Das Gewürzkrämer-Kleeblatt

In ihrem 38. Spieljahr zeigten die Nestroy-Spiele Schwechat wieder ein eher selten gespieltes Stück, eine von Nestroys köstlichen Spießer­satiren aus dem Jahr 1845: „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“.

Drei brave, ehrsame Gewürzkrämer, die mit ihren Frauen in der heilen Welt einer geordneten, biederen Kleinstadt-Idylle leben, sind geschäftlich wie privat eng miteinander befreundet. Doch der Schein trügt.

Man beobachtet und kontrolliert einander ständig – in dem vagen Verdacht, der andere könne heimlich etwas ausleben, was man sich selbst nur mit Mühe und ungern verbietet.

Zwar ist keiner der drei selbstgefälligen Ehemänner misstrauisch und eifersüchtig gegenüber seiner eigenen Frau, aber jeder überwacht mit Argusaugen die Frauen seiner zwei Freunde, die er zu allem fähig hält; jeder versucht mit allen Mitteln, seine Freunde vor Unglück zu bewahren, was zu den absurdesten Situationen führt.

Vergebens – denn die Gewürze, die die drei Krämer wohlverstaut in ihren Regalen horten und teuer verkaufen, locken mit ihrem verführerischen, exotischen Duft und betören die Sinne. Und so wird ein neuer, junger, liebeshungriger Kommis zur Projektionsfläche für all die unterdrückten Wünsche und Sehnsüchte.

38. NESTROY Spiele Schwechat
Das Gewürzkrämer-Kleeblatt
26. Juni bis 31. Juli 2010

Regie

Peter Gruber

Christine Bauer

Regiemitarbeit

Bühne

Alexandre Collon

Kostüme

Okki Zykan

Lichtdesign

Robby Vamos

Musik und Klavier

Otmar Binder

Choreinstudierung und Arrangement

Paul Hille

Coupletzusatzstrophen

Alfred Aigelsreiter

Maske

Sigrid Lessel

Bühnenrealisation

Günter Lickel

Lichttechnik

Thomas Lichtenberger

Regie- und Dramaturgieassistenz

Anna Steger

Ausstattungsassistenz

Milena Nikolic

Kostümassistenz

Natascha Hausner

Maskenassistenz

Sandra Pichler, Sabine Stropek
SCHWEFEL
Franz Steiner
BAUMÖHL
Horst Salzer
CICHORI
Karl Schleinzer
MADAME SCHWEFEL
Bella Rössler
MADAME BAUMÖHL
Maria Sedlaczek
MADAME CICHORI
Susanne Adametz
VICTOR Comis bei Baumöhl
Benjamin Turecek
PETER Comis bei Baumöhl
Alexander Lainer
REGERL Magd bei Baumöhl
Gabriele Holzer
BRUMM
Andreas Herbsthofer-Grecht
LOUISE sein Mündel
Rebecca A. Döltl
CHEVALIER WETTERSPORN
Harald Schuh
FRAU SCHNUPF
Sissy Stacher
HAUSMEISTER
Peter Koliander
SCHUSTERJUNGE
Melina Rössler
DIENSTMÄDCHEN
Maria Bittner, Michaela Illetschko, Conny Schachelhuber, Iris Seidl, Andreas Herbsthofer-Grecht

