Zu ebener Erde und erster Stock

Unten: eine immer größer werdende Masse von Arbeitslosen und „working poor“, die aussichtslos vor sich hinvegetieren. Oben: einige wenige, die das nicht kümmert und die immer reicher und reicher werden.
Was aber, wenn diese unerträglichen Verhältnisse durch Zufälle oder Schicksal auf den Kopf gestellt würden? Wäre dann alles besser? Oder würde auch das an der Unzulänglichkeit der Menschen scheitern? Müsste man nicht viel eher das System als Ganzes in Frage stellen?
 Nestroys bitterböser und zugleich höchst vergnüglicher Kommentar zur katastrophalen und gefährlichen sozialen Schieflage unseres Landes um 1835.
Eine Posse wie von heute – neu in Szene gesetzt von dem großartigen Ensemble rund um Nestroy-Preisträger Peter Gruber.

46. NESTROY Spiele Schwechat
Zu ebener Erde und erster Stock
30. Juni bis 04. August 2018

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Musik

Otmar Binder

Bühne

Andrea Bernd

Bühnenrealisierung

Günter Lickel

Kostüme

Okki Zykan

Lichtdesign

Harald Töscher

Technik

Tommy Nichtenberger

Video

Bernadette Dewald
HERR VON GOLDFUCHS Spekulant und Millionär
Franz Steiner
EMILIE seine Tochter
Ines Cihal
JOHANN Bedienter
Florian Haslinger
FANNY Kammermädchen im Goldfuchs'schen Hause
Elisabeth Spiwak
BEDIENTE im Goldfuchs'schen Hause
Michelle Haydn, Andreas Herbsthofer, Sabrina Hummer
SCHLUCKER ein armer Tandler
Erwin Leder
FRAU SEPHERL sein Weib
Bella Rössler
ADOLPH 21 Jahre alt, sein Kind, Tagschreiber bei einem Notar
Hasan Al Kasseir
CHRISTOPH 13 Jahre alt. sein Kind
Julian Marksz
NETTI 11 Jahre alt, sein Kind
Amelie Strolz
DAMIAN STUTZEL Frau Sepherls Bruder, ein zu Grunde gegangener Tandler und jetzt Gehülfe seines Schwagers
Christian Leutgeb
SALERL eine entfernte Anverwandte Schluckers
Rahel Kislinger
SEPHERLS MUTTER
Sissy Stacher
GEORG MICHAEL ZINS ein Hausherr
Bruno Reichert
MONSIEUR BONBON
Sandro Swoboda
PLUTZERKERN Gläubiger
Holger Bartel
ZUWAG Gläubigerin
Sabine Axmann
ZECH Gläubigerin
Julia Margarita Hödl
MERIDON Koch im Goldfuchs'schen Hause
Holger Bartel
ASPIK zweite Köchin im Goldfuchs'schen Hause
Michaela Prendl
WERMUTH Buchhalterin eines Großhandlungshauses
Julia Margarita Hödl
SEKRETÄRIN EINES LORDS
Gabriele Herbsthofer
HAUSFREUNDE bei Herrn Goldfuchs
Sabine Axmann, Gabriele Herbsthofer, Peter Koliander, Peter Kuno Plöchl
EIN BEAMTER DES BTV
Peter Kuno Plöchl
GROB Tandler
Sascha Nikodym
TRUMPF Tandler
Richard Strauss
POLIZISTEN
Julia Margarita Hödl, Peter Koiliander

1. Akt
Die Bühne stellt unten die ärmliche Wohnung der Familie Schlucker und im ersten Stock die elegante Wohnung des Herrn Goldfuchs dar. – Chor I, 1. – Während sich die Bedienten im ersten Stock auf das bei einem Festessen zu erwartende reichliche Trinkgeld freuen, weiß Sepherl nicht, womit sie ihre Kinder ernähren soll. – Auftrittslied Damian I, 3 („[…] Ich hätt’ kein Tandler werden soll’n.“) / Auftrittslied Johann I, 3 („[…] Denn Haluncken giebt’s unter d’ Bedienten, ’s g’wiß, / Das kann der nur beurteil’n, der selb’r einer is.“). – Johann ist stolz darauf zu wissen, wie man als Bedienter eines reichen Herrn selbst reich werden kann: „Man nehme Keckheit, Devotion, Impertinenz, Pfiffigkeit, Egoismus, fünf lange Finger, zwei große Säck und ein kleines Gewissen, wickle alles in eine Livree, so gibt das in zehn Jahren einen ganzen Haufen Dukaten.“ Eifersüchtig beobachtet Damian, wie Bonbon seiner geliebten Salerl Avancen macht. Doch Salerl gelingt es, ihn wieder zu beruhigen. Schlucker hat erfahren, daß Adolph ein heimliches Verhältnis zu Emilie hat. Um jeden Ärger mit dem reichen Herrn Goldfuchs zu vermeiden, will Schlucker für ein sofortiges Ende dieser Beziehung sorgen. Unterdessen hat Zins bei Goldfuchs um Emilies Hand angehalten, jedoch nur ein lautes Lachen geerntet. Besonders Johann behandelt den verhinderten Bräutigam mit Hochmut. Mit letzter Hoffnung bittet Zins Emilie selbst um ihre Hand, doch diese lehnt ab und gesteht ihm ihre Liebe zu Adolph. Erzürnt verläßt Zins das Haus: „Der Sohn einer Zu-ebener-Erd-Partei soll über einen Hausherrn triumphieren? Nein, das darf nicht sein!“ Emilie schreibt einen Liebesbrief an Adolph, den Fanny wie verabredet an einer Schnur zur unteren Wohnung hinabläßt. Gleichzeitig läßt Damian Adolph einen fingierten Liebesbrief von Salerl an Bonbon schreiben, in dem sie ihn um ein Rendezvous bittet. Als Adolph endlich Emilies Brief in der Hand hält, tritt Schlucker ein, entreißt ihm das Papier und liest es. Wütend schreibt er für Adolph einen unverschämten Antwortbrief. In der Zwischenzeit knotet Damian seinen Brief an die Schnur, die er für Bonbons Schnur hält. Wenig später erhält jedoch Bonbon mit Hilfe seiner Schnur den von Schlucker verfaßten Antwortbrief Adolphs. Während im oberen Stock die Gesellschaft festlich tafelt, sitzt die Familie zu ebener Erde bei Wasser und Brot. Zu Emilies Entsetzen gibt ihr Vater ihre Verlobung mit Bonbon bekannt. – Chor der Gäste I, 19.

