Freiheit in Krähwinkel

Posse mit Gesang in 2 Abtheilungen. 1. Abt.: Die Revolution, in 2 Akten. 2. Abt.: Die Reaktion, in 1 Akt
Uraufführung
1. Juli 1848 Carl-Theater (bis 4. Oktober – Einnahme der Stadt durch die Regierungstruppen – 36-mal gespielt. Das Stück verherrlicht die Ideen und Erfolge der Revolution und zeichnet gleichzeitig ein satirisches Bild der kleinsinnigen Nutznießer und engstirnigen Opfer der Revolution)
Nestroy-Rolle
Eberhard Ultra, Journalist (Rollenverzeichnis 735)
Musik
Michael Hebenstreit
Nachweise: Hilmar S. 61 f.
HKA Stücke 26/I, S. 349–356
Vorlage
August von Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter (1802)
Adolf Bäuerle: Die falsche Catalani in Krähwinkel (1818) u. a. Motive
vgl. SW Bd. 5, S. 620 ff.
vgl. HKA Stücke 26/I, S. 86–97
Druck
1849
Überlieferung
Gladt S. 40
Hadamowsky 1934, S. 142
SW Bd. 5, S. 616–641
GW Bd. 5, S. 699
HKA Stücke 26/I, S. 81–337
Werkausgaben (Stücktext)
Chiavacci Bd. 4, S: 7–53
SW Bd. 5, S. 127–213
GW Bd. 5, S. 59–134
HKA Stücke 26/I (Herausgeber: McKenzie), S. 7–77
Musik (erhältlich)
Musik (erhältlich)
Literatur
HKA Stücke 26/I, S. 2–6
Berghaus
Leib
Neuber
Rett
Häusler, Wolfgang: Freiheit in Krähwinkel? Biedermeier, Revolution und Reaktion in satirischer Beleuchtung. Österreich in Geschichte und Literatur 31 (1987), S. 69–111
McKenzie, John, R. P.: Political Satire in Nestroys Freiheit in Krähwinkel. Modern Language Review 75 (1980), S. 322–332
ders.: „Aufgeklärt Occonnelisch, wird Irrland rebellisch.“ Political Songs in Nestroy’s Freiheit in Krähwinkel. In: Peter Skrine et al. (Hg.): Connections. Festschrift in Honour of Eda Sagarra on the Occasion of her 60th Birthday. Stuttgart 1993, S. 169–178
Pütz, Peter: Zwei Krähwinkeliaden 1802/1848. August von Kotzebue, Die deutschen Kleinstädter. Johann Nestroy, Freiheit in Krähwinkel. In: Die deutsche Komödie. Hg. von Walter Hinck, Düsseldorf 1977, S. 175–194 und 285f.
Rey, William H.: Die Komödie der Revolution (Nestroy: Freiheit in Krähwinkel). In: W. H. R.: Deutschland und die Revolution. Der Zerfall der humanistischen Utopie in Theorie und Drama. Bern, Frankfurt/M., New York 1983, S. 166–202
Rothe, Wolfgang: Deutsche Revolutionsdramatik seit Goethe. Darmstadt 1989, S. 65–83
Schmieder, Gerhard: Revolutionäre Entwicklung und ,idealistische‘ Satire: Studien zu Johann Nestroys 48er-Posse Freiheit in Krähwinkel. Diss. Erlangen-Nürnberg 1981
Seeba, Heinrich C.: Die Sprache der Freiheit in Krähwinkel. Anmerkungen zu Nestroys Revolutionssatire. In: Austriaca. Beiträge zur Österreichischen Literatur. Tübingen 1975, S. 127–147
NESTROY Spiele Schwechat
NESTROY Spiele Schwechat
HKA
Bürgermeister und Oberältester von Krähwinkel
Sperling Edler von Spatz
Rummelpuff Kommandant der Krähwinkler Stadtsoldaten
Pfiffspitz Redakteur der Krähwinkler Zeitung
Eberhard Ultra dessen Mitarbeiter
Reakzerl, Edler von Zopfen geheimer Stadtsekretär
Frau von Frankenfrey eine reiche Witwe
Siegmund Siegl
Willibald Wachs subalterne Beamte
Frau Klöppl Witwe
Franz Kellner
Klaus Ratsdiener
Emerenzia seine Gattin
Cecilie seine Tochter
Der Nachtwächter
Walpurga dessen Tochter
Pemperl Klempnermeister
Schabenfellner Kürschnermeister, beide Ratsbeisitzer
Frau Pemperl
Frau Schabenfellner
Babett Pemperls Tochter
Frau von Schnabelbeiß Geheimrätin
Adele ihre Tochter
Eduard Bedienter der Frau von Frankenfrey
Einwohner von Krähwinkel
[Ligorianer]
[Ein Ratsherr]
[Wächter]
1. Akt