1. Akt
Als Geschäftsgehilfen treffen sich Victor und Peter in Baumöhls Laden. Sie erzählen sich von ihren Liebessorgen: Victor ist in Louise verliebt, deren Tante aber an seiner Armut Anstoß nahm und ihre Nichte in die Stadt schickte. Da ihm bekannt ist, daß sie an diesem Ort Verwandte hat, hat er die Stellung bei Baumöhl angenommen, weiß aber nicht, wo Louise sich aufhält. Auch Peters Angebetete heißt Louise. Er hat sie in einer Eilkutsche kennengelernt, doch bis jetzt ist es ihm nicht gelungen, ihr Herz zu erobern. Victor gesteht Peter, daß die Locken von Mad. Baumöhl ihn an Louise erinnern. Daraufhin warnt ihn der Freund vor Baumöhls Freunden Cichori und Schwefel. Alle drei seien ältere Männer mit weitaus jüngeren Frauen. Jeder halte sich für den Klügsten und die eigene Frau für absolut untadelig. Umso mißtrauischer bewachen sie die Frauen der Freunde, die sie für kokett halten. Allerdings ist diese Bewachung so diskret, daß keiner der drei sie bemerke. Tatsächlich erscheint Schwefel das Verhalten zwischen Mad. Baumöhl und Victor sehr verdächtig. Er beschließt, dem Freund einen Hinweis zu geben, doch der wiederum will seinerseits Schwefel auf eine mögliche Untreue seiner Frau hinweisen. In einem Gespräch voller Andeutungen reden sie ständig aneinander vorbei. Einig sind sie sich lediglich darüber, daß Cichori eventuell von seiner Frau betrogen wird. Um sich bei seiner Herrin wichtig zu machen, hat Victor etwas von einem Geheimnis gemunkelt, das er kenne. Er verspricht, nach einem geeigneten Zeitpunkt zu suchen, um ihr darüber Aufklärung zu geben. Peter offenbart, daß er mit dieser Andeutung ins Schwarze getroffen hat, denn Mad. Baumöhl habe ihrem Mann eine andere, voreheliche Beziehung verschwiegen. – Auftrittslied Cichori I, 14 („Wenn man sieht, wie sich oft geg’nseitig d’ Ehleut’ nicht mög’n“). – Wie seine Freunde ist auch Cichori davon überzeugt, daß seine Frau ihn liebt und stets treu ist. Sorgen machen ihm lediglich die Frauen von Baumöhl und Schwefel. Die Freunde wiederum bedauern Cichori wegen seiner Sorglosigkeit. Um ein Unheil zu verhindern, sorgt Schwefel dafür, daß Baumöhl seinen Gehilfen Victor an Cichori abtritt. Victor findet sogleich Gefallen an Mad. Cichori, deren Gesang ihn an seine Louise erinnert. Er schwindelt ihr vor, ein Kindheitsbildnis von ihr zu besitzen. Da es sich um ein unvorteilhaftes Porträt handelt, verlangt Mad. Cichori von Victor, es vor ihren Augen zu verbrennen. Auch ihr verspricht er, nach einer geeigneten Gelegenheit zu suchen. Da Baumöhl das Gespräch zwischen Victor und Mad. Cichori gehört hat, reut ihn die Zusage, Victor an Cichori abzutreten. Doch beide Freunde drängen ihn, das Versprechen einzuhalten. Schwefel ist sehr stolz darauf, eine mögliche Untreue von Mad. Baumöhl verhindert zu haben.

