuber ganz vorzüglich. Marc Illich ist großartig als schleimiger Notar Kleefeld, Michaela Prendl zeigt als dessen Schwester erotischen Eigensinn. Ines Cihal ist als Edelprostituierte höchst verführerisch.
Das sich aus lauter Holzkästen zusammensetzende Bühnenbild von Intendant Peter Gruber ermöglicht herrlich absurde Tür auf/Tür zu-Effekte.
So entsteht ein virtuoses, bei alles drastischen Komik sehr genau gezeichnetes Bild einer Gesellschaft, die sich selbst nicht mehr traut – ein Bild, das uns mehr über uns erzählt, als uns lieb sein kann.
Völlig zu Recht großer Jubel vom Publikum. (Guido Tartarotti)
Online Merker, 29. Juni 2019
Nestroys Wohnung zu vermieten
Der originale Titel ist ein bisschen gar pompös: „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“ – wobei man bedenken muss, dass zur Zeit der Uraufführung im Jahre 1837 Wien (die Innere Stadt) noch von einer Stadtmauer umschlossen war. Jenseits, bis zum „Linienwall“ (dem heutigen Gürtel), lag die Vorstadt, und noch weiter draußen – das war schon sehr weit: Da war Hietzing, schon ganz „ländlich“. Es ist also auch ein topographisches Stück, das Johann Nestroy hier schrieb, dessen Titel Peter Gruber aber für die Aufführung der diesjährigen Nestroy-Spiele in Schwechat auf „Nestroys Wohnung zu vermieten“ verkürzt hat. Und bei Nestroy ist man in Schwechat ja erfahrungsgemäß immer zuhause – heuer bereits zum 47. Mal.
Dass das Stück selten gespielt wird, liegt wohl an seiner „zerfransten“ Handlung, die durch die Person des „Gundlhuber“ zusammen gehalten wird. Da dessen älteste Tochter heiraten soll (sie heiratet auch, aber am Ende einen anderen, als zu Beginn vorgesehen), ist ihm seine Wohnung nicht mehr groß genug. Also bricht er mit Gattin, drei Söhnen im Kindesalter und einer Kinderfrau mit Baby zur Besichtigung verschiedener angebotener Lokalitäten auf und gerät in verschiedene Milieus. Aber eines bleibt immer gleich: In seiner penetranten Art erweist er sich als peinlicher Störenfried, was alle merken – nur er selbst natürlich nicht.
Im übrigen wirbelt eine fast unübersehbare Menge von Figuren durchs Geschehen (teils von Nestroy hingestellt und gleich wieder vergessen), die Handlung dreht sich um wechselnde Liebespaare – und die bekannten Charakterporträts von Bürgern und Spießbürgern. Als Ganzes ist das schwer in den Griff zu bekommen.
Dabei hat Regisseur Peter Gruber, der „Mr. Schwechat-Nestroy“ von allen Anfängen an, natürlich wieder erkannt, dass dergleichen jenseits des Realismus auf die Bühne zu bringen ist. Ein Bühnenbild, das scheinbar aus lauter Kästen besteht, deren Türen sich für Ein- und Ausgänge wie für Umbauten und Pointen verwenden lassen, zügelt großartig das Tohuwabohu der Handlung. Dabei überrascht ein wenig, dass Gruber den Minimalismus, den er bei der Titel-Verkürzung walten ließ, keinesfalls auf die Bühne übertrug – eine solche Üppigkeit an Personal und Aktion war selten da (da zwitschern Adabei-Damen in Rosa herum, da erweisen sich Drag-Queens als Dienstmädchen – und heutige Polizisten, die lustvoll mit ihren Pistolen fuchteln, gibt es auch). Manchmal wäre weniger hier mehr.
Der Gundlhuber ist das, was die Wiener als eine „Kretz’n“ bezeichnen, ein selbst gefälliges Monster, in dem Nestroy einer Spezies Mensch einen höchst unerfreulichen Spiegel vorgehalten hat. Es geht allerdings auch freundlicher, wie Bruno Reichert in dieser zentralen Rolle zeigt – da ist er, mit Schirm, der klassische Wiener Spaziergänger, der sich die Mitwelt anschaut und halt unverhohlen und taktlos seinen Kren dazu gibt. Man könnte die Rolle härter anpacken – so ist sie netter. Wunderbar an seiner Seite Bella Rössler mit den urtiefen (Sochor-)Tönen der gestandenen Wiener Hausfrau, die im Gegensatz zu ihrem Mann aber noch etwas soziale Sensibilität aufbringt und sich immer wieder für ihn geniert.
