Unverhofft

Liebe Nestroy-Freunde!

Nach zwei sehr frühen Nestroy-Stücken ("Adelheid" und "Maxenpfutsch") und einem nachrevolutionären Spätwerk ("Mein Freund") zeigen die Nestroy Spiele heuer mit "Unverhofft" ein Stück aus der mittleren Schaffungsperiode des Dichters, das vor allem das vormärzliche Wiener Großbürgertum aufs Korn nimmt.

In der Hauptrolle diesmal ein prominenter Überraschungsgast: Josefstadt-Schauspieler Kurt Sobotka, dessen Wunsch – nach einem erfüllten Berufsleben in der Wiener Theater- und Kabarettszene – noch einmal eine der klassischen Nestroy-Rollen zu spielen, sich sozusagen "ung'schauter" mit dem heimlichen Wunsch unseres Ensembles getroffen hat, einmal mit einem der ganz Großen auf der Bühne stehen zu dürfen.

27. NESTROY Spiele Schwechat
Unverhofft
02. Juli bis 07. August 1999

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Bühne und Kostüm

Nora Scheidl

Musik

Kurt Adametz
HERR VON LEIDIG Partikulier
Kurt Sobotka
FRAU SCHNIPPS Ledigs Haushälterin
Bella Rössler
ARNOLD Maler
Markus Heller
WALZL Hutfabrikant
Bruno Reichert
GABRIELE seine Frau
Christine Zimmermann
BERG Handlungsreisender in Walzls Diensten
Konrad Kostmann
ANTON Bedienter bei Herrn Walzl
Poldi Selinger
HEINRICH ein Kadett, Walzls Sohn aus erster Ehe
Sascha Nikodym
JAKOB ein Kadett, sein Freund
Jakob Enajat
HUTMADAME in Walzls Fabrik
Eveline Bolaffio
HUTMAMSELLEN
Regine Ban-Korsos, Margherita Bolaffio, Dagmar Jedletzberger, Gabi Kozich, Esther Potesil, Maria Sedlaczek
FALK Modewarenhändler
Wilibald Mürwald
THERESE seine Schwester
Elisabeth Strache
MARIE deren Cousine
Sabine Stacher
FRAU NANNI Kindeswärterin
Traude Selinger
DEREN KINDER
Sabine Gnadlinger, Alena Koliander, Jessica Kölbl, Marlene Mürwald, Florian Rössler, Christian Wittmann
ARBEITSLOSE
Maria Schrittwieser, Sissy Stacher, Christl Wittmann, Edi Gnadlinger, Peter Koliander, Gerhard Stacher
DUELLANTEN
Florian Haslinger, Stefan Pestl, Thomas Spinka
EIN POLIZIST
Peter Kuno Plöchl

1. Akt
Arnold hat sich in Gabriele verliebt, die er im Auftrag ihres Mannes porträtierte. Wegen eines Vorfalls auf der Promenade will er sich für sie duellieren. – Auftrittslied Ledig I, 2 (R: „So ein Leben wär a Pracht, / Gute Nacht, / Gute Nacht“). – In einem längeren Monolog über die Ehe und die Liebe stellt der Junggeselle Ledig fest: „Bei der Lieb is das Schöne, man kann aufhören zu lieben, wenn ’s ein’m nicht mehr gfreut, aber bei der Ehe! das Bewußtsein: Du mußt jetzt allweil verheiratht sein, schon das bringt Einen um.“ So läßt er sich auch von Arnolds Argumenten für eine Ehe keineswegs umstimmen. Ledig ist gerne allein und vermißt deshalb auch seinen einzigen Verwandten nicht, seinen Neffen Berg, der ständig auf Reisen ist. Unterdessen hat sich Marie unbemerkt in Ledigs Wohnung geschlichen und schafft es auch, ebenso leise wieder zu gehen. Zufrieden damit, keine Frau und keine Kinder in der Nähe zu haben, will Ledig sich schlafen legen. Um so entsetzter ist er, als er auf seinem neuen Federbett ein kleines Kind findet. Zunächst verdächtigt er Frau Schnipps und Arnold, das Kind bei ihm abgelegt zu haben. In diese erste Aufregung hinein erscheint Frau Nanni, die von Ledig ebenfalls sofort für die Kindsmutter gehalten wird. Doch es stellt sich heraus, daß Frau Nanni von einer unbekannten Dame als Amme für den kleinen Jungen engagiert wurde. Im Gegensatz zu Frau Schnipps kann Ledig sich mit seinem Familiennachwuchs erst allmählich anfreunden. Trotzdem beschließt er, die „unverhofften Ausgaben“ für den Kleinen so lange zu tragen, bis er die Familie ausfindig gemacht hat. Die Suche nach den Eltern ist allerdings schwierig, weil das Kind keinerlei Hinweise bei sich trägt. Dann erinnert sich Frau Schnipps aber daran, daß im Laufe des Tages eine Visitenkarte abgegeben wurde. Nach einiger Suche findet man eine Karte auf dem Fußboden. Sie stammt von Christoph Walzl. Leider ist die Schrift auf der Rückseite fast unlesbar. Man kann nur noch ein Bruchstück erkennen: „Ich erwarte Nachricht, bewahren sie ein Leben, das …“ Sofort macht Ledig sich auf den Weg zu Walzl.

