Wohnung zu vermieten

Liebe Nestroy-Freunde!

Wie die meisten Nestroy'schen Stücke ist die 1836/37 geschriebene Lokalposse "Eine Wohnung ist zu vermiethen in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing" eine Bearbeitung. Sie basiert auf einem „komischen Gemälde" von Louis Angely, das bereits 1882 in Berlin gezeigt wurde.
Allerdings reichten diesmal Nestroys dramaturgische und sprachliche Veränderungen, die Verschärfung und Vertiefung des Textes und dessen Verlagerung in die Wiener Gesellschaft nicht aus, um dem Stück einen Erfolg bescheren. Dennoch gilt das Stück seit seiner Wiederentdeckung durch Karl Kraus heute als meisterhafte „Spießersatire".

Die völlig belanglose Handlung interessiert dabei nur marginal. Was haften bleibt, ist das erschreckende Zerrbild einer oberflächlichen, genusssüchtigen, hektischen und zugleich erstarrten Gesellschaft. Die penetrante Geschwätzigkeit, der Gebrauch sinnentleerter Floskeln, die verinnerlichte Doppelmoral und die an Autismus grenzende Selbstbezogenheit der dargestellten Menschen machen "Eine Wohnung ist zu vermiethen..." bis in die Gegenwart hinein aktuell und spielbar - als eine Art „Wachsfigurenkabinett" skurriler, zeitloser Wiener Typen.

Peter Gruber

23. NESTROY Spiele Schwechat
Wohnung zu vermieten
Premiere: 05. Juli 1995

Regie

Peter Gruber

Regieassistenz

Christine Bauer

Bühne und Kostüm

Andrea Bernd

Puppen

Christa Müller

Körpertraining

Sigrid Reisenberger

Bühnentechnische Leitung

Peter Koliander

Licht

Fritz Gmoser, Christian Schrott

Maske

Brigitte Holzer, Gerti Bayer

Musik

Herbert Ortmayr

Klavier

Hans Oberwalder, Stefan Riedl

Schlagzeug

Angela Adebiyi-Berann

Geige

Popa Tiberiu

Effekte

Christian Sturtzel

Hüte

Gertrude Pfertner
GUNDLHUBER Sektionschef in Ruhe
Bruno Reichert
KUNIGUNDE seine Frau
Traude Selinger
AMALIE seine Tochter
Sabine Stacher
HEINRICH sein Sohn
Alexandra Kratzwald
GABRIEL sein Sohn
Patrick Thurner
FRANZI sein Sohn
Thomas Spinka
ADELE seine Jüngste
Teli Ragazza
DRAGICA ihr Dienstmädchen
Sabine Gerger
AUGUST FELS Amaliens Bräutigam
Falke Ameringer
WALDI sein Freund
Jakob Enejat
KLEEFELD Notar und Hausfreund
Konrad Kostmann
LOUISE seine Tochter
Christine Zimmermann
TANTE FERNER
Sylvia Daniel
ROSINE CHALY Inhaberin eines Wachsfigurenkabinetts
Susanne Urban
MONSIEUR DUMONT Prateraussteller
Horst Salzer
LISETTE Dienstmädchen
Bella Rössler
WOHLSCHMACK Kapitalist
Poldi Selinger
EDUARD sein Sohn
Leopold Selinger
HEUSCHRECK Fabrikant und Pleitier
Willibald Mürwald
CÄCILIE seine Frau
Esther Potesil
THERESE deren Tochter
Angela Koliander
JASMINE deren Dienstmädchen
Sonja Scherhaufer
CAJETAN BALSAM Hausmeister
Robert Herret
MADAME STOLL seine Gevatterin
Sylvia Janousek
SOPHIE ihre Tochter
Regine Ban Korsos
FLINT Glaserer
Sascha Nikodym
DAMEN DER GESELLSCHAFT
Veronika Hegler, Sylvia Janousek, Gabi Kozich, Renate Schleder, Sissi Stacher, Brigitte Stöhr
INSPEKTOR
Andreas Herbsthofer
POLIZISTEN
Peter Koliander, Horst Salzer
KLOFRAU
Olga Weinlich
FIAKER
Peter Koliander
STELLWAGEN-KUTSCHER
Gerhard Stacher
BRANNTWEINER
Robert Russel
GÄSTE BEIM BRANNTWEINER
Sylvia Daniel, Veronika Hegler, Sylvia Janousek, Gabi Kozich, Horst Sazer, Renate Schleder,< Gerhard Stacher, Sissi Stacher, Brigitte Stöhr

