Zu ebener Erde und erster Stock

Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit und immer krasser werdende soziale Gegensätze – das sind jene Probleme, die unsere Gesellschaft derzeit besonders beschäftigen. Auch das Theater – will es sich der Aufgabe nicht entziehen, Spiegelseiner Zeit zu sein – sollte sich nach Möglichkeit mit ihnen auseinandersetzen.

Was lag also näher, als für die Nestroy-Spiele 1993 eines jener Stück zu wählen, die dieses Thema behandeln; ein Stück, das überdies für den Schauplatz Rothmühle wie geschaffen ist: „Zu ebener Erde und erster Stock“.

Es ist wirklich erstaunlich, wie aktuell uns dieser Nestroysche Klassiker erscheint. Und es macht traurig und nachdenklich, feststellen zu müssen, wie gering die Unterschiede zum Jahre 1835 sind.

21. NESTROY Spiele Schwechat
Zu ebener Erde und erster Stock
30. Juni bis 31. Juli 1993

Regie

Peter Gruber

Regieassistenz

Christine Bauer

Bühne

Andrea Bernd

Kostüme

Herta Mock

Masken, Frisuren

Patricia Grecht, Alexander T. T. Müller, Katharina Grecht

Musik

Herbert Ortmayr

Musiker

Angela Adebiyi-Berann, Otmar Binder

Licht

Charly Apfelbeck, Fritz Gmoser, Franz Schulcsik

Effekte

Christian Sturtzel

Ton

Future Sound

Souffleuse

Herta Mock

Bühnenbau

Werner Mühlbauer
HERR VON GOLDFUCHS Spekulant und Millionär
Bruno Reichert
EMILIE seine Tochter
Sabine Stacher
MONSIEUR BONBON
Franz Steiner
SUN-YA
Sonja Scherhaufer
HERR VON WACHSWEICH
Markus Zarl
FRAU VON WACHSWEICH
Sabine Gerger
FRÄULEIN VON WACHSWEICH
Esther Potesil
HERR VON STEINFELS
Peter Koliander
FRAU VON STEINFELS
Heidi Gauster
EIN JUNGER HERR
Angela Koliander
JOHANN Bedienter bei Goldfuchs
Robert Herret
FANNY Kammermädchen bei Goldfuchs
Regine Ban Korsos
FRIEDRICH Diener bei Goldfuchs
Andreas Herbsthofer
ANTON Diener bei Goldfuchs
Sascha Nikodym
WERMUTH Buchhalter eines Großhandlungshauses
Peter Koliander
MERIDON Koch bei Goldfuchs
Gunnar Seelke
ASPIK Köchin
Sylvia Janousek
FRANCOIS Küchenjunge
Angela Koliander
DIENSTMÄDCHEN
Sissy Stacher, Michaela Wiesner, Anita Koliander
STAFFETTENREITER
Angela Koliander
SCHLUCKER ein armer Tandler
Poldi Selinger
SEPHERL sein Weib
Traude Selinger
ADOLPH ihr Ziehsohn, Tagschreiber bei einem Notar
Leopold Selinger
CHRISTOPH
Bella Rössler
NETTEL
Alexandra Kratzwald
SEPPERL
Thomas Kratzwald
RESI
Kerstin Kratzwald
DAMIAN STUTZEL Frau Sepherls Bruder
Andreas Bauer
SALERL entfernte anverwandte Schluckers
Susanne Urban
GEORG MICHAEL ZINS Hausherr
Willibald Mürwald
WILM Sekretär eines Lords
Markus Zarl
GERICHTSBEAMTER
Willibald Mürwald
GROB Tandler
Gunnar Seelke
TRUMPF Tandler
Peter Koliander
PLUTZERKERN ein Geißler
Gunnar Seelke
ZUWAG ein Aufhackknecht
Markus Zarl
ZECH eine Kellnerin
Sylvia Janousek
NEUE MIETER
Sabine Gerger, Anita Koliander, Heidi Gauster, Sylvia Janousek, Sascha Nikodym, Veronika Hegler, Andreas Herbsthofer