2. Akt 
Anton berichtet Walzl, daß ihn ein Herr schon um 5 Uhr in der Früh sprechen wollte, er ihn aber auf später vertröstet habe. Gerade ist Berg zurückgekehrt, der als Geschäftsreisender bei Walzl arbeitet. Er hat schon seinen Erbonkel Ledig aufgesucht und mußte zu seiner Enttäuschung feststellen, daß der seit der letzten Nacht einen eigenen Erben hat. Walzl erzählt Berg, daß er seiner Frau seinen Sohn Heinrich aus erster Ehe verheimlicht, weil sie, selbst Witwe, keinen Witwer mit Kind heiraten wollte. Gabriele gesteht Berg, daß sie sich wegen des Duells um Arnold sorgt. Sie habe ihm zwar eine Karte gesandt, fürchtet aber dennoch, durch die Situation kompromittiert zu werden. Falk wiederum erzählt Gabriele von dem merkwürdigen Verhalten seiner Schwester Theres: Zunächst weigerte sie sich partout, reich zu heiraten, brach in Tulpingen scheinbar grundlos in Tränen aus und reiste dann vor fünf Monaten nach Bamberg. Und obwohl sie erst am Vortag zurückgekehrt sei, berichteten mehrere Leute, sie in der Stadt gesehen zu haben. Endlich gelingt es Ledig, Walzl zu treffen. Als dieser hört, daß es um seinen Sohn geht, reagiert er sehr nervös, was Ledigs Verdacht erhärtet, hier den Vater des Kindes vor sich zu haben. Nach einer kleinen Auseinandersetzung wird jedoch deutlich, daß von zwei unterschiedlichen Söhnen die Rede ist. Als Grund für seine Verdächtigungen zeigt Ledig die gefundene Visitenkarte. Sofort erkennt Walzl auf der Karte die Schrift seiner Frau. Das bringt ihn zu der Annahme, Ledig habe eine Beziehung mit Gabriele. In diesem Moment tritt Marie in das Zimmer und erschrickt, als sie Ledig sieht. Im Hinausgehen verspricht Gabriele Ledig eine Erklärung. – Lied Ledig II, 13 (R: „Da kann man nur sagen: es hat kein Hand und kein Fuß, ’s ist ein gschwollner Discurs.“). – Zurückgekehrt gesteht Gabriele Ledig, daß sie die Karte schrieb. Nun glaubt sie, Ledig bringe ihr eine Nachricht von ihrem geliebten Arnold, während Ledig weiterhin von dem Säugling auf seinem Bett spricht. Umso erstaunter ist Gabriele, als Arnold eintritt. Mühsam lösen sich die Mißverständnisse auf. Walzl ist sich nun im klaren über die Beziehung seiner Frau zu Arnold und will auch Ledig, als angeblichen Liebesboten, zur Rechenschaft ziehen. Gemeinsam gelingt es Gabriele und Arnold, Walzl von seinen Verdächtigungen abzubringen, indem sie ihm erzählen, Arnold habe sich heldenhaft für ihn duelliert, weil Gabriele ihn darum bat. Ledig fühlt sich allerdings weiterhin von Walzl angegriffen und erzählt daraufhin von dessen Sohn Heinrich. Gabriele ist entsetzt. Doch in diesem Augenblick stürzt Frau Schnipps herein. Aufgeregt berichtet sie, auf der Straße vor dem Haus eine verdächtige Frau gesehen zu haben, die sich nach dem Kind erkundigte und in Richtung Strohhutfabrik davonrannte. Als Ledig bereits fort ist, erkennt Frau Schnipps in Marie diese Frau. Es herrscht große Aufregung.