2. Akt
Chor II, 1. – Zins ist bereit, der Familie Schlucker die Miete zu erlassen, wenn Damian und Schlucker im Gegenzug dafür sorgen, daß Adolph Emilie fernbleibt und Zins sie selbst heiraten kann. Um diese Aufgabe zu erleichtern, will Zins Adolph eine weitentfernte Stelle als Schreiber verschaffen. Freudig nehmen Schlucker und Damian das Angebot an. Wilm fragt nach einem Rock, den ein Bedienter seines Herrn an Damian verkauft hatte. In dem Rock befinden sich 1.000 englische Pfund, die auch gefunden werden. Als Belohnung erhalten Damian und Schlucker 300 Gulden, über die sie sich sehr freuen. – Chor II, 7. – Johann legt das Geld, um das er Goldfuchs betrügt, bei diesem wieder an und behauptet, es gehöre seinem Vetter. Auf diese Weise bekommt er für das ergaunerte Geld noch Zinsen. Goldfuchs glaubt, eine Million seien „eine schußfeste Brustwehr, über welche man stolz hinabblickt, wenn die Truppen des Schicksals heranstürmen wollen.“ Umso mehr ärgert ihn die Nachricht, daß sein Sohn in Hamburg als „mutwilliger Schuldenmacher“ festgenommen werden soll, falls Goldfuchs ihm nicht eine Summe von 100.000 Gulden anweist. – Lied Salerl II, 14 („Die Lieb’ ist ein Rausch allemahl bey die Männer“). – Emilie bittet Johann um Hilfe, da nur eine Entführung durch Adolph sie vor einer Hochzeit mit Bonbon retten kann. Zwar warnt Fanny Emilie vor diesem Helfer, doch ist Emilie auf ihn angewiesen, zumal er sie mit seinem Wissen um ihre heimliche Liebe erpressen könnte. Fanny beschließt, gemeinsam mit Emilie zu fliehen, weil Johann sich von ihr losgesagt hat, da sie seine Einstellung zum Geld nicht teilt. – Lied Johann II, 21 (R: „Da finden d’Leut’ dran a Vergnüg’n; / Ich, offen g’sagt, nit, i müßt’s lüg’n.“). – Nach einem Festessen im Wirtshaus, das sich die Familie Schlucker von den 300 Gulden geleistet hat, eröffnet Schlucker Adolph, daß er am nächsten Tag fortgeschickt werde. Außerdem werde Zins Emilie heiraten. Zudem sei Adolph gar kein Sohn der Familie, sondern ein angenommenes Kind. Wütend entschließt sich Adolph, seine eigenen Wege zu gehen. Über seinen Vater erfährt er nur, daß dieser irgendwann gestorben sei. Während bei Goldfuchs ein Ball gefeiert wird, nutzt Emilie die Gelegenheit, für einen Moment zu Adolph zu eilen. Sie verabreden, am nächsten Tag gemeinsam zu fliehen. Mitten in der Nacht erscheinen Grob und Trumpf und überbringen die Nachricht, daß Sepherl 800 Gulden in der Lotterie gewonnen hat. Zugleich erhält Goldfuchs die Nachricht, daß er bei einer Spekulation, an der auch der Bruder Bonbons beteiligt war, sein Vermögen verloren hat. Ohnmächtig sinkt er in die Arme seiner Bedienten. – Chor der Gäste II, 35.

3. Akt
Bonbon wird in der Goldfuchschen Wohnung bewacht, weil er durch die fehlgeschlagene Spekulation seine Schulden nicht bezahlen kann. Goldfuchs selbst ist am Boden zerstört. Johanns Verhalten gegen ihn ändert sich auf der Stelle. Entschieden fordert er die angelegten 6.000 Gulden zurück, die Goldfuchs von einem noch vorhandenen Vermögen von 80.000 Gulden bezahlen soll. Nebenbei erzählt Johann von Emilies Beziehung zu Adolph, was Goldfuchs’ Zorn schürt. Bei Schlucker und Damian erscheint ein Gerichtsbeamter, der sich nach Adolphs Herkunft erkundigt. Da seine Informationen mit den Angaben der beiden Männer übereinstimmen und Adolphs Identität auf diese Weise zweifelsfrei geklärt ist, kann er eine gute Nachricht überbringen: Adolphs Vater ist keineswegs tot, sondern hat es in Ostindien auf ein beträchtliches Vermögen gebracht. Er hat seinen Sohn zu seinem alleinigen Erben eingesetzt und verfügt, daß ihm bereits jetzt 30.000 Dukaten ausgezahlt werden. Die Familie ist überwältigt von diesem Glück. In seiner Freude verzeiht Adolph Schlucker und Damian ihr Verhalten. Damian hegt allerdings einen Verdacht: „Die Fortuna muß sich den Fuß überstaucht haben, daß s’ nit in den ersten Stock auffisteigen kann, sonst kehret s’ gewiß nit zu ebner Erd ein.“ Um ihrem Vater keinen weiteren Kummer zu machen, hat Emilie sich entschlossen, auf die Entführung zu verzichten. Damian versucht Fanny zu erobern, während Johann ein Auge auf Salerl geworfen hat. – Quartett Salerl, Johann, Fanny, Damian III, 10. Beide Frauen weisen die Männer ab. Johann ist entschlossen, sich dafür an Salerl zu rächen, während Damian Fanny bittet, Stillschweigen zu bewahren. Damian und Schlucker sind natürlich nicht mehr bereit, Adolph fortzuschicken, weshalb sie Zins hinauswerfen wollen. Dieser kann zuvor einen Blick auf das auf dem Tisch liegende Papier von Adolphs Vater werfen. Zudem versichert er der Familie, Adolph habe bereits die Wohnung im ersten Stock gemietet, worüber alle in Jubel ausbrechen. Damian will sich noch immer an Bonbon rächen. Grob und Trumpf sagen ihm Hilfe zu. Zins verspricht Friedrich und Anton eine Belohnung, wenn sie Johann für dessen hochmütiges Verhalten verprügeln. Unterdessen haben Johann und Bonbon die Kleider getauscht, um Bonbon eine Flucht an den Wärtern vorbei zu ermöglichen. In dieser Verkleidung beziehen beide die Prügel für den anderen. Erst im nachhinein erkennt man die Verwechslung. Bei der Rückgabe der Kleider entdeckt Johann in Bonbons Rock einen Geldbeutel, den er an sich nimmt. In diesem Moment erzählt Zins Goldfuchs, daß auch die 80.000 Gulden verloren sind, weil das Bankhaus bankrott gemacht hat. Somit sind auch Johanns 6.000 Gulden verloren. Dagegen kann Bonbon sich wieder frei bewegen, weil ein Freund seines Bruders seine Schulden bezahlt hat. Als er den Verlust seiner Geldbörse bemerkt, hat Bonbon sogleich Johann in Verdacht. Tatsächlich findet man den Beutel bei ihm und nimmt ihn fest. Zins eröffnet Goldfuchs, daß seine Möbel bereits gepfändet sind und die Wohnung anderwärts vermietet ist. Er könne jedoch für einige Tage in die Wohnung zu ebener Erde ziehen. Über die Hintertreppe verlassen Goldfuchs und Emilie die Wohnung. Traurig blicken sie sich in ihrem neuen Quartier um, als Adolph zur Tür hereinkommt. Als reicher Mann bittet er um Emilies Hand. Doch bevor Goldfuchs antworten kann, meldet sich Zins zu Wort. Aus demzufällig gelesenen Papier hat er erkannt, Adolphs Onkel zu sein. Adolph zuliebe verzichtet er auf seine Heiratsabsichten. Am Ende ist Goldfuchs gerne bereit, Adolph und Emilie seinen Segen zu geben. – Chor III, 34. 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 9 Johann Hüttner

