Die lieben Anverwandten

Posse mit Gesang in fünf Akten
Uraufführung
25. Mai 1848, Carl-Theater (3 Aufführungen)
Nestroy-Rolle
Edelschein, ein Mechanikus (Rollenverzeichnis 733)
Musik
[Michael Hebenstreit]
Nachweise: HKA Stücke 25/II
Vorlage
Charles Dickens: Martin Chuzzlewit (Roman, 1843)
Überlieferung
Gladt S. 30
Hadamowsky 1934, S. 98
SW Bd. 5, S. 597–615
HKA Stücke 25/II
Werkausgaben (Stücktext)
CG Bd. 4, S. 229–283
SW Bd. 5, S. 1–125
HKA Stücke 25/II (Hg.: Walla)
Literatur
HKA Stücke 25/II
Herr Stachelbaum Millionär
Victor sein Enkel
Marie [sein Pflegekind]
Edelschein Mechanikus
Euphrosine
Betty dessen Töchter
Lampl Edelscheins Famulus
Frau von Schmollinger Edelscheins Schwägerin
Herr von Kammberg ihr Cousin
Herr von Fakler
Herr von Gluth
Herr von Nebling
Wolkner ein Aventurier
Schwimmel dessen Begleiter
Schriftmann Agent
Rottner Gehilfe bei Edelschein
Frau Blum Wirtin
Franz Kellner
Salerl Magd
Frau Platzerin Krankenwärterin
Doktor Funk
Ein Notar
Anton, Christian Domestiken bei Frau Schmollinger
Eine Magd bei Edelschein

Die Handlung spielt teils in einer kleinen Landstadt, teils in der Residenz, teils auf Stachelbaums Landsitz. Vom 1. zum 2. Akt ist eine Woche, vom 2. zum 3. eine Woche, von dem 3. zum 4. ein Jahr, vom 4. zum 5. ein Monat als Zwischenzeit anzunehmen.

1. Akt

Der kranke Stachlbaum weiß, daß er trotz seines Reichtums den Tod nicht aufhalten kann. In Gedanken sieht er bereits die Verwandten um sein Erbe streiten, denn „Prozesse sind die Blumen, die am üppigsten auf den Gräbern reicher Leute blüh’n.“ – Auftrittslied Edelschein I, 5 (R: „Ah, die Wahrheit is in gute Händ’!“). – Gegen Stachlbaums Willen schickt man nach einem Homöopathen. In dem Arzt erkennt Stachlbaum verärgert seinen Vetter Edelschein. Mit gespielter Bescheidenheit und Unterwürfigkeit versucht Edelschein, den reichen Verwandten davon zu überzeugen, daß es ihm keineswegs um dessen Geld gehe. Er bitte lediglich für dessen Enkel Victor. Den habe er aufgenommen, nachdem sein Großvater ihn verstoßen hatte. Unterdessen erzählt Victor dem Diener Lampl, weshalb er Edelschein um Hilfe gebeten habe: Stachlbaum wollte ihn gegen seinen Willen verheiraten. Als Victor sich weigerte, weil er in Marie, das Pflegekind und die jetzige Pflegerin Stachlbaums, verliebt ist, enterbte der Großvater ihn auf der Stelle. Da er wußte, daß Stachlbaum Edelschein von allen Verwandten am wenigsten mag, hat er in seinem Zorn bei diesem um Hilfe gebeten. Edelschein präsentiert sich Victor gegenüber als liebender, von seinen Töchtern umschwärmter Familienvater. Er gibt an, wegen dringender Angelegenheiten mit seinen Töchtern in die Residenz reisen zu müssen. Tatsächlich rechnet er damit, daß Victor, nachdem er Euphrosine und Betty gesehen habe, durch deren Abwesenheit seine Liebe zu ihnen erkenne. Edelschein beauftragt Victor, sich für ein Preisausschreiben mit der Verbesserung der Papierfabrikation zu beschäftigen. Rottner warnt Victor vor Edelscheins Charakter, obwohl Lampl ihn beschwört, nicht abfällig von seinem geliebten Herrn zu reden. Victor läßt sich nicht abschrecken und glaubt, er werde gut mit Edelschein auskommen. Gegen Stachlbaums ausdrücklichen Willen läßt die Wirtin Edelschein zu dem schlafenden Kranken. Edelschein hofft, Stachlbaum könnte im Delirium Dokumente zu seinen Gunsten unterzeichnen. Zutiefst besorgt erscheint Marie und wird von Edelschein, der um das Erbe fürchtet, äußerst ruppig behandelt. Davon erwacht Stachlbaum. Während Marie erleichtert vor ihm auf die Knie fällt, bedauert Edelschein diese unerwartete Wiederbelebung. Resignierend kommt er Stachlbaums Befehl nach, das Zimmer zu verlassen. Stachlbaum schwört, ihn für dieses Auftreten büßen zu lassen.