1. Akt
Chor mit Notar I, 1. – August und Amalie unterzeichnen einen Ehevertrag, doch da Gundlhuber sich verspätet hat, fehlt seine Unterschrift, um den Vertrag rechtskräftig zu machen. Um Augusts Treue noch einmal zu prüfen, bittet Amalie Louise, August versuchsweise zu verführen. Während sie diesen Plan schmieden, fliegt ein Stein mit einem Liebesbrief von Eduard für Amalie durch das Fenster, in dem er schreibt, er sei dem Wahnsinn nahe und würde August am liebsten ermorden. – Lied Gundlhuber I, 7 (R: „Ja Spatziergäng zu machen, das ist eine Pracht, / Wenn man so den stillen Beobachter macht“). – Gundlhuber will unbedingt in eine neue, größere Wohnung ziehen, obwohl die jetzige Wohnung auch nach der Hochzeit von August und Amalie nicht zu klein sein wird. Sofort macht er sich mit Kunigunde und vier Kindern auf den Weg zu einer Besichtigung. Da er keine neuen Mieter im Haus haben möchte, setzt Cajetan alles daran, um Gundlhuber von einem Umzug abzuhalten. Madame Chaly will mit ihrem gesamten Wachsfigurenkabinett nach Hietzing umziehen. Für diesen Umzug hat Cajetan sich als Helfer angedient. Doch er verärgert Madame Chaly durch seine aufdringliche und rechthaberische Art so sehr, daß sie schließlich Lisette mit der Beaufsichtigung des Umzugs beauftragt. Zunächst rühmt Cajetan sich vor Lisette damit, noch ledig zu sein; wenig später macht er ihr einen Heiratsantrag. Weil sie nachts immer lange liest, könnte sie statt seiner nachts das Haustor öffnen. Lisette meint, Cajetan sei eigentlich zu alt für sie, doch da er ein Haus besitzt, will sie es sich überlegen. Der verzweifelte Eduard erzählt Madame Chaly, in die er ebenso verliebt ist wie in Amalie, von seinen Problemen: Sein Vater will seine hohen Schulden nur bezahlen, wenn er ein ihm noch unbekanntes Mädchen heiratet. Madame Chaly rät ihm, sich seinem Vater zu beugen, denn sie selbst sei im Begriff, eine Vernunftehe mit Dümont zu schließen und dies sei ohnehin das Ende ihrer Beziehung. Als letzten Wunsch verlangt Eduard von ihr, daß sie eine Wachsfigur vernichtet, die seinen Vater sehr unvorteilhaft darstellt. Gerne würde Madame Chaly seinen Wunsch erfüllen, doch gerade diese ist Dümonts Lieblingsfigur. Unerwartet klingelt es in diesem Moment an der Tür. Da Madame Chaly Dümont erwartet, versteckt Eduard sich in einem Schrank. Es ist jedoch Gundlhuber mit seiner Familie. Geschwätzig stellt er alle vor, obwohl Madame Chaly ihn sobald als möglich wieder loswerden will. Als sie Madame Chaly sieht, beschließt Kunigunde, Gundlhubers Treue zu prüfen. Sie läßt die beiden alleine im Zimmer. Tatsächlich versucht Gundlhuber, bei Madame Chaly Eindruck zu machen, doch er wird beständig von seinen Kindern gestört. Endlich verabschiedet sich die Familie, doch bevor Madame Chaly Eduard aus dem Schrank befreien kann, kehren alle wegen eines Platzregens zurück. Sie lassen sich häuslich nieder, ohne zu bemerken, daß Madame Chaly sehr ungehalten ist. Beim Spielen entdeckt Heinrich Eduard im Schrank. Nur seinem Vater zeigt er den Mann, und der verspricht Eduard, zu schweigen. Doch ehe er sich versieht, hat Heinrich Eduard im Schrank eingeschlossen. Zwar übergibt er den Schlüssel seinem Vater, doch da tritt Kunigunde ein und drängt zum Aufbruch. So nimmt Gundlhuber den Schlüssel mit. Bevor es Madame Chaly gelingt, Eduard aus seiner mißlichen Lage zu befreien, erscheint Dümont. Cajetan holt den Schrank ab; Madame Chaly und Dümont versuchen vergeblich, ihn davon abzuhalten. – Chor der Träger mit Cajetan I, 29. In Dümonts Auftrag werfen die Träger Cajetan hinaus.

