Der Talisman

Posse mit Gesang in 3 Acten [Theaterzettel: Aufzügen]
Entwurftitel
Titus Feuerfuchs oder die Schicksalsperücken
Uraufführung
16. Dezember 1840 Theater an der Wien (Meisterwerk, klassische Posse, dichteste Ausprägung Nestroyscher Kunst. Gleichzeitig Charakterkomödie und sozialkritische Gesellschaftssatire. 112 Aufführungen bis 1860. Meistgespieltes Nestroy-Stück der Gegenwart.)
Nestroy-Rolle
Titus Feuerfuchs, ein reisender Barbiergeselle (Rollenverzeichnis 630)
Musik
Adolf Müller
Nachweise: Hilmar S. 79
HKA Stücke 17/I, S. 399–422
Vorlage
Dupeuty/de Courcy: Bonaventure (Comédie-Vaudeville, Paris 1840)
Überlieferung
Gladt S. 78 f.
Hadamowsky 1934, S. 262
SW Bd. 10, S. 613–656
GW Bd. 3, S. 714
Pausch, Nestroyana 2 (1980)
Obermaier, Nestroyana 4 (1982)
HKA Stücke/I, S. 89–360
Werkausgaben (Stücktext)
Chiavacci Bd. 2, S. 67–124
SW Bd. 10, S. 383–493
GW Bd. 3, S. 417–507
HKA Stücke 17/I (Herausgeber: Hein/Haida), S. 5–86 und 283–343 (Zensurbuch)
Musik (erhältlich)
Musik (erhältlich)
Literatur
HKA Stücke 17/I, S.2–4
Cersowsky
Coulson
Doering
Hein 1970
Klotz 1980
Mautner 1974
May
Neuber
Neufeld
Yates 1972
– Arntzen, Helmut: Anpassung und Widerstand, Die deutsche Komödie zwischen 1820 und 1848. Grabbe-Jb. 1994, S. 50–66
Coulson, Anthony S.: Die Rolle der Zaubermacht in Hebbels Gyges und sein Ring und Nestroys Der Talisman, in: „die in dem alten Haus der Sprache wohnen“, Festschr. f. H. Arntzen, Münster 1991, S.197–219
Greiner, Bernhard: Nestroy, Der Talisman: Komödie der Vorstadt – die aggressive Entblößung‘, in: B.G., Die Komödie, Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen, Tübingen 1992, S. 297–310
Hein, Jürgen: Johann Nestroy. Der Talisman. Erläuterungen und Dokumente (Reclam)
ders.: Johann Nestroy: Der Talisman, in: Interpretationen. Dramen des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1997, S. 203–233
Herles, Helmut: Nestroys Komödie Der Talisman, Von der ersten Notiz zum vollendeten Werk, Mit bisher unveröffentlichten Handschriften, München 1974
Jansen, Peter K.: Johann Nepomuk Nestroys skeptische Utopie. Märchen und Wirklichkeit in Der Talisman. Jb Dt. Schillerges. 24 (1980) S. 246–282
Kurzenberger, Hajo: Johann Nestroy: Der Talisman. Wortwitz und Spielakrobatik. Lach- und Schaulust. In: Einführung ins Drama. Bd. 2 Hrsg. von Norbert Greiner et al. München, Wien 1982, S. 155–168
Längle, Ulrike: Das Haupt des Titus Jochanaan Feuerfuchs: Die biblische Salome-Geschichte im Talisman. Nestroyana 20 (2000) S. 86–98
Mautner, Franz H.: Nestroy. Der Talisman. In: Das deutsche Drama. Bd. 2. Hrsg. von Benno von Wiese. Düsseldorf 1962, S. 23–42
Neuber, Wolfgang: Stumme Rhetorik: Sprachlose Wirkungsstrategien in Nestroys Possen Der Talisman und Einen Jux will er sich machen, in: Stieg/Valentin (Hg.) 1991, S. 101–108
Rüegg, Regula: Johann Nestroy: Identität in der Verstellung, Der Talisman, in: R.R.: „Im Abgehen ein Schnippchen schlagend“, Zur Funktion von Kinegrammen in Volksstücken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bern, Berlin, Frankfurt a.M., New York, Paris, Wien 1991, S. 170–182
Scheit, Gerhard: Hanswurst und der Staat, Eine kleine Geschichte der Komik: Von Mozart bis Thomas Bernhard, Wien 1995, S. 100–110
Stroszeck, Hauke: Heilsthematik in der Posse, Über Johann Nestroys Der Talisman, Aachen 1990
Stumpf, Christl: Johann Nestroy Der Talisman, in: Kleine Leute. Ideologiekritische Analysen zu Nestroy, Weerth und Fallada, Frankfurt a.M. 1979, S. 5–26
Zimmermann, Rolf Christian: Johann Nestroy, Der Talisman (1840): Wetterleuchten des österreichischen Antisemitismus in einem sozialen Parallelfall, in: R.Chr.Z.: Der Dichter als Prophet, Grotesken von Nestroy bis Thomas Mann als prophetische Seismogramme gesellschaftlicher Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts, Tübingen, Basel 1995, S. 162–178
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Titus Feuerfuchs ein vacierender Barbiergeselle
Frau von Cypressenburg Witwe
Emma ihre Tochter
Constantia ihre Kammerfrau, Witwe
Flora Baumscheer Gärtnerin bei Frau von Cypressenburg, Witwe
Plutzerkern ein Gartenknecht
Monsieur Marquis Friseur
Salome Pockerl eine Gänsehüterin
Christoph, Hans, Seppel Bauernburschen
Hannerl Bauernmädchen
Ein Gartenknecht
Herr von Platt
Natarius Falck
Georg, Conrad Bediente bei Frau von Cypressenburg
Spund ein Bierversilberer