3. Akt
Ledig rettet sich in Falks Haus, nachdem er die Arbeiterinnen in der Strohhutfabrik unbekümmert fragte, welche die Mutter seines Findelkindes sei, woraufhin diese ihn verprügeln wollten. – Quodlibet III, 8: Arnold erinnert Ledig daran, daß er im letzten Sommer in Tulpingen eine Bekanntschaft mit einer Frau aus Falks Haus hatte. So bringt er Ledig zu der Überzeugung, selbst der Vater des Kindes zu sein. Sogleich schreibt Ledig ein vorläufiges Testament, das seinen Sohn zum Universalerben macht. Außerdem gesteht er Arnold, nicht nur eine heimliche Liebschaft gehabt zu haben, sondern sogar eine heimliche Hochzeit. Doch bald trennte er sich wieder von seiner Frau, und sechs Wochen später erhielt er die Nachricht von ihrem Tod. Nun glaubt er, daß seine Frau noch lebt und ihm das Kind brachte. Sehr zu Ledigs Verwunderung unterschreibt Berg das Testament überglücklich. Freudig erzählt er seinem Onkel, er habe Theres heimlich geheiratet, als ihr Bruder sie zu einer Heirat zwingen wollte. Als seine Geschäftsreise sich verzögerte und er seiner Frau nicht schreiben durfte, glaubte sie sich von ihm verlassen und ließ das Kind aus Verzweiflung durch Marie zu Ledig bringen. Somit endet alles „wahrhaft unverhofft.“ 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 23/I Jürgen Hein)

25. Internationale Nestroy-Gespräche 1999
„Nur der geistlose Mensch kann den Harm übersehn, der überall durch die fadenscheinige Gemüthlichkeit durchblickt“ 