2. Akt
Sophie und Flint wollen heiraten. Nun sind sie auf der Suche nach Sophies Onkel Cajetan, den sie in einer Schenke finden. Fast kommt es wegen Cajetans groben und unhöflichen Reden zum Streit zwischen Flint und Cajetan, doch Sophie braucht Cajetans Hilfe, denn die Mutter will sie nur heiraten lassen, wenn sie eine Aussteuer hat. Dazu müssen Sophie und Flint aus ihrer Wohnung ausziehen, damit die Mutter sie vermieten kann und somit die Einnahmen aus dem Mietzins bekommt. Cajetan soll dem Paar helfen, eine neue Wohnung zu finden. Da er selbst verliebt ist, verspricht er seine Hilfe. Als Gegenleistung soll Sophie Madame Chaly ausfindig machen. – Lied Cajetan II, 5 („Wird mich ihre Liebe lohnen“). – Unterdessen ist bei Herrn von Heuschreck eine Feier arrangiert, auf der Therese ihren Bräutigam kennenlernen soll. Auch Louise und August sind anwesend. Bald stellt sich heraus, daß Eduard der zukünftige Ehemann sein soll. Erschrocken erinnern sich Therese und Louise an den morgendlichen Brief. Louise versucht, August auf die Probe zu stellen, indem sie ihn daran erinnert, daß er schon mehrere Lieben hatte und daß auch Amalie nur eine vorübergehende Leidenschaft sein könnte. Sofort kommen August Zweifel, und er beginnt sich in Louise zu verlieben. Auch Louises Geständnis, daß die Szene nur eine List war, kann ihn nicht mehr abschrecken. – Chor II, 9. – Während die ganze Gesellschaft noch darauf wartet, daß Eduard selbst endlich eintrifft, erscheint Gundlhuber mit seiner Familie, um die Wohnung zu besichtigen. Geschwätzig bemängelt er sofort einige Kleinigkeiten und verärgert damit alle. Da klingelt Lisette, um von Gundlhuber den Schrankschlüssel zu holen. Gerne erzählt Gundlhuber, was es damit auf sich hat. Schließlich verkündet er, daß der eintretende Eduard der besagte Mann im Schrank gewesen sei. Über das allgemeine Entsetzen ist Gundlhuber so verwirrt, daß er mit seiner Familie schnell aufbricht. Wütend erklärt Wohlschmack Eduard für enterbt und wirft ihn aus dem Haus. – Chor der Gäste II, 19.Chor der Fiaker II, 21.