Die Handlung spielt auf dem Gute der Frau von Cypressenburg nahe bei einer großen Stadt.

1. Akt

Chor I, 1. – Salome wird von den jungen Leuten im Dorf wegen ihrer roten Haare verspottet. Der gerade im Dorf erschienene rothaarige Titus schimpft seinerseits in einem Lied auf alle, die ihn wegen seiner roten Haare als Außenseiter behandeln. – Lied Titus I, 5 (R: „Drum auf d’ Haar muß man geh’n, / Nachher trifft man’s schon schön.“). – Er trifft auf Plutzerkern, der ihn für den neuen Gehilfen von Flora hält. Tatsächlich ist Titus an dieser Stelle interessiert. Salome, die glaubt, in Titus einen Leidensgefährten gefunden zu haben, bietet ihm an, ihm mit Hilfe ihres Bruders eine Anstellung beimBäckermeister zu besorgen. Doch der Meister möchte keinen Rothaarigen anstellen. Als Titus das durchgegangene Pferd eines Reisenden, des – nicht adeligen – Friseurs Monsieur Marquis, einfängt, schenkt dieser ihm zum Dank für seine Rettung eine schwarze Perücke, als Andenken und Talisman. – Lied Salome I, 15 (R: „Ja die Männer hab’ns gut, hab’ns gut, hab’ns gut!“). – Diese Perücke, die seine roten Haare verbirgt, verhilft Titus zu einer Stellung als Oberaufseher bei Flora, die ihm sogleich den Anzug ihres verstorbenen Mannes gibt, weil sie eine Hochzeit nicht ausschließt. Aber auch Constantia findet sofort Gefallen an Titus, besonders wegen seiner schwarzen Haare. – Chor I, 23.