44. Internationale Nestroy-Gespräche 2018 
„Sagen Sie mir, was ist das Volk?“ („Lady und Schneider“ V,1) Neben und nach Nestroy: das Wiener(Volks-)Theater

Dienstag, 3. Juli 2018
Anreise Anreise nach A 2320 Schwechat, Justiz-Bildungszentrum (Schloss Altkettenhof), Schloßstraße 7 (Tagungsbüro im Gästehaus, 14:30 bis 18:30 Uhr geöffnet)
18:30 Begrüßung
20:30 Schwechat-Rannersdorf, Schloss Rothmühle, Rothmühlstraße 5, Aufführung, 46. Nestroy-Spiele: Zu ebener Erde und erster Stock (Regie: Peter Gruber)

Mittwoch, 4. Juli 2018
9:00 Begrüßung und Einführung
9:10 Johann Hüttner (Wien, A): Vom Volkstheater zum völkischen Theater. Wiener Theatergründungen im späten 19. Jahrhundert
9:50 Clemens Özelt (Lausanne, CH): Raimunds Witwe. Anrufungen der Volkstheater-Muse in Prologen und Epilogen des 19. Jahrhunderts
Pause
10:50 Marc Lacheny (Metz, F): Der „Wiener Weltweise Johann Nestroy“: Heimito von Doderer über Nestroy
11:30 Zu ebener Erde und erster Stock – Diskussionsrunde über Stück und Aufführung. Moderation: Johann Hüttner (Wien, A)
Mittagspause
15:00 Henk J. Koning (Putten, NL): Karl von Holtei und das Volksstück
15:40 Christian Neuhuber (Graz, A): Friedrich Blum – Schauspieler, Dekorateur, Dramatiker, Regisseur und Theaterdirektor: Neues zur Bibliographie des Nestroy-Kollegen und zu seinem Erfolgsstück Die Kinder des Regiments
Pause
16:30 Cornelius Mitterer (Wien, A): Das Rudolfsheimer Volkstheater im Spiegel ästhetischer, sozialgeschichtlicher und städtebaulicher Transformationsprozesse im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts
17:10 Ulrike Längle (Bregenz, A): Wenn das Volk selbst Theater spielt: Das Bizauer Theater 1866–1900 17:50 Beatrix Müller-Kampel (Graz, A): Populäres (Wander-)Marionettentheater in Österreich. Ein weißer Fleck auf der Landkarte von Theatergeschichte und Theatergeschichtsschreibung

Donnerstag, 5. Juli 2018
9:00 Matthias Mansky (Wien, A): Ökonomien der Parodie am Wiener Vorstadttheater. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt. Mit Beobachtungen zu Adolf Bäuerles Der Leopoldstag, oder: Kein Menschenhaß und keine Reue.
9:40 Martin Stern (Basel, CH): Ludwig Anzengrubers kritisch-moralisches „Volks“-Theater im Spannungsfeld der Gattungstradition
Pause
10:30 Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck, A): Tartuffe paysan. Zu Anzengrubers G’wissenswurm
11:10 Annja Neumann (Cambridge, UK): „Die Leute essen ja! … Das geht ja nicht!“ Zu Arthur Schnitzlers Publikumsgroteske und Theaterburleske Zum großen Wurstel aus textgenetischer Perspektive
Mittagspause
15:00 Matthias Schleifer (Bamberg, D): Karl Kraus’ Die Letzten Tage der Menschheit in der (bzw.: und die) Tradition des Wiener Volkstheaters
15:40 Rebecca Unterberger (Klagenfurt, A): Eine „typisch wienerische Mischung von Weichherzigkeit und Brutalität, von Sentiment und Roheit“: Zu Ernst Kreneks Kehraus um St. Stephan
Pause
16:30 Lina Maria Zangerl (Salzburg, A): „Ein Nestroystück habt ihr aufgeführt, aber keine Revolution gemacht.“ Revolutionsbilder in Stefan Zweigs Nachlassroman Rausch der Verwandlung
17:10 Maria Piok (Innsbruck, A): „Ein so springlebendiger Toter“ – Jura Soyfers Nestroy 1937
17:50 Toni Bernhart (Stuttgart, D): Volk + Theater = Volkstheater? Aspekte der Genese einer Chimäre
Pause
20:00 Wiener Komödienlieder (Liederabend) mit Cordula Donner (Sopran), Thomas Schmidt (Tenor) und Manfred Schiebel (Klavier)

Freitag, 6. Juli 2018
9:00 Exkursion (optional und auf eigene Kosten) Schlosstheater in Südmähren: Schloss Nikolsburg/Mikulov und Schloss Feldsberg/Valtice, Leitung: Matthias Pernerstorfer und Christian Neuhuber

Samstag, 7. Juli 2018
Abreise

Konzeption: Walter Pape, Johann Sonnleitner, Ulrike Tanzer
Organisation: Christine Bauer, Susanne Lindlar

Nestroy-Frühstück 2018: „Im Souterrain und Mezzanin“

Eine kabarettistische Szenenfolge und ein Frühstücksbuffet im Garten von Schloss Rothmühle

Mit: Thomas Franz-Riegler, Sabine Axmann, Sascha Nikodym, Sabrina Hummer, Julia Hödl, Michaela Prendl, Christian Leutgeb, Ines Chihal, Rahel Kislinger, Sandra Schuller, Sandro Swoboda 
Leitung: Sandro Swoboda, Musik Thomas Franz-Riegler

Sonntag, 8., 15., 22., 29. Juli 2018, jeweils 10:30 Uhr
Schlosshof Rothmühle, Schwechat-Rannersdorf, Rothmühlstraße 5
Einlass und Frühstück ab 9 Uhr
Eintritt inklusive Frühstücksbuffet € 15,–

Räumlich kaum bemerkenswert getrennt, wirtschaftlich allerdings sehr – die Bewohner des diesjährigen Nestroyfrühstücks in der Rothmühle Schwechat teilen sich eine Bühnenwohnung. Die Mezzaninhälfte blickt nicht ganz arroganzbefreit auf die Souterrainhälfte hinab, wohingegen die Souterrainhälfte ihren Neid hinter Stolz verbirgt. Zwei WGs, die durch eine imaginäre Wand – das Geld – getrennt sind, nicht aber was deren, bzw. unser aller, Bedürfnisse betrifft. Lassen sie sich von dem Ensemble von „Im Souterrain und Mezzanin“ mit böse-ironischem Witz und ohrwurmverdächtigen Liedern das ewig-mysteriöse Thema Geld erklären.