1. Akt
Die Bühne stellt unten die ärmliche Wohnung der Familie Schlucker und im ersten Stock die elegante Wohnung des Herrn Goldfuchs dar. – Chor I, 1. – Während sich die Bedienten im ersten Stock auf das bei einem Festessen zu erwartende reichliche Trinkgeld freuen, weiß Sepherl nicht, womit sie ihre Kinder ernähren soll. – Auftrittslied Damian I, 3 („[…] Ich hätt’ kein Tandler werden soll’n.“) / Auftrittslied Johann I, 3 („[…] Denn Haluncken giebt’s unter d’ Bedienten, ’s g’wiß, / Das kann der nur beurteil’n, der selb’r einer is.“). – Johann ist stolz darauf zu wissen, wie man als Bedienter eines reichen Herrn selbst reich werden kann: „Man nehme Keckheit, Devotion, Impertinenz, Pfiffigkeit, Egoismus, fünf lange Finger, zwei große Säck und ein kleines Gewissen, wickle alles in eine Livree, so gibt das in zehn Jahren einen ganzen Haufen Dukaten.“ Eifersüchtig beobachtet Damian, wie Bonbon seiner geliebten Salerl Avancen macht. Doch Salerl gelingt es, ihn wieder zu beruhigen. Schlucker hat erfahren, daß Adolph ein heimliches Verhältnis zu Emilie hat. Um jeden Ärger mit dem reichen Herrn Goldfuchs zu vermeiden, will Schlucker für ein sofortiges Ende dieser Beziehung sorgen. Unterdessen hat Zins bei Goldfuchs um Emilies Hand angehalten, jedoch nur ein lautes Lachen geerntet. Besonders Johann behandelt den verhinderten Bräutigam mit Hochmut. Mit letzter Hoffnung bittet Zins Emilie selbst um ihre Hand, doch diese lehnt ab und gesteht ihm ihre Liebe zu Adolph. Erzürnt verläßt Zins das Haus: „Der Sohn einer Zu-ebener-Erd-Partei soll über einen Hausherrn triumphieren? Nein, das darf nicht sein!“ Emilie schreibt einen Liebesbrief an Adolph, den Fanny wie verabredet an einer Schnur zur unteren Wohnung hinabläßt. Gleichzeitig läßt Damian Adolph einen fingierten Liebesbrief von Salerl an Bonbon schreiben, in dem sie ihn um ein Rendezvous bittet. Als Adolph endlich Emilies Brief in der Hand hält, tritt Schlucker ein, entreißt ihm das Papier und liest es. Wütend schreibt er für Adolph einen unverschämten Antwortbrief. In der Zwischenzeit knotet Damian seinen Brief an die Schnur, die er für Bonbons Schnur hält. Wenig später erhält jedoch Bonbon mit Hilfe seiner Schnur den von Schlucker verfaßten Antwortbrief Adolphs. Während im oberen Stock die Gesellschaft festlich tafelt, sitzt die Familie zu ebener Erde bei Wasser und Brot. Zu Emilies Entsetzen gibt ihr Vater ihre Verlobung mit Bonbon bekannt. – Chor der Gäste I, 19.