2. Akt
Peter ist es noch immer nicht gelungen, Louises Liebe zu gewinnen. Durch eine Erbschaft verfügt er seit kurzem über ein Haus. Er hat jetzt beschlossen, Louise zu heiraten, und hofft, daß sie sich im Laufe der Ehe doch noch in ihn verliebt. Baumöhl reut es noch immer, Victor abgegeben zu haben, da ihm das Verhältnis zwischen Mad. Cichori und Victor verdächtig vorkommt. Unter vier Augen bittet Baumöhl Cichori, Victor sofort zurückzugeben, doch Cichori wehrt sich heftig gegen diesen Vorschlag, weil er sich noch an den Grund für diesen Wechsel erinnert. Daraufhin wird Baumöhl so wütend, daß er Cichori mit einer Klage droht. Der Freund weiß gar nicht, wie ihm geschieht, doch beharrt er darauf, Victor zu behalten. Schließlich schlichtet Schwefel den Streit, indem er selbst Victor zu sich nimmt. Er ist sich sicher, seiner Frau absolut vertrauen zu können. – Lied Mad. Cichori II, 8 (R: „ ’s is a starkes Geschlecht, aber schwach, aber schwach.“). – Auch an Mad. Schwefel findet Victor auf der Stelle Gefallen, weil ihr Aussehen ihn an Louise erinnert. Von Mad. Schwefel weiß Victor tatsächlich, daß sie einen gewissen Theodor Funk heiraten sollte. Mad. Schwefel gibt zu, daß dieser Mann ihre große Liebe war, doch ihre Familie diese Heirat nicht wollte. Victor erzählt ihr, Theodor habe ihm am Tag nach seiner Hochzeit ein Paket mit Briefen mit dem Auftrag gegeben, dieses letzte Andenken an seine Geliebte zu verbrennen. Gegen den Willen des Freundes habe er die Briefe aufgehoben. Wie erwartet verlangt Mad. Schwefel die sofortige Aushändigung der Briefe. Auch ihr verspricht Victor, nach einer passenden Gelegenheit zu suchen. Mißtrauisch beobachtet Cichori das Verhalten von Mad. Schwefel und Victor. Dabei glaubt er durchaus, untreue Absichten bei Mad. Schwefel erkannt zu haben. An diesem Tag will Cichori ein Festessen zu seinem Namens- und Geburtstag geben. Um ein Zusammentreffen von Victor und Mad. Baumöhl zu verhindern, schickt Schwefel ihn mit einem Brief zu einem Spediteur in die Mühlgasse Nr. 76. In dem Schreiben bittet er seinen Freund, den Überbringer wie zufällig gefangenzusetzen und erst um zehn Uhr abends zu befreien. Bevor er weggeschickt wird, bedeutet Victor Mad. Schwefel, ein Billett für sie zu haben. In einem scheinbar unbeobachteten Moment läßt er den Zettel in eine Vase fallen. Doch Cichori hat die Szene bemerkt. Während er allein im Zimmer ist, holt er den Brief heraus und steckt ihn zunächst ungelesen in seine Westentasche. – Lied Cichori II, 16 (R: „Gegen die Dummheit, so war es zeitlebens, da kämpfen die Götter vergebens.“). – Als alle sich zum Essen setzen, stürzt Cichori herein. Er hält das Billett in der Hand und ist völlig außer sich. Aufgeregt macht er Andeutungen über die Verabredung zu einem Rendezvous in der Mühlgasse Nr. 77 um neun Uhr. Während jeder der drei Männer eine der Frauen als Empfängerin im Verdacht hat, glauben alle drei Damen, die Nachricht sei für sie bestimmt. Die Männer sind darum bemüht, ihre Frauen vor der nun folgenden peinlichen Szene zu bewahren, und schicken sie nach Hause. Schießlich kommt es zu einem konfusen Gespräch zwischen den drei Männern, in dem alle aneinander vorbeireden. Jeder wundert sich, daß der seiner Meinung nach Betroffene so gelassen ist. Gleichzeitig beschließen sie, dem Freund deutlich zu machen, daß es sich um seine Frau handelt. Baumöhl schreibt Cichori einen Zettel, Schwefel schreibt Baumöhl, und Cichori schreibt an Schwefel. Auf jedem Zettel steht eine entsprechende Nachricht. Mit Erstaunen lesen die Freunde die Billetts. Nach dem ersten Schrecken beschließen sie, der Sache auf den Grund zu gehen und die Wahrheit herauszufinden. Gemeinsam schwören sie Rache

3. Akt
Gemeinsam betrachten Brumm und Louise das Haus in der Mühlgasse 77, das Peter geerbt hat. Brumm ist wütend, weil sein Mündel sich strikt weigert, einen Hausbesitzer zu heiraten, zumal ihr Geliebter zur Zeit unauffindbar ist. Während Brumm die Besichtigung fortsetzt, trifft Louise auf Mad. Cichori, die sich zu dem Rendezvous mit Victor eingefunden hat. Louises Verwunderung steigt, als nach und nach auch Mad. Baumöhl und Mad. Schwefel erscheinen. Die Damen versuchen noch, den Hintergrund dieses Zusammentreffens zu ergründen, als Peter hereinstürmt, um sie vor dem Erscheinen der Ehemänner zu warnen. Schnell suchen sich alle in Nebenzimmern zu verbergen. Auch Louise, über deren Anwesenheit Peter erstaunt ist, wird von ihm versteckt. – Quodlibet-Terzett Schwefel, Baumöhl, Cichori III, 8: Zwar fürchten alle drei, es könnte sich vielleicht doch um die eigene Frau handeln, aber eigentlich tun ihnen jeweils die zwei Freunde leid. Um den Freunden die Qual der Enthüllung zu ersparen und den Frauen eine Chance zur Besserung zu geben, löschen sie ihre Lampen. Im Dunkeln treffen sie auf die Frauen. Baumöhl glaubt, Mad. Cichori vor sich zu haben, Schwefel meint, es handle sich um Mad. Baumöhl, während Cichori sicher ist, Mad. Schwefel zu treffen. Alle drei führen die Frau, bei der es sich in Wahrheit jeweils um ihre eigene handelt, unter Ermahnungen aus dem Zimmer. Peter befreit Louise aus ihrem Versteck. Gerade will Louise ihm eine endgültige Absage geben, als Victor unerwartet eintritt. Er schließt Louise in die Arme und versichert dem verdutzten Peter, dies sei seine Louise. Der Hausmeister bringt Baumöhl, Cichori und Schwefel herein, die er für Diebe hält. Als Peter sich als Hausbesitzer zu erkennen gibt, behaupten alle drei sofort, davon gewußt zu haben und nur aus diesem Grund da zu sein. Gleichzeitig bitten sie Peter, ihren Frauen nichts zu verraten. Zum Schluß entbrennt erneut ein Streit darüber, wer Victor in seinen Dienst nehmen muß, doch Victor beendet die Auseinandersetzung, indem er seine Hochzeit mit Louise ankündigt. Alle drei Männer gratulieren ihm und sind weiterhin überzeugt, die bravste Frau von allen zu Hause zu haben. 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 22 W. Edgar Yates)

