Nachtwandler

Inhalt erzählt von Karl Kraus 

Sebastian Faden, ein armer Seilermeister, ist Nachtwandler. Er ist in das Zimmer der Geliebten seines Gehilfen Fabian Strich geraten und wird deshalb von seiner eigenen Braut wie vom Gehilfen verlassen, der auch seine Geliebte im Stiche läßt. Das Nachtwandeln aber, das ihn so ins Unglück gebracht hat, schlägt ihm alsbald wieder zum Heil aus. Denn er hat sich damals auch in ein Zimmer des Gasthofes verirrt, wo gerade eine Gaunerbande eingebrochen ist, um den reichen Lord Howart, den neuen Gutsherrn, zu berauben. Die Gauner entfliehen, da sie Faden durch das offene Fenster einsteigen sehen, sie halten ihn für einen Geist, und der Nachtwandler wird zum Lebensretter des Lords. 

Dieser beschließt, sich dem Seiler, dessen Elend ihm bekannt wird, dankbar zu erweisen und ihn glücklich zu machen. Lord Wathfield bezweifelt, daß dies gelingen könne. Lord Howart aber läßt sich von seinem Entschluß nicht abbringen und gelobt, Malvina, Wathfields Tochter, nicht eher seine Gattin nennen zu wollen, als bis er den armen Teufel zu einem glücklichen Menschen gemacht habe. Die Wette wird geschlossen, und die beiden Engländer treten dem Faden als höhere Wesen entgegen, bereit, alle seine Wünsche zu erfüllen: solange er sich damit begnüge, das Notwendige zu verlangen. Nun führt die Handlung die Stufenleiter der wachsenden Begehrlichkeit empor, bis sich der Beglückte endlich so weit versteigt, das Überflüssige zu fordern. Denn Faden hat sich in die Tochter eines Bankerotteurs verliebt, die ihn zu maßlosen Zumutungen an die vermeintlichen Geister aufstachelt, und der Glückspilz erwartet schließlich die Befriedigung der närrischesten Laune. 

Faden und sein Gehilfe Strich, der sich im Glück wieder zu ihm gesellt hatte, werden in ihre alte Armut verstoßen und kehren, für den Schmerz des jähen Wechsels von den Wohltätern noch entschädigt, in ihre früheren Lebens- und Liebesverhältnisse zurück.

29. NESTROY Spiele Schwechat
Nachtwandler
30. Juni bis 04. August 2001

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Bühne und Kostüm

Nora Scheidl

Kostümassistenz

Okki Zykan

Maske

Norbert Snoopy Suppan

Bühenrealisation

Günter Lickel

Lichtdesign

Robby Vamos

Lichttechnik

Thomas Nichtenberger

Musik

Otmar Binder

Korrepetition

Paul Hille
LORD WATHFIELD
Willibald Mürwald
MALVINA
Sabine Stacher
LORD HOWART der neue Gutsherr
Markus Heller
SEBASTIAN FADEN ein armer Seilerer
Bruno Reichert
FABIAN STRICK sein Geselle
Christian Graf
FRAU SCHNITTLING eine Kräutlerin
Traude Selinger
BABETTE ihre Tochter, Fadens Geliebte
Regine Rieger
PUMPF ein Bandelkramer
Poldi Selinger
HANNERL seine Tochter, Wäscherin, Stricks Geliebte
Dagmar Jedletzberger
HERR VON BRAUCHENGELD
Harald Schuh
MATHILDE
Maria Sedlaczek
EMILIE
Esther Potesil
THERES Stubenmädchen
Bella Rössler
AMTMANN GEYER
Franz Steiner
KRALL
Andreas Herbsthofer-Grecht
SCHNELL
Fritz Hlava
PUFF
Edi Gnadlinger
FLINT
Peter Kuno Plöchl
WIRT
Horst Salzer
KELLNERINNEN
Sissy Stacher, Elisabeth Strache
JACKSON Bedienter von Lord Howart
Florian Haslinger
RASCH Schlossinspektor
Peter Koliander
BEDIENTE IM SCHLOSS
Maria Schrittwieser, Eva-Maria Weingart
WEITERE BEDIENTE, VOLK
Aljosch Ambrosch, Renate Bachtrod, Sarah Burger, Bernhard Dellinger, Veronika Hegler, Andrea Hlava, Nenad Isailovic, Alena Koliander, Judita Kovarikova, Sabine Ruprechter

