Der alte Mann mit der jungen Frau

Posse mit Gesang in 4 Acten [CG: Volksstück]
Entwurftitel
20 und 60. Posse in 3 Acten
Uraufführung
Entstanden 1849, Bearbeitung von Chiavacci/Ganghofer unter dem Titel Der Flüchtling (Uraufführung 24. Oktober 1890, Deutsches Volkstheater Wien), Originalfassung [?] 14. Mai 1948, Theater in der Josefstadt
Nestroy-Rolle
Kern
Musik
Michael Hebenstreit, vgl. Helmensdorfer 1999
Vorlage
Michel Masson: La Femme du Réfractaire (Daniel le lapidaire, ou les Contes de l’ atelier, Paris 1832
Daniel der Steinschneider oder Werkstatterzählungen, übers. von L. Kruse, Leipzig 1833)
vgl. HKA Stücke 27/I, S. 96–104
Walla 2001
Überlieferung
Gladt S. 61–63
SW Bd. 5, S. 723–739
GW Bd. 5, S. 713 f.
HKA Stücke 27/I, S. 87–441
Werkausgaben (Stücktext)
CG Bd. 11, S. 115–169
SW Bd. 5, S. 425–527
GW Bd. 5, S. 345–429
HKA Stücke 27/I (Hg. Helmensdorfer), S. 5–83
Literatur
HKA Stücke 27/I,S. XVII f.
Bukvic, Coulson, Hein 1970, Leib, Mautner
Helmensdorfer, Urs: Nestroys politisches Testament. Der alte Mann mit der jungen Frau. Grillparzer-Forum Forchtenstein 1974, S. 135–152
ders.: Was ist Ehre? Der Kern von Nestroys ,bestem Stück‘. Nestroyana 15 (1995), S. 68–78
ders.: Himmelangst. Nachtrag zu Der alte Mann mit der jungen Frau (Stücke 27/I) und Höllenangst (Stücke 27/II). Nestroyana 19 (1999), S. 27–47
Walla, Fred: „Des Kaufmanns und des Gatten Ehre“. Paul Lacroix als Quelle für Nestroys Der alte Mann mit der jungen Frau und Mein Freund. Nestroyana 21 (2001)
Weiss, Hilde: Nestroys Darstellung privater und öffentlicher Beziehungen. Unter besonderer Berücksichtigung von Der alte Mann mit der jungen Frau. Aus theaterwissenschaftlicher Sicht. Diss. masch. Wien 1988
dies.: Nestroy zur Vergangenheitsbewältigung. Der alte Mann mit der jungen Frau. Nestroyana 9 (1989), S. 11–16
HKA
Graf Steinheim
Die Gräfin
Baron Rehfeld Neffe der Gräfin
Kern Grundeigentümer und Besitzer großer Ziegelbrennereien in Steinheim
Regine seine Frau
Frau Strunk deren Mutter
Frau Frankner eine Bäuerin, Witwe
Anton Kanzleischreiber, ihr Sohn
Theres dessen Frau
Gabriel Diener bei Kern
Holler ein Bauer in Weixeldorf
Anna dessen Weib
Schippl Amtsdiener in Feldhofen
Baron Wetterhahn
Herr von Nickler
Spitz Amtmann
Schreyer Postmeister
Berg Arzt, alle in Steinheim
Agathe Schreyers Frau
Hausmeister in Kerns Hause
Hartkopf Wächter in Weixeldorf
[Eine Weiberstimme]
Veit, Peter Bauern in Weixeldorf
[Sechs Wächter]
[Ballgäste]
1. Akt

Anton ist wegen seiner politischen Haltung während der Revolution zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden. Um einer Gefangennahme zu entgehen, hatte ihn seine Mutter versteckt. Seit seiner Entdeckung weiß Frau Frankner nichts über den Verbleib ihres Sohnes. – Auftrittslied Kern I, 5 (R: „Merkwürdig, meiner Treu / Is die Ziegelbrennerey“). – Holler erzählt Kern, daß eine Woche zuvor sechs Gefangene bei einem Transport ausgebrochen seien. Einer sei dabei ums Leben gekommen, doch die anderen seien frei. Von Frau Frankners Kummer hat Kern bereits erfahren und bedauert, ihr nicht helfen zu können. Anton wird wahrscheinlich zehn Jahre im Gefängnis verbringen. Allerdings gibt es noch die Möglichkeit, daß er durch eine Amnestie vorzeitig entlassen wird. Über den Platz, den Kern ihr in seinem Haus anbietet, ist Frau Frankner überaus dankbar. Zufällig beobachten Kern und Holler, wie der entlaufene Anton bei Hartkopf an die Tür klopft. Er will um Unterschlupf bitten, nicht ahnend, daß es sich um das Haus des Wachters handelt. Bevor Hartkopf öffnet, gelingt es, Anton in Hollers Scheune zu schleppen. Als Frau Frankner ihren Sohn sieht, wird sie vor Freude ohnmächtig. Kaum ist sie wieder erwacht, klopft bereits Hartkopf an die Tür, um sich über die nächtliche Ruhestörung zu beschweren. Eilig wird Anton in einer Kammer versteckt. Dem verärgerten Hartkopf erklärt Kern, er selbst habe geklopft, um dem Wächter zehn Gulden für seinen guten Dienst zu geben. Nach dem Erhalt weiterer zehn Gulden verabschiedet sich Hartkopf äußerst höflich. Für den Augenblick ist Anton gerettet, doch Kern sieht die Hoffnung auf eine Amnestie lediglich als letzten Ausweg. Er beabsichtigt, Anton bei sich in Steinheim als Holzknecht auf einer Almhütte zu beschäftigen. Sogleich will man sich auf den Weg machen.