Das Zitat aus Unverhofft (1845) wurde zum Motto, das gleichermaßen Nestroys sprachliche Sicht auf die Welt wie die unterschiedlichen Formen und Ziele seiner Rezeption charakterisiert. Eckart Früh (Wien) analysierte das Verhältnis der österreichischen Sozialdemokratie zwischen 1900 und 1950 zu Nestroy, seine Aktualisierung ebenso wie seine einseitige Indienstnahme oder Vereinnahmung für die eigene Programmatik (z. B. die wechselnde Rolle von Freiheit in Krähwinkel [1848]). – Horst Jarka (Missoula, USA) berichtete über seine Spurensuche „Nestroy im Exil“ und wies an einer Fülle von Dokumenten und unpublizierten Aussagen nach, welche Bedeutung Nestroy als „Überlebenshilfe“ zur Festigung eines nationalen und politischen Selbstverständnisses für die Exilanten unterschiedlicher politischer Richtungen hatte, wobei er auch Linien dieser Rezeption nach 1945 skizzierte. [1] – Elias Canetti hatte die 15 Bände der Sämtlichen Werke im Gepäck, als er ins Exil ging; Gerald Stieg (Paris) beschrieb seine von Karl Kraus beeinflußte Nestroy-Rezeption und „intertextuelle Wahlverwandschaften“ (z. B. Nestroys Das Haus der Temperamente [1837] und Hochzeit sowie die Entdeckung „metadramatischer“ Dialogverweigerung und der „Sprachmaske“). – Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck) charakterisierte Helmut Qualtingers Beziehungen als Schauspieler und Autor zu Nestroy, z. B. die Fortsetzung der Tradition des satirischen Schreibens von Rollen. Die Frage der Qualtingerschen Auffassung von Nestroy-Rollen müßte weiterverfolgt werden. – Wendelin Schmidt- Dengler (Wien) entdeckte Reflexe des Wiener Volksstücks bei den Autoren der „Wiener Gruppe“, insbesondere bei Gerhard Rühm, denen es um die Wiederentdeckung einer Kunst „vor der Literatur“ ging, z. B. auch durch die freisetzende Kraft von Parodie und Spiel. [2] – Henk J. Koning (Putten, NL) verglich das Labyrinthische in Nestroys und Dürrenmatts Komödienwelt. Ein weiterer Themenkreis war ästhetischen und stilistischen Fragen sowie einzelnen Possen gewidmet. – Alice Bolterauer (Graz) diskutierte verschiedene Realismus-Theorien und hob Nestroys sprachliche Konstituierung von Wirklichkeit und den ,Realismus‘ als Erkenntnisprodukt des Zuschauers hervor, wobei das Lachen möglicherweise als Wirklichkeitskontrolle fungiert. – Alois Eder (Pyhra, A) wies im Kontext österreichischer Sprachgeschichte auf Nestroys artifiziellen Gebrauch der verschiedenen Sprachregister hin, wie aus Sprache und sozialer Komunikation ,Literatur‘ wird. – Andreas Böhn (Mannheim) untersuchte den Zusammenhang von „Geometrisierung, Serialität und Komik bei Nestroy“; in der Neuorganisation traditioneller Elemente und ihrer forcierten Mechanisierung zeige sich Nestroys Vorläuferschaft der Moderne. – Gustav Frank (Thalmässing, D) sah in Unverhofft (1845) eine literarische Spiegelung von Großstadterfahrung, ähnlich wie in zeitgleicher Prosa, und wies auf mögliche neue Einsichten der Lektüre unter der Perspektive von „Gender Studies“ hin, so z. B. zur Rolle der Sexualität in Nestroys Vaudeville-Bearbeitungen. [3] – Die Schwechater Inszenierung zeigte überraschende Parallelen zwischen Possenmechanik und moderner Boulevard-Dramatik, von Peter Gruber sozialkritisch aufpoliert. Louise Adey Huish (Shenington, GB) sah in den von ihr edierten Possen der Jahre 1838/40 (Gegen Thorheit giebt es kein Mittel, Die verhängnißvolle Faschings- Nacht, Der Färber und sein Zwillingsbruder, Der Erbschleicher) ein Experimentieren Nestroys mit allen Elementen der Posse im Kontext der Zuschauererwartungen, z. B. durch eine Mischung der genrespezifischen Muster von Besserungsstück und Vaudeville im Blick auf Sympathielenkung beim Publikum. Insbesondere hob sie die weiblichen Rollen als wesentliches Strukturelement der Possen zwischen 1838 und 1840 hervor. – Peter Branscombe (St. Andrews, GB) zeigte an den Parodien Tannhäuser (1857) und Lohengrin (1859) und ihrer Editionsproblematik (u. a. Frage der Autorschaft Nestroys und der Zensur) den komplexen Hintergrund der Wagner-Rezeption in Wien (u. a. Rolle von Johann Strauß als Vorreiter), auch, wie sich Opern und Parodien auf dem Wiener Theater wechselseitig förderten. Walter Schlögl (Wien) wies an exemplarischen Ausschnitten aus dem von ihm transkribierten Tagebuch (1781–1830) des Komponisten Wenzel Müller auf die Bedeutung von Tagebüchern als Quellen der Theatergeschichte hin. – Richard Reutner (Debrecen, H) berichtete über Theatermanuskripte von Bäuerle, Meisl und Gleich in der Széchenyi-Nationabibliothek in Budapest, was zu einer Diskussion grundsätzlicher Probleme der Edition von Stücken des Wiener Volkstheaters vor Raimund und Nestroy anregte. –W. Edgar Yates (Exeter, GB) gab einen Arbeitsbericht über Editionsprobleme der dramatischen Quodlibets und ihrer Vorspiele sowie über Schwierigkeiten, Nestroys Autorschaft bei den Quodlibets vor 1834 zu bestimmen. Daß „Rechts und Links“ mehr als nur technische Audrücke für Bühnenpositionen sind, sondern ,bedeutende‘, akzentuierende und blicklenkende Funktion haben können, bewies Urs Helmensdorfer (Zuoz, CH) an schlagenden Beispielen. Bei Nestroy komme das Spannende, Akzente Setzende meistens von rechts; es lohne sich, die Bühnenbilder genau zu ,lesen‘. Die von Wolfgang Häusler (Wien) geleitete Exkursion führte zu „echten und künstlichen Ruinen“ nach Mödling, zur Burg Liechtenstein und in die Brühl, von Beethoven als „göttlich“ bezeichnet, von Nestroy aber, anders als Raimund, nicht als stadtnahes Reiseziel wahrgenommen. 