1. Akt
Introduktion I,1 – Als neuer Gutsherr will Howart vor seiner offiziellen Ankunft seinen Besitz und die dort lebenden Leute incognito in Augenschein nehmen. Krall, Schnell, Puff, Fint und Kniff haben davon gehört. Die fünf Gauner haben sich bereits einen Plan zurechtgelegt, um Howart im Wirtshaus zu berauben. Kaum ist Howart eingeschlafen, klettern Krall, Puff und Schnell zum Fenster herein. In diesem Moment erwacht Howart, doch bevor er um Hilfe rufen kann, bedroht Puff ihn mit einem Messer. Für alle unerwartet erscheint der nachtwandelnde Faden am Fenster und erschreckt Schnell so sehr, daß dieser laut schreit. Eilig ergreifen daraufhin alle Gauner die Flucht. Kurze Zeit später meldet der Wirt, daß alle Diebe gefaßt wurden, während Faden, ohne zu erwachen aus dem Fenster klettert. Zu Howarts großer Freude kommt noch seine geliebte Malvina in Begleitung von Wathfield an. Sogleich berichtet Howart, aus welcher Gefahr ihn der Nachtwandler gerettet habe. Aus Dankbarkeit wolle er seinen Lebensretter am nächsten Tag glücklich machen. Wathfield wendet ein, daß er den Mann zwar belohnen, aber trotz seines Reichtums nicht glücklich machen könne. Siegessicher schlägt Howart eine Wette vor: Er wolle Malvina erst heiraten, wenn er seinen Retter „vollkommen glücklich gemacht“ habe. – Auftrittslied Strick I,13 („So viel is einmal wahr und gewiß“) – Nachdem er in Howarts Zimmer gewesen war, ist Faden noch in derselben Nacht in Hannerls Zimmer gestiegen, wo ihn der aufgebrachte Pumpf findet. Der erwachende Faden kann die Situation nicht erklären und Hannerl beteuert ihre Unschuld, doch weder Pumpf und Babette noch Strick glauben ihnen. Pumpf kündigt Faden die Freundschaft, ebenso Babette. Strick trennt sich von Hannerl und will auch seinen Meister verlassen. Er gesteht: „Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab’ mich noch selten getäuscht.“ Faden steht vor dem Nichts, als ihm Howart und Wathfield erscheinen. Wathfield gibt vor, Diener eines höheren Wesen zu sein, das Faden glücklich machen will. Faden brauche lediglich seine Wünsche zu äußern. Freudig versichert Faden, „all’weil am Notwendigsten Mangel gelitten“ zu haben, weshalb er auch nur das Notwendigste verlange, um der „glücklichste Mensch“ zu sein. Sein Wunsch sei „a bißl a menschlich’s Quartier“ und „’s Tag zwei Zwanziger“. Wathfield sichert ihm die Erfüllung seiner Wünsche zu, allerdings nicht, ohne Faden davor zu warnen, jemals das Überflüssige zu verlangen, da er sonst auch das Notwendige wieder verliere. Howart ist sich seines Sieges bereits sicher, aber Wathfield warnt vor voreiliger Freude. – Lied Hannerl I,21 (R: „Das is weiter kein Schmerz / Für ein weibliches Herz“) – Herr von Brauchengeld hofft, daß sich unter dem Gefolge des neuen Gutsherrn zwei Bräutigame für seine Töchter Emilie und Mathilde finden werden. Vor allem müssen die Heiratskandidaten bereit sein, Brauchengelds Schulden zu begleichen, weshalb beide Töchter die Hoffnung auf eine Hochzeit schon beinahe aufgegeben haben. Geyer würde Emilie gerne heiraten, doch der von Brauchengeld verlangte Betrag ist ihm zu hoch. Glücklich hat Faden ein Haus auf Howarts Besitz bezogen. Als er dort Emilie sieht, verliebt er sich auf der Stelle in sie. Gerade hat Geyer seinen Verzicht auf Emilie erklärt, als Faden sich vorsichtig der Familie von Brauchengeld nähert, die ihn für einen Bettler hält. Als Faden stolz auf seine täglichen Einkünfte verweist, verlangt Brauchengeld kurzerhand 10.000 Gulden für die Hand seiner Tochter. Lachend läßt die Familie den verdutzten Faden stehen. Unterdessen hat Strick beschlossen, sich mit Faden zu versöhnen, da er es als seine „heiligste Pflicht“ betrachtet, den Meister auch in guten Tagen nicht zu verlassen. Als er von dem „Schutzgeist“ und dessen Glücksversprechungen hört, rät er Faden, diesen um das erforderliche Geld zu bitten, da diese Hochzeit für Fadens Glück unbedingt notwendig sei. In der Tat erhält Faden die nötigen 10.000 Gulden. Auf der Stelle präsentiert er dem verblüfften Brauchengeld die verlangte Summe. Auch Emilie ist über den unerwarteten Bräutigam sehr glücklich. In der Zwischenzeit hat Geyer seinen voreiligen Verzicht bereut. Als er bemerkt, wer ihm bei Emilie zuvor gekommen ist, ist er außer sich vor Wut. Er argwöhnt, der arme Seiler habe das Geld gestohlen. Brauchengeld gegenüber versichert Faden, er habe die Seilerei lediglich aus „Kurzweil“ und „Liebe zur Kunst“ betrieben. Auch Pumpf hat von Fadens Glück erfahren und ist bereit, sich mit dem ehemaligen Freund zu versöhnen. Hannerl hat gehört, wie Geyer dem Wächter gegenüber von „Einführen“, „Seilerer“ und „Lump“ gesprochen hat. Da sie fest davon überzeugt ist, es sei von Strick die Rede gewesen, will sie ihn warnen. Dieser ist sich jedoch sicher, daß Hannerl auf diesem Weg eigentlich Faden warnen will und weist sie von sich. Um Faden vor dem Zugriff des Amtmannes zu bewahren, gibt Wathfield ihm einen Brief von Howart, der sich direkt an Geyer wendet. Darin droht er diesem mit Entlassung, sollte er bei seiner Ankunft feststellen, daß Faden nicht die größte Achtung entgegen gebracht wurde. Geyer beugt sich dem Willen seines Herrn und bezeugt Faden seine Ehrerbietung. – Quodlibet I,34.