36. Internationale Nestroy-Gespräche 2010 
Spiegelung und Potenzierung bei Raimund und Nestroy 

Samstag, 26. Juni 2010
Anreise nach A 2320 Schwechat, Justiz-Bildungszentrum (Schloss Altkettenhof), Schloßstraße 7 (Tagungsbüro im Foyer ab 14:30 bis 18:30 Uhr geöffnet)
18:30 Begrüßung
20:30 Schwechat, Schloss Rothmühle, Rothmühlstraße: Premiere 38. Nestroy-Spiele: „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“ (Regie: Peter Gruber)

Sonntag, 27. Juni 2010
9:00 Einführung
9:15 Herbert Herzmann (Dublin, IRL / Wien): Metatheater in der Wiener Vorstadt. Spiegelungen und das Spiel mit der Rampe: Raimund und Nestroy als Schlüsselfiguren in der Evolution des Theaters
9:45 Galina Hristeva (Stuttgart, D): Optimismus, Pessimismus und Skepsis im „speculum mundi“ des 19. Jahrhunderts Diskussion und
Pause
11:00 Das Gewürzkrämer-Kleeblatt: Diskussion über Stück und Aufführung
Mittagspause
14:30 Marion Linhardt (Bayreuth, D): „häuchlerische Hinterdieohrenhabigkeit“ angesichts „tyrannischer Strengigkeiten“ – Weibliche Rollenspiele in Nestroys Gewürzkrämer-Kleeblatt und Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung
15:00 Walter Pape (Köln, D): „Das Otello-Kleeblatt wird ein grimmiges Spectakel machen“ – Dramatische Spiegelungstechnik 15:30 Franz Schüppen (Herne, D): Entlarvungskomödie und seelische Substanz im Krämerwinkel
Diskussion und Pause 
16:30 Saskia Haag (Konstanz, D): Mit Erfolg zusammengestoppelt. Das Quodlibet auf dem Theater Raimunds und Nestroys
17:00 Thomas Steiert (Bayreuth, D): Das Quodlibet: „Spiegel“ der zeitgenössischen Musikszene und Brennpunkt der Possendramaturgie 18:00 Soirée von und mit Andreas Schmitz und Claudia Meyer „Ich bin so klug, mir graut vor mir. – Die ganze Wahrheit über Johann N.“