[1] Vgl. auch S. 32 und 64 f.; zur Rezeption nach 1945 vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: Theater im ,Wiederaufbau‘, Zur Kulturpolitik im österreichischen Parteien- und Verbändestaat, Wien 2001.
[2] Vgl. auch Wendelin Schmidt-Dengler: Die Einsamkeit Kasperls als Langstreckenläufer, Ein Versuch zu H. C. Artmanns und Konrad Bayers Dramen, in: verLockerungen, Österreichische Avantgarde im 20. Jahrhundert, hg. v. W. Sch.-D., Wien 1994, S. 75–93; Johann Sonnleitner: Hanswurst und Kasperls Verschwinden und Wiedergeburt in der Wiener Avantgarde, in: Jeanne Benay / Gerald Stieg (Hg.): Österreich (1945–2000), Das Land der Satire, Bern […] 2002, S. 11–27.
[3] Gustav Frank: Nestroys Unverhofft: Zur Kritik am Vaudeville in Wien, Recherches Germaniques 30 (2000), S. 47–69.

Der Standard, 8. Juli 1999: Genußvolles Doppelleben

Kurt Sobotka feiert sein 50jähriges Bühnenjubiläum bei den Schwechater Nestroy-Spielen.

Es ist heute nicht ohne weiteres nachvollziehbar, daß Johann Nestroy mit Unverhofft im April 1845 einen Kassenschlager und Dauererfolg landete, dem sogar der Kaiser und Mitglieder des Hofes beiwohnten. Die Posse mit der etwas überkonstruierten Handlung rund um den Senior-Single Herr von Ledig, dessen geruhsames Leben durch einen mitten in seinem Schlafzimmer deponierten Säugling in heillose Verwirrung gerät, gehört nicht mehr zu den Hits des Possen-Klassikers.

Peter Gruber jedoch gelingt es, mit seiner heurigen Inszenierung bei den „Nestroy-Spielen Schwechat“ selbst aus diesem vertrackten „Schwank“ Funken zu schlagen. Ein Erlebnis, mit welcher Akribie und Phantasie im Schloßhof Rothmühle Nestroy gepflegt wird. Natürlich läßt sich das Geheimnis des früheren Erfolgs auch auf heute übertragen, geht es doch um nichts anderes als die genußvolle Aufdeckung des bürgerlichen Doppellebens, das durch die Suche Ledigs nach dem Kindsvater in Gang gesetzt wird. Keiner, der nicht Dreck am Stecken hätte, niemand, der nicht „frühere Verhältnisse“ zu vertuschen hätte. Selbst Herr von Ledig hat da, wie sich herausstellt, einiges auf dem Konto.

Aber das erfährt man erst ganz zum Schluß als Coup des Abends, nachdem Ledig auf der Suche nach dem Vater des Findelkinds bis in die Intimsphäre des Hutfabrikanten Walzl und dessen Frau (Christine Zimmermann) vorgestoßen ist, nur um unverhofft weitere Unordnung zu stiften oder solch dubiose Gestalten wie den Modewarenhändler Falk (Willibald Mürwald) zu treffen. Das Findelkind bleibt zunächst ohne Vater, dafür erweitert Regisseur Peter Gruber das Stück um Szenen, die das erbarmungswürdige Los der Hutfabrik-Arbeiterinnen illustrieren.

