Mein Freund

Posse mit Gesang in 3 Acten und einem Vorspiel
Entwurftitel
Die Tugend siegt, das Laster unterliegt
Uraufführung
4. April 1851 Carl-Theater (33 Aufführungen bis 1858. Erster großer Erfolg seit „Freiheit in Krähwinkel“, 1848)
Nestroy-Rolle
Schlicht, Faktor in einer Druckerei (Rollenverzeichnis 764)
Musik
Carl Franz Stenzl
Nachweise: Hilmar S. 70
HKA Stücke 30, S. 173–187
Vorlage
Michel Masson: Albertine (Roman, Paris 1838
dt. Übers. 1846)
weitere Quelle: Boulé, Rimbaut et Dupré: Émery le négociant (Drama, Paris 1842)
vgl. HKA Stücke 30, S. 173–187, und Walla 2001
Überlieferung
Gladt S. 40–44
Hadamowsky 1934, S. 144
SW Bd. 8, S.393–445
GW Bd. 5, S. 714–716
HKA Stücke 30, S. 160–510
Musik (erhältlich)
Literatur
HKA Stücke 30, S. 2 f.
Aust, Hugo: Possendramaturgie des Paares. Zu Nestroys Mein Freund. Nestroyana 8 (1988) S. 29–38
Gruber, Peter: Ein brillanter Ausgang? Überlegungen zu Mein Freund. Nestroyana 18 (1998) S. 53–58. Koning, Henk J.: „Ihr‘ Frau könnt’ auch was anders tun
auf d’Wirtschaft schaun, was nähen, wär‘ g’scheiter als Bücher lesen“. Leihbibliothek und Lektüre in Nestroys Mein Freund, Nestroyana 18 (1998) S. 106–114
Walla, Fred: „Des Kaufmanns und des Gatten Ehre“. Paul Lacroix als Quelle für Nestroys Der alte Mann mit der jungen Frau und Mein Freund. Nestroyana 21 (2001) [im Druck]
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HKA
Spaltner Besitzer einer Buchdruckerei
Fanny seine Tochter
Julius Flint erster Faktor
Schlicht zweiter Faktor, beide in Spaltners Buchdruckerei
Hochinger ein Maurer
Theres dessen Gattin
Marie beider Tochter
Hummer Besitzer einer Leihbibliothek
Schippl dessen Ladendiener
Stein Juwelier
Frau von Stein dessen zweite Frau
Clementine Steins Tochter aus erster Ehe
Madame Sauvegarde Clementines Begleiterin
Anton Bedienter
Lisette Stubenmädchen, beide in Steins Haus
Felber Schreiber in einem Ankunftsbureau
Ein Bedienter
Ein Stubenmädchen
Eine Köchin
Stutzl ein kleiner Junge
Jacob Hausknecht bei Hummer
Traiteur im Kasino
Ein Herr
Kogl ein Kalkbauer
Eva dessen Weib
Toni beider Tochter
Damen und Herren der Casino-Gesellschaft

Das Vorspiel spielt in Spaltners Hause in einer Provinzstadt. Das Stück geht in der Hauptstadt vor und spielt um sechs Jahre später als das Vorspiel.