Falter 27/18: Kühle Grausamkeit und die Leere alles Türkisen

Unten streiten sie um einen Laib Brot, in der oberen Wohnung schmeißen sie das Geld aus dem Fenster. Die Nestroyspiele geben auf ihrer dafür perfekt geeigneten Freiluftbühne zum dritten Mal den Klassiker „Zu ebener Erde und erster Stock“. Schauspielprofis treffen auf Laien, und Regisseur Peter Gruber dirigiert sie wie so oft zu dichtem Ensemblespiel ohne Schnickschnack. Der Text und die verwickelte Liebeshandlung wurden diesmal relativ original belassen, Nestroy’scher Biss erwächst vor allem aus tagesaktuellen Couplets. Ein denkwürgiges über die Leere alles Türkisen singt Florian Haslinger in der Rolle des Sekretärs der „Oberen“. Überhaupt füllt Haslinger diesen Johann perfekt mit herrlich kühler Grausamkeit aus. Besonders viel Freude „unten“ machen Rahel Kislinger als Salerl und Erwin Leder als Schlucker. (Martin Pesl)

Kurier, 4. Juli 2018: Nestroy heutig, flott, bitterböse und mit sehr viel Sozialkritik

Unten stapeln sich die Besitztümer der Tandler-Familie Schlucker in Bananenkartons und „Jugo-Koffern“, oben umgibt Rot-Gold den herrschaftlichen Salon des Investors Goldfuchs. So macht bereits die von Andrea Bernd gestaltete Simultanbühne die sozialen Implikationen deutlich: Unten kann man trotz hektischer Betriebsamkeit kaum überleben, oben prasst man in ungehemmter Konsumgier.

Nestroy hat in „Zu ebener Erde und erster Stock“ die beiden Sphären noch durch allerlei Liebesbande und Verfuhrungsversuche verwoben, bis schließlich die Launen des Glücks die Verhältnisse umkehren …

Peter Gruber reichert bei den Nestroy-Spielen Schwechat einerseits das Stück mit messerscharfen politischen Zusatzstrophen zu den Couplets an (was die FPÖ Schwechat in Rage brachte, Anm ), andererseits verwandelt er den Adoptivsohn Adolf in ein von Schlucker aufgenommenes ,,Asylantenbankert“ (Hasan Al Kasseir).

In den Tandler Schlucker steigert sich Erwin Leder furios hinein, konterkariert vom überheblich nasalierenden Franz Steiner als Goldfuchs. Florian Haslinger setzt dessen ungenierten Sekretär mit großer Klasse um. Die jungen Frauen setzen auf beiden Ebenen starke Akzente (Ines Cihal, Elisabeth Spiwak und Rahel Kislinger). Gemischt aus Originalklängen und angeschrägten Tönen gestaltet Otmar Binder vom Klavier aus die musikalische Seite. (Barbara Palffy)

Neue Zürcher Zeitung, 24. Juli 2018: Wiens Theater machen Ferien, aber die Gerüchteküche brodelt

Theaterferien in Wien. Und es könnte so schön sein. Könnte! Denn mitten in der wohlverdienten Ruhe vor Mimen und Mimosen gären die Bühnen-Gerüchte und Gewissheiten, die den gen Atter- oder Wolfgangsee enteilten Sommerfrischler nervös machen. Droht der Schauspieler-Ausverkauf an der Burg? Wird das Volkstheater aufmüpfig?

Und Peter Turrini zieht die Waffen und geht öffentlich gegen den landesweiten politischen Rechtsruck und namentlich die FPÖ vor („Das Schlimmste sind die Phantasien, die gleich nach der Regierungsbildung bei FPÖ-Politikern aufgetaucht sind“). Die Rechtspartei wettert ihrerseits gegen umgedeutete Nestroy-Couplets.

Gemacht, sagt man sich und geht in die Meierei im Volksgarten. Dort sitzt Klaus Missbach, Chefdramaturg am Burgtheater. Er dürfte der letzte Theatermacher dieser Saison im ferienbedingt verlassenen Wien sein – so richtig beruhigen kann er freilich nicht. Zwar sagt er, dass die politische Schieflage in der Hauptstadt, die immer offen für alles Neue und Fremde war, gar nicht so spürbar sei: „Wien ist nicht Österreich.“ Das Theater müsse jedoch wachsam bleiben. „Der Rechtsruck ist da.“

Die nächste Spielzeit wird Missbachs letzte an der Burg sein: Er geht mit der Interims-Intendantin Karin Bergmann, die den finanziell in Bedrängnis geratenen Laden ziemlich souverän über die Zeiten gerettet hat. Und danach? Der Dramaturg prophezeit dem neuen Chef, dem aus München kommenden Martin Kusej, schwere Zeiten. Nicht nur dass er sämliche noch nicht aufgearbeiteten Unstimmigkeiten übernehmen wird, er wird sich auch künstlerisch und mit neuem Personal behaupten müssen. Das sei in Wien, wo der Schauspieler mehr gilt als der Kardinal, äußerst heikel. Und Missbach hat das noch nicht richtig ausgesprochen, da läuft durch die Rotation des „Standards“ schon ein großer Feuilleton-Aufmacher für den nächsten Tag: „Publikumslieblinge auf Abruf“. Kusej spricht zwar nicht mehr davon, dass er „den halben Suppentopf ausleeren“, also das Ensemble bis zur Unkenntlichkeit verändern wird; auch sei es nicht wahr, dass knapp die Hälfte der Mitglieder den Hut nehmen müsse, damit bewährte (Münchner) Künstler mit dem neuem Intendanten nach Wien umziehen könnten.

Aber es wird sich einiges tun beim Stammpersonal der Burg, und die Abonnenten werden ab Herbst 2019 so manches gewohnte Gesicht vermissen. Ein normaler Vorgang, wie Kusej zu Recht sagt, und er wehrt sich vorab schon gegen alle Spekulationen. Das Gerücht und die Denunziation seien „die Wiener Form der Kommunikation“, merkt er im Interview an. Nun ist Kusej ein gebürtiger Österreicher. Er muss wissen, wie uns wovon er spricht.

