Häuptling Abendwind

oder Das gräuliche Festmahl

Operette in 1 Act
Uraufführung
1. Februar 1862, Quai-Theater (5 Aufführungen)
Nestroy-Rolle
Häuptling Abendwind der Sanfte (Rollenverzeichnis 873)
Musik
Jacques Offenbach
Nachweise: Hilmar S. 90 f.
HKA Stücke 38, S. 213 f. u. S. 218–288
Vorlage
Jacques Offenbach: Vent du Soir ou L’horrible festin. Operette à Spectacle en un acte. Paroles de M. Ph. Gille (Paris 1858)
Überlieferung
Gladt S. 28
SW Bd. 14, S. 736–744
GW Bd. 6, S. 741
HKA Stücke 38, S. 147–194
Werkausgaben (Stücktext)
SW Bd. 14, S. 565–618
GW Bd. 6, S. 483–525
HKA Stücke 38 (Hg.: Branscombe), S. 41–79
Musik (erhältlich)
Literatur
HKA Stücke 38, S. 38 f.
Hillach
Neuber
Gulielmetti Angela: Häuptling Abendwind und Präsident Abendwind. Nestroy und Elfriede Jelinek. Nestroyana 17 (1997), S. 39–49
Lajarrige, Jacques: Formation et approbation d’un mythe: Le cannibalisme et la littérature autrichienne de Nestroy à Jelinek. Cahiers d’études germaniques 26 (1994), S. 151–162
Mojem, Helmuth: Unedle Zivilisierte. Zur Zielrichtung der Satire in Nestroys Häuptling Abendwind. Jb. d. dt. Schillerges. 40 (1996), S. 276–296
Obermaier, Walter: Johann Nestroys Häuptling Abendwind – Offenbachrezeption und satirisches Element. Nestroyana 5 (1983/84), S. 49–58
Pape, Walter: Vom Gedächtnißmahl zum gräulichen Festmahl: Kannibalismus als Metapher und Motiv bei Nestroy, Novalis und Kleist. In: Romantik und Volksliteratur: Beiträge zum Wuppertaler Kolloquium zu Ehren von Heinz Rölleke, hg. von Lothar Bluhm, Achim Hölter, Heidelberg 1999, S. 145–160
Spohr, Mathias: Häuptling Abendwind. Nestroys Entgegnung auf das kulturelle Umfeld der Pariser Operette. Nestroyana 9 (1989), S. 17–21
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Abendwind der Sanfte Häuptling der Groß-Lulu
Atala seine Tochter
Biberhahn der Heftige Häuptling der Papatutu
Arthur ein Fremdling
Ho-Gu Koch bei Abendwind
1. u. 2. Groß-Luluerer
Groß-Luluerer und Papatutaner

Schauplatz: eine der fernsten Inseln in Australien.

 