Vorspiel

Zu Spaltners Bedauern verläßt Julius die Buchdruckerei, um sich selbständig zu machen. – Auftrittslied Schlicht Vorspiel, 3 (R: „Das wär’ so a Stoff jetzt, allein ich verschluck’s, / ’s kennt ja so jeder Mensch die Geschichte des Druck’s.“). – Spaltner möchte Schlicht seine Buchdruckerei übertragen und ihm seine Tochter Fanny zur Frau geben. Doch Schlicht lehnt ab, da er eine andere Frau liebt. Zwar grollt Spaltner ihm nicht, dennoch nimmt er Schlicht das Versprechen ab, aus der Stadt fortzugehen, damit Fanny ihn nicht mehr zu Gesicht bekommt. Großzügig bietet Spaltner Schlicht ein Darlehen an, das dieser ablehnt, zumal Julius ihm dazu rät. Er bittet seinen Freund Julius, seiner geliebten Amalie einen Abschiedsbrief zu bringen. Angeblich in Schlichts Namen bittet Julius Spaltner um das Darlehen und legt einen gefälschten Wechsel über 2.000 Gulden vor. Gerne bezahlt Spaltner das Geld, ist allerdings höchst verwundert, als ihn Schlicht, der es sich anders überlegt hat, kurze Zeit später ebenfalls um das Darlehen bittet. Als Schlicht hört, daß Julius das Geld bereits geholt hat, vertauscht er in einem unbeobachteten Moment den falschen Wechsel gegen einen richtigen und geht. Zwar ist er enttäuscht, daß Julius ihn auf diese Weise hintergangen hat, doch ist er sich sicher: „[…] ich werd noch Freuden, viel Freuden erleb’n an diesem Freund.“

1. Akt

Schippl ist verärgert, weil Marie seit ihrer Anstellung für mehr Kundschaft in der Leihbibliothek sorgt. Er erzählt Theres, Marie habe sich bei der Arbeit in Baron Hohenfint verliebt, und empfiehlt ihr, ihre Tochter aus der Anstellung zu nehmen. Die Familie Hochinger ist sehr erfreut, den seit langen Jahren nicht gesehenen Vetter Schlicht begrüßen zu können. Hochinger, stets bemüht, die Armut der Familie nicht merken zu lassen, bietet ihm großzügig eine Unterkunft an. Dennoch erkennt Schlicht die wahren Verhältnisse und versichert Theres, er sei nicht auf „blutsverwandtschaftliche Brandschatzung“ aus. Unter vier Augen erzählt Schlicht von seiner unglücklichen Liebe zu Amalie, die er vor sechs Jahren zurückließ. Zwei Wochen nach der Trennung hatte sein Freund Julius Fint ihm geschrieben, Amalie habe eine andere Wahl getroffen. Bei Hummer erhält Schlicht eine Anstellung als Geschäftsführer. Darüber ist Schippl sehr verärgert, zumal Hummer ihn wegen seines unfreundlichen Verhaltens gegenüber der Kundschaft zurechtweist. Marie warnt Schlicht vor der Feindschaft des Ladendieners, doch Schlicht sagt: „[…] ich hab’ einmal einen Freund g’habt, und seitdem hab’ ich gar keinen Abscheu mehr vor die Feind!“ Clementine hält die Bibliothek für einen geeigneten Ort, um mit ihrem Geliebten Julius ein heimliches Gespräch zu führen, doch Julius fühlt sich von Marie beobachtet. Clementine möchte wissen, ob sie zum Casinoball mit oder ohne Schmuck erscheinen soll. Sie verabreden, daß sie am nächsten Tag auf Maries Haarschleife achten soll. Ist sie blau, soll sie ohne Schmuck, ist sie rot, mit Schmuck erscheinen. Nach Clementines Weggang versichert Julius Marie, nur sie allein zu lieben. Er wünsche sich aber, daß sie eine rote Schleife im Haar trage, weil sie seiner verstorbenen Schwester dann so ähnlich sehe. Gerne ist Marie dazu bereit. Schippl warnt Marie vor dem angeblichen Baron, doch sie glaubt ihm nicht. Besorgt erkundigen sich Herr und Frau von Stein in der Bibliothek nach dem Verhältnis zwischen ihrer Tochter und Baron Hohenfint. Mit Erstaunen erkennt Schlicht in Frau von Stein seine geliebte Amalie. Sie verspricht, ihm bei einem geheimen Treffen alles zu erklären. Sie verabreden, von Schippl unbemerkt belauscht, daß Amalie noch am selben Tag ein Buch holen läßt, auf dessen letztes Blatt Schlicht einen Plan für ein Treffen schreiben soll.