2. Akt
Chor II, 1. – Zins ist bereit, der Familie Schlucker die Miete zu erlassen, wenn Damian und Schlucker im Gegenzug dafür sorgen, daß Adolph Emilie fernbleibt und Zins sie selbst heiraten kann. Um diese Aufgabe zu erleichtern, will Zins Adolph eine weitentfernte Stelle als Schreiber verschaffen. Freudig nehmen Schlucker und Damian das Angebot an. Wilm fragt nach einem Rock, den ein Bedienter seines Herrn an Damian verkauft hatte. In dem Rock befinden sich 1.000 englische Pfund, die auch gefunden werden. Als Belohnung erhalten Damian und Schlucker 300 Gulden, über die sie sich sehr freuen. – Chor II, 7. – Johann legt das Geld, um das er Goldfuchs betrügt, bei diesem wieder an und behauptet, es gehöre seinem Vetter. Auf diese Weise bekommt er für das ergaunerte Geld noch Zinsen. Goldfuchs glaubt, eine Million seien „eine schußfeste Brustwehr, über welche man stolz hinabblickt, wenn die Truppen des Schicksals heranstürmen wollen.“ Umso mehr ärgert ihn die Nachricht, daß sein Sohn in Hamburg als „mutwilliger Schuldenmacher“ festgenommen werden soll, falls Goldfuchs ihm nicht eine Summe von 100.000 Gulden anweist. – Lied Salerl II, 14 („Die Lieb’ ist ein Rausch allemahl bey die Männer“). – Emilie bittet Johann um Hilfe, da nur eine Entführung durch Adolph sie vor einer Hochzeit mit Bonbon retten kann. Zwar warnt Fanny Emilie vor diesem Helfer, doch ist Emilie auf ihn angewiesen, zumal er sie mit seinem Wissen um ihre heimliche Liebe erpressen könnte. Fanny beschließt, gemeinsam mit Emilie zu fliehen, weil Johann sich von ihr losgesagt hat, da sie seine Einstellung zum Geld nicht teilt. – Lied Johann II, 21 (R: „Da finden d’Leut’ dran a Vergnüg’n; / Ich, offen g’sagt, nit, i müßt’s lüg’n.“). – Nach einem Festessen im Wirtshaus, das sich die Familie Schlucker von den 300 Gulden geleistet hat, eröffnet Schlucker Adolph, daß er am nächsten Tag fortgeschickt werde. Außerdem werde Zins Emilie heiraten. Zudem sei Adolph gar kein Sohn der Familie, sondern ein angenommenes Kind. Wütend entschließt sich Adolph, seine eigenen Wege zu gehen. Über seinen Vater erfährt er nur, daß dieser irgendwann gestorben sei. Während bei Goldfuchs ein Ball gefeiert wird, nutzt Emilie die Gelegenheit, für einen Moment zu Adolph zu eilen. Sie verabreden, am nächsten Tag gemeinsam zu fliehen. Mitten in der Nacht erscheinen Grob und Trumpf und überbringen die Nachricht, daß Sepherl 800 Gulden in der Lotterie gewonnen hat. Zugleich erhält Goldfuchs die Nachricht, daß er bei einer Spekulation, an der auch der Bruder Bonbons beteiligt war, sein Vermögen verloren hat. Ohnmächtig sinkt er in die Arme seiner Bedienten. – Chor der Gäste II, 35.

3. Akt
Bonbon wird in der Goldfuchschen Wohnung bewacht, weil er durch die fehlgeschlagene Spekulation seine Schulden nicht bezahlen kann. Goldfuchs selbst ist am Boden zerstört. Johanns Verhalten gegen ihn ändert sich auf der Stelle. Entschieden fordert er die angelegten 6.000 Gulden zurück, die Goldfuchs von einem noch vorhandenen Vermögen von 80.000 Gulden bezahlen soll. Nebenbei erzählt Johann von Emilies Beziehung zu Adolph, was Goldfuchs’ Zorn schürt. Bei Schlucker und Damian erscheint ein Gerichtsbeamter, der sich nach Adolphs Herkunft erkundigt. Da seine Informationen mit den Angaben der beiden Männer übereinstimmen und Adolphs Identität auf diese Weise zweifelsfrei geklärt ist, kann er eine gute Nachricht überbringen: Adolphs Vater ist keineswegs tot, sondern hat es in Ostindien auf ein beträchtliches Vermögen gebracht. Er hat seinen Sohn zu seinem alleinigen Erben eingesetzt und verfügt, daß ihm bereits jetzt 30.000 Dukaten ausgezahlt werden. Die Familie ist überwältigt von diesem Glück. In seiner Freude verzeiht Adolph Schlucker und Damian ihr Verhalten. Damian hegt allerdings einen Verdacht: „Die Fortuna muß sich den Fuß überstaucht haben, daß s’ nit in den ersten Stock auffisteigen kann, sonst kehret s’ gewiß nit zu ebner Erd ein.“ Um ihrem Vater keinen weiteren Kummer zu machen, hat Emilie sich entschlossen, auf die Entführung zu verzichten. Damian versucht Fanny zu erobern, während Johann ein Auge auf Salerl geworfen hat. – Quartett Salerl, Johann, Fanny, Damian III, 10. Beide Frauen weisen die Männer ab. Johann ist entschlossen, sich dafür an Salerl zu rächen, während Damian Fanny bittet, Stillschweigen zu bewahren. Damian und Schlucker sind natürlich nicht mehr bereit, Adolph fortzuschicken, weshalb sie Zins hinauswerfen wollen. Dieser kann zuvor einen Blick auf das auf dem Tisch liegende Papier von Adolphs Vater werfen. Zudem versichert er der Familie, Adolph habe bereits die Wohnung im ersten Stock gemietet, worüber alle in Jubel ausbrechen. Damian will sich noch immer an Bonbon rächen. Grob und Trumpf sagen ihm Hilfe zu. Zins verspricht Friedrich und Anton eine Belohnung, wenn sie Johann für dessen hochmütiges Verhalten verprügeln. Unterdessen haben Johann und Bonbon die Kleider getauscht, um Bonbon eine Flucht an den Wärtern vorbei zu ermöglichen. In dieser Verkleidung beziehen beide die Prügel für den anderen. Erst im nachhinein erkennt man die Verwechslung. Bei der Rückgabe der Kleider entdeckt Johann in Bonbons Rock einen Geldbeutel, den er an sich nimmt. In diesem Moment erzählt Zins Goldfuchs, daß auch die 80.000 Gulden verloren sind, weil das Bankhaus bankrott gemacht hat. Somit sind auch Johanns 6.000 Gulden verloren. Dagegen kann Bonbon sich wieder frei bewegen, weil ein Freund seines Bruders seine Schulden bezahlt hat. Als er den Verlust seiner Geldbörse bemerkt, hat Bonbon sogleich Johann in Verdacht. Tatsächlich findet man den Beutel bei ihm und nimmt ihn fest. Zins eröffnet Goldfuchs, daß seine Möbel bereits gepfändet sind und die Wohnung anderwärts vermietet ist. Er könne jedoch für einige Tage in die Wohnung zu ebener Erde ziehen. Über die Hintertreppe verlassen Goldfuchs und Emilie die Wohnung. Traurig blicken sie sich in ihrem neuen Quartier um, als Adolph zur Tür hereinkommt. Als reicher Mann bittet er um Emilies Hand. Doch bevor Goldfuchs antworten kann, meldet sich Zins zu Wort. Aus demzufällig gelesenen Papier hat er erkannt, Adolphs Onkel zu sein. Adolph zuliebe verzichtet er auf seine Heiratsabsichten. Am Ende ist Goldfuchs gerne bereit, Adolph und Emilie seinen Segen zu geben. – Chor III, 34. 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 9 Johann Hüttner

