Theaterg'schichten

Liebe Nestroy-Freunde!

Auch heuer gibts wieder was zu feiern: 
‣ den 100.000sten Besucher der Nestroy-Spiele Schwechat und
‣ das 20-jährige Bestehen der Internationalen Nestroy-Gespräche!

Zwei stolze Jubiläen, die eindrucksvoll dokumentieren, dass die Initiative des leider so früh verstorbenen Prof. Walter Mock, hier in der „Vorstadt“ von Wien ein „Zentrum regelmäßiger Nestroy-Pflege“ zu schaffen, voll aufgegangen ist.

Mit den 1854 geschriebenen „Theaterg’schichten durch Liebe, Intrige, Geld und Dummheit“ zeigen wir heuer als Persiflage und Selbstpersiflage ein oft unterschätztes Spätwerk Johann Nestroys, das wir in einer für uns neuen, Stück und Spielort adäquaten Form zu realisieren versuchen. Peter Gruber

22. NESTROY Spiele Schwechat
Theaterg'schichten
29. Juni bis 30. Juli 1994

Regie

Peter Gruber

Regieassistenz

Christine Bauer

Bühne und Kostüm

Andrea Bernd

Licht

Fritz Gmoser

Maske

Patricia Grecht, Alexander T. Müller

Technik

Peter Koliander

Musikalische Einrichtung

Herbert Ortmayr

Klavier

Erich Meixner

Schlagzeug

Angela Adebiyi-Berann

Effekte

Christian Sturtzel

Hüte

Gertrude Pfertner

Schneiderei

Martha Dwornikowic

Ton

Michael Strasser (Future Sound)
STÖSSL Apotheker und Stadtrat
Willibald Mürwald
PHILIPPINE seine Tochter
Sabine Stacher
KONRAD sein Sohn
Franz Steiner
DAMISCH sein Mündel
Leopold Selinger
FELBER ein Kunde
Peter Koliander
SCHOFEL Theaterdirektor
Bruno Reichert
ROUSAURA Protagonistin
Susanne Urban
K. M. SPORNHOFER Schauspieler
Markus Zarl
MAXNER Bühnenmeister
Poldi Selinger
KATHARINA seine Frau
Traude Selinger
LISI deren Tochter
Bella Rössler
MALI deren Tochter
Christine Zimmermann
KRAMMER Inspizient
Gunnar Seelke
FINK Garderober
Peter Koliander
SPINDL Souffleuse
Sylvia Janousek
BÜHNENARBEITER
Jakob Enajat, Heinz Streng
SCHAUSPIELER, PATIENTEN
Brigitte Stöhr, Veronika Hegler, Angela Koliander, Sabine Gerger, Esther Potesil, Sissi Stacher, Sylvia Daniel, Kerstin Kratzwald, Alexandra Kratzwald
OBERBAURAT
Robert Herret
BAURÄTE
Robert Russel, Helmut Pauli
INSLBULL ein reicher Brite
Markus Zarl
WACHTER
Konrad Kostmann
ZUSCHAUER
Sascha Nikodym, Traude Selinger, Heidi Gauster, Monika Fink
CLAUS Garderobier der Burg
Konrad Kostmann
DOKTOR
Robert Herret
POLIZIST
Sascha Nikodym
WÄRTER
Heinz Streng, Gunnar Seelke
ÄRZTE
Jakob Enajat, Traude Selinger, Konrad Kostmann