Das kann man im Fall Anna Badora am Wiener Volkstheater dagegen nicht so genau sagen. Die Intendantin hat angekündigt, sich nicht für eine zweite Amtszeit (ab 2020) zu bewerben. Doch hinter nur schlecht vorgehaltener Hand meint man an der Donau, dass Badora nur der drohenden Nichtverlängerung ihres Vertrages zuvorgekommen sei. Sie war glücklos in dem kleineren Haus, fand nicht den inhaltlich kontroversen Kurs, die Auslastungszahlen sprachen am Ende auch gegen sie.

Da halfen auch keine Versuche, zeitgenössisch und aktuell sein zu wollen. Jetzt führt Badora an, dass sie vor allem wegen der künftigen unsicheren Finanzlage die Segel streicht. Als gescheitert sieht sie sich gleichwohl nicht: „Wir haben einen Spagat versucht“, meint sie in einem Interview. „Die einen haben gesagt, wir seien zu radikal, die anderen haben Radikalität vermisst. Dadurch haben wir zunehmend Kritik von beiden Seiten bekommen.“

Klaus Missbach in der Meierei sagt, man müsse jetzt analysieren, welche Art von Theater in Wien, wo es neben Burg und Schauspielhaus eine Vielzahl von produktiven freien Gruppen gebe, überhaupt gefragt sei. Für das Volkstheater wünsche er sich eine Rückbesinnung auf die erste Silbe des Namens.

Es ist eine trügerische Ferienstimmung in Wiener Theaterkreisen. Zwei große Häuser stehen bald vor einem Neuanfang, und dass die Hauptstadt nicht das ganze Land ist, kann man wohl so auch nicht unterschreiben. So laufen etwa FPÖ-Gemeinderäte gegen die Nestroy-Festspiele in Schwechat Sturm, weil dort ein wenig unsanft, aber ganz im Sinne Nestroys gegen den Bundeskanzler Kurz gestänkert wird und die blauen Freiheitlichen mit braunen Freiheitsgegnern verglichen werden. Der Intendant Peter Gruber gibt sich gelassen, gleichwohl alarmiert: „Ich schreibe seit vielen Jahren Nestroy-Couplets, aber dass mir vorgeschrieben wird, was ich schreiben darf und was nicht, das ist neu.“

Vielleicht schaut nach dem Sommer alles wieder ganz anders aus in Wien? Menschen, sagt Turrini, produzierten schließlich nicht nur Gefühlsüberschüsse, sondern auch Wortüberschüsse. (Bernd Noack)

Online Merker, 1. Juli 2018: … mit der Direktheit eines Brecht’schen Lehrstücks …

Es ist (wie der „Bruderzwist in Habsburg“) ein Stück mit verhatschtem Titel: „Zu ebener Erde und erster Stock“ – man möchte glatt daran herumkorrigieren. Aber glücklicherweise hat Johann Nestroy alles andere als ein verhatschtes Stück geschrieben, im Gegenteil: Das, was unsere Gesellschaft als „Ihr da oben, wir da unten“ definierte, hat er in diesem Stück, das die Gesellschaft so sinnig zweiteilt wie die Bühne, geradezu mit der Direktheit eines Brecht’schen Lehrstücks auf die Bühne gebracht.

Allerdings war Nestroy alles andere als ein Sozialromantiker – dass arme Leut’ auch gute Leut’ sein müssen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Dass hingegen Geld die Welt am Laufen hält – das beschreibt er in so gut wie jedem seiner Stücke. Und in diesem besonders deutlich.

Technisch ist das geteilte Zinshaus des Herrn von Zins (wie soll ein Hausherr bei Nestroy, dem Schöpfer sprechender Namen, schon sonst heißen) neben dem (vier geteilten!) Haus der Temperamente eines der am schwierigsten zu realisierenden Nestroy-Stücke. Die Dialoge zwischen den Superreichen im Oberstock („Herr von Goldfuchs“) und den Armen unten (die natürlich „Schlucker“ heißen – arme Schlucker sind sie wirklich) sind kunstvoll verzahnt und müssen mit eisiger Präzision kommen, um ihre Pointiertheit ebenso zu erweisen wie ihre Treffsicherheit: Dass die einen nicht wissen, wie sie ihr Geld noch hinauswerfen können, während die anderen nicht wissen, was sie in den Magen bekommen, ist übrigens erschreckend heutig geblieben: Man wünschte wirklich, man könnte Nestroy nachsagen, sich überholt zu haben. Mitnichten.

Peter Gruber hat in Schwechat Nestroys Stücke immer erfolgreich ins Heute geholt, und hier ist es gar nicht schwierig – außer dass die Reichen heute wohl nicht mehr dulden würden, dass die ordinären Habenichtse bei ihnen im Souterrain wohnen … Das Lumpenproletariat hat Bühnenbildnerin Andrea Bernd vor allem mit einer Unzahl jener Pappkartons aus dem Supermarkt charakterisiert, in denen die Besitzlosen ihre schäbige Habe verstauen, während die „Pracht“ im ersten Stock ein bisschen zu kurz kommt. Auch können heutige Kostüme (Okki Zykan) zwar die schäbigen Second-Hand-Fetzen bedienen, die Designer-Mode „oben“ sieht man nicht wirklich. Aber das ist eigentlich sekundär – schließlich demaskieren sich die Figuren in ihrem Status ja durch ihr Benehmen.

Da ist Franz Steiner, eine ewige Schwechat-Stütze-des- Ensembles, der nasale „Goldfuchs“, der meint, es könne ihm nichts g’schehen und der durch die „Launen des Glücks“ (die Schwechater Aufführung unterschlägt den Untertitel) eines Schlechteren belehrt wird. Viel weniger passieren kann dem geschmeidigen Herrn Zins (der gleichfalls unentbehrliche Bruno Reichert), denn der hat immer noch sein Haus (zumindest, solange es nicht abbrennt), und Mieter finden sich. Bei den Reichen schlängelt sich der „Couturieur“ Bonbon hinein (witzig Sando Swoboda, optisch halb Conchita, halb Harald Glööckler). Und solange das Geld fließt, lassen sie alle es sich gut gehen.