Montag, 28. Juni 2010
8:30 Oswald Panagl (Salzburg, A): Gleichklang und Antithese, Wiederholung und Steigerung als linguistische Verfahren im Wortspiel Johann Nestroys
9:00 W. Edgar Yates (Exeter, GB): Bearbeitungsg’schichten: Vorlagen und ihr Nachleben
9:30 Matthias Mansky (Wien, A): Komik und Satire im „feineren“ Lustspiel. Zu August von Steigentesch und Johann Hutt Diskussion und
Pause
10:30 Henk J. Koning (Putten, NL): Karl von Holtei und Ferdinand Raimund
11:00 Mathias Spohr (Zürich, CH): Raimund und Nestroy – der Vanitas-Überwinder und der Vanitas-Erneuerer
11:30 Maria Piok (Innsbruck, A): Helmut Qualtinger als Nestroy-Interpret
Mittagspause
Forum: Funde – Fragen – Berichte (I):
14:30 Martin Stern (Basel, CH): Hugo Loetschers Launen des Glücks. Eine vergessene Nestroy-Bearbeitung am Schauspielhaus Zürich
15:00 Gertrude Gerwig (Wien, A): Les trois Marie – die Vorlage zur Posse Der Schützling?
15:30 Fred Walla (Newcastle, AUS): Der Weltuntergangstag oder die schlimmen Herausgeber. Originalmanuskripte zu den Familien Zwirn, Knieriem und Leim und den Schlimmen Buben in der Schule
Diskussion und Pause
16:00 Marc Lacheny (Valenciennes, F): Raimund in Frankreich
16:30 Marina Gorbatenko (St. Petersburg, RUS): Nestroys Rezeption in Russland
Pause
19:30 Peter Planyavsky (Wien): Parodistisches Orgelkonzert in der Pfarrkirche Schwechat, Hauptplatz 5

Dienstag, 29. Juni 2010
9:00 Andrea Brandner-Kapfer (Graz, A): Joseph Ferdinand Kringsteiner – Zur schlummernden Gegenwart eines Theaterdichters in der zweiten Reihe
9:30 Jennyfer Großauer-Zöbinger (Graz, A): Das Leopoldstädter Theater (1781–1806). Sozialgeschichtliche und soziologische Positionierungen eines Erfolgsmodells
Diskussion und Pause
10:30 Karlheinz Rossbacher (Salzburg, A): „Heuer gibts Obst oder keinen Gott.“ Die Briefschreibekunst des Alexander von Villers (1812–1880)
Mittagspause
Forum: Funde – Fragen – Berichte (II):
14:30 Lisa de Alwis (Los Angeles, USA): Zensieren des Zensors: Karl Glossys lückenhafte Übertragung (1896) von Franz Karl Hägelins Leitfaden zur Theaterzensur (1795)
15:00 Matthias J. Pernerstorfer (Wien, A): Raimund und Nestroy in der Schlossbibliothek Telč. Drucke, Manuskripte, Rollenhefte und Partituren
15:30 Jürgen Hein (Münster/W., D): Von der Handschrift zur digitalen Textbibliothek – ein Vorschlag
Diskussion und Pause
16:30 Weitere Berichte und Schlussdiskussion
18:00 Empfang der Stadtgemeinde Schwechat

Mittwoch, 30. Juni 2010
Abreise

„Das liederliche Zimtstangerl oder: Ich bin Johann Nestroy“

Sonntag, 4., 11., 18., 25. Juli 2010, 10:30 Uhr
Frühstück ab 9 Uhr

Ein unterhaltsames kabarettistisches Frühstücksprogramm, bei dem zwei junge Leute die Verbindung zwischen zwei Welten über ein Zimtstangerl suchen. Von und mit Rebecca Döltl und Benjamin Turecek

Kurier, 29. Juni 2010: Nestroy ohne Biedermeier, in Schwechat geht das gut

In zuckerlfarbenen Reihenhäusern sitzen sie, die selbstzufriedenen Krämerseelen, in deren Gärten Gartenzwerge sprießen – und bisweilen phallische Chilis als Chiffren dafür, wie scharf ihre gelangweilten Gattinen angesichts des wendigen Comis Victor (Benjamin Turecek mit mürrischem Charme) werden.

Doch jeder der drei Herren (pointensicher Franz Steiner, Horst Salzer und Karl Schleinzer) ist von der Tugend der Seinigen ebenso felsenfest überzeugt wie von der Untreue der Gattinen der beiden anderen (Bella Rössler, Maria Sedlacek). Den Gipfel der Verblendung erklimmt Cichori, wenn er sich um die gehörnten Freunde sorgt, während seine Gattin (Susanne Adametz) mit Victor so sexplosiv zugange ist, dass die Fassade des Eigenheims wackelt.