1. Akt
Apotheker Stössl hat seinem Neffen und Mündel Mathias Damisch seine Tochter Philippine und auch seine Apotheke bestimmt. Zu seinem Verdruß drängt es diesen aber zum vom Vormund verabscheuten Schauspielerberuf. Mit den Gedanken mehr beim Theater als in der Apotheke, verwechselt er häufig die Medikamente für die Kunden. Stössls Sohn Conrad, der selbst vor drei Jahren der Komödiantenleidenschaft verfiel und Mathias damit ansteckte, kehrt, über sein Talent und die Theaterwelt desillusioniert, nunmehr als Porträtmaler reumütig zu seinem Vater zurück. – Auftrittslied Conrad I, 3 (R: „Der Jugend verzieht man ja All’s auf der Welt.“). – Gemeinsam mit seiner Schwester Philippine versucht er, Mathias die Schauspielerberufung auszureden. Dieser aber ergibt sich anläßlich des Gastspiels einer durchreisenden Theatertruppe, deren Anwesenheit sein Vormund als Ratsvorstand des Ortes widerwillig genehmigen mußte, ganz dem Banne der Bühne. – Couplet Damisch I, 12 (R: „Auf was er sich Alles hinauswachsen kann.“). – Als der Hauptdarsteller der Truppe wegen eines lukrativeren Angebots heimlich abreist, darf Damisch als begabter und reicher Laie dessen Rolle als Phaon in „Sappho“ übernehmen, deren Rolle von der umschwärmten Rosaura gespielt wird. Ein Gewitterregen beendet vorzeitig die Vorstellung in dem Arena-Theater. Damisch wird vom Publikum, darunter auch von seinem Vormund, erkannt und zur Rechenschaft gezogen, weil er sich seinen Apotheker- und Bräutigamspflichten durch einen eiligen Theaterkontrakt entzogen hat.

2. Akt
Die Theatertruppe mit Damisch befindet sich in einer anderen Stadt. Der Theaterdirektor Schofel hat sich vergeblich um eine Spielstätte bemüht und ist in größter Geldverlegenheit. Der Theatertischler Maxner, mit ihm seine schauspielerisch mäßig begabten Töchter Mali und Lisi, hoffen, durch ihr Gegenangebot die Direktion der Truppe an sich zu bringen. Conrad schmiedet mit ihm und seiner Familie ein Komplott, um Damisch, der sich in Schofels Nichte Rosaura verliebt hat, von dieser unerwiderten Leidenschaft zu heilen und zur Rückkehr nach Hause zu bewegen. – Lied Conrad II, 17 (R: „Da kann man sich denck’n was die Lehrbub’n [variiert] erst sag’n.“). – Frau Maxner und ihre Töchter laden Damisch zu einem vermeintlichen Rendezvous mit Rosaura ein; Conrad verkleidet sich als Rosaura und soll ihn, ihm den gemeinsamen Liebestod anbietend, abschrecken. Zugleich bietet Inslbull, ein englischer Rentier und Verehrer der echten Rosaura, der falschen eine Shakespeare-Rolle an, was wiederum die echte, ehrgeizig und egoistisch, hinzutretend annimmt, während die falsche sich unerkannt zurückziehen kann. Damisch ist – scheinbar – so bestürzt, daß er dem ihm ins Gewissen redenden Conrad nachgibt und vorgibt, zu Braut und Vormund zurückzukehren. Theaterdirektor Schofel bietet sich, um von seinerTruppe nicht finanziell belangt werden zu können, als Narr dem Irrenhaus an. Dorthin wird kurze Zeit später Damisch eingeliefert, weil er wie wahnsinnig die abtrünnige Rosaura bis in ihr neues Theater verfolgte. – Quodlibet II, 22. – Maxner, Lisi und Mali sowie der Vormund und Conrad bitten um seine Freilassung, Damisch selber aber beschließt, Rosaura zu heiraten, um an sein väterliches Vermögen zu kommen, das ihm bei der Eheschließung zufallen soll. Schofel sieht sich als Rosauras Onkel nun wieder in Geldbesitz und geistig normal. Gleichzeitig macht aber Maxner seine Geldaußenstände für Kost und Logis Damischs geltend. Stössl schiebt entsetzt die Schuld an dieser Wendung seinem Sohn Conrad zu, der aber einen listigen Ausweg zu finden verspricht. Die Schauspieler erwarten ihre Gage von Maxner und bieten ihm dafür die Direktion an. Schofel hofft im letzten Augenblick, alle für sich zu gewinnen. Rosaura, von ihrem Gönner, aber auch ironischen Betrachter Inslbull enttäuscht, stimmt der Geldheirat mit Damisch zu, entlarvt aber ihren Onkel Schofel als nur vorgegeben, so daß er keine Aussicht auf das Vermögen hat. Da Damisch sich dem Zureden seines Vormunds verschließt, löst Conrad sein Versprechen ein. Er geht zu Rosaura, die vor der Ankunft Stössls geflohen ist. Auf ihren Entsetzensschrei glauben alle, Conrad habe die unangenehme Nebenbuhlerin seiner Schwester ermordet. Zur Überraschung gibt er sich als ihr Gatte zu erkennen, der sie verließ, um sich angeblich zu ertränken, als er ihre Gefühlskälte erkannte. Rosaura entzieht sich der für sie unangenehmen Situation und hofft – ebenso wie Conrad – auf gänzliche Scheidung. Der über den Gegenstand seiner Leidenschaft aufgeklärte Damisch ist von dieser wie von seiner Theaterleidenschaft geheilt und drängt darauf, die vernachlässigte Philippine zu heiraten: „Jetzt aber nur g’schwind, mein halbes Vermögen für einen Separat-Train in die Arme meiner Braut!“