2. Akt

Frau von Schmollinger empfiehlt Edelschein ihren Cousin Kammberg als Bräutigam für eine seiner Töchter. Edelschein verweist darauf, daß er Victor als einen Heiratskandidaten vorgesehen hat. Betty ist sich sicher, daß der Vetter bereits ein Auge auf sie geworfen hat, was ihr den Spott ihrer älteren Schwester einbringt. Ein Brief von Stachlbaum, in dem er sein baldiges Eintreffen ankündigt, versetzt Edelschein in helle Aufregung. Tatsächlich erscheint Stachlbaum wenig später. Er gibt sich reumütig und bittet Edelschein, ihm sein unfreundliches Verhalten zu verzeihen. Edelschein zeigt sich sehr devot und versucht geflissentlich, auf den Verwandten einen guten Eindruck zu machen. Stachlbaum verlangt, daß Victor aus dem Hause gewiesen wird, wozu Edelschein gerne bereit ist. Zudem bittet Stachlbaum, man möge Marie, die lediglich seine Pflegerin, nicht aber seine Erbin sei, freundlich aufnehmen. Mit zärtlichem Getue versprechen Euphrosine und Betty, sie wie eine Schwester zu behandeln. Wolkner bittet Victor um Geld. Da Victor über kein Vermögen verfügt, ist er lediglich bereit, dessen Gasthausrechnung zu begleichen. Verärgert läßt Wolkner Schwimmel den gutgläubigen Lampl um Reisegeld bitten. Obwohl er das Geld kaum entbehren kann, gibt Lampl ihm 10 Gulden. Als Zinsen verlangt er lediglich, daß Schwimmel seinen Herrn davon abhält, weiterhin schlecht über Edelschein zu reden. Nach der Rückkehr der Familie Edelschein aus der Residenz wundert Victor sich über deren abweisendes Verhalten ihm gegenüber. Da Edelschein ihn vollständig ignoriert, verlangt er wütend eine Erklärung. In die Enge getrieben, spricht Edelschein von Victors „Abirrungen von dem Pfade der Reinheit und Tugend“, wegen derer er ihn aus dem Hause weise. Nur Lampl kann Victor von Tätlichkeiten gegen Edelschein abhalten. Wütend verläßt Victor das Haus. Er prophezeit Lampl, daß dieser eines Tages Edelscheins wahren Charakter erkennen werde.

3. Akt

Insgeheim belauscht Stachlbaum ein Gespräch zwischen Victor, Marie und Rottner. Victor hat den Plan, nach Amerika auszuwandern, dort sein Glück zu machen und Marie als seine Frau nachzuholen. Damit Stachlbaum nichts bemerkt, soll der Briefwechsel über Lampl vermittelt werden. Rottner wird Victor auf seiner Reise begleiten. Im Hause Edelschein rechnet man mit der Hochzeit zwischen Kammberg und einer der Schwestern. Lampl bittet unterdessen Euphrosine, sie möge sich für ihn bei ihrem Vater verwenden. Dieser grollt noch mit seinem Diener, weil der es wagte, Victor das Gepäck nachzutragen. Obwohl Euphrosine sicher ist, Kammbergs Auserwählte zu sein, und ihr Vater sie als „schneeweiße, jungfräuliche Hausregentin, schwaanenrein, ökonomisch, klugsinnig, rechnerisch“ preist, interessiert Kammberg sich mehr für Betty. Als er Euphrosine bittet, bei ihrer Schwester ein gutes Wort einzulegen, ist sie außer sich. Betty weist den Verehrer strikt ab. Dennoch beginnen Kammberg und Edelschein, über die Mitgift zu verhandeln. Um sich an Kammberg zu rächen, versucht Euphrosine, Lampl zu einer Tätlichkeit anzustiften, indem sie ihm erzählt, dieser Mann habe seinen geliebten Herrn einen „geizigen Filz“ genannt. Doch Lampl fürchtet, den Heiratsprojekten in die Quere zu kommen. Als Kammberg Lampl auf seine niedere Herkunft anspricht und sich außerdem beleidigend über Edelschein äußert, kommt es doch zu Handgreiflichkeiten. Bei seiner Ankunft wird Stachlbaum erneut mit übertriebener Herzlichkeit begrüßt, welche auch vor Marie nicht haltmacht. Gerne ist Edelschein bereit, auf Stachlbaums Bitte einzugehen, ihn ein Jahr lang zu beherbergen. Auf die projektierte Hochzeit von Betty und Kammberg angesprochen, gesteht Edelschein, daß diese an Kammbergs Mitgiftvorstellungen scheitern könnte. Kammberg, der sich bei der Rangelei mit Lampl verletzt hat, gibt vor, er habe sich an einem Zaun gestoßen. Überglücklich ist Lampl, als Euphrosine, die glaubt, er habe ihren Auftrag doch ausgeführt, ihm einen Kuß gibt.