Inhalt

Häuptling Abendwind erwartet Biberhahns Besuch. Zu dieser Gelegenheit soll es ein Festmahl geben. Allerdings hatten die Groß-Luluerer in der letzten Zeit kein Jagdglück. Es gibt auch keine Gefangenen, die man anbieten könnte. – Romanze Atala, 2 (R: „In süßen Traum, / Geliebtes Kind, / Wiegt dich der Baum, / Schlaf’ ein geschwind.“). – Der Friseur Arthur betrachtet gerade die prächtige Umgebung der Insel, als er auf Atala trifft. – Couplet und Duett Atala, Arthur, 3: Arthur versucht, durch seinen Beruf Anerkennung bei Atala zu finden. Als ihm dies nicht gelingt, zeigt er ihr seine Spieluhr, die er an einer Uhrkette bei sich trägt. Die Musik gefällt Atala. Vertrauensvoll erzählt Arthur Atala seine Lebensgeschichte: Seine Eltern und seinen Geburtsort kennt er nicht. Er ist bei einem Ziehvater aufgewachsen und hat Friseur gelernt. Vor einigen Wochen gab ihm dieser Mann den Befehl, zu einer bestimmten Südseeinsel zu reisen, auf der er Auskunft über seine Herkunft erhalten soll. Vor der Insel der Groß-Luluerer hat er jedoch Schiffbruch erlitten und wurde an den Strand gespült. Atala und Arthur verspüren eine Zuneigung füreinander. Sogleich beschließt Arthur, für immer auf der Insel zu bleiben. Doch Atala warnt ihn vor den heimischen Gesetzen, nach denen sie beide zum Tode verurteilt würden. Dringend bittet sie Arthur, sich zu verstecken. Unterdessen ist Abendwind in einer schwierigen Situation, weil er noch immer kein Essen auftreiben konnte. Nun fürchtet er, den Regeln der Gastfreundschaft nicht gerecht werden zu können und damit die Allianz mit den Papatutuanern zu gefährden. Keck wagt sich Arthur aus seinem Versteck, weil er Abendwind für harmlos hält. – Terzett Atala, Arthur, Abendwind, 5: Tatsächlich ist Abendwind sehr erfreut über den Fremden, denn er kann ihm das Festmahl retten. Atala und Arthur mißdeuten seine Zufriedenheit, und Arthur beschließt, gleich nach dem Essen um Atalas Hand anzuhalten. Während Atala über das freundliche Verhalten ihres Vaters staunt, gibt dieser Ho-Gu Anweisungen für die Zubereitung des Fremden. – Ensemble Atala, Abendwind, Biberhahn, 7. – Obwohl sie sich mit freundlichen Worten begegnen, hegen Abendwind und Biberhahn ein großes Mißtrauen gegeneinander. Ohne daß der jeweils andere davon weiß, haben sie sich gegenseitig die Frauen geraubt und verspeist. Ihr gemeinsamer Feind ist jedoch die näherrückende Zivilisation. Biberhahns Insel wurde bereits entdeckt. Nach anfänglichem Zieren läßt Biberhahn sich überreden, zum Essen zu bleiben. – Ensemble Biberhahn, Abendwind, Atala, 7. – Couplet, Biberhahn, 8 (R: „Das heißt leben frey, / So das Kriegsgeschrey / Der Papatutu!“). – Während Biberhahn und Abendwind sich zum Essen setzen, sucht Atala nach Arthur. Auf einer der dargereichten Platten findet Biberhahn einen Kamm. Wenig später erstickt er beinahe an einem großen Brocken und zieht daraufhin eine Uhrkette zwischen den Zähnen hervor. Nach dem Mahl vertraut Biberhahn Abendwind an, daß er stündlich auf die Rückkehr seines Sohnes Arthur warte, für den er um Atalas Hand bitte. Freudig geht Abendwind auf dieses Angebot ein. Atala sorgt sich indessen weiterhin um den Verbleib ihres Freundes. Allein mit Abendwind erzählt Biberhahn von seinem Sohn. Er sei stolz gewesen, einen so schönen, blonden Jungen zu haben. Er habe ihn einem Kapitän mit nach Europa gegeben, damit er dort erzogen werde. Als Erkennungszeichen habe er ihm eine Spieluhr mitgegeben. In diesem Moment kommt Abendwind ein furchtbarer Verdacht. – Duett Abendwind, Biberhahn, 10: Auf einem Foto, das Biberhahn ihm zeigt, erkennt Abendwind den Fremden, den Ho-Gu zur Bereitung des Essens benutzen sollte. Während Abendwind sich vor Biberhahns Rache fürchtet, sorgt der sich um den Verbleib seines Sohnes und seiner Spieluhr, die das Kriegslied der Papatutuaner spielt. Noch überlegt Abendwind, wie er Biberhahn das Verschwinden seines Sohnes erklären soll, da hört man in Biberhahns Magen die Uhr schlagen und spielen. Entsetzt wird Biberhahn die Situation klar. Abendwind muß seine Schuld eingestehen, Biberhahn ruft sein Gefolge zu den Waffen. – Terzett Abendwind, Biberhahn, Atala, 11. – Abendwind läßt den heiligen weißen Bären holen. – Ensemble Biberhahn, Abendwind, Atala, 12. – Der Bär stürzt sich auf Atala und küßt ihr die Hand. Als sie ihn erschrocken von sich stößt, meldet sich unter dem Fell Arthur. Mit einer neuen Frisur hat er Ho-Gu bestochen, so daß dieser den weißen Bären an Arthurs Stelle servierte. Biberhahn will nicht glauben, daß wirklich sein Sohn vor ihm steht, zumal er die Uhr in seinem Magen hört. Doch auch Arthur hört das unverwechselbare Lied und verlangt sein Eigentum zurück. Das überzeugt Biberhahn, und beide schließen sich in die Arme. Zu guter Letzt gestehen sich Biberhahn und Abendwind, gegenseitig die Frauen verspeist zu haben. Somit steht einer Versöhnung und einer Hochzeit von Arthur und Atala nichts mehr im Wege. – Finale Arthur, 13.