2. Akt

Schippl erscheint in Steins Haus. Clementine vermutet, er wolle ihrem Vater von ihrem Verhältnis mit Baron Hohenfint berichten, und bezahlt ihm ein hohes Schweigegeld. Tatsächlich jedoch verrät Schippl Herrn von Stein die heimliche Verabredung zwischen Amalie und Schlicht. Unterdessen hat Amalie die verborgene Botschaft erhalten und schickt Lisette mit dem Buch und einem Brief, in dem sie Schlicht bittet, zu ihr zu kommen, zur Leihbiliothek. Noch im Haus wird Lisette von Stein aufgehalten. Er liest auf der letzten Seite, daß Schlicht Amalie um ein Treffen am Abend bei Hochinger bittet. Den Brief entdeckt er nicht. Wütend will Stein sofort seine Frau zur Rede stellen, doch Schippl beruhigt ihn und empfiehlt, bis zum Abend zu warten. Heimlich bringt Lisette Schlicht zu Amalie. Sie erzählt, daß Julius ihr seinerzeit versichert habe, Schlicht habe eine andere Liebe gefunden. Deshalb habe sie dem Drängen ihres Vaters nachgegeben und den verwitweten Stein geheiratet. Zu ihrer Verwunderung reagiert Schlicht scheinbar ungerührt auf diese Enthüllung. Amalie bittet ihn, nicht wiederzukommen, und wünscht ihm, daß sein „Lebensweg sich friedlicher gestalten möge“ als der ihre. Nüchtern stellt Schlicht fest: „Item, mit diesem Glückwunsch schließt sich unsere im Beginn so vielversprechende Idylle gleich einem Roman, dessen Verfasser zwischen dem ersten und zweiten Band gestorben ist […]“. Bei Hochinger schüttet Schlicht sein Herz aus, weil ihn die Begegnung mit Amalie doch tief berührt hat. Unterdessen hat Julius um Maries Hand angehalten. Ihr Vater würde sich jedoch Schlicht als Schwiegersohn wünschen. Nach seiner Erfahrung mit Amalie kommt für Schlicht aber eine neue Beziehung nicht in Frage. Marie hat den Verdacht, daß Julius und Schlicht sich kennen. Schlicht leugnet das entschieden ab, und Julius geht darauf ein. Stein stellt Schlicht über das geplante Rendezvous zur Rede, aber Schlicht versichert, Amalie habe das Treffen entschieden abgelehnt. Aus Wut über Schlichts Verhalten droht Stein ihm Prügel an, Hummer kündigt ihm die Stellung, und Hochinger weist ihn aus seinem Haus. Einsichtig nimmt Schlicht alles hin und verspricht, die Stadt in einer halben Stunde zu verlassen. – Couplet Schlicht II, 20 (R: „Ja hat denn die Sprach da kein anderes Wort“). – Bei dem abendlichen Ball kann Julius die über und über mit Juwelen geschmückte Clementine zur gemeinsamen Flucht bewegen. Er schickt sie mit Schippl, der ihm seine Dienste angeboten hat, zu befreundeten Landleuten nach Finsterbach und verspricht, selbst in einer Stunde nachzureisen. Unerwartet tritt Schlicht dem halbwegs siegesgewissen Julius in den Weg und hält ihm vor, ihn um Amalies Liebe gebracht zu haben. Doch Julius, nie um eine Antwort verlegen, erklärt, ganz im Sinne seines Freundes gehandelt zu haben, da Amalies Vater seine Einwilligung zu der Hochzeit sowieso verweigert hätte. Als Schlicht ihm den gefälschten Wechsel vorhält, spricht Julius von „jugendlicher Unbesonnenheit“ und bietet an, den Wechsel zu begleichen. Doch Schlicht behält den Wechsel, weil er auf diese Weise Julius’ „moralischen Tod im Sack“ habe. Er verlangt, daß Julius, wenn er Marie heiratet, sie glücklich macht. Sollte dies nicht der Fall sein, werde er zurückkehren. Beruhigt hört Julius von Schlichts Reiseplänen. In diesem Augenblick schlägt Stein Alarm, weil er das Verschwinden seiner Tochter mitsamt den 100.000 Gulden teuren Brillanten bemerkt hat. Zwar fällt sein Verdacht auf der Stelle auf Julius, doch dieser ist nicht nur selbst anwesend, sondern erklärt auch öffentlich, er werde ein Mädchen von niederem Stand heiraten. Stein ist verzweifelt.