Ja, und da ist noch der Mann, der sich geschmeidig zwischen ihnen hindurch bewegt, diensteifrig und dabei keinesfalls auftrumpfend, wie man diesen Schweinehund Johann (die Nestroy-Rolle) noch nie gesehen hat: Dabei ist es ungemein glaubwürdig, dass einer, der geschickt nicht auffällt, seine schamlosen Betrügereien fast unbemerkt begehen kann. Florian Haslinger (der schon als Zwölfjähriger in Schwechat auf der Bühne stand) ist ein ausgebildeter, versierter Darsteller mit prächtiger sprachlicher Prägnanz und ausdrucksvoller Körpersprache. Wenn ihm endlich die Geduld reißt, wenn der reiche Mann kein Geld mehr hat und er ihm, nach langem Speichellecken, endlich sagen kann, was er wirklich denkt, kann man mit dem Unsympathler kurzfristig sogar mitfühlen. Er ist jedenfalls ein brillanter Drehpunkt des Abends, zwischen Oben und Unten gewissenlos unterwegs, bis ihn (wir sind auf dem Theater, nicht im Leben!) die gerechte Strafe ereilt…

Bei den Armen geht es ganz schön wild zu: Erwin Leder, der sich zum Schwechater Team gesellt hat, das im 46. Jahr der Nestroy-Spiele niemand mehr als „Laiengruppe“ betrachten würde, als die man einst angetreten ist, tobt sich als Schlucker durchs Geschehen.

Und Christian Leutgeb differenziert so vorzüglich wie vergnüglich die vielen widersprüchlichen Eigenschaften, die in dem Tandler Damian wohnen (und der eigentlich einer der „anständigen“ Leute des Stücks sein soll). Vollkommen passend ist es in diesem Zusammenhang, dass der Regisseur aus dem „angenommenen Sohn“ Adolf (Al Kasseir) einen Immigranten macht (mit den dazu passenden Witzen zum ernsten Thema) – und an den aktuellen Coupletstrophen, die Peter Gruber ja immer selbst textet, erweist es sich als der bekannte „kabarettistische“ Segen, wenn man in der Regierung einen Reibebaum hat, um so richtig heftig explodieren zu können …

An den Damen dieses Stücks zeigt sich, dass der ewige Vorwurf, Nestroy habe schlechte Frauenrollen geschrieben, nicht wirklich greift. Die Rollen sind, mit Ausnahmen (wenn er potente Schauspielerinnen im Ensemble hatte, schrieb Nestroy sofort eine Salome Pockerl, eine Erbenstein), nicht groß, aber jede trägt genug in sich, um eine kleine Charakterstudie zu entfalten. Überzeugend gelingt das Rahel Kislinger als der mit beiden Beinen fest am Boden stehenden Salerl, während das Dienstmädchen Fanny (Elisabeth Spiwak) eher zu den romantischen Naturen zählt, die dann ihre unvermeidlichen Enttäuschungen zu verdauen haben. Und Nestroy benützt ausgerechnet Johann, um dem lebensfremden reichen Fräulein (Ines Cihal) die Leviten zu lesen, die es so erstrebenswert findet, aus wahrer Liebe mit einem armen Mann durchzubrennen … und keine Ahnung hat, was Armut ist.

Aber die „Launen des Glücks“ bewirken bekanntlich, dass der Reiche sein ganzes Geld verliert und „unten“ landet, während die Armen in die Prachtgemächer einziehen … aber was dann kommt, wäre ein eigenes Stück, das hier durch das Happyend verhindert wird (einen Aspekt davon hat Nestroy später in den „Früheren Verhältnissen“ behandelt). Am Ende singt und schunkelt sich das Riesenensemble, diskret, aber sehr pointiert begleitet von Otmar Binder als einzigem Musiker an seinem elektronischen Klavier zu Adolf Müllers Originalmusik, in die Harmonie eines gelungenen Theaterabends. (Renate Wagner)

Niederösterreichische Nachrichten, 3. Juli 2018: Politbashing vom Feinsten und beste Theaterunterhaltung

Rührend, manche Vertreter der FPÖ. Kommen zu den Nestroyspielen und sind bass erstaunt, dass ihnen dort wenig Sympathie entgegenschlägt. Das führte zu einem derart erregten blauen Protestmail, wie es sich nicht einmal der alte Johann hätte ausdenken können.

Aber reden wir von der überaus gelungenen Produktion, die Regisseur Peter Gruber auf den Weg gebracht hat. Denn „Zu ebener Erde und im ersten Stock“ ist kein leichtes Unterfangen, vieles muss oben und unten parallel ablaufen. Das funktioniert aber prächtig, unterhält bestens und birgt – wie zu erwarten – sozialkritische Pointen der feinsten wie brutalsten Art. Im Ensemble nur Lichtblicke; wollen wir subjektiv jemand herausgreifen, dann Rahel Kislinger als liebenswert starke Salerl.

Fazit: Politikbashing vom Feinsten und beste Theaterunterhaltung. So geht der alte Nestroy. (Thomas Jorda)

Wiener Zeitung, 1. Juli 2018: Bote vom Bundes-Asylamt

Peter Gruber kennt seinen Dichtergott wie kein zweiter. Seit 1973 inszeniert er Jahr für Jahr in Schwechat mit Laien und Semiprofis Nestroy unterm freien Himmel und der Luftverkehrsschneise. Wie dafür geschaffen ist heuer das hohe Bühnenhaus im Hof von Schloss Rothmühle für „Zu ebener Erde und erster Stock“. Oben die Belletage des Millionärs Goldfuchs, an den Wänden die rote Einheitstapete chinesischer Speiselokale und zwei Kaffernbüffeltrophäen; darunter die mit Bananenkartons vollgeräumten Wohn- und Gewerberäume des armen Trödlers Schlucker. Ein halbes Kellergeschoss voll Sperrmüll darunter ist die wackelige Basis für Nestroys misanthropische Versuchsanordnung zur Standescharakterentlarvung. In ausgetüftelter Synchronität sollten sich Oben und Unten austauschen, und Liebe und Zufall in mechanischer Präzision die Armen reich und die Reichen arm machen.

Das beginnt im Unterhaus mit Schwierigkeiten. Wer ist wer in der Großfamilie in Andrea Bernds Schmuddelkulisse? Eine missglückte Familienaufstellung, in welcher bloß die Eckpunkte, Oma und Enkel, prima vista identifizierbar sind. Den beiden Paaren, die zuletzt ihr Glück finden sollen, trieb Spielleiter Gruber allen Schimmer von Zuneigung und Zärtlichkeit aus. Die fein kontrollierte Kleineleute-Behäbigkeit, das melancholische In-sich-Ruhen von Christian Leitgeb ist als komödiantischer Mehrwert heuer aus Schwechat mitzunehmen. Sein schnapsnasiger Tandlergehilfe Damian (1835 die Paraderolle von Wenzel Scholz) mit großen, so ratlosen wie hoffnungsvollen Augen ist mit einer Nervensäge, aufgedonnert wie eine Vorstadtfriseurin, zusammengespannt. Hat die es erst nach oben geschafft, bricht aus ihr die Nutte heraus. Für einen Iraker ist respektvoll der Erfolg sozialer Integration zu melden: Al Kasseir gibt den Adolf, der erfährt, dass er nur ein „angenommenes Kind“ ist. Der Ziehvater schimpft ihn in Rage „Asylanten-Bankert“. Im letzten Moment wird er dem Boten vom „Bundesamt für Asyl“ entrissen. Ein Glücksfall für ihn – und nicht für die Kunst.