3. Akt
Chor III, 1. – Walder und dem vor Liebeskummer untröstlichen August erzählt Eduard, daß er die Wachsfigur stehlen will, die seinen Vater darstellt, weil er der Überzeugung ist, daß sein Vater ihm dann vergeben und seine Schulden bezahlen wird. Flint soll ihm bei diesem Plan helfen. August ist todunglücklich, weil Louise von ihm verlangt, daß er Amalie heiratet, obwohl sie selbst August liebt. Aus Rücksicht auf Amalie weist Louise August immer wieder ab. Gundlhuber erscheint mit der ganzen Familie in Madame Stolls Wohnung in Hietzing. – Lied Gundlhuber III, 8 (R: „Wenn man reden wollt, ließ sich gar viel drüber sagn.“). – Gundlhuber findet zunächst überhaupt keinen Gefallen an der Wohnung, weil er unbedingt in die Nähe von Madame Chaly ziehen möchte. Er ändert seine Meinung jedoch, als er hört, daß der Garten direkt an den Garten von Madame Chaly stößt. Kunigunde scheint dieser Sinneswandel sehr verdächtig. Auch Amalie kommt Augusts Betragen sonderbar vor. – Terzett Gundlhuber, Cajetan, Lisette III, 20. Lisette soll Madame Chaly eine verliebte Botschaft von Gundlhuber bringen. Cajetan glaubt, Lisette wollte ihn mit Gundlhuber betrügen. Zunächst unbemerkt, holen Eduard, Flint und zwei Gesellen besagte Wachsfigur aus Madame Chalys Haus und werfen sie, von Cajetan beobachtet, in einen Brunnen. Cajetan glaubt, einen Mord gesehen zu haben. Die Polizei wird verständigt und verhaftet Gundlhuber, der am Brunnen, vor einem durch Lisette vermittelten Treffen mit Madame Chaly, Wasser schöpfen will. Umgehend erzählt Cajetan Louise und Amalie von der angeblichen Mordtat. Die beiden befürchten das Schlimmste, weil Cajetan behauptet, Eduard erkannt zu haben. Sie glauben, es sei zum Duell zwischen Eduard und August gekommen, doch im nächsten Moment erscheint August unversehrt. Louise, die zuvor ihren Schmerz kaum verbergen konnte, sinkt ihm in die Arme. Amalie durchschaut die Situation sofort. Eduard erscheint und erklärt, was geschehen ist, worüber Wohlschmack entzückt ist. Sogleich will er alle Schulden seines Sohnes bezahlen. Eduard bittet Amalie, ihn zu heiraten. Sie ist einverstanden und muß einsehen: „Ich hätte glauben sollen und nicht prüfen, denn selten gibt’s ein Glück, das nicht in Schaum zerfließt, wenn man es zu genau ergründet.“ Da Eduard und Amalie nach ihrer Hochzeit in der Wohnung von Madame Stoll wohnen werden, braucht Gundlhuber nun keine neue Bleibe mehr. – Schlußgesang Chor mit Gundlhuber III, 30.

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 12 W. Edgar Yates)

21. Internationale Nestroy-Gespräche 1995
Nestroys Wien und Anderswo

Mittwoch, 5. Juli
20.30 Uhr Abendprogramm in der Rothmühle "Wohnung zu vermieten"

Donnerstag, 6. Juli
9.00 Uhr Jeanne Benay (Rouen, F): "Eine Wohnung ist zu vermiethen – Mehrere Wohungen zu vermiethen" (Nestroy, Malß, angely, Duflot et Roche)
10.00 Uhr Werner Kummer (Bielefeld, D): "Präsente Interaktionsstrukturen und Repräsentation von Normen in Nestroys Possen, speziell in Eine Wohnung ist zu vermiethen"
11.30 Uhr Franz Schüppen (Herne, D): "Das Glück des mehr oder weniger trauten Heims", Wohnplätze bei Nestroy
15.00 Uhr Peter Gruber (Wien, A): "Stück und Inszenierung" – Diskussion über die Aufführung
16.00 Uhr Johann Hüttner (Wien, A): "Nestroys Räume im Text und die realen Bühnenräume"
16.45 Uhr Manfred Draudt (Wien, A): "Zum Lokalkolorit der Shakespeare-Parodien von Perinet, Kringsteiner und Meisl"
17.30 Uhr Henk J. Koning (Putten, NL): "Nein, in Wien das Leben – 's kann nichts Schöners geben – Wiengeist und Wienreiz bei Bäuerle und Holtei"
Abendprogramm: Überraschung

Freitag, 7. Juli
09.00 Uhr Friedrich Walla (Newcastle, AUS): "Da werden doch die deutschen Affen nicht lange zurückbleiben. Neue französische Quellen zu Stücken Nestroys. Mit einer Fussnote zu Eine Wohung ist zu vermiethen."
10.00 Uhr W. Edgar Yates (Exeter, GB): "O Weiße Häuser! Eure Macht ist groß!" (Paul de Kock und Nestroy)
11.30 Uhr Angela Gulielmetti (St.Louis, USA): "Häuptling Abendwind und Präsident Abendwind – Nestroy und Elfriede Jelinek"
14.30 Uhr Wolfgang Häusler (Wien, A): Exkursion von Johann Nestroys Geburtshaus bis in die Vorstadt
Abendprogramm Christian Futterknecht (Wien, A): "Erfahrungen mit Nestroy-Rollen"