3. Akt

Clementine ist überglücklich, als Julius endlich in Finsterbach eintrifft. Großzügig bezahlt er die Familie Kogl für ihre Dienste, zumal Clementine noch einen Tag bei ihnen verbringen soll. Julius will in die Stadt zurück, um alle Verdächtigungen von sich abzulenken und eine sichere Flucht zu ermöglichen. Da er keine Ruhe habe, bevor er Stein nicht Clementines Schmuck zurückgebracht habe, bittet er seine Geliebte, ihm die Brillanten auszuhändigen. Schippl macht Toni Avancen, ohne zu merken, daß sie sich über ihn lustig macht. Schließlich gibt sie ihre Abneigung offen zu, was Schippl tief beleidigt. – Duett Schippl, Toni III, 5. – Schlicht eröffnet Schippl, daß es Julius um einen Diamantenraub geht und Schippl als Helfer mit einigen Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. Unter diesen Umständen ist Schippl gerne bereit, Schlicht zu helfen. In einem, wie er meint, unbeobachteten Moment versenkt Julius das Kästchen mit den Juwelen in einem hohlen Baum, doch nach seinem Weggang holt Schlicht es wieder heraus. In Hummers Haus freuen sich unterdessen Hochinger, Theres und Marie auf die bevorstehende Hochzeit. Als Julius endlich erscheint, wirft er Marie Untreue vor, läßt die Feierlichkeiten abbrechen und stürzt wütend aus dem Raum. Ohnmächtig sinkt Marie inmitten der empörten Gäste auf einen Stuhl. Sogleich bekommt Steins Verdacht gegen Julius neue Nahrung. Er hält Julius’ Gründe für vorgeschoben. Unter diesem Druck gesteht Julius scheinbar zerknirscht, einen Fehler gemacht zu haben, und bittet Marie auf Knien um Verzeihung und Versöhnung. Die Trauung soll auf der Stelle stattfinden. Doch in diesem Augenblick führt Schlicht Clementine herein. Er überreicht Stein die Juwelen. Um Marie zu schützen, berichtet Schlicht in kurzen Worten von Julius’ Untaten. Mit einem Schrei stürzt Marie in die Arme ihrer Mutter. Noch glaubt Julius, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können, und droht Schlicht mit einer behördlichen Untersuchung. Doch Stein hat bereits den Gerichtskommissär herbeigerufen. Nun ist auch Julius klar, daß seine Sache verloren ist. Stein entschuldigt sich bei Schlicht und gibt ihm 10.000 Gulden, die zur Belohnung ausgesetzt waren. Auch bei Hochinger ist Schlicht wieder wohl gelitten. Schlicht will das Geld Marie für ihre Aussteuer schenken. Hochinger macht den Vorschlag, daß Schlicht selbst das Mädchen heiraten soll. Gutmütig stimmt Schlicht zu: „Ich –? Ja, mein Gott – ich hilf ja gern, wo’s nötig ist.“ Man einigt sich, zunächst Stillschweigen über dieses Vorhaben zu bewahren und Marie einige Wochen Zeit zu geben. Auch Schippl geht nicht leer aus: Gegen eine kleine Zulage nimmt er seine Arbeit bei Hummer wieder auf und stellt zufrieden fest: „[…] – mag auch an der G’schicht manches zu tadeln sein, den Ausgang find ich brillant.“