Tiefer in die Urgründe des Wienerischen greift Rupert Herret (früher Stammgast im Schwechater Ensemble, nun endlich wieder zurückgekehrt) als Hausmeister, hier „Cajetan Balsam“ genannt, der aber das Gegenteil von balsamisch ist: Der spuckt selbstgerecht seine ganze Niedrigkeit aus und merkt es nicht einmal. Die Wiener hatten schon einen guten Instinkt, wenn sie dieses Stück einst nicht mochten: Es kommt ihnen zu nahe.
Die Mär von den „schlechten“ Frauenrollen bei Nestroy kann man bei genauer Betrachtung nicht aufrecht erhalten. Diese erdverbundenen Stubenmädel wie die Lisette, von Rahel Kislinger mit geradezu Swoboda’scher „Gosch’n“ und doch nicht ohne Anmut gespielt, wissen ebenso, wo es lang geht (nämlich beim Geld…), wie die Sophie in Hietzing (eine prächtige Studie von verärgerter Verhärmtheit; Michelle Haydn), die sich gar nicht groß auf Gefühle einlässt – dafür ist im Überlebenskampf nämlich keine Zeit.
Dafür werden die „schwärmerischen“ Mädeln (Elisabeth Spiwak) und die pompös auf der Gefühlsskala spielenden Damen (Michaela Prendl) herrlich auf die Schaufel genommen. Und Madame Chaly (Ines Cihal) ist, in faszinierender Unterwäsche, was sie ist: die Besitzerin eines Wachsfigurenkabinetts und mehr (oder weniger, je nach dem, wie man das einstufen will).
Die älteren Herren neben Gundlhuber und Cajetan haben, wie immer bei Nestroy (in diesem „Fach“ hatte er die besten Schauspieler zur Verfügung) eine Menge zu vermelden: Der Kapitalist mit dem bezeichnenden Namen Wohlschmack (ausgestopft, soigniert und selbstgefällig: Franz Steiner) denkt immer nur ans Essen (dass er so oft furzen muss, lässt Nestroy in Hanswurst-Tiefen sausen, die er doch himmelhoch überragte); Heuschreck, der „Pleitier“ und Mann von Ehre (Erwin Leder ist eine Nestroy-Figur zum Ausschneiden) will von all den schmutzigen Geldgeschäften seiner Vorfahren (und den eigenen) natürlich gar nichts wissen.
Und dann sind noch die scharf umrissenen Wiener Figuren (ein Glasermeister in Penzing, der einer „linken“ Sache nicht abgeneigt ist: Andreas Herbsthofer; eine Hausbesitzerin in Hietzing, die um jeden Preis vermieten muss, um über die Runden zu kommen: entsprechend schleimig Julia Margarita Hödl – und die Liebhaber: die flattern in Gestalt von Lukas Aschenreiter und Patrick Leitgeb sehr witzig über die Bühne.
Man weiß, wie Nestroy auf Zeitereignisse reagierte – das Publikum strömte in seine Vorstellungen auch in Erwartung seiner Extempores zu politischen Ereignissen (und er lebte in einer Zeit, wo man ihn dann gut und gern ins Gefängnis abführte): Klar, dass Ibiza & Co. ein Fressen für ihn gewesen wäre. Peter Gruber, der für Schwechat immer zornige Couplets schreibt, enttäuscht diesbezügliche Fans auch diesmal nicht, weitet aber die Handlung mit einer Figur wie einem „geschmeidigen Notar“ (Marc Illich) und allerhand unsympathischen, sehr heutigen „Ordnungshütern“ doch eher unerfreulich aus. Aber wer weiß, ob Nestroy ihm dabei nicht Recht gegeben hätte? (Renate Wagner)
Wiener Zeitung, 30. Juni 2019
Dorftarzan vom Feuerwehrkalender
Zwanzig Kisten auf der Bühne in Schloss Rothmühle aufgetürmt, feines Tischlergewerk, groß wie Biedermeierkästen. Eine wienerische Madame Tussaud verwahrt darin ihre Wachsobjekte. Ein einziges wird gezeigt: ein ausgefressener Kapitalist mit Messer und Gabel in Händen. Madame cerifizierte scheußliche Auswüchse der Wiener Gesellschaft. In Peter Grubers mit Musicalflitter aufgepeppter Sommerkost unterm Titel „Nestroys Wohnung zu vermieten“ quillt heutiges Wien quicklebendig aus Madames Futteralen: ein Pleitier, der sein Vermögen beiseiteschaffte, ein Quintett von Adabei-Damen in Pink, ein Polizist, der einen Schwarzen jagt, ein Schwulenpaar in Servierkleidchen und sogar die Kiberer „Krickl, Stracks und Goldi“, bekannt aus dem BVT-Untersuchungsausschuss. Ein Bursche im Minislip wie der Dorftarzan aus dem Feuerwehrkalender (Lukas Aschenreiter) muss in den Kasten bei Madame (Ines Cihal) flüchten. Sie sammelt im strengen Domina-Gewerbe berufsbedingt Musterbilder bürgerlicher Untugend. Auch unten an der Aufstiegsleiter geht’s zu: bei den Handwerkern, Dienstmädchen und Zechbrüdern. Gepischt und gefurzt wird unten wie oben.