Peter Gruber verzerrt mit polemischen Hämmern den Stumpfsinn im Luxus von Goldfuchs und die Raffgier seines Dieners Johann; und ebenso die Untugenden der sauf- und lotteriesüchtigen Parterrepartie. Goldfuchs verschiebt Geld auf die Cayman Islands. Zwei rabiate „blaue“ Schlägertypen rennen mit Siegesgeschrei und schwarz-rot-goldenen Fahnen über die Bühne – was wie Fußball ausschaut und „Anschluss“ meint. Schlagseiten und Seitenschläge, Polizei- und Feuerwehrklamauk finden bei den privilegierten Einheimischen bei der Premiere spontanen Applaus. Im Programmheft aber wirbt Gruber für Nestroy pur ohne Korrektur, Bearbeitung, Überschreibung und Neudeutung.

Dem tückischen Diener Johann, den sich Nestroy für sich erfand, sichert Florian Haslingers herausragende Sprechtechnik die richtige Schärfe. So im Rezept, wie man als Angestellter reich wird: „Man nehme Keckheit, Devotion, Impertinenz, Pfiffigkeit, Egoismus, fünf lange Finger, zwei große Säck’ und ein kleines Gewissen …“ Im Quodlibet in Operettenseligkeit gibt Haslinger dem Ensemble Takt und Tempo vor. 26 Darsteller verbeugen sich zum Schluss. Und Otmar Binder. Mit dünnen Klaviertönen zaubert er disparate Stimmung unters Sternenzelt. (Hans Haider)

Volksblatt, 1. Juli 2018: Kämpferisch auch im 46. Jahr

Auch im 46. Jahr geben sich die Nestroy-Spiele Schwechat kämpferisch: In „Zu ebener Erde und erster Stock“ ging es am Samstagabend bei der Premiere im Hof von Schloss Rothmühle (Rannersdorf) wieder zur Sache. Mit scharfer Sozialkritik und bitterem Humor ist Nestroys Posse ein Stück der Stunde.

Den Running Gag des Abends liefert Oma Schlucker (Sissy Stacher), die nur lesend im Fauteuil sitzt, manchmal aufschreckt – „Wos is?“ – und stets mit der grantigen Antwort „Nix!“ bedacht wird. Als wär’s die gallige Quintessenz des Trubels: Aufregung allenthalben, schließlich Umkehrung der Verhältnisse, letztlich bleibt alles beim Alten – oder es wird gar schlechter.

Just an jenem Tag, an dem in Wien eine gewerkschaftlich organisierte Großkundgebung gegen die Arbeitszeitpläne der Regierung stattfand, und angesichts zu erwartender bundesweiter Betriebsversammlungen, waren inhaltliche Kontexte evident. Im reichen Österreich, ist im Programmheft nachzulesen, beträgt der Anteil armutsgefährdeter Menschen laut Statistik Austria 18,1 Prozent der Bevölkerung.

Da zeigt schon Nestroy: Oben wird geprasst, dass sich die Balken biegen, unten herrschen Armut und Aussichtslosigkeit. Jedoch ist Skepsis da wie dort angebracht: Spekuliert, intrigiert und manipuliert wird oben wie unten. Und wenn die Unteren hinaufkommen, verwandeln sie sich im Handumdrehen in prototypische Neureiche. Von Sozialromantik keine Spur, Rollentausch ändert nicht die Grundstrukturen, lautet die desillusionierende Message.

Langzeitintendant Peter Gruber hat ein weiteres Mal mit seinem aus Profis und Laien durchmischten Ensemble eine schlüssige Inszenierung auf die von Andrea Bernd gestaltete Bühne gestellt, lässt die Handlung perfekt simultan Revue passieren, steuert bissige aktualitätsbezogene Zusatzstrophen für die Couplets bei und verzichtet auch diesmal nicht auf ein launig-opernhaftes Quodlibet im zweiten Teil.

Otmar Binder an den Tasten sorgt für duftige Klänge. Franz Steiner gibt den hochmütigen Spekulanten Goldfuchs, Erwin Leder sein Tandler-Pendant im Erdgeschoß, Bella Rössler dessen resche Sepherl, Florian Haslinger einen betrügerischen Sekretär. Dass das Schwechater Nestroy-Ensemble Jahr für Jahr ohne Gage für die Schauspieler derart vorbildliche Produktionen auf die Beine stellt, darf nicht unerwähnt bleiben. Auch im Kulturbereich gibt’s eben „ebene Erde und ersten Stock“.

Kultur und Wein, 1. Juli 2018: Moral und Fortuna halten sich an keine Stockwerke

Johann Nestroy wird in seiner „Lokalposse“ in drei Aufzügen zu einem Moralisten der Extraklasse. Allein, er kann diesbezüglich nirgends einwandfreies Verhalten verorten, weder unten und schon gar nicht oben, nicht im Haushalt der armen Familie Schlucker und nicht bei Herrn von Goldfuchs, der mit seinem Geld nur so um sich wirft. Es wär’ aber nicht Nestroy, fände er nicht einen Ausweg aus dieser allgemeinen Verderbtheit. Er verteilt demokratisch Eigenschaften wie Dummheit, Verschlagenheit, Gier und Naivität an die Beteiligten. Damit stattet er seine Figuren in üppigem Maße aus und macht sie so allzu menschlich, damit sich jeder im Publikum ganz leicht mit einer von ihnen identifizieren kann, so er einigermaßen ehrlich zu sich selbst ist. Bevor einer sich aber an der Nasen nimmt, lacht er lieber über die Vertrauensseligkeit des Goldfuchs, wenn sich sein Sekretär Johann ohne viel Zurückhaltung an seinem Geld bereichert, oder über den Damian, der lieber säuft und sich als Othello aufführt, statt sich seinem lieben Salerl ernsthaft zuzuwenden.

Der Schlucker selbst (Erwin Leder), ein erfolgloser Tandler, ist Opportunist von hohen Graden und trotzdem kein übler Kerl. Vor vielen Jahren hat er den „Asylantenbankert“ Adolf (Al Kasseir) neben einer Schar eigener Kinder an Sohnes statt angenommen und großgezogen. Dass der sich gerade in das Töchterl vom Stock darüber verliebt und sie, die Emilie (Ines Cihal), sich in ihn, stellt die beiden eigentlich außerhalb aller moralischen Fragen. Aber alle anderen können daran ordentlich ihre negativen Eigenschaften abarbeiten und „Zu ebener Erde und erster Stock“ in den Rang einer Parabel für die Unzulänglichkeit des menschlichen Geschlechts erheben.