19. Internationale Nestroy-Gespräche
"Alles ist möglich"

Mittwoch, 30. Juni
Anreise, abends Premiere "Zu ebener Erde und erster Stock"

Donnerstag, 1. Juli
09.30 Uhr Prof. Dr. Johann Hüttner (A): "Der sprachlose Nestroy"
10.15 Uhr Univ.-Prof. Dr. Fred Walla (AUS): "Oh Häuser! Häuser!" Eure Macht ist groß! Hausherren haben noch selten hoffnunglos geliebt
11.00 Uhr Dr. Walter Obermaier (A): "Glück und Lotterie"
14.30 Uhr Peter Gruber (A): Diskussion zu Stück und Inszenierung
15.15 Uhr Dr. Eva Reichmann (D): "Oben und unten"
16.00 Uhr Dr. Gerd Biegel (D): "Soziale Gruppen im 19. Jahrhundert"
20.00 Uhr Dagmar Zumbusch (D): "Die Musik Adolf Müllers in Nestroys Stücken"

Freitag, 2. Juli
Exkursion mit Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Häusler (A)

Samstag, 3. Juli
09.15 Uhr Prof. Dr. Werner Kummer (D): "Szenischer Raum - Sozialer Raum"
10.00 Uhr Dr. Jeanne Benay (F): "Dienerrollen bei Nestroys Konkurrent Friedrich Kaiser"
10.45 Uhr Prof. Dr. W. E. Yates (GB): "Nestroy und Bauernfeld"
14.15 Uhr Prof. Dr. Henk J Koning (NL): "Dandyismus bei Nestroy: Chrystostomus Überall und Monsieur Bonbon"
15.00 Uhr Prof. Dr. Hugo Aust (D): "Nestroys gemeiner Zauber - Zu Stücken des Jahres 1832"
15.45 Uhr Univ.-Prof. Dr. Michael Rogers (GB): "Kann nit lesen? Wüll net lesen!"
16.00 Uhr Resümee und Ausblick

Der Standard, 2. Juli 1993: Nestroy in Schwechat: Fortuna wechselt dreimal die Etagen

„Am Gelde hängt es, zum Gelde drängt es“: Jeder weiß es, aber kaum ein anderes Stück zeigt diesen Mechanismus so illusionslos und zugleich so amüsant verkleidet wie Johann Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“, das Peter Gruber jetzt den 21. Schwechater Nestroy-Spielen im Schloßhof Rothmühle inszeniert hat.