Chor I, 1. – In Krähwinkel regt sich, wie in weiten Teilen Europas, die Revolution. Immer offener stellen sich einige Bürger gegen die Staatsgewalt, die vor allem durch den Bürgermeister Klaus und Rummelpuff vorgestellt wird. Mit Mißfallen hört Klaus die freimütigen Reden im Wirtshaus. Besonders Nachtwachter versucht Klaus durch offene Worte zu ärgern und läßt sich auch durch Drohungen nicht beeindrucken. So wie er in der Politik nicht die Zeichen der Zeit erkennt, bemerkt Klaus auch nicht die Beziehung zwischen seiner Tochter Cecilie und Siegmund. Statt dessen ist er der festen Überzeugung, Siegmund sei in Walpurga verliebt und damit ein Nebenbuhler von Willibald. Bereits vor vielen Jahr hat Klaus gelobt, Cecilie in ein Kloster zu schicken, und glaubt sie deshalb über jeden Verdacht erhaben. – Auftrittslied Ultra I, 7 über das „Zopfensystem“. – Als Verfechter der Revolution kommt Ultra nach Krähwinkel. Er zählt die vielen kleinen sogenannten „Freiheiten“ auf, die es vor der Revolution gab. Doch mit der tatsächlichen Freiheit können viele Menschen nicht umgehen und fordern deshalb bereits wieder die Herstellung der alten Verhältnisse. Trotzdem will sich Ultra auch in Krähwinkel für die Revolution einsetzen. Als Pfiffspitz und Ultra sich gerade über die Artikel ihrer nächsten Ausgabe beraten, kommt Klaus hereingestürzt. Das Volk hat ihm seinen Stock, das Zeichen der Prügelstrafe, zerbrochen. Draußen herrscht großer Aufruhr. Sogleich stellt Ultra sich an die Spitze der Menge. Umden unbequemen Ultra still zu stellen, rät Reakzerl, der Bürgermeister solle dem Aufmüpfigen den Posten eines Zensors, verbunden mit einer sehr guten Bezahlung anbieten. Empört lehnt Ultra, der von sich selbst sagt „Ich bin Freiheit durch und durch“, das Angebot ab. Zur Begründung erklärt er: „Ein Censor is ein Menschgewordener Bleysteften oder ein Bleistiftgewordener Mensch.“ Im Büro des Bürgermeisters trifft Ultra auf Frau von Frankenfrey, die ihm offene Sympathie entgegenbringt, sehr zum Entsetzen des Bürgermeisters, der sie als seine Braut auserkoren hat. Frau von Frankenfrey ist in einer Testamentsangelegenheit beim Bürgermeister. Der Prior des Klosters hat das Testament ihres verstorbenen Mannes in den Händen. Sie hofft, der Bürgermeister könne ihr helfen, wieder in den Besitz des Dokumentes zu kommen. Willibald glaubt nicht an einen Erfolg, da sich der Bürgermeister und der Prior gemeinsam bereichern könnten. Verärgert über das aufsässige Benehmen veranlaßt der Bürgermeister, daß Ultra innerhalb von zwei Stunden aus Krähwinkel ausgewiesen wird. Doch Ultra beschließt, den Bürgermeister zu stürzen, zumal er sich in Frau von Frankenfrey verliebt hat. Von Siegmund erfährt Ultra, daß der Bürgermeister auf Klaus und der wiederum den Ligorianern vertraut. Zum Glück kann Ultra dank Willibalds Hilfe auf eine einst gepfändete Theatergarderobe zurückgreifen. Klaus sitzt mit Emerenzia zu Hause. Beide fürchten, die Freiheit könnte über sie hereinbrechen. Als Ligorianer verkleidet tritt Ultra ein. Er gibt vor, der Prior wolle den Bürgermeister kontrollieren. Klaus solle ihm deshalb das erzählen, was der Bürgermeister dem Prior verschwiegen habe. Leutselig berichtet Klaus von einer Anordnung, die, von mehreren Ländern unterschrieben, in der letzten Woche in Krähwinkel eingetroffen sei. Darin würde gefordert, sofort eine Verfassung für Krähwinkel zu proklamieren. Selbstverständlich sei der Bürgermeister dieser Forderung nicht nachgekommen. Stolz weist Klaus darauf hin, daß ihm sofort die fehlende Unterschrift Rußlands aufgefallen sei. Als draußen Unruhe laut wird, verschwindet Ultra. Angsterfüllt kommt der Bürgermeister zu Klaus. Er glaubt, der „Krähwinkler- Jüngstetag“ sei angebrochen, und bittet um ein sicheres Nachtquartier. Während der Nacht wird er von Revolutionsträumen geplagt. Erst mit einer „Wienerzeitung“ unter dem Kopfkissen kann er ruhig schlafen.