Samstag, 8. Juli
09.00 Uhr Helmut Mojem (Regensburg, D): "Unedle Zivilisierte. Zur Zielrichtung der Satire in Nestroys Häuptling Abendwind"
10.00 Uhr Peter Branscombe (St.Andrews, GB): "Nestroys historische, geographische und literarische Kenntnisse anhand der letzten Stücke"
11.30 Uhr Otmar Nestroy (Graz,A): "Reisen – so ganz unkompetente Betrachtgun über eine Bewegung von Punkt A zu Punkt B"
15.00 Uhr Evald Kampus (Tartu, EE): "Nestroy-Stücke auf den deutschen und estnischen Bühnen in Estland"
16.00 Uhr Marijan Bobinac (Zagreb, HR): "J. Freudenreich - ein kroatischer Nestroy"
17.00 Uhr Resümee und Ausblick

Moderation: Jürgen Hein und Walter Obermaier
Unter Mitwirkung der Internationalen Nestroy-Gesellschaft

Niederösterreichische Rundschau, 5. Juli 1995: Posthumer Applaus für Nestroy

Als hätten sie ’nen Verbündeten da oben, heizten am vergangenen Freitag den Darstellern der Schwechater Nestroy-Spiele gut 28 Grade nach Celsius die Premiere des Stücks „Wohnung zu vermieten“ an. Aber nicht nur deshalb wurde es einem warm ums Herz.

Spielfreude und -witz sind Attribute, die sich beinahe alljährlich in den Kritiken über die Aufführungen des Amateurensembles Peter Grubers finden. Und auch beim heurigen Stück fällt es den Darstellern rund um „Hausmeister Cajetan Balsam“ Robert Herret offensichtlich sehr leicht, sich in ihre Figuren hineinzuleben, die Rollen beinahe „authentisch“ wiederzugeben. Kein Wunder, handelt es sich bei Nestroys Spießersatire doch um eines jener Stücke, die die Leichtigkeit des Seins, die Fulminanz des Lebens in den Vordergrund stellen, die das Burlesk-Obszöne entlarven und gleichzeitig schmunzelnd bejahen.

Einst von zeitgenössischen Kritikern „in der Luft zerrissen“, darf sich Johann Nestroy posthum über ehrlichen Applaus, über selbstironische Zustimmung des Publikums freuen. Freilich, heute sind die Dinge wie damals, lediglich die Betrachtungsweisen haben sich geändert. Und so passen auch jene geschickt integrierten Aktualitäten, die Nestroy-Ring-Preisträger in diese Komödie verpackte, bestens hinein ins bunte Geschehen, ins Wirr-Warr der Nestroy’schen Späßchen und Skandälchen.

Besonders gut paßt dieses Stück aber in den Hof des Schlosses Rothmühle. Die „bessere Gesellschaft“ mit ihrem Gesinde findet hier einen Rahmen, wie er kongenialer nicht sein kann. Der Kontakt zum Publikum ist eng, das Stück kann daher auch räumlich „rüberkommen“. Man(n) findet sich als Voyeur im Schlafzimmer wieder und fühlt sich entsprechend wohl.

Interessant die Effekte, die Christa Müllers verblüffend realistische Puppen erzielen. Sie sind der Spiegel, der dem Betrachter permanent vors Gesicht gehalten wird, sie sind aber auch der Weg von der Gegenwart, der stumme Beobachter und Begleiter der verwerflichen Handlung, der Abhörapparat und die Rasterfahndung.

Und wenn das musikalische Thema aus der Love-Story die Tochter des Sektionschef in ihre verbotene Liebschaft begleitet, darf heutzutage ruhig gelacht werden. Und das wurde in Schwechat bei der Premiere, das wird in Schwechat auch bei allen anderen Vorführungen mit Sicherheit. (Manfred Murczek)

Neue Kronenzeitung, 9. Juli 1995: Wohnungssuche 1837

„Oh Häuser, wie groß ist eure Macht!“ Die traditionsreichen Schwechater Nestroy-Spiele haben mit dem Stück „Wohnung zu vermieten“ eine beinahe unbekannte Posse ausgegraben. Mit Erfolg! Denn die Laiendarsteller erfreuen durch Begeisterung an dem fröhlichen Freiluftspektakel.

Wohnungssuche war schon 1837 keine einfache Sache: Vor allem nicht, wenn der Familienvater mehr an der Nachbarin als an der Wohnung interessiert war. Nestroys schonungslos offene, beißende Kritik an Scheinmoral und Heuchelei ist zeitlos.