Schon die Bühne (Andrea Bernd) präsentiert sich als Sinnbild der herrschenden Zustände: oben die mondäne Welt, unten die Dritte Welt im eigenen Land. Aber egal, ob im Lemurenstadl oben oder in der Tandlerstube unten, jeder hängt sein Mäntelchen nach dem Wind, der die Moneten bringt.

Johann, der Diener oben (aalglatt: Robert Herret) zeichnet sich hier als wendigster aller Charakterathleten aus. Aber auch unten ist die Armut kein großer Glanz von innen, sondern höchstens der billige Fuseldunst aus dem Doppler, den der Tandler und sein Saufbruder Damian immer in Griffweite haben.

Peter Gruber arbeitet präzise den Reigen, der hier ums goldene Kalb getanzt wird, heraus und reichert ihn mit hübschen Einfällen an. Wenn er etwa die liederliche Gesellschaft oben mit Herrn von Goldfuchs an der Spitze im Stil der Roaring Twenties ihr Leben abfeiern läßt (Kostüme: Herta Mock), Töchterchen Emilie aber im keuschen Look der Sacre-Couer-Elevinnen oder wenn der Unglücksbote aus Marseille als Veloce-Radler hereinrauscht und nach Überbringung der Nachricht tot umfällt.

Dreimal schlägt oben das Schicksal zu, während unten ebenso oft Fortuna vorbeischaut: das Glücksrad spült die armen Schlucker in den ersten Stock. Wie zum Schluß der arme Ziehsohn als „Erbe eines ungemessenen Vermögens“ im Cut mit Geldkoffer auftritt, läßt die Inszenierung aber gallig keinen Zweifel daran, daß die Emporkömmlinge ähnliche Haie werden wie die gerade vernichteten.

Im Gegensatz zum Nestroy-Schmierantentum mancher Profitruppen eine höchst achtbare, sehenswerte Aufführung des Amateurensembles St. Jakob. (Lothar Lohs)

Kurier, 3. Juli 1993: Das Glück ist ein Terno

In Johann Nestroys Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“ aus dem Biedermeierjahr 1835 bedeutet Glück schlicht und einfach Geld: eine gefundene Brieftasche, ein Terno im Lotto, eine Erbschaft. Demgemäß läßt sich auch Unglück vor allem als finanzielle Einbuße verstehen: ein untergegangenes Schiff. Kommt alles zusammen, dann drückt sich der gesellschaftliche Status in einer Umkehrung der Wohnverhältnisse aus; die vom Glück heimgesuchte Tandlerfamilie bezieht die Herrschaftswohnung im ersten Stock, den ruinierten Spekulanten Goldfuchs verschlägt es in die Parterrewohnung des Tandlers.

Das Stück scheint wie geschaffen für die Simultanbühne in Schloß Rothmühle bei Schwechat, wo Nestroys Possen seit jeher in oben und unten geteilt werden, und tatsächlich ist es schon einmal, 1981, bei den Nestroy-Spielen aufgeführt worden. Die Inszenierung stammt heute wie damals von Peter Gruber, der dafür sorgt, daß die sozialen Unterschiede deutlich werden. Ein bißchen spiegelt die Aufführung, in der dem Millionär ein Telefon zur Verfügung steht, auch die gegenwärtigen Verhältnisse: Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit.

Doch beschränkt sich die Kritik am Heute vor allem auf die aktualisierten Couplettexte, im übrigen begnügt man sich, Nestroy werkgetreu vom Blatt zu spielen, und man fährt gut damit. Erstaunlich, was der Regisseur aus den mit großer Spielfreude tätigen Amateuren herauszuholen weiß. Robert Herret, der wie immer die Nestroy-Rolle des schurkischen Dieners Johann spielt, entledigt sich gewandt seiner Aufgabe, Andreas Bauer, Susanne Urban, Franz Steiner und etliche andere lassen den Abstand zu den Profis verschwinden. (Kurt Kahl)

Wiener Zeitung, 2. Juli 1993: Fortuna mit überstauchten Fuß

Schon seit 21 Jahren spielt das Amateurensemble St. Jakob im Schloßhof Rothmühle Nestroy-Raritäten und Nestroy-Hits bunt gemischt. Heuer hat sich das Ensemble entschlossen, ein Stück wieder aufzunehmen, das schon vor 12 Jahren erfolgreich gegeben wurde: Zu ebener Erde und erster Stock, aus aktuellem Anlaß, wie Vorankündigung und Programmheft versichern. Wohnungsnot, steigende Arbeitslosigkeit und krasse soziale Gegensätze sind zeitlose Themen und in Zeiten wie diesen aktuell wie zur Entstehungszeit von Nestroys Stück.