In der Nestroy-Paraderolle glänzt als prominenter Ehrengast in Schwechat Kurt Sobotka. Ein Vergnügen, wie er als selbstgefälliger Hagestolz das Hohelied des Single-Daseins singt, wie er den messerscharfen Wortwitz Nestroys bedient und wie er, von den Abenteuern der Vatersuche für sein Findelkind durchgebeutelt, mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert wird. Es war Sobotkas Wunsch, zu seinem 50-jährigen Berufsjubiläum mit dem bewährten Schwechater Ensemble zu spielen: Der Profi und die Amateure, eine ganz wunderbare Symbiose. Schwechat ist wieder eine Reise wert. (lohs).

Wiener Zeitung, 16./17. Juli 1999: Herr von Ledig witzelt, das Findelkind rapt

Die engagierten Amateure der Nestroy-Spiele Schwechat haben für die laufende Produktion von Johann Nestroys „Unverhofft“ einen Schauspieler aus dem Profilager engagiert: Kurt Sobotka gibt den Herrn von Ledig, dessen ruhiges, selbstverliebtes Single-Dasein von einem Findelkind durcheinandergewirbelt wird. Nestroy hat diese Rolle bis zu seinem Tod selbst gespielt.

Das Stück stammt aus Nestroys mittlerer Schaffensperiode. In all der Konfusion und den unerwarteten Wendungen, die das Stück nimmt, wird die Brüchigkeit der „geordneten“ bürgerlichen Verhältnisse deutlich.

Regisseur Peter Gruber versucht zudem, die gesellschaftliche und soziale Situation des Vormärz anzudeuten: Vor Aufführungsbeginn mischen sich Schauspieler im Bettler-Kostüm unters Publikum und lagern während der Aufführung vor der Bühne, die kecken „Hutmamsellen“ arbeiten in einer Hutfabrik, die sich in Sekundenschnelle in ein Bordell verwandelt.

Kurt Sobotka witzelt, was das Zeug hält und wie man es von ihm weniger als ernsthaftem Bühnendarsteller denn als „Guglhupf“-Kabarettist gewohnt ist. Ihm zur Seite stehen Bella Rössler als seine quirlige Haushälterin, Markus Heller als eleganter Maler Arnold, Bruno Reichert als Hutfabrikant, Christine Zimmermann als dessen opulente Frau, Konrad Kostmann als Handlungsreisender Berg und Willibald Mürwald als grimmiger Modewarenhändler Falk.

In das wunderschöne Ambiente des Schlosses Rothmühle setzte Günter Lickel einen stimmungsvoll-düsteren, in zwei Ebenen geteilten Bühnenraum.

Routiniert und mit großem Einsatz meistern die Darsteller die ersten zwei Akte. Den letzten Akt formte Regisseur Peter Gruber weniger glücklich in eine nervöse Musikrevue um, die unverhofft mit einem an Rap erinnernden Sprechgesang des Findelkindes endet. (Rainer Elstner)

Kurier, 4. Juli 1999: Des Biedermeiers böse Fratze

Zufrieden stolpert Herr von Ledig in sein Domizil. Schlafrock und Zipfelmütze sind rasch angelegt; der ältliche „Lotterbub“ sucht seine Ruhe. Doch plötzlich hebt das zarte Geschrei eines fremden „Wesens“, eines weggelegten Säuglings an, bricht die heilige Stille und zerstört mit einem einzigen Laut das biedermeierliche Idyll. Die Revolution steht freudig vor der Tür.