2. Akt

Ultra hat sich als russischer Fürst verkleidet. Willibald gibt sich als sein Dolmetscher aus, während Nachtwachter einen Leibeigenen mimt. Freudig wird Ultra durch den Bürgermeister empfangen. Willibald erklärt, der Zar habe von der eingegangenen Anordnung gehört. Um auszuschließen, daß sie in Krähwinkel Anwendung findet, verlangt er die Aushändigung des Papiers. Ultra. Auf der Straße treffen sich Klaus und Siegmund. Klaus rät dem Niedergeschlagenen, endlich zu heiraten. Da er der felsenfesten Überzeugung ist, Walpurga sei Siegmunds Auserwählte, empfiehlt er ihm dringend, mit der Geliebten durchzugehen und so den väterlichen Willen zu brechen. Er selbst wolle bei der Sache behilflich sein. Es wird vereinbart, daß Siegmund das Mädchen an einen Ort bestellt, von dem Klaus es abholen und zu Frau von Frankenfrey bringen wird. Unterdessen ist ein Aufstand der Krähwinkler durch Rummelpuff niedergeschlagen worden. – Chor der Verwundeten II, 13. – In einer Rede bittet der Bürgermeister, „daß das beklagenswerthe Mißverständniß zwischen mir und meinen lieben Krähwincklern baldigst vergessen werde, und die alte Ordnung und Eintracht und Ruhe zurükkehren thuen möge.“ In diesem Moment erscheint Ultra erneut. Dieses Mal ist er als „Abgesandter von der Europäischen Freyheits- und Gleichheits-Commission“ verkleidet. Unter dem Jubel des Volkes verkündet Ultra für Krähwinkel „Rede-Preß- und sonstige Freyheit; Gleichgiltigkeit aller Stände.“ Vor Schreck fällt der Bürgermeister in Ohnmacht.

3. Akt

Bei Frau von Frankenfrey hat sich eine Gesellschaft versammelt, die die neuen Verhältnisse diskutiert. Überraschend tritt Ultra ein. Durch die gewonnene Freiheit kann er sich wieder frei bewegen. Auch der Bürgermeister erscheint. Siegessicher kündigt er noch für denselben Tag die Niederschlagung der Revolution an. Für den nächsten Tag avisiert er seine Hochzeit mit Frau von Frankenfrey, obwohl diese deutlich macht, daß sie ihn keineswegs heiraten wolle. Als der Bürgermeister ihr deutlich macht, daß sie im Fall einer Weigerung ihr Erbe verlieren werde, unterbricht Ultra das Gespräch. Zu aller Staunen überreicht er Frau von Frankenfrey das Testament. Ultra hatte dem Prior die Flucht vor den Aufständigen ermöglicht und dafür das Testament als Dank erhalten. Wütend eilt der Bürgermeister hinaus, um sich um die Niederschlagung der Unruhen zu kümmern. Ultra sorgt sich um den weiteren Verlauf der Revolution. Als besonders schmerzlich wird das Fehlen von Studenten zur Unterstützung des Aufstandes empfunden. Allerdings hat Frau von Frankenfrey bereits eine Idee. Um Zeit zu gewinnen, bittet sie Ultra, dafür zu sorgen, daß der Bürgermeister erst am Abend losschlage. – Chor III, 12. – Erneut verkleidet sich Ultra und tritt dem Bürgermeister als Metternich entgegen. Den Befehlen des berühmten Mannes will sich der Bürgermeister nicht widersetzen und verspricht, nicht vor Einbruch der Dunkelheit aktiv zu werden. Nachtwachter und Willibald bauen gemeinsam Barrikaden. Dabei findet Nachtwachter den verhaßten Beamten so sympathisch, daß er in eine Hochzeit mit Walpurga einwilligt. Am verabredeten Treffpunkt holt Klaus die verschleierte Cecilie ab, die er nach wie vor für Walpurga hält. – Lied, Ultra III, 22 (R: „Is die Gährung auch groß, / Es geht überall los.“). – An den Barrikaden hat sich die Krähwinkler Bevölkerung versammelt. Wütend tritt ihnen der Bürgermeister mit Klaus und den Wächtern an seiner Seite entgegen. Überraschend zeigen sich jedoch die als Studenten verkleideten Frauen auf den Barrikaden und fordern zum Kampf. Geschlagen verkündet der Bürgermeister: „’s is nichts mit der Reaction.“ Freudig reicht Frau von Fran-kenfrey Ultra als ihrem künftigen Ehemann die Hand. Nun erkennt auch Klaus erschrocken, daß er selbst seine Tochter zu Frau von Frankenfrey geführt hat. Resigniert gibt er seine Einwilligung zu der Hochzeit mit Siegmund, will aber vor der ersten Kindstaufe nicht mehr nach Krähwinkel kommen.