2. Akt
Chor II,1 – Faden hat einen Wunsch nach dem anderen, jedoch ohne, daß etwas überflüssig erscheint. Er wünscht bessere Kleidung für sich und seinen Freund Strick, eine Uhr und einen Ring. Da Brauchengeld sich mit Mathilde und Emilie bei Faden einquartiert hat, braucht er auch für diese eine Ausstaffierung. Zwar beängstigt Emilie der plötzliche Reichtum ihres Bräutigams, doch Brauchengeld besteht auf der Hochzeit. Allerdings kränkt es Emilie, in einem Gartenhaus und nicht in einem Palast zu wohnen. Mathilde hofft für sich auf eine noch bessere Partie. Strick erzählt Theres, Faden und er selbst verfügten über eine „unversiegbare Goldquelle“, die alle Wünsche erfüllen könne. Daraufhin verlangt Emilie von Faden den Kauf des Herrensitzes. Erschrocken verweist Faden auf seine geringen Einkünfte, doch Emilie droht, aus Kummer krank zu werden und zu sterben. Schließlich gibt Faden nach, hat aber Angst vor der Reaktion der „Geister“. Zunächst will Howart den Wunsch abschlagen, doch Wathfield erinnert ihn an sein Wort. Zwar wird Faden von beiden getadelt, aber er bekommt seinen Willen. – Lied Strick II,9 (R: „So is überall halt ein Umstand dabei.“) – Emilie und Faden nehmen das Haus in Besitz, samt der von Emilie verlangten Schimmel. Allmählich kommt Howart seine Wette teuer zu stehen, doch Wathfield weist ihn daraufhin, daß er lediglich warten könne, bis Faden das Überflüssige verlange. Für den Abend erbittet Faden eine große Einladung, die ihm ebenfalls gewährt wird. Pumpf bittet Faden für einen Freund um 500 Gulden, die er erhält, weil es notwendig ist, „einem armen Teufel was Gutes“ zu tun. Pumpf versucht, Strick zu versöhnen. Hannerl beteuert weiterhin ihre Unschuld, und Pumpf verweist auf eine Erbschaft von einigen tausend Gulden, doch Strick lehnt ab. Terzett Hannerl, Theres, Strick II, 17: Die beiden Frauen sind aufeinander eifersüchtig.Chor der Gäste II,18 – Während des Essens stört Faden sich an Wathfields Zopf. Vehement verlangt er das Abschneiden des Zopfes. Darin sieht Wathfield einen überflüssigen Wunsch. Bereits zuvor hatte Howart seine Bedienten auf diesen Fall vorbereitet. Wie Furien erscheinen sie nun von allen Seiten, ziehen Strick und Faden die prächtigen Kleider aus und jagen sie aus dem Haus. – Chor II,20 – Nach wie vor sind Babette und Hannerl unglücklich, ihre Geliebten verloren zu haben. Ebenso verwundert wie alle anderen sehen sie Faden und Strick wieder in ihren alten Anzügen durch die Straße gehen. Außer dem Verlust seines Reichtums schmerzt es Faden besonders, daß Emilie ihn als armen Mann nicht heiraten will. 30 Gulden, um die Strick seinen Meister betrogen hatte, sind beider Besitz. Am nächsten Tag will Faden sich das Leben nehmen. Brauchengeld darf das erhaltene Geld behalten. Somit ist der Weg frei, für eine Hochzeit von Emilie und Geyer. Malvina hat Howart verziehen, ihr Glück so leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu haben. Gerade will Geyer Howart und Wathfield als verdächtige Subjekte festnehmen, als Faden nachtwandlend durch das Fenster steigt. Auf diese Weise wird allen klar, warum er seinerzeit in Hannerls Zimmer entdeckt wurde. Glücklich schließt Babette ihren Geliebten in die Arme. Auch Strick erscheint als Nachtwandler. Da Hannerl ihn vor Erstaunen mit Namen anspricht, erwacht er und fällt in den Schornstein. Nach seiner Rettung gibt Howart sich zu erkennen und erklärt, womit Faden sein Glück verdient hatte. Um ihn doch noch glücklich zu machen, schenkt Howart Faden das durch dessen Übermut verlorene Häuschen, und Wathfield steuert ein kleines Kapital für das Geschäft bei. Auch Strick hat durch sein eigenes Nachtwandeln erkannt, daß er Hannerl unrecht tat, so daß am Ende einige Hochzeiten in Aussicht und den Versöhnungen von Babette und Faden und Hannerl und Strick nichts mehr im Wege stehen. – Schlußgesang Strick mit Chor II,28 („Der Verstand ist das Licht unsers Lebens“).