Im Schloßhof Rothmühle zu Schwechat zeigt Intendant und Regisseur Peter Gruber Johann Nestroys Posse „Unverhofft“ als exzellenten Abgesang auf eine gar nicht gute, alte Zeit. Sehr sorgfältig analysiert Gruber Nestroys 1845 entstandenes Werk und seziert die komischen Charaktere mit scharfer Klinge. Ein Vater muß gefunden, Abgründe müssen aufgedeckt werden. Geistreich, rasant und unerbittlich irrt Nestroys Held durch das praktikable, düstere Dekor (Ausstattung: Nora Scheidl), stiftet köstliche Verwirrungen und reißt dem Biedermeier die Maske vom zarten Gesicht. Die Damen der Hutfabrik – sie sind auch sexuellen Diensten zugetan. Die so braven Ehefrauen – sie bleiben ungeliebt. Die ehrenwerten Geschäftsherren – sie sind skrupellos. Bei fast jeder Pointe schwingt diskrete Sozialkritik mit; am Ende spielen Kinder Revolution.

Eine werkgetreue Aufführung, die durch Grubers Ensemble noch an Witz gewinnt. Als Herr von Ledig feiert Kurt Sobotka sein 50jähriges Bühnenjubiläum und brilliert mit wienerischem Idiom. Ein stilsicherer Erzkomödiant, der alle mit „Herz und Liebe“ agierenden Darsteller zu Höchstleistungen animiert. Traude Selinger, Christine Zimmermann, Bruno Reichert, Willibald Mürwald oder Markus Heller haben Nestroy längst im Blut. (Peter Jarolin)

Die Furche, Juli 1999: Junggeselle

Entlarvende Zeit- und Gesellschaftskritik brodelt unter der vergnüglichen Oberfläche von Johann Nestroys 1845 entstandener Posse „Unverhofft“, die heuer dem Publikum der Nestroy-Spiele Schwechat im Schloßhof Rothmühle Unterhaltung mit Tiefgang bietet. Peter Grubers Inszenierung kratzt pointensicher an den Fassaden bürgerlicher Wohlanständigkeit. Nora Scheidls düsteres Bühnenbild liefert stimmig die Kehrseite der Biedermeieridylle.

Ein besonderer Gast brilliert im spielfreudigen Ensemble, mit unter anderen Bella Rössler, Bruno Reichart und Sascha Nikodym. Kurt Sobotka feiert mit der Paraderolle des eingefleischten Junggesellen Herrn von Ledig, der eines Nachts überraschend ein Baby in seinem Bett vorfindet, sein 50-Jahre-Bühnenjubiläum. (Annemarie Klinger)

Niederösterreichische Nachrichten, 5. Juli 1999: Tüpfelchen auf dem i – Wenn man Pech hat, spielt man Nestroy in Schwechat

Eine gelungene Symbiose aus Laien- und Profitum begeisterte das Premierenpublikum bei Nestroys „Unverhofft“.

Kurt Sobotka zeigte als „alter Hase“ wieder, was er kann, trotz Schleimbeutelentzündung tobte er als Herr von Ledig über die Bühne – auf der verzweifelten Suche nach einem Vater für sein Findelkind. Doch auch die Laienschauspieler standen ihm in nichts nach, brillant heuer Bella Rössler, die nach mehrjähriger Abstinenz wieder in einer größeren Rolle als Haushälterin Sobotkas zu sehen war.

Wie gut das gesamte Ensemble harmonierte – „wir spielen ja miteinander und nicht gegeneinander“, so Sobotka im Vorfeld – konnte man deutlich auf der Bühne sehen. Die Lust am Theater und das Spiel mit Gags und Pointen steckte an, sodass trotz klassischer Inszenierung auch die bekannten Bezüge auf aktuelle Ereignisse nicht fehlten. Und wie wohl sich auch der Profi Sobotka inmitten der Hobbydarsteller fühlte – „wohler als mit manch anderen Kollegen“ – zeigte ein Couplet, das provokativ begann: „Seit einem halben Jahrhundert spiel ich Theater und da denkt sich manch einer, siehst wenn man ein Pech hat, spielt man auf seine alten Tag’ Nestroy in Schwechat.“

Hervorragend war auch heuer wieder die Regiearbeit Peter Grubers, der nach der vorjährigen sehr modernen Inszenierung heuer wieder auf eine klassische Regieführung zurückgriff, doch die typisch grubersche Interpretation durfte nicht fehlen. Und so wurde das Publikum zum Schluss mit einem „Aufstandsrapp“ der Jugend überrascht. Doch dieses Aufbegehren der Bürger, das von der Jugend ausgeht, unterbindet ein Polizist. Und sofort kehrt Ruhe und Ordnung ein und alles versinkt mit einem Wiegenlied wieder in seinen Dämmerschlaf der Unterdrückung und Bevormundung.

