Der Schützling

DER EINSTIEG

Im Jahre 1988 scheint Nestroy aktueller zu sein denn je. An vielen Sommerspielstätten werden populäre, bestens bekannte Nestroy-Stücke aufgeführt. Darüber freuen wir uns in Schwechat, da wir unter diesen Umständen umso lieber unserer eigentlichen, selbstgestellten Aufgabe nachkommen können - die Aufführung auch unbekannter Nestroy-Stücke.

Die Erfolge, nicht zuletzt dokumentiert durch steigende Besucherzahlen bei den Produktionen „Nur Ruhe!" und „Der Färber und sein Zwillingsbruder", geben uns recht. Sie haben uns ermutigt, uns heuer für die Posse „Der Schützling" zu entscheiden. Die Uraufführung dieses Stückes erfolgte 1847. Nestroy benützte als Vorlage wahrscheinlich ein nicht fertiggestelltes französisches Lustspiel. Der Erfolg der Aufführung lässt sich schwer beurteilen, da die Revolution von 1848 eine Absetzung des Stückes erforderte. Das Nachfolgestück „Freiheit in Krähwinkel", politisch aktueller, feierte im revolutionären Wien Erfolge. Dann kam der Belagerungszustand und der Sieg der reaktionären Kräfte. Der brisante politische Inhalt des „Schützlings" ist nicht sofort zu erkennen. Die Zensur, die im Wien des Vormärz besonders scharf durchgriff, zwang Nestroy zur Verschlüsselung. So wurde zum Beispiel aus einem Minister in der Vorlage bei Nestroy der private Fabriksbesitzer Baron Von Waldbrand. Die versteckten politischen Anspielungen gilt es heutzutage wieder zu verdeutlichen. Dabei zeigt sich, dass der „Schützling" vieles enthält, was uns 1988 etwas zu sagen hat. 

In diesem Sinne wünschen wir gute Unterhaltung! 
Das Ensemble

16. NESTROY Spiele Schwechat
Der Schützling

Regie

Peter Gruber

Regiemitarbeit

Christine Bauer

Bühne

Ensemble

Technik

Alfred Stepan, Franz Schulcsik

Kostüme

Herta Mock

Maske

Brigitte Bartholner, Brigitte Holzer, Verena Volek

Musik und Geräusche

Michael Strasser, Jörg Mathera

Coupleteinrichtung

Josef Hader, Peter Gruber

Ton

Gunnar Seelke

Souffleuse

Herta Mock
BARON VON WALDBRAND Minister
Willibald Mürwald
PAULINE seine Gattin
Helene Meissl
JULIE BILLDORF seine Freundin, Witwe
Susanne Urban
PRÄSIDENT VON SAALSTEIN ein Geschäftsfreund
Martin Kubesch
TREFFLER Kanzleirat
Alfred Weinmann
BART Kanzleirat
Christian Rehak
FUM Sekretär
Leopold Selinger
BÜRODIENER
Martin Kubesch
EIN SPITZEL
Christian Rehak
HEBLER Betriebsrat im Eisenwerk
Leopold Selinger
LAST Vorarbeiter
Alfred Weinmann
ARBEITER
Reinhard Charwath, Franz Fangel, Anton Grabmayer, Karl Riznar
FRAU VON ZOLLFELD
Traude Selinger
AUGUST VON ZOLLFELD ihr Sohn
Robert Herret
REICHTHAL
Günther Rath
WEST
Alfred Pummer
SCHÖNFELS
Wolfgang Linke
VON WERLING
Bruno Reichert
GOTTLIEB HERB Schützling
Franz Steiner
PAPPINGER Arbeitsloser
Andreas Bauer
MARTIN Geselle
Alexander Sommer
NANNY Putzwäscherin
Bella Böhm
STAFFELHUBERIN Hausmeisterin
Traude Selinger
NOVAK Nachbar
Alfred Weinmann
KINDER
Poldi Selinger, Kerstin Kratzwald, Thomas Kratzwald, Alexandra Kratzwald
GESELLSCHAFTSDAMEN
Barbara Rittmann, Sylvia Daniel, Ulrike Sturm, Maria Krumpholz, Julia Höfler, Elisabeth Gauster