Gekonnt setzt Peter Gruber (Regie) scharfen Spott ein, um das Gestern mit dem Heute zu verbinden. Witzige Einfälle lockern die Handlung auf, lassen die Aufführung aber auch ins Derbe abdriften. Originell ist das aus aufgestapelten Holzkästen bestehende Bühnenbild Andrea Bernds.

Hervorragend: Robert Herret als intriganter Hausmeister Balsam – ein Nestroy-Original; Bruno Reicherts Gundlhuber ist ein Spießer aus dem (Biedermeier-)Bilderbuch; verläßlich: Konrad Kostmann als ewig lüsterner Herr Kleefeld, Bella Rössler als Lisette, Angela Koliander und Leopold Selinger. (O. L.)

Der Standard, 3. Juli 1995: Stapo auf Spurensicherung

Auf der Suche nach unbekannteren Possen für die Nestroy-Spiele in Schwechat ist Regisseur Peter Gruber heuer auf „Wohnung zu vermieten“ gestoßen. Daß diese Komödie von den Theatern heute gemieden wird, hat seinen Grund wohl vor allem darin, daß sie schon bei der Uraufführung 1837 als „witz- und gehaltloses Machwerk“ identifiziert wurde.

Aber wie immer machen sich Gruber und sein hervorragend disponiertes Laienensemble mit Feuereifer und einer Fülle von spaßigen Ideen daran, das verkannte Werk in ein zündendes Spektakel zu verwandeln. Da gerät die Wohnungssuche des Sektionschef Gundlhuber samt Familiensack und -pack (Bruno Reichert als Lodenzombie mit Hitlerbärtchen) im originellen Bühnenbild Andrea Bernds zu einer grotesken Spießerdämmerung. Und da konfrontiert Robert Herret als Cajetan Balsam mit dem infernalischen Urbild eines versoffenen Hausmeisters.

Keiner wird verschont, alle bekommen sie ihr Fett ab. Die Kronenzeitung lesende Stapo ist von Anfang an dabei und versagt später naturgemäß bei der Spurensicherung, während sich derweilen hohe kirchliche Würdenträger in dem Geheimpuff herumtreiben, in das Gruber das Wachsfigurenkabinett Rosine Chalys (Susi Urban) verwandelt hat.

Da wird aber auch munter mit der Liebe jongliert, als ob wir uns in einem Wiener Sommernachtstraum befänden, da zitiert die Musik (Herbert Ortmayr) auch schon Felix Mendelssohn-Bartholdy herbei und treibt ein veritables Feuerwerk die Stimmung auf den Höhepunkt.

Bei all dem hat Peter Gruber (wieder) nur eines übersehen: Daß auch die besten Gags nicht drei Stunden langes Sommertheater rechtfertigen. (Lothar Lohs)

Täglich Alles, 2. Juli 1995: Wohnung zu vermieten

„Und erst in Schwechat komm’ ich wieder auf andere Gedanken, bei Schwechat fängt ein anderes Klima an“, läßt Nestroy den Reisenden Überall sagen („Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“). Als hatt’ er’s geahnt – 150 Jahre später herrscht hier zur Freude der Besucher ein Nestroy-Klima der besonderen Art. Dafür verantwortlich: Regisseur Peter Gruber und „sein“ Amateurensemble St. Jakob.

Seit dem Beginn vor 23 Jahren ist der 49jährige Nestroy-Ring-Preisträger Peter Gruber als Regisseur der Nestroy-Spiele Schwechat dabei. Und hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem unbekannte(re) Nestroy-Stücke auf die Bühne im romantischen Schloßhof der Rothmühle zu bringen. Und so heißt’s diesmal: „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“. Das erste und letzte Stück Nestroys, das explizit in Wien spielt. Ein Grund, daß diese Spießersatire aus dem Jahre 1836/36 bei der Uraufführung „ausgezischt“ wurde. Und von der einst lediglich Karl Kraus überzeugt war. Und Peter Gruber hat anno 1995 behutsam Nestroys Bissigkeiten zu einem kurzweiligen und zeitlosen Spiegelbild von abscheulicher Doppel- und Scheinmoral verarbeitet. Angereichert mit liebevollen Details und köstlichen Anspielungen auf Klestil, Löschnak, Krenn und Groër. Gruber zur Seite steht ein famoses spielfreudig-mitreißendes Amateurensemble, das auf jeder großen Bühne bestehen kann. Allen voran „Hausmeister“ Robert Herret, der in einem Atemzug mit allen großen Nestroy-Darstellern zu nennen ist. Ein grandioser Erfolg für Regisseur und Schauspieler mit einem einzigartigen Drumherum. Ein Muß für alle Nestroy-Liebhaber. (Judith Lewonig)