2. Akt

Chor II, 1. – Titus ist von Constantia als Jäger eingestellt worden und trägt nun den Anzug ihres verstorbenen Mannes. Außerdem läßt Constantia erkennen, daß sie Titus heiraten möchte, wodurch ihm eine Stellung als Jäger sicher wäre. Salome erscheint, auf der Suche nach dem rothaarigen Jüngling. Als sie Titus erkennt, fällt sie in Ohnmacht, verrät ihn aber nicht. Constantia ist wegen der heftigen Reaktion Salomes mißtrauisch geworden, doch Titus kann ihre Bedenken zerstreuen. Der Friseur, mit dem Constantia eine heimliche Beziehung unterhält, erscheint. Auch er erkennt Titus, doch auch er schweigt. Als Constantia fort ist, droht er Titus für den Fall einer Beziehung zwischen ihm und Constantia mit dem Verrat seines Geheimnisses. Kurz darauf hört der Friseur, wie Titus im Schlaf von Constantia spricht, und nimmt ihm unbemerkt die Perücke weg. Durch die Ankunft von Frau von Cypressenburg wird Titus geweckt und bemerkt den Verlust seiner Perücke. Ohne auf die Farbe zu achten, greift er sich eine andere Perücke und erscheint mit blonden Haaren vor Frau von Cypressenburg. Auch ihr gefällt der charmante, blonde Jüngling. Sie stellt ihn als Sekretär ein und gibt ihm den Anzug ihres verstorbenen Mannes. Um sich vor Entdeckung zu schützen, berichtet Titus Frau von Cypressenburg von der heimlichen Beziehung zwischen Constantia und dem Friseur und von dem Heiratsantrag, den Flora ihm gemacht hat. Sie veranlaßt sofort die Entlassung aller drei. – Lied Titus II, 22 (R: „Ja, die Zeit ändert viel.“). – Chor II, 23. – Gerade als Frau von Cypressenburg Titus ihrer literarischen Gesellschaft vorstellt, erscheinen Flora und Constantia, um sich über ihre Entlassung zu beschweren. Beide beharren darauf, Titus als schwarzhaarig zu kennen. Schließlich erscheint der Friseur und enthüllt das Geheimnis. Zum Entsetzen aller zeigt Titus seine roten Haare. – Chor der Gesellschaft II, 27.

3. Akt

Titus wurde aus dem Schloß gejagt und muß nun auch noch den Anzug zurückgeben. Salome trifft unterdessen Spund, den Onkel und einzigen Verwandten von Titus. Spund ist wegen Titus’ roter Haare nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen. Spund selbst ist durch Erbschaften zu Geld gekommen und möchte Titus durch die Übergabe eines Geschäftes eine gesicherte Existenz ermöglichen, um somit jegliche Beschädigung der Familienehre zu verhindern. Als Spund hört, daß Titus als Bedienter auf dem Schloß arbeitet, eilt er sofort dorthin, um ihn aus dieser unrühmlichen Beschäftigung zu befreien. Nachdem man im Schloß von Titus’ reicher Verwandschaft erfahren hat, schickt man sofort nach ihm. Der ahnungslose Titus setzt für den Gang zum Schloß die alte graue Perücke des verstorbenen Gärtners auf. In der Zwischenzeit hat jedoch Flora Plutzerkern beauftragt, die Perücke zurückzuholen. Als Georg Flora von Titus’ reichem Onkel erzählt, möchte sie Titus trotz seiner roten Haare heiraten. – Quodlibet-Terzett Titus, Flora, Salome III, 11: über die Hoffnungen der Liebe. Auch die von dem Friseur verlassene Constantia hofft wieder auf Titus. Ebenso wie Flora und Constantia findet auch Frau von Cypressenburg rote Haare, wenn sie zu einem reichen Mann gehören, gar nicht mehr scheußlich. – Lied Titus III, 16 (R: „Na, da hab’ i schon g’nur.“). – Titus trifft mit seiner grauen Perücke auf Spund und macht diesem weis, daß er aus Kummer über das Verhalten seines Onkels in einer einzigen Nacht ergraut sei. Spund ist so gerührt, daß er Titus auf der Stelle zu seinem Alleinerben einsetzt. In diesem Moment erscheint Salome und fordert, den Auftrag Plutzerkerns ausführend, die graue Perücke zurück. Titus zeigt seine roten Haare. Frau von Cypressenburg rettet die Situation, indem sie mit Gewißheit behauptet, daß Spund von Anfang an von der Perücke wußte. Titus schlägt jedoch sowohl das Erbe als auch die Heiratsanträge von Constantia und Flora aus, die es nur auf sein Geld abgesehen hatten. Er wird Salome heiraten und mit Spunds Hilfe ein Geschäft eröffnen. Titus: „Ich weiß Herr Vetter die roten Haar mißfallen Ihnen, sie mißfallen fast allgemein, warum aber, weil der Anblick zu ungewöhnlich is, wenn’s recht viel gäbet käm’ die Sach in Schwung, und daß das geschieht, wollen wir das unsrige beitragen […]“