Nestroys Gralshüter, das Internationale Nestroy Zentrum Schwechat, lässt mit den Nestroy-Spielen unter der Regie von Peter Gruber den wohl schlagfertigsten und in seinem Witz mutigsten Autor des Biedermeier wieder auferstehen. Nestroy selbst soll wegen gewagten Extemporierens in der Rolle des Dieners Johann drei Tage Arrest bekommen haben. Florian Haslinger, der den Sekretär mit den langen Fingern in Schwechat gibt, legt sich in einem Couplet ebenfalls mit den Mächtigen an. Er lässt an der türkisblauen Regierung kein gutes Haar. Ähnlich kritisches Draufgängertum legt auch das freche Salerl (Rahel Kislinger) an den Tag, das sein Leid über persönliches Ungemach und anderweitige Unmenschlichkeiten in angriffigen Pointen beklagt. Der Applaus dafür dürfte beiden aber keineswegs schaden, denn welcher Politiker will nicht karikiert werden. Er wäre sonst ja bedeutungslos. Es besteht auch kaum die Gefahr, dass die schwarze Hanni die Subventionen zensurartig darob kürzen könne, NÖ-Landeshauptfrau wurde ja vorsichtshalber nicht verrissen.

Damit das Glück gleich bataillionsmäßig bei den Schluckers einrücken kann, hat Nestroy den im Grunde gutherzigen Goldfuchs (Franz Steiner) zu einem Spekulanten gemacht. Von der Laune Fortunas in diesem Geschäft kann manch einer ein Lied singen, der von seiner Villa aus direkt in den Knast umgezogen ist. Da ist Hausherr sein schon ein solideres Gewerbe. Herr Zins (Bruno Reichert) kann’s so besehen am Ende sogar gelassen hinnehmen, dass ihm der letztlich märchenhaft wohlhabend gewordene Adolf die als Ehefrau geplante Emilie ausspannt. Übrigens, das Quartett Johann und Salerl unten und der auf amourösen Abwegen befindliche Damian (Christian Leutgeb) und Zofe Fanny (Elisabeth Spiwak) oben ist ein Ohrenschmaus. Chapeau den vier Darstellern, die auf zwei Ebenen zu verdächtig nach Mozart klingender Musik (Klavier: Otmar Binder) virtuos zusammen singen. Kurz gesagt, die Nestroyspiele Schwechat haben mit durchwegs ehrenamtlichen Beteiligten die Tandlerehre voll und ganz rehabilitiert.

Am 30. Juni fand die Premiere von Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ in der Regie des Intendanten Peter Gruber statt.

Am Abend davor sahen sich nach einer Vernissage von Schwechater Künstlern im Schloss Rothmühle u.a. drei Gemeinderäte der FPÖ die Generalprobe an. Beim Couplet des Sekretärs Johann bei Goldfuchs verfasste Peter Gruber Zusatzstrophen, die vom Schauspieler Florian Haslinger vorgetragen wurden.

Unmittelbar danach verließen die FPÖ-Gemeinderäte empört die Vorstellung.

Am Samstag erreichte folgender Brief vom Schwechater FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Zistler die NÖN, welche das Schreiben an Peter Gruber weiterleiteten:

Sehr geehrte Fr. Müller und Hr. Burggraf!
Vergangenen Freitag besuchte ich die Generalprobe des Nestroy-Stückes „Zu ebener Erde und erster Stock“ im Schloss Rothmühle. Leider musste ich die Aufführung zur Pause verlassen. Zu ungeheuerlich war die Darbietung zu Ende der ersten Halbzeit. Zuerst wurde Bundeskanzler Kurz durch den Kakao gezogen und dann wurde es richtig tief. Ein Schauspieler bezeichnete die türkis/blaue Bundesregierung als großteils braun. Damit nicht genug folgte darauf der Hitlergruß und zwei betrunkene Schauspieler torkelten mit Deutschland-Fahnen zum FPÖ-Lied  … Immer wieder Österreich … über die Bühne. Was dem Regisseur da eingefallen ist ein Nestroy-Stück derartig zu verhunzen und mit linkslinken Blödheiten zu missbrauchen, kann ich mir nicht erklären. Immerhin werden die Nestroy-Spiele mit den Steuergeldern der Schwechater Bevölkerung subventioniert, und das nicht zu wenig. Falls diese Passagen nicht umgehend entfernt werden und eine Entschuldigung der Verantwortlichen folgt, wird die FPÖ-SCHWECHAT zukünftig keinen Geldern mehr für die Nestroy-Spiele zustimmen.
Liebe Grüße, GR KO FPÖ-SCHWECHAT Wolfgang Zistler

Peter Gruber schließt sowohl eine Textänderung als auch eine Entschuldigung selbstverständlich aus.

Hier einige Links zu den Medienreaktionen

Solidaritätserklärung anderer Intendanten und Spielorte

Aufgrund von ihm politisch nicht genehmen, regierungskritischen Couplets bei den Nestroyspielen Schwechat verknüpft FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Zistler die Änderung strittiger Passagen mit der finanziellen Unterstützung der öffentlichen Hand.

Die unten unterzeichnenden Intendanten und Geschäftsführer NÖ Festspielorte verwehren sich gegen diesen Angriff auf die künstlerische Freiheit und den Versuch, Förderungsmittel von willfährigen und genehmen Verhalten und Texten abhängig zu machen.

Wir können dies nicht bloß als Meinungsäußerung eines Regionalpolitikers abtun und wollen hier den Anfängen einer Klimaveränderung in der Meinungs- und Äußerungsfreiheit entgegentreten. Wir wollen mit Nestroy selbst antworten:

„Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, dass sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.“

Mehr ist dazu nicht zu sagen.

  • Christian Dolezal, Theatersommer Haag
  • Andrea Eckert
  • Alexander Hauer, Sommerspiele Melk
  • Adi Hirschal, Kultursommer Laxenburg
  • Peter Hofbauer, Festival Schloss Weitra
  • Alexander Löffler, Festival Retz
  • Michael Rosenberg, Filmhof Wein4tel Asparn/Zaya
  • Kristina Sprenger
  • Gerhard Stubauer, Theatersommer Haag
  • Zeno Stanek, Festspiele Stockerau
  • Monika Steiner, Festival Retz
  • Michael Sturminger und Ensemble, Sommerspiele Perchtoldsdorf
  • Elisabeth Weigand, Sommerspiele Melk