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 33 Jürgen Hein)

20. Internationale Nestroy-Gespräche 1994
"Nestroy und die Geschichte"

Mittwoch, 6. Juli
20.30 Uhr Aufführung "Theaterg'schichten" Schloss Rothmühle

Donnerstag, 7. Juli
09.00 Uhr Gerda Baumbach (Leipzig): "Nestroys Geschichtsverständnis"
10.00 Uhr Volker Klotz (Stuttgart): "Mit- und Gegenspieler: eigenmächtige Dinge im komischen Theater vor und bei Nestroy"
11.30 Uhr W. E. Yates (Exeter): "Nestroys Anspielungskunst"
15.00 Uhr Peter Gruber (Wien): "Stück und INszenierung"; Diskussion über die Aufführung vom Vortag
16.00 Uhr Hugo Aust (Köln): "Der Zopf oder Nestroys Requisitenspiel mit Zeit und Geschichte"
16.30 Uhr Peter Branscombe (St.Andrews): "Nestroy & die Tradition des romantisch-komischen Volksmärchens
Diskussion
18.30 Uhr Empfang der Stadtgemeinde Schwechat anlässlich 20 Jahre Internationale Nestroy-Gespräche; Festredner: Bürgermeister Reinhard Gogola, Jürgen Hein, Dagmar Zumbusch: "Originalmusik aus Nestroy-Stücken"

Freitag, 8. Juli
09.00 Uhr Eva Reichmann (Bielefeld): "Die Geschichte und Nestroy. Anhand von Nestroys Stücken rekonstruierte Sozialgeschichte: Soziale Wirklichkeit oder Klischee?"
10.00 Uhr Monika Ritzer (Leipzig): "Weltschmerz im Volkstheater. Die Mentalität der Epoche im Werk Nestroys"
Diskussion
11.30 Uhr Franz Schüppen (Herne): "Neue und Alte Welt in Nestroys Volkstheater und in Sealsfields Amerikaroman"
14.30 Wolfgang Häusler (Wien): "Das in die Erde verscharrt werden ist an und für sich ein widerlicher Gedanke" - Ein BEsuch bei Johann N. Nestroy und seinen Zeitgenossen azf dem Wiener Zentralfriedhof

Samstag, 9. Juli
09.00 Uhr Urs Helmensdorfer (Zuoz): "Was ist Ehre? Der Kern von Nestroys bestem Stück (Der alte Mann mit der jungen Frau)"
10.00 Uhr Johann Hüttner (Wien): "Karl Carl, ein Theaterreformer?"
Diskussion
11.30 Uhr Irene T. Tutschka (Wien): "…auch habe ich eine etwas bucklige Haltung…" Der Fotograf Fritz Luckhardt und seine weltbewussten Kunden aus der Theaterwelt
15.00 Uhr Jeanne Benay (Rouen): "Volksästhetischer Historismus in Friedrich Kaisers Spätdramatik"
16.00 Uhr Mathias Spohr (Bayreuth/Zürich): "Das letzte Volksstück. im Theater an der Wien: "Nach Egypten" von Bittner/Müller (1869)"
Resümee und Ausblick