Peter Grubers nestroykundige Regie horcht hinab in den biedermeierlich verbrämten Sub-Text und läßt diesen saftig ausspielen. Das Quodlibet-Sextett (mit der stilsicheren Musik von Otmar Binder) choreographiert er zu einem komödiantischen Gustostück. Die Typen schält er präzise heraus – der Spießer stirbt nicht aus. (Barbara Pállfy)

Der Standard, 2. Juli 2010: Petticoats und Zimtduft

Die Nestroy-Spiele Schwechat versetzen „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“ in spießige Vorgärten. Auch Dominic Heinzl darf dabei nicht fehlen.

Zimtduft erfüllt den Innenhof des Schlosses Rothmühle: Das Dienstmädchen hat ihn eben noch zu den Klängen Peter Alexanders in die Luft gesprüht. Schließlich handeln die Männer, die die drei niedlich-pastellfarbenen Häuserattrappen auf der Bühne (Alexandre Collon) bewohnen, mit Gewürzen.

Der junge Comis Victor (Benjamin Turecek) prescht in schwarzen Lederhosen auf seiner Vespa daher. Ein gequälter Dorfcasanova, dessen schematischer Darstellung ein wenig abwechslungsreichere Mimik nicht geschadet hätte. Die Kostüme (Okki Zykan) demonstrieren 50er-Jahre-Spießigkeit: Die Garderobe der Herren ist, ebenso wie die Petticoats und Caprihosen der Ehefrauen, in Gelb, Blau und Grün gehalten. Eine praktische Sache, weiß der Zuschauer doch jederzeit, welche Paare zueinander und in welches Haus gehören.

Regisseur Peter Gruber hat gut daran getan, Johann Nestroys Gewürzkrämer-Kleeblatt in die biedere Nachkriegsidylle zu verlegen. Mit sicherer Hand und gutem Gespür für das Tempo inszeniert er flüssig, kaum eine Pointe fällt unter den Verkaufstresen.

Das Laienensemble spielt durchwegs souverän und harmonisch. Horst Salzer als Baumöhl und Karl Schleinzer als Cichori geben ihre Wiener Pantoffelhelden mit viel Gemütlichkeit, Franz Steiner überzeugt als aristokratisch-steifer Schwefel. Susanne Adametz räkelt sich leicht bekleidet als liebeshungrige Madame Cichori. In Spiellaune ist Maria Sedlaczek als Madame Baumöhl. Bella Rössler bleibt als Madame Schwefel meist konturlos; dafür übertreibt es Alexander Lainer bisweilen mit der tuntigen Albernheit seines Peter.

Gut getan hätte eine weniger plumpe Aktualisierung der Couplets. Dass die Geißeln der modernen Menschheit Ölpest, Wirtschaftskrise und Dominic Heinzl heißen, war bereits bekannt, bevor Letzterer als Gartenzwerg auf der Bühne auftauchte. (Andrea Heinz)

Niederösterreichische Nachrichten, 30. Juni 2010: Alles nur Fassade

Mit „Das Gewürzkrämerkleeblatt“ jähren sich die Spiele heuer zum 38. Mal. Nach einer nicht ganz leichten Probenzeit dürften sich nach der Premiere wieder alle einig sein – Der Aufwand hat sich gelohnt.

„Das Gewürzkrämerkleeblatt“ gehört sicher zu den schwierigsten Stücken Nestroys – nicht leicht zu spielen. Hier ist absolute Textsicherheit und Präzision gefragt. Peter Gruber hat das mit geschickter Personenführung und vielen guten Ideen gelöst. Die Darsteller waren ausnahmslos mit Spaß bei der Sache. Die Botschaft „Spaß am Spiel“ ist beim Publikum angekommen und wurde mit dem verdienten Applaus belohnt. Die Couplets, nicht unbedingt nestroy’sch vorgetragen, waren in den modernen Texten allerdings richtig gut. Der absolute Höhepunkt des Stüpckes jedoch war das Sextett im zweiten Teil des Stückes. Musikalisch und choreographisch hervorragend gelöst. Und textlich waren die Darsteller außergewöhnlich klar und verständlich unterwegs. Bühne und Kostüme haben sich wunderbar ergänzt und vermittelten in ihren naiven Ausführungen ein frisches und heiteres Bild, das sich unterstützend auf die Darsteller auswirkte.