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 11 Jürgen Hein)

27. Internationale Nestroy-Gespäche 2001 
In anderen Welten

Mittwoch, 4. Juli 2001
Anreise nach Schwechat-Rannersdorf, Schloß Rothmühle
18:30 Jürgen Hein (Münster/W., D): Begrüßung und kurze Einführung
20:30 Besuchsmöglichkeit der Aufführung im Schloßhof: Nestroys „Nachtwandler“

Donnerstag, 5. Juli 2001
9:00 Fred Walla (Newcastle, AUS): „Echter“ Nestroy?
9:30 Birgit Pargner (München, D): Nestroy in München
10:30 Marijan Bobinac (Zagreb, Kroatien): Nestroy-Rezeption auf den Zagreber Bühnen
11:30 Ryota Tsugawa (Tokyo, Japan): Nestroys Übersetzung ins Japanische Young K. Ra (Seoul, Südkorea): Nestroys Übersetzung ins Koreanische
14:30 Exkursion (Leitung: Walter Obermaier, Wien, A)

Freitag, 6. Juli 2001
9:00 Martin Stern (Basel, CH): Nestroy und Horváth oder Happy End für Staatenlose. Zu Text und Uraufführung von Horvaths „Hin und her“ in Zürich 1934
9:30 Henk J. Koning (Putten, NL): Nestroy und Horváth: eine ungleiche Brüderschaft?
10:30 Alice Bolterauer (Graz, A): Mahlzeit! vom Kannibalismus zum Wiener Schnitzel: Nestroy und George Tabori
11:30 Horst Jarka (Missoula, USA): Nestroys „Zerrissener“ im Exil Der Nachmittag steht für Gedankenaustausch und Gespräche zur freien Verfügung!
20:30 Besuchsmöglichkeit der Aufführung im Schloßhof: Nestroys „Nachtwandler“