2. Akt

Frau Strunk und Regine fühlen sich aufgrund ihrer Stellung den Dienstboten weit überlegen und behandeln sie entsprechend. Großzügig erlaubt Regine ihrer alten Spielkameradin Theres bei Landpartien eine vertrauliche Nähe, besteht jedoch im Haus auf einer angemessenen Distanz zwischen Herrin und Dienstbotin. Traurig fügt Theres sich in ihr Schicksal. Obwohl sie auf die Rückkehr ihres Mannes warten wollte, läßt Regine sich und ihre Mutter von Rehfeld gerne zu einer Spazierfahrt einladen. Gabriel ist in Theres verliebt und ist fest davon überzeugt, daß auch Theres ihn liebt. Wegen Antons Gefangenschaft sieht er zwar im Moment keine Möglichkeit für eine Heirat, doch sein Glaube an Theres’ Liebe ist unerschütterlich. Heimlich hat Kern sich in sein Haus geschlichen. Er trifft auf Gabriel, der ihm deutliche Hinweise auf eine mögliche Untreue Regines gibt, doch Kern zeigt sich unbeeindruckt. Obwohl ihn Regines Verhalten verärgert, will er sich von Gabriel nicht aufhetzen lassen. Theres ist überglücklich, als sie erfährt, daß sie ihren Mann in Kürze wiedersehen wird. Doch Kern mahnt zur Vorsicht. Das Wiedersehen von Theres und Anton wird vorerst durch Regines frühzeitige Rückkehr verhindert. Um keinen Verdacht zu erregen, gibt Kern vor, sich unwohl zu fühlen. Zu Gabriels Verwunderung schickt Regine ihn fort, um sich selbst um Kern zu kümmern. Vorsichtig stellt Kern seine junge Frau über ihr Verhältnis zu Baron Rehfeld zur Rede. Zunächst unsicher, aber letztlich doch entschieden, leugnet Regine ein solches Verhältnis ab. Freundlich, aber bestimmt verbietet Kern ihr den weiteren Umgang mit Rehfeld. Regine verspricht, sich zu fügen. Unterdessen hat Gabriel herausgefunden, daß Regine bezüglich des Ziels ihrer Spazierfahrt mit Rehfeld die Unwahrheit gesagt hat. Auch diese Nachricht läßt Kern scheinbar unbeeindruckt, doch bei sich beschließt er, der Sache auf den Grund zu gehen. Mit Wehmut beobachtet er, wie Anton und Theres sich glücklich in die Arme schließen, bevor Anton sich auf den Weg zu der als Versteck vorgesehenen Almhütte macht. Gabriel dagegen sieht die Szene mit Entsetzen.

3. Akt

Während Regine glaubt, Theres sei für einige Tage in der Stadt, besucht diese Anton und seine Mutter auf der Hütte. Auch Kern ist heraufgekommen, um Anton ein gutes Angebot für die Zeit nach seiner Gefangenschaft zu machen. In ihrem Glück plaudert Theres davon, daß Regine der Meinung ist, ihrem Mann würde eine Luftveränderung gut tun. Baron Rehfeld rate zu einer Seebäderreise. Auch der uneingeweihte Gabriel hat sich auf den Weg zur Hütte gemacht, weil er Theres dort vermutet. Er trifft auf Holler, der ihm deutlich sagt, daß Theres verheiratet ist. Doch Gabriel steht auf dem Standpunkt, Anton sei als Gefangener „moralisch todt“ und verlange von Theres „nur moralische Liebe“. Er bittet Holler, zwischen Theres und ihm zu vermitteln. Holler verspricht es, um den unliebsamen Gast loszuwerden. Bei einem Fest von Graf Steinheim treffen sich Regine und Rehfeld heimlich im Garten. Immer wieder hat Rehfeld darüber gesprochen, mit Regine zu fliehen und sie zu heiraten. Als Beweis seiner Liebe überreicht er ihr einen Ring und verlangt von Regine auch ein Liebespfand. Unbemerkt hat Kern das Gespräch belauscht. Zum Schrecken des Paares tritt er hervor und bietet seinen Trauring an. Regine bittet sogleich um Vergebung, doch Kern beachtet sie gar nicht. Er will mit Rehfeld unter vier Augen sprechen. Zunächst hat Kern den Gedanken, Rehfeld zu einem Schieß- oder Fechtduell zu fordern. Es gelingt Rehfeld, ihn davon abzubringen. Statt dessen schlägt er Kern vor, der betrogene Ehemann dürfe ihn als Wiedergutmachung öffentlich beleidigen. Kern ist einverstanden. Es kommt zu einer verabredeten Szene, in deren Verlauf Regine, von Kern mit Zärtlichkeiten und freundlichen Worten überhäuft, ohnmächtig wird.