Alles in allem ein vergünglicher Abend, den man sich unbedingt gönnen sollte.

Der neue Merker, 9. Juli 2010: Eine Köstlichkeit von Aufführung

Es gibt in Niederösterreich eine Menge von höchst „langlebigen“ Festspielorten, die auf Jahrzehnte des Wirkens zurückblicken. Aber es scheint, dass nirgends eine dermaßen durchgehende Tradition, Kontinuität und Qualität festzustellen ist wie in Schwechat, wo vom ersten Tag des Jahres 1973, als man begann, Nestroy mit „Laien“ zu spielen, Peter Gruber Regie führte – und Jahr für Jahr weiterarbeitend, inzwischen ein Ensemble hoch begabter Amateure zusammen gestellt hat, mit dem er jeden Nestroy in Profi-Qualität zeigen kann (und nur ganz selten mag man einen Nebendarsteller nicht auf der Höhe seiner Aufgabe finden).

Heuer steht bei den 38. Nestroy Spielen das „Gewürzkrämer-Kleeblatt“ auf dem Programm, an sich ein eher harmloseres Stück Nestroys, wo die Sozialkritik (etwa, wie Arbeitgeber mit ihren Untergebenen umgeben) in den Hintergrund rückt. Es ist eines der menschlich freundlichsten Stücke des Dichters, so weit es um die Titelhelden geht: Diese drei wohlbetuchten, dumm-selbstgefälligen älteren Herren mit den sprechenden „Krämer“-Namen Schwefel, Baumöhl und Cichori sind nämlich mit drei um einiges jüngeren, charakterlich eher zweifelhaften Damen verheiratet, wobei jeder von ihnen geradezu blind und vertrauensselig in die eigene Gattin verliebt ist, sich aber echte Sorgen darum macht, dass die beiden Freunde von ihren Frauen selbstverständlich betrogen werden …

Nestroy hat das 1845 uraufgeführte Stück (er selbst spielte die Rolle des Cichori) nach einer französischen Vorlage gestaltet und sich nicht viel Mühe gegeben, das schematische „Drittabschlagen“ der drei Herren variationsreich zu gestalten. Jedenfalls gibt er sie nicht gänzlich der Bosheit preis so wie die drei Damen, wo vor allem die Madame Cichori ein zu Nestroys Zeit Empörung erregendes Couplet singen darf: „’s is a starkes Geschlecht, aber schwach, aber schwach“ werden da die Männer als jene Simandln gehöhnt, als die Nestroy sie letztendlich darstellt. Die jungen Männer, die sonst bei ihm dem Geschehen oft Pfeffer verleihen, sind hier in Gestalt von zwei „Comis“ (wie immer die Mehrzahl dieses schönen alten, nicht mehr existenten Begriffs lauten mag) von eher harmloser Struktur.

Und obwohl man hier wenig mehr vor sich hat als eine Verwechslungskomödie von geradezu unnestroy’scher Harmlosigkeit, hat Peter Gruber hier mit hohem Theaterverstand eine Köstlichkeit von Aufführung auf die Bühne gestellt. Die Bühne von Alexandre Collon hilft sehr, die drei pastellfarbene Reihenhäuschen hinstellt (gelb, blau, grün, die Farbcharakterisierung zieht sich bis in die Kleidung der jeweiligen Bewohner, Kostüme: Okki Zykan), vorne Gartenzwerge, im „G’wölb“ hängen schöne, alte Werbeplakate, Welcome to the Fifties, hat man doch schon eine halbe Stunde vor der Vorstellung ununterbrochen Peter-Kraus-Schlager vorgespielt bekommen.