Wiener Zeitung, 2. Juli 1995: Bal macabre mit Wiener Typen

Einmal mehr ist bei den Schwechater Nestroy-Spielen im Schloßhof der Rothmühle eine gelungene Nestroy-Aufführung zu bewundern. Ebenso muß man wieder einmal den bewundernswerten Einsatz und die professionelle Disziplin des Schauspielerensembles, das ja aus sogenannten Laien besteht, hervorheben, bestaunen, ja in manchen Fällen sogar bejubeln.

Peter Gruber, der verdiente Regisseur der Nestroy-Aufführungen in der Rothmühle, hat sich für diesen Sommer Nestroys selten gespielte und umstrittene Posse „Eine Wohnung ist zu vermieten in der Stadt. Eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt. Eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing“ ausgesucht. Unter dem Kurztitel „Wohnung zu vermieten“ hat er aus der ein wenig flachen Geschichte, die bei der Uraufführung mit Bomben und Granaten durchgefallen ist, ein skurriles Wachsfigurenkabinett mit typischen Wiener Figuren geschaffen.

Der Slogan „Wien bleibt Wien“ wird in Peter Grubers Interpretation zur wilden Drohung. Das goldene Wienerherz wird entlarvt als eigennützige und hinterhältige Spießerseele, deren einzige Rechtfertigung vielleicht noch die Oberflächlichkeit ist, mit der die „echten“ Wiener Typen agieren. Wie viele vor ihm und nach ihm hat Nestroy wenig Gutes über die Wiener zu berichten, die er wie in einem bal macabre durch die Handlung wirbelt.

Peter Grubers Inszenierung zeigt nicht auf eine verniedlichte und auf bloße Komik reduzierte Nestroy-Posse, sondern eine – für Wien zumindest – ewig gültige Gesellschaftssatire. Trotzdem kommt der Humor nicht zu kurz. Herzhaft lachen kann man über die geschickt aktualisierten Couplets, über die Pointen zum politischen Tagesgeschehen und über den Spieleifer so mancher Akteure.

Stellvertretend für alle schauspielerische Leistungen dieses Abends möchte ich Robert Herret nennen, der dem Hausmeister Cajetan ein wahrlich schmieriges Inneres und Äußeres verleiht und Bruno Reichert, der in der Nestroy-Partie des wohnungssuchenden Gundlhuber, ein stiller Bürger mit schreiender Doppelmoral ist. Ein besonderer Gag sind die lebensgroßen und erschreckend realistischen Puppen von Christa Müller, die schon bei den Festwochen ihre verblüffende Wirkung bewiesen haben und das Panoptikum von Wiener Typen auf der Bühne und im Schloßhof vervollständigen. (Brigitte Suchan)

Niederösterreichische Nachrichten, 5. Juli 1995: Großartige Nestroy-Premiere im Schloßhof der Rothmühle

Einen großartigen Erfolg konnten die Laienschauspieler im Schloßhof der Rothmühle anläßlich der Premiere zu den 23. Nestroy-Spielen verbuchen.

Im 23. Jahr der Schwechater Nestroy-Spiele inszenierte Regisseur Peter Gruber die umstrittene und deshalb selten gespielte Spießersatire „Wohnung zu vermieten“. Ein bissig-böser Frontalangriff auf die Oberflächlichkeit und Doppelmoral der Wienerinnen und Wiener – von 1837 bis heute.

Da entstand ein „skurriles Wachsfigurenkabinett zeitloser Wiener Typen“, inmitten der bei den Wiener Festwochen berühmt gewordenen, erschreckend realistischen Puppen von Christa Müller.

Das war ein Nestroy, der nicht nur mit seinen Couplets, sondern auch in den Textpassagen das Publikum begeisterte. Wieder ein Nestroy, der einfach der Vorstellung des Publikums entsprach. Auch die Darsteller boten ihr bestes.

Man kommt auch nicht umhin festzustellen, daß die Rolle des Cajetan Balsam, dem Robert Herret wieder auf den Leib zugeschnitten war. Ein aufrichtiges Bravo! (Oskar Peham)