Nestroys Posse „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“ wurde 1837 im Theater an der Wien niedergezischt, ausgepfiffen. Strich die Zensur alles weg, was einem Schauspieler-Dichter die Gunst sichert? Oder sah sich das Publikum satirisch, also schmerzend porträtiert? Inzwischen ist der Flop von damals rehabilitiert. Karl Kraus ging mit Lesungen voran. Die Wissenschaft preist den schonungslosen Gesellschaftsbefund – wo z.B. mit der Ansage „Sei meine Geliebte, sag ich, oder ich tu dir alle möglichen Grobheiten an“ ein Hausmeister ein Stubenmädel erobert.
Nestroy verwienerte eine Berliner Komödie mit der Rolle eines Rentiers für sich. Dem Partner Wenzel Scholz schrieb er den Hausmeister auf den Leib. Bruno Reichert und noch mehr Robert Herret erinnern mit herber Komik und volkstümlicher Redseligkeit an Peter Grubers frühe Jahre. Damals wuchs ein Ensemble aus Semiprofis und Laien auf dem Spielboden der Volkskomik zusammen. Mit der Zeit mehrten sich die Elfriede-Ott-Schauspiel- und Musicalschüler. Franz Steiner und Erwin Leder als Kapitalisten und Bella Rössler als Hausmutter tönen noch wie aus dem Nestroy-Buch. Maria Sedlacek als jodelnde Wirtin wie vom Oktoberfest ausgeliehen. Rahel Kislinger besticht in Dienstbotenbluse. Wenn Otmar Binder am elektrischen Piano improvisiert, schlägt ein Meister zu. Mit dem Arrangement der Schnulze „Komm wir machen eine kleine Reise“ ist er unterfordert.
Auf der Jagd von 37 Darstellenden durch drei Wohnbezirke verliert die Regie oft den Faden. Und der Zuschauer erst recht. Die Tschecheranten und Junckies an der Bar und die Hietzinger Freizeitgesellschaft erstarren in herrlichen Frozen pictures. Bilderlust gegen Text? Früher ließ Gruber noch das Wort gewinnen. Der Hausmeistersatz „Wenn eine Partei, die schon in die Jahre ist, auszieht und bleibt in dem neuen Quartier viele Jahre, so stirbt die Partei“ wird überhört. Stattdessen unübersehbar die blauen und türkisen Fähnchen, wie sie Einschläge nach einer Schießerei markieren. Nestroys politisches Kunststück will das Gegenteil: Bourgeoisie und Proletariat einen Spiegel vorhalten, ohne die Chance, sich auf die Mächtigen oder Verhältnisse auszureden. (Hans Haider)
Kultur & Wein, 01. Juli 2019
Der schonungslose Blick auf liebenswürdige Malefize
Es soll umgezogen werden. Die Familie dürfte sich vergrößern. Eine Hochzeit steht ins Haus, mit drei Buben, einem Säugling, den Eltern und dem jungen Paar erscheint dem pensionierten Sektionschef Gundlhuber die derzeitige Wohnung zu eng. Es geht also hinaus ins biedermeierliche Wien auf die Suche nach etwas Passendem. Johann Nestroy beobachtet dabei diese gut bürgerlichen Leut´ und lässt dabei kein gutes Haar an ihnen und all den anderen, denen sie bei dieser Herbergsuche begegnen.