Ein besonderes Zuckerl der Regiearbeit bekamen allerdings nur die ersten Reihen mit. Denn vor der Bühne lagerten Sandler, die unterste Klasse der vom Großbürgertum beherrschten Gesellschaft des nestroyianischen Biedermeiers.

Zum Gelingen trug auch das ungewöhnliche Bühnenbild von Günther Lickl bei, mit einem schrägen Teil im Vordergrund und einem einstöckigen Aufbau dahinter.

Nach der erfolgreichen Premiere gratulierte Bundeskanzler Viktor Klima Kurt Sobotka zum 50-jährigen Bühnenjubiläum und das Publikum schloss sich mit „Standing Ovations“ an. Ein sichtlich gerührter Kurt Sobotka meinte dazu nur mit zahlreichen Blumensträußen im Arm: „Ich komm mir vor wie bei meiner Aufbahrung, nur hoffentlich kommen zu meinem Begräbnis auch so viele Leute.“

Unter dem hellauf begeisterten Publikum waren wieder traditioneller Weise Bundeskanzler Viktor Klima, der extra aus Salzburg anreiste, samt Gattin Sonja und seiner Mutter, ebenso durften unter anderem Bürgermeister Gogola, NR-Abgeordneter Dr. Josef Höchtl, LAbg. Richard Gebert, Kulturstadträtin Isolde Sacher, Stadtamtsdirektor Dr. Helmut Stippl, WK-Außenstellenleiter Dr. Franz Lima, Karl-Martin Sukopp, Nestroy-Intendant Robert Herret, die „Brennnesseln“, Werner Sobotka zur seelischen Unterstützung seines Vaters, sowie die Teilnehmer der Nestroy-Gespräche und der Urgroßneffe des Dichters, Otmar Nestroy, nicht fehlen.

Prominente Kritiker

Universitätsprofessor Dr. Otmar Nestroy, Urgroßneffe von Johann Nestroy: „Man ist natürlich vorbelastet, einerseits wenn man Nestroy heißt, andererseits wenn man die Werke des Dichters kennt. Doch durch ihre Zeitlosigkeit lassen sie dem Regisseur Raum für Interpretationen, was freie Umsetzungen wie die Grubers rechtfertigt. Ich komme gern nach Schwechat nicht nur zum Theater, sondern auch zum Symposium.“

Bundeskanzler Viktor Klima: „Es ist immer wieder wunderbar hier, die heurige Kombination der sehr engagierten Laiendarsteller mit Kurt Sobotka hat sich gesucht und gefunden. Auch das Wechseln der Inszenierungen von modern auf klassisch macht den Theaterbesuch spannend. Meine Gattin und ich unterhalten uns jedes Jahr sehr gut hier in der Rothmühle.“

NR Dr. Josef Höchtl: „Kurt Sobotka ist eine hervorragende Bereicherung für das Ensemble, das selbst ein hohes Profitum aufweist. Aber auch ihm scheint Nestroy besonders zu liegen – und mir gefällt es jedes Jahr.“

Bürgermeister Reinhard Gogola: „In diesem Jahr ist die Regie wieder klassischer, doch sie passt so hervorragend zu Kurt Sobotka. Für mich ist der Unterschied Laie – Profi kaum mehr zu erkennen.“

Kulturstadträtin Isolde Sacher: „Ich finde es bewundernswert, wie das Ensemble jedes Jahr eine so hohe Leistung bringt. Die Zusammenarbeit mit Kurt Sobotka ist da heuer das Tüpfelchen auf dem i.“

Kabarettist und „Hektiker“ und Sohn Werner Sobotka: „Ich bin zum ersten Mal in der Rothmühle, aber ich bin ganz begeistert, wie professionell das hier alles aufgezogen ist. Manche der Laienschauspieler sind so gut, dass man sie ohne weiteres auf eine normale Bühne stellen könnte.“ (Barbara Schindler)