4. Akt

Nach Ablauf eines Jahres ist sich Edelschein sicher, Stachlbaum um den Finger wickeln zu können. Er hat sich in Marie verliebt und läßt sich durch nichts abwimmeln. Er droht, Victor weiteren Schaden zuzufügen, sollte Marie ihn nicht heiraten. Unter Edelscheins Einfluß hat Stachlbaum sich scheinbar von Marie abgewandt. Dennoch weigert sie sich standhaft, in eine Hochzeit einzuwilligen. – Lied Edelschein IV, 4 (R: „Auf Ehr’, für die ernsthafte Zeit / Giebt’s noch immer viel g’spaßige Leut’.“). – Edelschein beobachtet, wie Lampl Marie heimlich einen Brief von Victor übergibt. Marie erzählt dem Diener von Edelscheins Nachstellungen und dessen Drohungen gegen Victor. Lampl ist zutiefst entsetzt. Nach dieser Szene entläßt Edelschein Lampl im Beisein Stachlbaums, nicht ohne sich als Opfer eines Verrats seines treuen Dieners darzustellen. Pathetisch versichert Edelschein, er wolle sich den Glauben an die Menschheit trotz allem nicht nehmen lassen. Lampl geht ohne den Versuch einer Rechtfertigung.

5. Akt

Völlig verarmt ist Victor in seine Heimat zurückgekehrt. Von Schriftmann erfährt er, daß Stachlbaum noch zu Lebzeiten seinen Besitz an Edelschein überschreiben will. Die Unterzeichnung des Dokuments soll an diesem Tag stattfinden. Zunächst übergibt Schriftmann Edelschein ein Diplom für die Erfindung einer Papiermühlmaschine. Eigentlich hat Victor diese Erfindung gemacht, doch mit affektierter Bescheidenheit quittiert Edelschein die Nachricht, die 200 Dukaten Preisgeld seien bereits angewiesen worden. Victor überwindet seine Scheu und tritt vor Stachlbaum, wird aber auf der Stelle von Edelschein abgewimmelt, der den alten Mann vor jeder Beunruhigung schützen will. Dennoch ist Stachlbaum bereit, den Enkel anzuhören. Victor versichert, trotz allen erlebten Unglücks nicht auf die Liebe zu Marie zu verzichten. Scheinbar ungerührt bittet Stachlbaum Edelschein, für ihn zu antworten. Edelschein verbietet Victor nicht nur das Haus, sondern auch den Umgang mit seinem Großvater. Stachlbaum widerspricht nicht, ist aber bereit, denjenigen zu bezahlen, der Victor in Amerika das Geld für die Heimreise vorstreckte. Victors Hinweis, er hätte diese Gabe nicht nötig, wenn er den ihm zustehenden Preis erhalten hätte, scheint Stachlbaum nicht zu hören. Stachlbaum übergibt Edelschein die Schenkungsurkunde mit der Bitte, sie auf Fehler zu überprüfen. Edelschein begibt sich in einen Nebenraum und betont, er sei selbstverständlich vorrangig an Stachlbaums Gesundheit und keineswegs an seinem Geld interessiert. Während Edelscheins Abwesenheit werfen Lampl und Rottner Stachlbaum seine unnachgiebige Haltung Victor gegenüber vor. Auch Marie versucht noch einmal, mit Stachlbaum zu reden, doch dieser scheint vollständig auf Edelscheins Seite zu stehen. Edelschein ist mit dem Dokument gänzlich einverstanden, stört sich aber an der Anwesenheit von Victor, Rottner und Lampl. Stachlbaum empfiehlt, diese gar nicht zu beachten. Gespannt beobachtet Edelschein, wie Stachlbaum den noch fehlenden Namen in die Urkunde einträgt. Zu aller Erstaunen schreibt er „Mein Enkel Victor Stachelbaum“, springt auf und versetzt Edelschein einen Hieb mit seinem Stock. Erstaunt bleibt Edelschein auf dem Boden sitzen. Zunächst will Stachlbaum sich wieder auf ihn stürzen, umarmt dann aber Victor ungestüm. Stachlbaum erklärt, er habe den Racheplan gegen Edelschein geschmiedet, als dieser von Anfang an Marie mit dem „Geifer“ seiner „Nichtswürdigkeit besudelt“ habe. Er habe sich ein Jahr lang demütigen lassen, ohne jemals Scham oder Reue bei Edelschein zu erkennen. Victor gegenüber gesteht Stachlbaum, auch Schuld an dem Streit gewesen zu sein. Die von ihm auserwählte Braut sei niemand anders als Marie gewesen, weshalb er keine Einwände gegen die Hochzeit habe. Edelschein gibt sich tiefverletzt, aber dennoch großherzig verzeihend. Allerdings rührt Lampl das Schicksal seines einstigen Herren, so daß er ihm leise verspricht, dafür zu sorgen, daß Stachlbaum dem Vetter doch noch etwas zukommen lasse.