In einer kleinen Ansprache zu Beginn der Vorstellung werden die Zuschauer gebeten, an der Verlosung einer Gesamtausgabe der Werke Nestroys teilzunehmen. Der Erlös der Aktion kommt den bosnischen Flüchtlingen zu, die derzeit in Schwechat untergebracht sind. Sie können nicht einmal zu ebener Erde wohnen. Der aktuelle Anlaß ist somit geschickt hergestellt.

Zu sehen ist eine flotte, kurzweilige Inszenierung eines Nestroy-Klassikers, den der Theaterliebhaber schon oft gesehen hat. In legendären Inszenierungen und als Lückenbüßer.

Hier hat man in der Regie von Peter Gruber, der einzige Nichtamateur der Gruppe, mit einer wirklich hochkarätigen Interpretation zu tun. Auf den in letzter Zeit beliebten Klamauk in Nestroy-Inszenierungen wird verzichtet, was nicht heißt, daß es humorlos zugeht. Spritzig, spielfreudig und rasant entwickeln die „Jakobiner“ ihren Nestroy, daß es eine Freud’ ist. Die eineinhalb Stunden bis zur Pause vergehen wie im Flug, trotz Gelsen und harter Sessel.

In Peter Grubers Regie, die ihre Freude an publikumswirksamen Extempores findet, kommen auch jene Facetten Nestroyscher Theaterkunst zum Vorschein, die dem Revoluzzer Nestroy zeitlebens Ärger mit der Zensurbehörde eingebracht haben.

Bitterböse wird vor Augen geführt, daß es keine Gerechtigkeit gibt auf dieser Welt, und das Glück, das die arme Familie Schlucker heimsucht, hätte sich sicherlich nur verirrt, ist der Damian überzeugt.

Robert Herret gibt den Johann, auf den Nestroy selbst wahrscheinlich stolz wäre, aalglatt, gemein und hinterhältig. Ganz und gar nicht unprofessionell agiert das übrige Ensemble, aus dem Bruno Reichert als Herr von Goldfuchs, Franz Steiner als Monsieur Bonbon und Andreas Bauer als Damian besonders hervorstechen.

Flotte Musikarrangements (Herbert Ortmayr) und die gut gelungene Charakterisierung der Typen durch die Kostüme (Herta Mock) werten die Inszenierung noch auf. Wer Nestroy pur erleben möchte, ohne Starrummel, aber dafür wahrhaftig, möge nach Schwechat pilgern. Brigitte Suchan

Neue Kronenzeitung, 3. Juli 1993: Nestroy-Spiele, Schloß Rothmühle

In Schwechat ist der Nestroy-Sommer angebrochen. In der Posse „Zu ebener Erde und erster Stock“ schlägt sich das Amateurensemble Sankt Jakob mit den „Launen des Glücks“ herum und zeigt dabei mehr als nur eifriges Liebhabertheater.

In kontinuierlicher Arbeit mit dem Profi Peter Gruber, der von Anfang an Regie führte, hat sich auf der hübschen Pawlatschenbühne und im Schloßhof eine besondere Nestroy-Atmosphäre eingestellt: Die Geschöpfe des Dichters, Darsteller und Zuschauer scheinen einander hier irgendwo näher zu sein als anderswo.

In Grubers mit Zutaten aus den zwanziger Jahren gewürzter Inszenierung, die Nestroys pessimistische Menschensicht teilt, gibt es echte Publikumslieblinge: So den temperamentvollen Robert Herret (ein abgefeimter Johann!), Andreas Bauer (als Schlawiner Stutzel) oder Susanne Urban (Salerl).

