Lady und Schneider

Posse mit Gesang in zwei Acten
Entwurftitel
Der Mann an der Spitze
Uraufführung
6. Februar 1849, Carl-Theater (6 Aufführungen)
Nestroy-Rolle
Hyginus Heugeign (Rollenverzeichnis 739)
Musik
[Michael Hebenstreit], nicht erhalten
Vorlage
Laut Theaterzettel „teilweise dem Französischen entnommen“
vgl. HKA Stücke 26/II, S. 163–170
Überlieferung
Gladt S. 55–57
Hadamowsky 1934, S. 191
SW Bd. 5, S. 642–679
GW Bd. 5, S. 699f.
HKA Stücke 26/II, S. 153–291
Werkausgaben (Stücktext)
CG Bd. 6, S. 203–254
SW Bd. 5, S. 215–312
GW Bd. 5, S. 135–216
HKA Stücke 26/II (Hg.: McKenzie), S. 5–80
Literatur
HKA Stücke 26/II, S. 3f.
McKenzie, John: Les Mystères de Lady und Schneider: Johann Nestroy und Eugène Sue. Nestroyana 11 (1991), S. 51–66
NESTROY Spiele Schwechat
HKA
Graf von Hohenstern
Friedrich
Paul seine Söhne
Lady Bridewell Witwe
Lord Atworth ihr Oheim
Baronin von Kargenhausen
Adele ihre Tochter
Fuchs Sekretär der Baronin
Miß Kemble Kammerfrau der Lady
Jean Bedienter des Grafen Paul
Georg Bedienter im gräflichen Schloß
Restl ein alter Schneider
Linerl seine Tochter
Schneider Linerls Bräutigam
Fingerhut
Biegelscheer Schneidergesellen
[Ballgäste]
[Lakais]
[Musiker]

Die Handlung spielt in einer Provinzstadt und in dem Schlosse der Lady.

 

1. Akt

Graf Hohenstern redet seinem Sohn ins Gewissen, damit er nicht, wie bereits dreimal zuvor, das Zustandekommen einer guten Partie durch anderweitige Verhältnisse vereitelt. Ansonsten werde Friedrich enterbt und sein Bruder Paul zum Bevorrechtigten. Friedrich gelobt Besserung und versichert, Lady Bridewell von ganzem Herzen zu lieben. Um diese Heirat zu verhindern, haben Fuchs und die Baronin von Kargenhausen eine Intrige gesponnen, denn Paul unterhält eine Beziehung zu Adele.

Überraschenderweise hat Restl den Auftrag bekommen, für einen Kostümball ein Feenkleid zu schneidern. Es soll sein letztes Stück sein, bevor er sich zur Ruhe setzt und das Geschäft seinem Schwiegersohn Heugeign übergibt. In zwei Tagen soll dessen Hochzeit mit Linerl stattfinden. – Auftrittslied Heugeign I, 8 („Ich bin, was is weiter“). – Äußerst eifersüchtig reagiert Heugeign, als Linerl ihm gesteht, Friedrich bereits einmal gesehen zu haben. Es gelingt ihr jedoch, ihn von ihrer völligen Unschuld zu überzeugen. Doch obwohl Heugeign Linerl „einen Engel“ nennt, klagt diese: „Dein Gott bleibt doch nur die Politik.“ Wirklich hat Heugeign beschlossen, nicht mehr als Schneider zu arbeiten, sondern sich nur noch der Politik zu widmen. Er fühlt sich als Künstler in seinem Beruf nicht ausreichend beachtet und strebt danach, eine führende politische Persönlichkeit zu werden. Die politische Partei oder Richtung ist ihm dabei nebensächlich. Linerl und Restl sind über seine Ambitionen beunruhigt.

Als Auftraggeberin für das Feenkostüm erscheint Lady Bridewell in Begleitung von Atworth in Restls Laden. Sie hat das Kleid bei diesem unbekannten Schneider in Auftrag gegeben, damit niemand vor dem Ball davon Kenntnis bekommt. Während der Anprobe entdeckt Jean den Wagen der Lady vor dem Laden und informiert Paul darüber. Umgehend verlangt Paul von Restl Auskunft über die fremde Dame. Restl verweist ihn auf Heugeign. Fuchs macht Paul den Vorschlag, nicht nur die Beziehung von Lady Bridewell zu Friedrich zu hintertreiben, sondern gleichzeitig für eine Mesalliance zu sorgen. Ohne das Mädchen näher zu kennen, kommt ihnen das kurze Zusammentreffen von Linerl und Friedrich in den Sinn. Von Paul erhält Heugeign eine Börse mit Dukaten und den Auftrag, die Dame im Nebenzimmer möglichst geschmacklos zu kostümieren. Zwar nimmt Heugeign das Geld an, doch sein Schneiderstolz verbietet es ihm, das Verlangte zu liefern. Um Zugang zum Nebenzimmer zu erlangen, läßt Paul sich ein fingiertes Billett überreichen, in dem behauptet wird, seine Verlobte Adele befinde sich bei diesem Schneider. Zu Atworths Erleichterung meldet Heugeign, die Dame sei unbemerkt abgefahren. Um ein Haar hätte der unbedarfte Restl die Lady noch verraten, doch im letzten Moment rettet Heugeign die Situation durch seine Schlagfertigkeit. Erst im nachhinein erfährt Heugeign die Identität seiner reichen Kundin. Sofort ist er fest davon überzeugt, daß man seine Genialität prüfen wollte, denn man habe „höhere staatspolitische Zwecke“ für ihn. Heugeign beschließt, auf den Ball zu gehen, um als Schneider des aufsehenerregenden Kostüms auf der Stelle Karriere zu machen.