Moderation: Jürgen Hein, Walter Obermaier

Der Standard, 7. Juli 1994: Launiger Theaterkrieg mit Grillhendl-Duft

Die 22. Nestroy-Spiele schwebten dieses Jahr in Gefahr. „Theaterkrieg in Schwechat“ schlugen die Nestroy News anfangs Mai Alarm: „Vereinigte Bühnen gefährden die Nestroy-Spiele“. Ähnlich dem Musical-Streit zwischen dem Ronacher und den Vereinigten Bühnen wollten ausgerechnet im Juli, dem traditionellen Spielmonat der Nestroy-Spiele, Jürgen Schofels Vereinigte Sommerbühnen mit ihrer Kurzfassung von Grillparzers „Sappho“ in der Rothmühle gastieren.

Um mit einem Nestroy-Refrain fortzufahren: „’s ist alles net wahr, ’s ist alles net wahr“. Regisseur Peter Gruber und das Amateurensemble St. Jakob haben sich – angeregt durch Nestroys Alterswerk „Theaterg’schichten“ – einen Spaß erlaubt (es sind auch Journalisten drauf reingefallen). Und sie haben die Gelegenheit genützt, den Theater- samt Kulturbetrieb kräftig durch den Kakao zu ziehen.

Jürgen Schofel ist natürlich eine Figur im Stück, ein schmieriger Impresario, der ein Gastspiel seiner „Sappho“ gibt, was wiederum der dortige Kulturstadtrat Sebastian Stössl zu verhindern trachtet.

Nestroys Posse könnte man zurecht vergessen, wenn nicht Peter Grubers launige Bearbeitung eine glänzende Schmierenkomödie daraus gemacht hätte, ein in seinen besten Momenten funkelndes, irrwitziges Spektakel – wenn etwa die „Sappho“-Aufführung durch ein Gewitter von der Bühne gespült wird.

Über der nicht enden wollenden Fülle seiner Einfälle hat Peter Gruber ganz übersehen, daß das Volksfest, das die Nestroy-Spiele immer auch sind, drei Stunden dauerte. Was die vielen Minuten besonders bewußt werden ließ, war der durch die Luft ziehende Duft von 500 Grillhendln, die im Hintergrund unter den Bäumen des idyllischen Schloßhofes, ihrer Bestimmung harrten.

Später dann, nach der allgemeinen Volksabspeisung, mit der die Premiere traditionellerweise endet, herrschte versöhnliche Stimmung. Dennoch – ein Gedanke läßt sich nicht verdrängen: Zwei Stunden reine Spielzeit sind genug. Lothar Lohs

Niederösterreichische Rundschau, 7. Juli 1994: Theatergschichten

Einen herrlichen Theaterabend, bei dem es ganz nach Nestroyscher Art zwischen den Zeilen zu hören galt, bescherte das Amateurensemble der Nestroyspiele einem begeisterten Publikum im Hof des Schlosses Rothmühle.

In Nestroys „Theaterg’schichten“ geht es unter anderem um das gestörte Verhältnis zwischen dem normalen Bürgertum und der „verrückten“ Theaterwelt, personifiziert im Konflikt zwischen dem Politiker Stössl und dem Theaterunternehmer Schofel. Die brillanten Amateurdarsteller gingen dabei recht großzügig mit der Vorlage des großen Possenschreibers um und nahmen nicht nur sich selbst auf die Schaufel, sondern persiflierten alle möglichen politischen und gesellschaftlichen Vorgänge im Bezirk Schwechat.

Durchaus der Realität entsprechend hatte ein Akteur auch ein warnendes „Pss’t, wenn das die Rundschau hört“ auf den Lippen, als es im Stück um Korruption ging. Je länger die Aufführung dauert um so mehr nimmt man auf die aktuellen Begebenheiten Bezug, ehe man am Schluß zum Resümee kommt, daß unsere gesamte Gesellschaft in irgendeiner Form ein Irrenhaus ist.