1. Akt
Gottlieb hat eine Stelle als Schulgehilfe aufgegeben, denn er fühlt sich „zu was Höherem geboren“. Nun wohnt er in ärmlichen Verhältnissen. Sein Onkel Pappinger hat als alter Buchbinder ebenfalls kein Geld. – Auftrittslied Gottlieb I, 2 (R: „Manchem Menschen g’rath’t All’s […] Mancher Mensch hat kein Glück.“). – Nach außen gibt Gottlieb sich den Anschein eines wohlhabenden, geachteten jungen Mannes. Mit einem Manuskript über die Verbesserungen der Fabrikproduktionen hofft er zu Geld zu kommen. Sein Ziel ist eine Anstellung als Fabrikdirektor. Als er glaubt, Werling habe seine wahren Verhältnisse erkannt, und er zudem eine erneute Ablehnung seines Manuskripts erhält, beschließt er, sich zu erschießen. Allerdings wird er durch einen Drehorgelspieler und eine laute Feier in der Nachbarwohnung gestört. Er entscheidet, den Selbstmord aufzuschieben, bis er einen geeigneteren Ort gefunden hat. Unterdessen bittet Pappinger Pauline um Hilfe. Pappingers Frau war Paulines Amme, und da Pauline selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hat sie ein offenes Ohr für Pappingers Wunsch, Gottlieb einen Posten als Direktor eines großen industriellen Unternehmens zu besorgen. Allerdings fürchtet sie sich, diesen Wunsch ihrem Gatten vorzutragen. Schließlich faßt Pauline den Entschluß, Gottlieb eine „schützende Hand“ zu reichen, „aber eine geheimnisvolle, wohlverborgene Hand.“ Pappinger ist der Meinung, daß auch Gottlieb nichts von dieser Protektion wissen sollte. In dunkler Nacht glaubt Gottlieb, den rechten Ort für einen Selbstmord gefunden zu haben. Doch just im entscheidenden Moment entreißt Martin ihm die Pistole, um einen Dieb zu verfolgen, der Nanny einen Brief entwendet hat. Es gelingt ihm, den Brief wiederzuerlangen, während Gottlieb sich um Nanny kümmert. Der Brief ist an Gottlieb adressiert und enthält ein Schreiben, in dem ein Freund seines Vaters erklärt, er habe erst jetzt von Gottliebs mißlicher Lage gehört und wolle ihm gerne helfen. Leise schleichen Martin und Nanny davon, während Gottlieb ungläubig den beiliegenden 1.000-Gulden-Schein anstarrt.