Auf dem Ball erscheint Adele in einem Kleid, das zunächst die Lady tragen wollte. Somit glaubt sie die Konkurrentin zu einem weniger geeigneten Kostüm gezwungen zu haben. Alles wartet gespannt auf das Eintreffen von Lady Bridewell. Paul, der sie bereits in der Vorhalle sieht, kann sich über das Kostüm kaum halten vor Lachen. Er ist überzeugt, daß Heugeign seinen Auftrag ausgeführt hat, und belohnt ihn großzügig. Auch Atworth hält das Kleid für häßlich und ist außer sich vor Wut. Doch wider Erwarten erntet die Lady bei Friedrich und den Ballgästen großen Beifall. Verärgert verläßt die Baronin den Ball. Paul ist wütend. Atworth dagegen ist überglücklich. Heugeign läßt sich von Lakaien auf den Schultern in den Saal tragen. Dort wird der Schöpfer des Kleides von allen Seiten umjubelt.

2. Akt

In Restls Schneiderladen gehen unzählige Bestellungen hochgestellter Persönlichkeiten ein, doch angesichts der fortschreitenden Revolution verweigern die Gesellen die Arbeit. Zudem hat Heugeign ihnen die Abschaffung der Arbeit versprochen, sobald er die Macht habe. Unerwartet erscheinen Fuchs und Paul bei Linerl. Dem erschrockenen Mädchen erzählen sie, ihr Bräutigam sei durch seine politischen Umtriebe in eine lebensgefährliche Situation geraten, aus der nur sie ihn durch eine Fürsprache bei Friedrich retten könne. Friedrich wurde erzählt, die Lady halte auf ihrem Schloß Rosenburg ein Mädchen aus Eifersucht gefangen. Zudem wurde ihm eine Aufforderung zu einem nächtlichen Rendezvous übergeben. Gleichzeitig tragen Adele und ihre Mutter Lady Bridewell zu, daß Friedrich sich in Föhrenburg aufhalte, um dort eine „Teichenauer Schönheit“ zu treffen. Wie erwartet will die Lady umgehend abreisen, um sich selbst von der Untreue ihres Zukünftigen zu überzeugen. Zuvor ernennt sie Heugeign noch zum Inspektor ihrer Garderobe, doch der Schneider hat nach wie vor höhere Ziele und lehnt das großzügige Angebot ab.

Unter Androhung von Gewalt zwingt Fuchs Heugeign, die junge Frau herzurichten, mit der sich Friedrich treffen soll. Zunächst bleibt Heugeign standhaft, doch dann gelangt er zu der Überzeugung, man wolle eine Prüfung seines Mutes haben, denn „wer unter Dolchen Maß nimmt, der könne auch im Kugeldonner Regierungsplane machen.“ In der vermummten Gestalt, mit der er kein Wort wechseln darf, erkennt Heugeign seine Braut nicht, obwohl ihre Maße ihn an sie erinnern. Nachdem Linerl weggeführt wurde, erhält Heugeign den Befehl, ihr in zwei Stunden ein Kostüm wie das der Lady zu schneidern. Er beschließt, einfach das vorhandene Kostüm zu ändern. Während er noch nachdenkt, trifft er unerwartet auf Lady Bridewell, die durch einen Eilboten einen Brief erhielt, in dem Atworth sie über das Komplott unterrichtet. Bereitwillig läßt Miß Kemble Heugeign das Billett lesen. Als er Linerls Namen findet, sinkt er ohnmächtig zurück. Nachdem er sich erholt hat, liest Heugeign in dem Billett nach, wie sich das arrangierte Treffen abspielen soll. – Lied Heugeign II, 17 (R: „Da hört es auf ein Vergnügen zu seyn.“). – Ohne voneinaner zu wissen und ohne sich gegenseitig zu erkennen, erscheinen Heugeign für Friedrich und Lady Bridewell für Linerl bei der arrangierten Verabredung. Tief enttäuscht glauben beide, ihren Partner bei einer Untreue ertappt zu haben. Beide Beziehungen scheinen für immer zerstört. In der Zwischenzeit hat Restl über Umwege erfahren, wo Linerl sich befindet. Heimlich hat er sich in den Schloßgarten geschlichen, wo er auf Heugeign trifft, der ihm von Linerls Untreue erzählt. Damit Restl sich frei bewegen kann, gibt Heugeign ihm Mantel, Hut und Maske, die er für die Rolle des Friedrich benutzte. Von Linerl und Lady Bridewell erfährt Heugeign endlich die Wahrheit über das Rendezvous. Kurz darauf müssen Miß Kemble und die Lady durch Friedrichs Ankunft feststellen, daß offenbar eine unbekannte Person Friedrichs Rolle bei dem Stelldichein übernommen hatte. Sofort wird nach dem Täter gefahndet. Der Verdacht fällt auf Restl. Linerl hatte am Ort des Treffens Heugeigns Fingerhut gefunden und ist sich damit über die gesuchte Person im klaren. Doch bevor sie Heugeign verklagt, um ihren Vater zu retten, erscheint Atworth. Er ist der festen Überzeugung, in Fuchs den Schuldigen gefunden zu haben. Da Heugeign Fuchs dieses Mißverständnis gönnt, läßt er die wahre Begebenheit ungeklärt. Friedrich selbst war nur angereist, um Lady Bridewell sobald wie möglich zu heiraten. Enttäuscht darüber, daß man keine höheren politischen Ziele für ihn hatte, verspricht Heugeign seinem Schwiegervater und seiner Braut, sich fortan nur noch dem Schneiderhandwerk zu widmen.