Es soll umgezogen werden. Die Familie dürfte sich vergrößern. Eine Hochzeit steht ins Haus, mit drei Buben, einem Säugling, den Eltern und dem jungen Paar erscheint dem pensionierten Sektionschef Gundlhuber die derzeitige Wohnung zu eng. Es geht also hinaus ins biedermeierliche Wien auf die Suche nach etwas Passendem. Johann Nestroy beobachtet dabei diese gut bürgerlichen Leut´ und lässt dabei kein gutes Haar an ihnen und all den anderen, denen sie bei dieser Herbergsuche begegnen.
Für die 47. Nestroy Spiele Schwechat und den seit eben so vielen Jahren unermüdlich arbeitenden Regisseur Peter Gruber war dieser Punkt allerdings das kleinste Problem. Geschickt aufgestellte Schränke in mehreren Etagen lassen sich im Handumdrehen in das jeweilige Etablissement verwandeln und schaffen Möglichkeiten zum Auf- und Abtreten. Mit etwas Phantasie, unterstützt vom mimerischen Können des Ensembles, taucht man gerne in diese schräge Welt voll schiefer Typen ein.
Ohne die sehenswerte Rücksichtslosigkeit von Herrn Gundlhuber, als der Bruno Reichert in fremde Intimsphären einbricht, wäre das Ganze ja nichts als ein netter Spaß. Mit den dabei gewonnen Erkenntnissen auch seitens des Publikums gelangt man aber bald zur Gewissheit, dass ganz Wien ausschließlich von Malefizen bewohnt wird, also von kleinen Strolchen, denen Moral und Charakter eher als Fremdwörter erscheinen. Dessen heiratsfähige Tochter Amalie (Elisabeth Spiwak) soll dem netten Burschen August Fels (Patrick Leitgöb) vermählt werden. Sie hat aber längst ein Auge auf den Schönling Eduard (Lukas Aschenreiter) geworfen, der seinerseits verliebte Briefe in ihr Gemacht schupft. Also wird eine Liebesprobe inszeniert, die der Bräutigam gegen die Freundin Amaliens, die hübsche Louise (Michaela Prendl) als Agent Provocateur prompt verliert. Dem Vater von August, dem Kapitalisten und Gourmand Wohlschmack (Franz Steiner), wäre alles recht, solange er nur essen und furzen kann. Dass aber im Wachsfiguren-Kabinett just von ihm eine nicht gerade schmeichelhafte Abbildung steht, verdirbt ihm zwar nicht den Appetit, aber erheblich die Laune.
Diese stellt sich umgehend bei den Zuschauern ein, die freudig überrascht dem Fiaker applaudieren, der von Heinz Kerschbaumer als Pferd und Kutscher in Personalunion betrieben wird. Am Ende schwächelt sogar ein Lästermaul wie Nestroy, der aus dem ganzen genial gezeichneten Haufen windiger Zeitgenossen eine Schar williger Heiratskandidaten macht. Aber vielleicht ist gerade ein solches Happy End die schlimmste Bösartigkeit des Dichters, mit der er dieser Farce die Krone aufgesetzt hat.
Der Standard, 011. Jul 2019
Trügerische Landidyllen
[…] Wem Tschechows Realismus etwas zu tief in die trübe Bürgerseele blickt, ist bei den Nestroy-Spielen in der Rothmühle in Schwechat besser dran: Die Charaktere sind ruppiger und durch den süffigen Wein der Wiener Reben deutlich besser gelaunt. In der einzigen prärevolutionären Posse Nestroys, die ausdrücklich in Wien spielt, ist die Handlung mit dem umständlichen Titel schon zusammengefasst: Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing.
Guter alter Wiener Charme
Die handelnden Personen sind Prototypen der Stadt: der Spießer Gundlhuber (Bruno Reichert), der grobe Hausmeister Cajetan Balsam (Robert Herret) und die vielen weiteren Nebenrollen (meist aus dem grandiosen Nestroy-Ensemble). Sie alle verleihen der konventionell-komödienhaften Intrige einen Wiener Charme. Hat Nestroy bei seiner Uraufführung 1837 das Publikum empört, droht das Stück heute aus der Zeit zu fallen. Hietzing ist vollständig urbanisiert, das Auditorium nicht mehr so leicht zu provozieren.