2. Akt
Noch immer weiß Gottlieb nicht, wer hinter allen Wohltaten steht, die ihm widerfahren. Heimlich bringen Martin und Nanny ihm eine Uhr und einen Ring. Gottlieb hatte diese für ihn sehr wertvollen Dinge seinerzeit versetzt. Bei dieser Gelegenheit entdeckt Martin im Schlafzimmer ein Kreuz mit Samtband, das Nanny gehört. Sie hatte es bei dem nächtlichen Überfall verloren. Martin verdächtigt sie der Untreue, wohingegen Nanny glaubt, Gottlieb sei heimlich in sie verliebt. Verwundert findet Gottlieb Ring und Uhr vor. In ihm wächst der Verdacht, hinter allem könne ein weibliches Wesen stecken. Gottlieb ist fest entschlossen, alle Wohltaten zurückzuweisen und es nur „durch eigene Geisteskraft zu etwas zu bringen“. Noch immer weiß Pauline nicht, wie sie sich ihrem Mann gegenüber rechtfertigen soll. In ihrer Not behauptet sie, ihre Freundin Julie habe sie um die Protektion eines jungen Mannes gebeten, der an die Spitze eines industriellen Unternehmens wolle. Sie übergibt Waldbrand Gottliebs Manuskript und erinnert ihn an die vakante Stelle in seinem Eisenwerk in Finsterbach. Darüber ist Waldbrand sehr erstaunt, denn für diese Stelle hatte er Zollfeld vorgesehen. Über dritte weiß er, daß Zollfelds Mutter eine Heirat ihres Sohnes mit Julie wünscht. Zu Paulines Entsetzen erscheinen Julie und Frau von Zollfeld, um sich für Zollfelds Berufung einzusetzen. Nur mit Mühe gelingt es Pauline, der von Waldbrands zweideutigen Bemerkungen verwirrten Julie die Situation zu erklären und sie um ihr Stillschweigen zu bitten. Julie ist empört, verspricht aber zu schweigen. Vor Waldbrands Arbeitszimmer wartet Zollfeld mit einigen Herren. Der großspurige Zollfeld ist überzeugt, von Waldbrand die Leitung des Eisenwerkes übertragen zu bekommen. Entsprechend behandelt er den ebenfalls wartenden Gottlieb. Dieser stellt ihn jedoch als Angeber bloß. Umso verärgerter ist Zollfeld, daß Gottlieb vor ihm hereingebeten wird. Zudem werden die übrigen Herren auf den nächsten Tag vertröstet. Regelmäßig informiert Treffler Pappinger über den Fortgang des Gesprächs. Auf diese Weise erfährt auch Zollfeld, daß Waldbrand Gottlieb die Direktorenstelle angeboten hat. Außer sich vor Wut beschließt Zollfeld, die genauen Umstände dieser Bevorzugung zu ergründen.

3. Akt
In Finsterbach hat Zollfeld die Arbeiter gegen Gottlieb aufgebracht. Insgeheim lanciert Zollfeld ein Zeitungsblatt, das auch auf Gottliebs Schreibtisch plaziert wird. Darin wird ihm Unfähigkeit vorgeworfen. Weiters heißt es dort, Gottlieb verdanke seinen Posten ausschließlich weiblicher Protektion. Gottlieb selbst arbeitet unbeirrt an der Verbesserung der Produktion. Unter vier Augen erzählt Werling Gottlieb von seiner mißlichen Lage. Werlings Onkel hatte den Segen zu einer Beziehung verweigert und seinen Neffen statt dessen für ein Jahr auf Reisen geschickt. In dieser Zeit hat er sich in die Frau verliebt, die sein Onkel für ihn bestimmt hat. Doch es fehlt ihm der Mut, seiner ehemaligen Geliebten die Wahrheit zu sagen. Auch Gottlieb hatte einst eine unglückliche Liebe erlebt. Es handelte sich um eine junge, kränkliche Frau, die er letztlich nicht mehr sehen durfte. Er ist sich sicher, daß sie aus Gram über das Ende dieser Beziehung gestorben ist. Es stellt sich jedoch heraus, daß beide von derselben Frau reden: von Julie. Gottlieb sucht das Gespräch mit ihr. Er wirft ihr ihre Beziehung zu August Zollfeld und ihre Liebe zu Werling vor. Seine bitteren Worte kränken sie sehr. Im Laufe des Gesprächs erkennt Julie, daß Gottlieb der von Pauline protegierte Mann ist, was ihre Eifersucht anstachelt. Tief verletzt verläßt sie Gottlieb. Dieser fühlt sich zunächst vollständig im Recht, muß sich aber eingestehen, daß er verärgert war, festzustellen, daß Julie seinerzeit nicht aus Liebeskummer gestorben war. Wenig später stört der aufgebrachte Gottlieb einen Ball bei Waldbrand, um diesem den Zeitungsartikel zu zeigen. Gottlieb schwört, nicht zu ruhen, bis er „den Namen der heimlichen Gönnerin der allgemeinen Zerfleischung preisgegeben habe.“ Ohnmächtig sinkt Pauline auf einen Stuhl.