Bejubelt wurden alle, die da dem Publikum so ambitioniert den Spiegel zur Selbsterkenntnis vorgehalten hatten. (AI)

Die Presse, 2. Juli 1993: Routinierte Nestroylaien

Hat sich bei den Nestroy-Spielen in Schwechat die Routine eingeschlichen? Weshalb werden wir, ausgefeiltere schauspielerische Leistungen denn je vor Augen, nicht glücklich mit Peter Grubers Inszenierung von „Zu ebener Erde und erster Stock“? Handwerk ist vieles. Und vieles ist anders.

Denn ein Klassiker wird im Hof des Schlosses Rothmühle gezeigt – keine dem Vergessen zu entspielende Rarität. Das Ensemble hat sich in vergangenen Jahren die Stücke anverwandelt, mit erstaunlicher Frische und ohne falsch auf größere Bühnen zu schielen! Doch gibt es sich diesen Sommer dem Amateurtheater entwachsen. Und mit einem Mal ist sich der Laien charmante Agieren nicht mehr selbst genug.

Wir bedauern. Obschon wir kaum etwas zu bemäkeln finden, ja Details entzücken. Beim Herren von Goldfuchs verkehren die höheren Kreise im Charleston-Look, treffen sich zum Tarock, schlürfen Champagner. Franz Steiner näselt als Monsieur Bonbon in seinem affigen Pelzmantel und Robert Herret gibt den zum Hinterschlich begabten Diener als geschleckten Intriganten. Trubel, Grobheiten, Ausgelassenheit ein Stockwerk tiefer zeichnen ein heiteres Genrebild.

Tempo, eine Besetzung, die dem Einzelnen gerecht wird und flott gebrachte Couplets – nein, den Vergleich mit anderen Sommerproduktionen hält man immer noch stand. Doch dieses Jahr haben die Nestroy-Spiele ihr Eigenstes vergessen. (best)

Die Furche, 8. Juli 1993: Nestroy aktuell

Ich muß Regisseur Peter Gruber leider bescheinigen: Er ist Realist, wenn er den Griff nach Johann Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ für die Schwechater Nestroy-Spiele 1993 mit der Aktualität dieses Stücks begründet.

Gespielt wird, wie immer, mit Unmittelbarkeit, Schwung und Präzision. Wobei die Schwechater, bei aller Professionalität, Laienspieler im besten Sinn geblieben sind, was diesmal zur besonderen Hautnähe der sozialen Realität führt. Wie sich der Herr Goldfuchs verspekuliert und aus dem ersten Stock fliegt, das spielt sich heute in ganz Europa oft ab, wenn auch weniger bei den Spekulanten als bei kleineren Leuten, die sich über derlei längst erhaben fühlten. Und von der großen Erbschaft und vom Umzug in die belle etage träumt der arme Herr Schlucker heute genauso wie 1835.

Das Stück ist also richtig für Schwechat. Dafür, daß die großen Theater und die von ihnen gespielten Autoren Krise und wirtschaftliche Not ignorieren, können weder die Schwechater etwas, noch Peter Gruber. Aber bezeichnend ist der Verlust der Aktualität schon. (Hellmut Butterweck)

Niederösterreichische Rundschau, 7. Juli 1993: Die Armen werden reich, die Reichen werden arm

Ein klassischer Nestroy, von der Ausstattung her ins 20. Jahrhundert zeitverschoben, mit immer zeitgemäßen Inhalt. Das bietet sich dem Publikum bei den heurigen Nestroyspielen in der Rothmühle.

In die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts verlegte Regisseur Peter Gruber die Handlung des Stückes „Zu ebener Erde und erster Stock“. Das Stück von den Gegensätzen zwischen arm und reich verträgt diese Verschiebung aber ohne Probleme. Es gehört bei den Schwechater Nestroyspielern ja schon zur Tradition, daß man in der Ausstattung vom gängigen Biedermeier abweicht und damit die Zeitlosigkeit der Themen unterstreicht.

Zum zweiten Mal in der Rolle des fiesen Bedienten Robert Herret. Aalglatt und durchtrieben stellt er ihn auf die Bühne des ersten Stockes. Andreas Bauer, bei der ersten Inszenierung des Stückes ebenfalls schon dabei, ist als kerniger heruntergekommener Tandler Damian ideal besetzt.

Ein Höhepunkt: das Couplet der Salerl, gespielt von Susanne Urban, die sich leicht böhmakelnd, über die kleinen Fehler ihres Freundes Damian ausläßt.