In diese muffig-brave Zeit passt die Geschichte der dümmlichen Männer und der raffinierten Frauen, und das wird köstlich ironisch und parodistisch gespielt (und im Grunde wird nur das Quodlibet im dritten Akt in Form eines Sextetts der drei Paare zu sehr ausgewalzt). Die Musik (Otmar Binder, selbst links am Klavier) ist modern, aber diskret genug, um nie vom Text der Couplets abzulenken. Und da hört man ja so elementare Erkenntnisse wie: „Gegen die Dummheit, so war es zeitlebens, da kämpfen die Götter vergebens.“

Sie sind köstlich, die drei Gewürzkrämer, Lokalmatador Franz Steiner (28 x bei den Nestroy Spielen dabei!) als der durch und durch „gelbe“ Schwefel mit einer Eleganz, die den Freunden abgeht, ist der Baumöhl des Horst Salzer doch ein wahres polterndes Urvieh und der Cichori des Debutanten Karl Schleinzer fast ein Schatz in seiner Treuherzigkeit: Der Mann ist zu gut für diese Welt und erst recht für seine Frau, als welche Susanne Adametz den Vogel des Abends abschießt. Sie ist so etwas wie die Regina Fritsch von Schwechat (ein größeres Kompliment kann man ihr nicht machen), und wer die Meinung vertreten sollte, Nestroy habe keine starken Frauengestalten geschrieben, schaue sich dieses köstlich ruchlose Frauenzimmer an. Daneben gibt Bella Rössler eine raffinierte Madame Schwefel und Maria Sedlaczek eine Madame Baumöhl, die mit echtem Witz ihre Kilo über die Bühne wuchtet.

In der Rolle des Comis Victor hätte man als alter Schwechat-Kenner eigentlich Christian Graf, den Star des Ensembles erwartet, aber dem war die Figur vielleicht zu unprofiliert. Benjamin Turecek bekommt zwar einen Auftritt per Vespa, was Eindruck macht, aber dann hat Nestroy auf ihn und auf Kollegen Peter (in Gestalt des köstlich zappelnden Alexander Lainer) fast vergessen.

Macht nichts, das Stück trägt sich in dieser Inszenierung mühelos über zwei Stunden zu einem verdienten Erfolg. (Renate Wagner)

APA, 27. Juni 2010: Nestroys „Gewürzkrämer-Kleeblatt“ in Schwechat als Spießbürgerposse

Im Land der scheinheiligen Gartenzwerg-Idyllen – Peter Gruber verlegt die Handlung in die 50er-Jahre.

Zum schier unglaublichen 38. Mal inszeniert Schwechats Langzeit-Intendant Peter Gruber bei den Nestroy-Spielen im Schloss Rothmühle in Rannersdorf, diesmal das „Gewürzkrämer-Kleeblatt“. Und es wäre nicht Gruber, hätte er nicht wieder jede Menge Zeitkritik in diese Posse um Spießbürgertum und Nachbarschaftsintrigen verpackt. Die Premierenbesucher fanden dabei am Samstagabend ihr Vergnügen.

„Gegen die Dummheit, so war es zeitlebens, da kämpfen die Götter vergebens“: Eine Coupletzeile, wie sie bezeichnender nicht sein kann für Nestroys wie Grubers resignative Verzweiflung gegenüber dem „bedenklichen Klimawandel in unserer Gesellschaft, in der allmählich alles aus dem Lot gerät“ (Programmheft). Gruber entwickelte einen genialen Ansatz, um die Wurzeln des sozialen Übels freizulegen: Er platziert die Handlung in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts, in die kleingeistige, kleinkarierte Wirtschaftswunderzeit.

Das spiegelt sich auch im Bühnenbild wider mit den drei geschmacklos gefärbten Reihenhäusern, in denen die Herren Schwefel, Baumöhl und Cichori (Franz Steiner, Horst Salzer und Karl Schleinzer) mit ihren Gemahlinnen (Bella Rössler, Maria Sedlacek und Susanne Adametz) logieren und einander belauern. Die jungen Gehilfen Victor (Benjamin Turecek) und Peter (Alexander Lainer) bringen unterdrückte Sehnsüchte in Gang und irritieren die scheinheiligen Gartenzwerg-Idyllen der Herrschaften. Doch weil nicht sein kann, was nicht sein darf, landet auch der Comis Peter mit seiner Angebeteten schließlich in einem bunten Häuschen.

Empfehlenswert ist der Besuch der Nestroy-Spiele allemal, hat sich hier doch der ursprüngliche, im besten Sinne volkstümliche Charakter des Sommertheaters – mit lauschigem Heurigengarten und schnöselfreiem Publikum – erhalten. Unbedingt ratsam ist am Abend allerdings die Mitnahme eines Gelsensprays – denn die Blutsauger fallen in dichten Schwärmen ein. (Ewald Baringer)