Samstag, 7. Juli 2001
9:00 Hugo Aust (Köln, D): Faktoren, Freunde und Finanzen: Nestroy und Balzac
9:30 Walter Pape (Köln, D): Monetäre Metaphorik: Nestroy und Bauernfeld
10:30 Andreas Thomasberger (Frankfurt/M., D): Berlin und Wien, Wien und Berlin, reden sie zweierlei Sprachen? Nestroybezüge in „Sturm auf Apollo“ (1930), Volksstück von Stefan Großmann und Franz Hessel
11:30 Wendelin Schmidt-Dengler (Wien, A): Unvergleichlich: Nestroy, Bernhard, Artmann und die anderen
15:00 Johann Dvorák (Wien, A): Nestroy der Ungemütliche – „als es noch gemütlich war in Wien“. Möglichkeiten politischen Bewußtseins in der Habsburger-Monarchie
15:45 Eva Philippoff (Lille, F): Vom Besserungsstück zum Weltverbesserer – Misanthropie auf der österreichischen Bühne von Bäuerle bis Bernhard
17:00 Dagmar Zumbusch-Beisteiner (Wien, A): „Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor!“ Internationale Einflüsse in der Musik zu Nestroys Stücken
20:30 Besuchsmöglichkeit der Aufführung im Schlosshof: Nestroys „Nachtwandler“

Sonntag, 8. Juli 2001
9:30 Peter Branscombe (St. Andrews, GB): Nestroy feiert – und wir feiern mit
10:15 Nestroys „Nachtwandler“: Statements, Kurzreferate, Gespräche zu Stück, Kontext und Aufführung
11:00 Schlussdiskussion; Resümee und Ausblick
15:00 Ein Geburtstagsfest für Johann N.: Große Benefiz-Geburtstagsfeier mit prominenten Gästen
Eröffnung der Nestroy-Ausstellung im Neuen Museum Felmayer-Garten

Montag, 9. Juli 2001
Abreise

Die Nestroy-Stadt Schwechat feierte den 200. Geburtstag Johann Nestroys mit einem großen Fest im Felmayer-Garten.

Mit Elfriede Ott, Fritz Muliar, Hilde Sochor, Kurt Sobotka, Birgit Doll, Georg Schuchter, Joesi Prokopetz, Wilfried, Michael Scheidl, Michaela Mock, Boris Eder, Paul Gulda, Otmar Binder, Nestroy-Ensemble Schwechat.

Ich oder ich

Sommer/Herbst 2001: Nestroy-Ausstellung im Neuen Museum Schwechat im Felmayergarten

Am 7. Dezember wird ein ganz Großer des österreichischen Theaters 200 Jahre alt: Johann Nestroy. Man erweist dem Jubilar die Ehre und würdigt ihn mit Festen und Sonderveranstaltungen, doch es ist gar nicht so leicht, dem widerständigen Komödianten gerecht zu werden. Von beinahe allem, was sich über Johann Nestroy sagen lässt, ist auch das Gegenteil wahr: Er nimmt Partei für die Armen – und entlarvt ihre Sehnsüchte als ebenso materialistisch wie die der Reichen. Er schreibt das Revolutionsdrama – und macht sich lustig über die Revolutionäre. Er führt seine Bücher mit der Pedanterie eines Schulmeisters – und schlägt sich auf die Seite der anarchistischen Lumpen. Er verjuxt die Hälfte seines Vermögens für Amouren und Spielschulden – und verbringt doch sein Leben in einem ehe-ähnlichen Zustand mit ein und derselben Frau.

Im NEUEN MUSEUM SCHWECHAT geht derzeit eine Ausstellung diesen Widersprüchen nach und macht sich auf eine kulinarische Reise in das Innere des nur scheinbar altbekannten Dichters. Unter dem Titel ICH ODER ICH ist ab 15. September 2001 eine Annäherung an Johann Nestroy zu sehen, die mit Hilfe von Aufführungsphotos, Textstücken und assoziativem Material das Bild einer außergewöhnlich facettenreichen Persönlichkeit entwirft.

Die Presse, 2. Juli 2001: Rauch, Feuer und die Gunst der Obrigkeiten in Schwechat

Die Nestroy-Spiele in Schwechat bieten mit dem „Schlafwandler“ auch heuer wieder derben, hintergründigen und tiefsinnigen Spaß.