4. Akt

Ein Jahr später feiert Kern seinen zweiten Hochzeitstag. Regine fügt sich in alles, leidet jedoch unsäglich unter Kerns gekünstelter Zärtlichkeit und Fröhlichkeit. Zum einen sieht Kern darin eine gerechte Strafe für Regines Untreue. Zum anderen erspart er ihr damit die öffentliche „Verachtung“ und sich selbst „das Ausgelachtwerden“. Lakonisch stellt er fest: „Weil wir mit dem Seyn fertig sind, haben wir die größten Verpflichtungen für den Schein.“ Schließlich kann Regine ihren Kummer nicht mehr ertragen und erzählt Schreyer, Spitz und Agathe von ihren Seelenqualen. Alle drei raten zur Scheidung. Ein Grund werde sich schon finden. Gabriel ist nach wie vor in Theres verliebt, die die letzten Monate in der Stadt bei ihrer Tante war. Gabriel glaubt Hinweise auf eine Beziehung zwischen Theres und Kern gefunden zu haben. Spitz, Schreyer, Agathe, Regine und ihrer Mutter berichtet er von Kerns heimlichem Ausflug ins Gebirge und von einem Gespräch zwischen Kern und Theres, in dem von einer Bodenkammer die Rede war. Nun soll ausgerechnet die soeben eingetroffene Frau Frankner in einer Bodenkammer untergebracht werden. Man beschließt, der Sache nachzugehen. Zwar hat Gabriel erkannt, daß Theres ihn nicht liebt, aber einen Grund dafür sieht er nicht. Unterdessen hat Theres, unbemerkt von der Gesellschaft, mit der Hilfe von Holler, Kern und Frau Frankner, ihr neugeborenes Kind in das Schloß gebracht. Es soll in der Bodenkammer untergebracht werden, damit es von niemandem im Haus gehört oder gesehen werde. Holler bekommt den Auftrag, Anton von seinem kleinen Sohn zu erzählen. Es dauert nicht lange, bis Frau Strunk, Spitz, Schreyer und Gabriel in Frau Frankners Kammer den Kinderkorb entdecken. Sie beschließen, das Kind zu verstecken, um auf diese Weise ein Eingeständnis und eine Offenlegung des Verhältnisses zu erzwingen. Um Theres durch einen großen Schrecken besonders zu bestrafen, legt Gabriel sich als Baby verkleidet an die Stelle des Kinderkorbes. Entschieden weigert sich Kern, Theres wie verlangt aus dem Haus zu weisen. Daraufhin kündigt Spitz eine baldige Gerichtsverhandlung an, was Kern nicht versteht. Erst als Theres hereinstürzt und verzweifelt nach ihrem Kind fragt, wird ihm die Sache deutlich, zumal Spitz erklärt, Theres bekomme das Kind erst zurück, wenn sie den Vater des Kindes nenne. Um Anton nicht zu gefährden, verbietet Kern Theres diese Aussage, doch Theres ist in ihrer Not zu allem bereit. Da tritt Gabriel ein, dem seine Rache genügte, und zeigt Theres ihr Kind im Nebenzimmer. Kern versichert Regine, mit einer Scheidung einverstanden zu sein. Er werde alle Schuld auf sich nehmen und Regine alles geben, was sie verlange, außer einer Rechtfertigung für sein Tun. Zu aller Erstaunen erscheint Anton, um den Makel der Untreue von seiner Frau zu nehmen. Glücklich fällt Theres ihm um den Hals. Gabriel ist untröstlich. Dagegen freut sich Spitz, den entlaufenen Gefangenen gefunden zu haben. Als er hört, daß Anton auf der Stelle verhaftet werden soll, faßt Gabriel neuen Mut. In einem Gespräch unter vier Augen versichert Kern Regine, sie als reiche Frau ohne Groll gehen zu lassen. Er verzeihe ihr, doch sei er nicht bereit, bei ihr zu bleiben, obwohl Regine ihn inständig darum bittet. Scheinbar gelassen stellt er fest: „[…] lieben kannst du mich nicht, du bist zu jung und ich bin zu alt.“ Schließlich bietet er Regine doch noch einen Ausweg an: Er werde sogleich die Scheidung einreichen und nach Port-Adelaide auswandern. In einem Jahr werde er ihr einen Totenschein von sich schicken, mit dem sie ein neues Bündnis eingehen könne. In einem zweiten Dokument werde er eine Einladung nach Australien schicken. Sie könne dann zwischen den beiden Möglichkeiten frei wählen. Überraschend trifft die Nachricht von einer Amnestie ein. Allerdings müssen alle, die sich der Strafverfolgung entzogen haben, sich verpflichten, nach Australien auszuwandern. Dennoch sind Theres und Anton glücklich und sehen zuversichtlich in die Zukunft. Gemeinsam mit Kern wollen sie die weite Reise antreten.