Könnte man meinen: Noch letztes Jahr haben drei FPÖ-Gemeinderäte die Nestroy-Spiele verlassen, weil sie sich von den zeitkritischen Couplets angegriffen fühlten. Öffentlich forderten sie Zensur. Ein Nestroy-Liebhaber wie Peter Gruber (Regie und Bühne) lässt das nicht auf sich sitzen. Aus den vielen Schränken auf der Bühne erscheint auch heuer mal da und mal dort ein geschmeidiger Notar (Marc Illich), der dem jüngsten Altkanzler der Republik bestechend ähnlich sieht und mindestens ebenso gern Selfies macht.
Er spinnt die Fäden, während sich der Kommissar Krickl mit seinen Gehilfen Stracks und Goldi ganz auf ihre despotische Polizeiarbeit konzentrieren: Auch das eine gelungene Adaption des alten Stoffs. (Laurin Lorenz)
Kronenzeitung, 01. Juli 2019
Poltik-Kritik und Biss fehlen!
Wie wenige andere gehören die Nestroy Spiele im Schwechater Schloss Rothmühle zum Urgestein des niederösterreichischen Theatersommers. Die Mischung aus Tradition und Volksfeststimmung, aus Nestroys bissig-realistischem Theaterblick und Publikumsbegeisterung ist sympathisch, wichtig, hat Bestand.
Nestroys Stück – der originale Titel „Eine Wohnung ist zu vermiethen in der Stadt“ wurde diesmal auf „Wohnung zu vermieten“ verkürzt – demaskiert zwar präzise und böse (Wiener) Typen und zeigt ein Panoptikum des gar nicht goldenen Spießer-Herzens. Aber in puncto Dramaturgie und Spannung ist das Stück flau.
Auch ein großes, durchaus überzeugendes Darstelleraufgebot täuscht leider nicht über die wenig inspirierte, etwas langatmige Handlung hinweg. Und das Ganze wirkt wie eine Zusammenstellung aus verschiedensten Versatzstücken. Da muss man sich schon einzelne Momente herauspicken und sich an den Figurenzeichnungen erfreuen, um auf seine Kosten zu kommen.
Peter Gruber, Regisseur und Leiter der Nestroy Spiele, versuchte es dennoch. Er hat ja ein Ensemble mit dem richtigen Gespür, der Erfahrung, der Kompetenz und seiner ganz speziellen Kreation: dem „Schwechater Stil“!
Das alles gefällt in Einzelmomenten, wenn auch das Schlüssige und Packende des Theaterabends sich bitten lässt. Esist im Einzelnen alles da – gute Darsteller: Ines Cihal, Erwin Leder, Sascha Nikodym, Bruno Reichert, Franz Steiner u. a. –, ein raffiniertes Bühnenbild, eine souveräne, detailreiche Regie – und erfreulicherweise kaum Gelsen! Doch: Man hat schon mehr gelacht.
Gruber macht alles richtig, bringt Nestroy scharfe, wichtige Kritik und unerlässliche politische Karikatur ins Spiel – ein zentraler Aspakt bei Nestroys Stücken –, ist aber alles in allem zu wenig politisch-bissig: Da kann Nestroy selbst noch mehr! (OL)
NÖN, 02. Juli 2019
Schwechat: Wohung zu vermieten
So viel Personal (37!) gab’s heuer noch nirgends im Theatersommer. So viel Politik (von Kurz bis Kickl) auch nicht. Aber dafür spielt man bei Peter Gruber im Rothmühler Schlosshof ja schon seit 47 Jahren Nestroy. Und das so komisch, so ironisch, so unerbittlich und auch so menschlich, dass es nicht weiter stört, wenn man sich bald nicht mehr auskennt, wer da jetzt wo einzieht oder auszieht. Wer da jetzt wen heiratet oder doch nicht.
Und wer von den Kleinkrämern (herrlich nervig: Bruno Reichert als Gundlhuber), Liebeshungrigen, Pechvögeln und Glücksrittern da jetzt als Nächstes hinter einer der Kisten- und Kastentüren (Bühne: Peter Gruber) herauskommt. Glänzend: Robert Herret als Hausmeister, gewitzt: Rahel Kislinger als Mamsell, gelackt: Marc Illich als Notar.