Ohne Rauch und Feuer kann ein Open-Air-Spektakel wohl nicht auskommen. Gut so, denn wo sonst darf Theater noch blitzen, knallen, Papierschlangen werfen, wenn nicht bei den Festivals in der Peripherie rund um die das übrige Jahr dominierenden Kulturmetropolen? Mit beeindruckend schlichten, aber umso wirkungsvolleren Mitteln verstehen es die Schwechater Sommerspiele seit 1973, Nestroysche Ironie und Bissigkeit mit gehöriger Derbheit und Unbekümmertheit in Szene zu setzen. Die Laienschauspieler unter der souveränen Regie des Nestroyring-Preisträgers Peter Gruber beeindrucken heuer in den „beiden Nachtwandlern“, mit denen der Jahresregent – man feiert heuer Nestroys 200. Geburtstag – im Jahr 1836 Triumphe feierte.

Besonders gelungen in der Schwechater Version: die umwerfend komischen Persiflagen auf diverse Opernarien von Nestroys Zeitgenossen. Da dürfen unausgebildete Soprane nach Herzenslust gicksen und Bässe in der Tiefe verhungern – alles zur höheren Bestimmung, die ihnen Nestroy zugedacht hat. Handelt es sich bei den »Nachtwandlern« doch um eines der ersten Stücke Nestroys mit herb-realistisch sozialkritischen Zügen. Laut Karl Kraus, der dieses Stück 1912 neuentdeckte, ist es kein oberflächlicher „Posseneinfall“, wenn eine Wette zwischen zwei Adeligen über das Glück eines armen Seilers entscheidet, der nur durch sein Nachtwandeln in die Gunst seiner Obrigkeiten gelangte. Aus dem Götterhimmel, der davor die Schicksale der Menschen bewegte, werden irdische Machtverhältnisse – doch die Mächtigen werden von den obrigkeitshörigen Menschen weiter einer spirituellen Sphäre zugeordnet, sie werden „geistliche“ Herren. Diese spielen mit dem armen Menschen, der unverhofft zu Reichtum kommt – und an seiner Unmäßigkeit scheitert. In bravouröser Manier arbeitet Gruber mit seinen Schwechatern diese Tragödie heraus – und bringt dennoch ein wahres Feuerwerk an Situationskomik und Anspielungen auf das derzeitige Weltgeschehen auf die Bühne. Ein schöner Spaß. (Martin Kugler)

Neue Kronenzeitung, 2. Juli 2001: In guter alter Nestroy-Tradition

Ein Kraftzentrum der Nestroy-Pflege: Die Schwechater Sommerspiele im Schloss Rothmühle überraschen heuer mit dem „Nachtwandler“ in Peter Grubers schwungvoller Inszenierung. Theater in guter alter Tradition, aus dem Geist des Ensembles, das hoch motiviert das Gefühl vermittelt, dass es allen Spaß macht. Die einfache Handlung ist amüsant, die Regie versuchts erst gar nicht mit verkrampfter Aktualisierung. Zeitlos sind Nestroys Figuren, die beweisen, dass Geld und Macht nicht zwangsläufig einen glücklichen, sympathischen Zeitgenossen ergeben.

Man spielt flott, witzig, übertreibt nicht, nützt die Atmosphäre des Hofes. Allen voran Christian Graf als wenig liebenswürdiger Geselle und Bruno Reichert als schlafwandlerischer Sebastian im Glück. Die Damen Jedletzberger, Rössler, Sedlaczek überzeugen, die Herren Mürwald, Heller und Schuh bieten Nestroysche Possenbravour. (OL)

Der Standard, 3. Juli 2001: Von Staub keine Spur

Am Ende regiert die Nacht: Das Possenpersonal streckt die Arme von sich und nachtwandelt über Nora Scheidls schmale Bretterbühne. Schaut her, ruft uns Regisseur Peter Gruber zu, bevor wir nach diesem stimmigen Nestroy-Abend die Schwechater Rothmühle verlassen, macht die Augen auf. Mit geöffneten Lidern lebt es sich besser!

Ein schöner Schlusspunkt hinter einem halbherzigen Stück. Denn die Wortblasen bringen in dieser 1836 „zum Vortheile des Komikers Johann Nestroy“ uraufgeführten Posse, die in Schwechat Nachtwandler heißt, die Ordnung nur für kurze Zeit ins Wanken. Am Ende regiert wieder die Ökonomie von Geben und Nehmen. Der Seiler Faden, der zwischendurch stolzer Besitzer von Frau und Schloss war, findet sich in Armut wieder. Die Zensur war’s zufrieden.