Badener Rundschau, 7. Juli 1994: Die Jakobiner spielen scharfen Nestroy

Das Schloß Rothmühle ist nicht nur seit zwanzig Jahren Schauplatz der internationalen Nestroy-Gespräche, sondern gleichzeitig auch „heimliches“ Zentrum der Nestroypflege in Österreich. Es wird auch von vielen Badnern aufgesucht.

Das Besondere an den bereits legendären Nestroyspielen ist die Tatsache, daß seit 22 Jahren das Amateur-Theater-Ensemble „St. Jakob“ unter der Leitung des Wiener Regisseurs Peter Gruber Nestroy so spielt, wie es die meisten Berufstheater nicht besser auf die Bühne stellen könnten.

Heuer hat man die Posse mit Gesang „Theaterg’schichten“ erarbeitet. Nestroy verfaßte über sechzig Stücke, das nun gespielte Werk ist eines der unbekannteren unter ihnen und wurde vom Ensemble für seine Pawlatschenbühne „ausgegraben“.

In der öfters benützten Form vom „Theater auf dem Theater“ wird der konventionelle Theaterbetrieb – von gestern und heute – auf köstliche und manchmal spektakuläre Weise kritisch beleuchtet.

Das Echo der Zuschauer nach Schluß: „Man müßte das Stück öfters besuchen, um all die satirischen Spitzen, aktuellen Anspielungen und witzigen, auf das Theater bezogenen deftigen Äußerungen, kurz: all die Lachraketen im Gedächtnis zu behalten, die hier in unübersehbarer Menge aufsteigen.“

Die Presse, 7. Juli 1994: Viel zuviel Klamauk

Die Nestroyspiele Schwechat zeigen heuer die späte Posse „Theaterg’schichten“. Regisseur Peter Gruber belud das Werk mit zuviel Klamauk.

Seit 22 Jahren widmen sich die Nestroyspiele in der Schwechater Rothmühle ihrem Namenspatron mit Symposien und Aufführungen. Daß dabei auch weniger starke Stücke vorkommen, ist weder dem Dichter noch den Veranstaltern vorzuwerfen. Sehr wohl aber der allmählich ermüdend einheitliche Stil.

Nichts gegen Kabarett-, Musical-, Operetten-Einlagen zu selbstgestrickten Texten. Auf das Wie kommt es an. Und das wird allmählich allzu ähnlich. Die „Opfer“ der Sottisen sind immer dieselben: die lokale und überregionale Politik, Burgchef Peymann. Das gilt auch für die Auswahl der Musik.

Heuer wurde Nestroys späte Posse „Theaterg’schichten“. Und das wird allmählich allzu ähnlich. Die „Opfer“ der Sottisen sind immer dieselben: die lokale und überregionale Politik, Burgchef Peymann. Das gilt auch für die Auswahl der Musik.

Heuer wurde Nestroys späte Posse „Theaterg’schichten“ ausgewählt. Sie handelt – so wie „Umsonst“ – vom Sommertheater, von den Schmerzen des Schauspielerlebens, damit von Nestroys eigenem Metier. Wobei sich Mimenstreit und Liebeshändel um eine Parodie auf Grillparzers „Sappho“ gruppieren. Die Spielertruppe, am Vortag – wie zu erfahren war – bei der Generalprobe eingeregnet, wirft sich mit großem persönlichen Einsatz ins Geschehen, läßt sich von Gelsenschwärmen nicht irritieren und liefert eine weitgehend perfekte Belustigung.

Der Stadtrat und Apotheker Stössl (Willibald Mürwald), sein ans Theater verlorener und wieder heimgekehrter Sohn Konrad (Franz Steiner), sein dem Theater ganz verfallenes Mündel Damisch (Leo Selinger), die affektierte „Star-Mimin“ Rosaura (Susi Urban), Markus Zarl als parfümierter Bühnen-Lokalmatador K. M. Spornhofer sowie als reicher Adorant der Rosaura, Inslbull, und alle anderen kuriosen Typen – es wäre eine Lust, ihnen einfach zuzuschauen.