Fazit: Kleinbürgertum zwischen Bretterbuden, Branntweinstuben & Eheversprechen. Fabelhaft! (Michaela Fleck)
Falter, 02. Juli 2019
Nestroy-Sternstunde für die älteren Herren
Ja, man merkt schon, dass wir derzeit eine Übergangsregierung und wenig politischen Satiredruck haben. Die Nestroyspiele unter Intendanz und Regie von Peter Gruber, im Vorjahr mit Rekordauslastung nach einem FPÖ-Zensurversuch, zeigen heuer die eher unbekannte, boulevardesk aberwitzige Komödie „Wohnung zu vermieten“ und bleiben verhältnismäßig angriffsunlustig. Unlustig ist die Aufführung dennoch ganz und gar nicht. Diesmal erleben die älteren Herren ihre Sternstunden: Robert Herret als zynischer Wiener Hausmeister Cajetan und Bruno Reichert als herrlich aufdringlicher Spießbürger Gundlhuber, der ohne Taktgefühl mit seinem gesamten Tross in alle zu vermietenden Wohnungen platzt. (Martin Pesl)
Die Presse, 08. Juli 2019
Sprachsensiibler Nestroy in Schwechat
Vom Graben und von der Wollzeil’ ist die Red’, von der Seilerstatt und vom Dommayerschen Garten, ja sogar von Hungelbrunn, einer kleinen Vorstadt, die längst im fünften Bezirk aufgegangen ist: Kein anderes Nestroy-Stück hat so viel explizites Lokalkolorit wie „Wohnung zu vermieten“; es hat seinen Charme, dass es in Schwechat gespielt wird, das heute gerade nicht mehr zum Wiener Stadtgebiet zählt. Dorthin, in den Hof des barocken Schlosses Rothmühle, kommen Wiener und Leider-nicht-Wiener, um eine Nestroy-Inszenierung zu sehen, die turbulent, aber nicht überdreht ist.
Die vor allem Nestroys Sprache mit Liebe und Respekt behandelt, indem diese, wo immer möglich, konserviert wird. Unter der Regie des Intendanten Peter Gruber darf Cajetan, der „ledigste Hausmeister bei der Stadt Wien“, von Robert Herret mit dezenter Schlagseite und Freude am Schmäh gespielt, der pikierten Madame Chaly „dalkete Kaprizen“ attestieren, die dramatischen Verwirrungen ein „Remissori“ und den geckenhaften Flint einen „G’schwufen“ nennen und das Stubenmädchen Lisette verwundert fragen: „Sie lest alle Nacht?“
Ja, das tut sie, und das glaubt man ihr, denn Rahel Kislinger gibt ein so resches wie schlaues, nie zu kokettes Stubenmädchen, das die Handlung gut durchschaut. Was nicht immer leicht fällt bei dieser ziemlich verwickelten Posse, die, bei der Uraufführung (1837) durchgefallen, erst 1924 von Karl Kraus wieder entdeckt wurde. Auch ihn hatte wohl das virtuose Spiel mit den Sprachebenen in Stadt (innerhalb des Rings), Vorstadt (innerhalb des Gürtels) und Vorort begeistert. Die klassische Vorstadt Neubau wird bei Nestroy übrigens noch als „auf’m Neubau“ angesprochen, Gruber belässt es auch dabei, statt aufs heute übliche „in Neubau“ zu schwenken. Dagegen macht er aus dem Corraschen Kaffeehaus das Sperl, und wenn die Kaffeehausfreunde sich verabschieden, sagen sie nicht nur „Adieu!“, sondern, wie man’s heute tut, „Servus“, „Grüß dich“ und „Baba“, auch das passt.
Eine kleine, stimmige Transformation: Der Madame Chaly ist nicht ein Monsieur Dumont versprochen, sondern ein russischer Galerist namens Wladimir, und die beiden sollen nicht nach Straßburg reisen, sondern nach Ibiza. Die Extempores bei den Couplets passen, wie seit Nestroys Zeiten üblich, nicht immer perfekt zur Handlung, sind aber unpeinlich; dass sich Gundlhuber (so sympathisch wie nötig: Bruno Reichert) nun als gewesener Sektionschef beim BVT vorstellen darf, liegt nahe. Und den Heiligen Sebastian will man auch in Schwechat nicht auslassen. Soll halt sein. (Thomas Kramar)