Zumindest für einige Zeit ging es in der guten Stube allerdings einigermaßen heiß her: Einem vom Glück heimgesuchten Seilerer (gewitzt: Bruno Reichert) werden von zwei guten Geistern, die in Wahrheit auch nur bessere Herren sind, alle Wünsche gewährt. Das kann nur schief gehen, gerade wenn der Geselle Strick (schön biegsam: Christian Graf) dem Meister zur Seite steht.

Doch Peter Gruber spielt dabei nicht mit: Er legt am Ende über die stickige Stube das Schweigen der Nacht. Einer der wenigen Kommentare des ansonsten zurückhaltenden Nestroy-Spezialisten. Von Staub keine Spur. (Stephan Hilpold)

Salzburger Nachrichten, 3. Juli 2001: Ab mit den alten Zöpfen

Die Schwechater Nestroy-Spiele bringen „Nachtwandler“ in einer schnörkellosen Aufführung.

Was braucht der Mensch zum Glück? Diese im Kern wohl soziale Frage wurde im Biedermeier und Vormärz auf den Bühnen Österreichs oftmals gestellt. In Johann Nestroys „Nachtwandler“ bekommt sie freilich eine besondere Schärfe, wie bereits Karl Kraus feststellte.

Ein reicher Adeliger verspricht da nämlich einem bankrotten Seiler, er werde als Dank für seine nächtliche „schlafwandlerische“ Rettung vor den Räubern ihm alles geben, was dieser für sein Glück als notwendig erachte. Der an sich bescheidene Handwerksmeister scheitert freilich, weil er sich etwas Überflüssiges wünscht. Ausgerechnet der Zopf des Adeligen stört den inzwischen im Schloss Residierenden.

Man braucht nicht Geschichte studiert zu haben, um zu wissen, dass dieses Symbol der Macht des Adels vom Volk ganz entschieden als überflüssig und dessen Entfernung als eine Notwendigkeit erachtet wurde.

Nestroy wusste eben, wie man die Zensur täuscht. Bei der sehr transparenten und sympathisch natürlichen Aufführung der „Nestroy Spiele Schwechat“ lässt Regisseur Peter Gruber beim unbotmäßigen Wunsch des Seilers ganz zart die Marseillaise spielen.

Mehr ist auch nicht nötig, denn die sozialen Gegensätze werden in dieser Inszenierung scharf herausgearbeitet. Und das Laienteam aus Schwechat verdient Anerkennung für seine darstellerische Leistung.

Christian Graf ist da etwa ein Seilergeselle, der sich auch gesanglich nicht zu verstecken braucht. Sein Meister – Bruno Reichert – kann auf seiner aus 18 Jahren Nestroy-Spielen erworbenen Professionalität aufbauen. Und Dagmar Jedletzberger liefert sich mit Bella Rössler einen filmreifen Kampf um den eigennützigen Seilergesellen. Die Schwechater sind im Sommertheaterreigen eine Klasse für sich. (Helmut Schneider)

Kurier, 4. Juli 2001: Ein Basar der Gefühle

Seit Jahrzehnten bürgen die Nestroy-Spiele Schwechat für sommerliche Unterhaltung auf hohem Niveau. Unter dem Motto „Nestroy lebt“ lässt Regisseur und Prinzipal Peter Gruber heuer die „Nachtwandler“ durch den Schlosshof Rothmühle geistern und beweist einmal mehr, dass Johann Nestroys zynische Possen von zeitloser Gültigkeit sind.

Im Jahr 1836 hat Nestroy das Stück „Die beiden Nachtwandler“ geschrieben und dabei die soziale wie wirtschaftliche Tristesse des Vormärz thematisiert. Alles und jeder ist käuflich in einer Welt, die nicht mehr von Geistern sondern von Großkapitalisten geprägt wird. Mit Witz und Tempo reißt Peter Gruber der Posse die allfällige biedermeierliche Maske vom Gesicht, entlarvt die charakterlichen Defizite aller Protagonisten. Denn das Geld siegt über die Gefühle. Monetäre Gunst wird aus Jux gewährt und bei Nichtgefallen wieder entzogen. Selbst die Liebe gehorcht primär den Gesetzen des Marktes.

Präzise führt Peter Gruber in Nora Scheidls praktikablem Bühnenbild die sehr guten Laien-Darsteller durch alle Irrungen. Bruno Reichert und Christian Graf führen das spielfreudige Ensemble an. (Peter Jarolin)