Doch da ist Peter Gruber, dem die Einfälle überquollen, der Schlechtes nicht von Gutem scheiden mochte und daher die Akteure von einem Gag zum anderen hetzt. Warum verläßt sich der Mann nicht auf seine Spieler? Daß er gerade für deren Führung eine sichere Hand hat, für Aufbauarbeiten und die richtigen Nuancen, ist doch zu sehen! Ein netter, vor allem im zweiten Teil aber zu strapaziöser Abend. (pet)

Wiener Zeitung, 7. Juli 1994: Talente in überlangen Abend

Man amüsiert sich, und man ist gelangweilt, man bewundert mutige gesellschaftskritische Zusatzstrophen, und man ist über Geschmacklosigkeiten schockiert. Alles in allem macht die Aufführung von Johann Nestroys „Theaterg’schichten“ bei den Schwechater Sommerspielen im Schloß Rothmühle eine zwiespältigen Eindruck.

Das Positive zuerst: Das Stück wurde teilweise von Regisseur Peter Gruber sehr geschickt aktualisiert. Es gibt eine Menge köstliche Einfälle (etwa die Regensequenz während der Sappho-Aufführung ist ein Spaß für sich). Das Drumherum wurde liebevoll eingerichtet, die Zuschauer werden ins Geschehen miteinbezogen. Die Darsteller sind ungeheuer diszipliniert und mit großem Einsatz bei der Sache, außerdem gibt es auch einige echte Talente darunter wie etwa Sabine Stacher, Isabella Rössler, Christine Zimmermann, Franz Steiner und Leo Selinger. Die Ausstattung (Andrea Bernd) wurde mit viel Sorgfalt und Einfallsreichtum erstellt. Die musikalische Einrichtung (Herbert Ortmayr) ist größtenteils witzig und sehr gekonnt.

Nun das Negative: Gruber uferte bei seiner Inszenierung zu sehr aus, wollte immer noch etwas und noch etwas dazutun und überzog stellenweise die Grenzen des Erträglichen. Das Quodlibet ist viel zu lang und überfordert die Laiendarsteller restlos. Die Vorstellung dauert über drei Stunden, was nicht nur jene, die ohne Auto gekommen sind für anfallende Taxispesen tief in die Tasche greifen läßt, sondern auch nur durch große Schauspielerleistung (die es hier ja naturgemäß nicht geben kann) zu rechtfertigen wäre.

Am besten wäre wohl, man ginge in der Pause. Bis dahin ist es sehr hübsch und unterhaltsam, und man käme irgendwo sogar noch ein öffentliches Verkehrsmittel. (Lona Chernel)

Die Furche, 7. Juli 1994: Die Bretter, die ein Irrenhaus bedeuten

Irgendwann in der ersten Stunde von Johann Nestroys „Theaterg’schichten“ nimmt jemand zu einem Tanzschritt eine Rose quer in den Mund. Die Erinnerung an den Millionär in Billy Wilders „Some like it hot“ weht durchs Hirn. Zwei Stunden später folgt der Satz „Nobody is perfect“: Beispiel für Peter Grubers Arbeitsweise, wenn er einen jener Nestroys inszeniert, bei denen man umschreiben und dazuerfinden darf.

Die „Theaterg’schichten“ sind ein solches Stück. Gruber und sein mit Profis aufgefettetes Laienensemble werfen sich mit Verve der Versuchung in die Arme, satirisch über Niederösterreichs Theatersommer herzuziehen. Sie übernehmen Stellen aus anderen, halbvergessenen Nestroy-Werken, ziehen heutige und gestrige Zuständ’ durch den Kakao – ein Glanzpunkt von Peter Grubers Bearbeitung ist die Überprüfung der Freiluftbühne durch die Behörde. Ist die bürokratische Sturheit, die da aufs Korn genommen wird, wirklich vormärzlich?

Vormärzlich oder nicht, oft könnte man die Welt für ein Irrenhaus halten, und in einem verdächtig modernen vormärzlichen Irrenhaus endet die ebenso intelligente wie turbulente Produktion der Schwechater Nestroyspiele. (Helmutt Butterweck)