4. Akt
Gottlieb hat erfahren, wer seine heimliche Wohltäterin ist. Julie gegenüber erklärt er, er verbiete sich Paulines Wohltaten, zu denen sie kein Recht habe. Auch Pappinger kann ihn nicht umstimmen. Unerwartet tritt Waldbrand hinzu, der Julie als die gesuchte Wohltäterin bezeichnet und damit allgemeine Verwirrung auslöst. Nach Waldbrands Weggang führt Gottlieb die überraschte Nanny und den glücklichen Martin zusammen, um das Gerücht, er habe ein Verhältnis mit Nanny, aus der Welt zu schaffen. Inständig bittet Julie Gottlieb, ihr einige beruhigende Worte für Pauline aufzutragen, doch Gottlieb weigert sich. Wegen dieser grausamen Haltung kündigt Pappinger ihm die Freundschaft, doch Gottlieb versichert, von Pauline ganz begeistert zu sein und selbst mit ihr sprechen zu wollen. Zollfeld brüstet sich vor seinen Freunden, die nach ihm schmachtende Julie verlassen zu haben. Gottlieb, der sich sicher ist, in Zollfeld den Verfasser des diffamierenden Artikels vor sich zu haben, behauptet, Julie habe ihn gebeten, sie von Zollfelds Zudringlichkeiten zu befreien. Empört über seine Lügen wenden sich seine Freunde von Zollfeld ab. – Lied Gottlieb IV, 10 (R: „Drum der Fortschritt hat beym Licht betracht’t, / Die Welt nicht viel glücklicher g’macht.“). – Pauline gesteht Julie, sie habe Waldbrand ein Geständnis geschrieben. Einerseits quäle sie ihr Gewissen, doch andererseits fehle ihr nach wie vor der Mut für ein offenes Gespräch. Den Brief hat sie auf Waldbrands Schreibtisch gelegt, und nun zittert sie vor seiner Reaktion. In diesem Moment tritt Gottlieb ein. Bevor er Pauline seine vorbereitete Rede halten kann, hört man Waldbrand kommen. Schnell flüchtet Gottlieb in ein Kabinett, in dem sich schon Julie aufhält. Pauline, die einen Wutausbruch ihres Gatten erwartet, ist verblüfft über seine Anweisung: Er verbietet Pauline den Umgang mit Julie, bis diese Gottlieb als ihren Gatten vorstellt. Es wird deutlich, daß Waldbrand den Brief nicht gefunden hat. Insgeheim entschließt sich Pauline, den Brief wieder an sich zu nehmen. Plötzlich hört man aus dem Kabinett ein Geräusch, das Waldbrands Mißtrauen weckt. Zu Paulines Erleichterung kommt aber nur Julie zum Vorschein. Aufgeregt stürzt der betrunkene Pappinger herein, um zu berichten, er habe seinen Neffen über eine Pappel in Waldbrands Zimmer einsteigen sehen. Leise flüstert Julie Pauline zu, daß Gottlieb versuche, den Brief zu holen. Unterdessen hat Gottlieb das Papier bereits gefunden. Bei dieser Gelegenheit entdeckt er auch ein an ihn adressiertes Schreiben. Freudig liest er es, wird aber von den herannahenden Bedienten gestört. Eine Flucht scheint unmöglich. In letzter Sekunde hat Gottlieb die rettende Idee: Er stellt sich schlafwandelnd. So finden ihn Waldbrand, Pauline und Julie, die beobachten, wie Gottlieb, scheinbar im Schlaf, einen Liebesbrief an Julie schreibt. Zwischendurch gelingt es Gottlieb, Pauline unauffällig den verräterischen Brief zuzustecken. Waldbrand will sich versichern, daß Gottlieb tatsächlich schlafwandelt. Da Schlafwandler angeblich geschlossene Briefe lesen können, hält er Gottlieb das zuvor gelesene Schreiben ans Herz. Tatsächlich gibt Gottlieb den Inhalt wortwörtlich wieder. Der Brief ist von Saalstein, der das Eisenwerk kaufen wird und Gottlieb als „genialen Verfasser jenes Manuskripts“ zum Bleiben bewegen will. Damit hat Gottlieb Waldbrands Zweifel ausgeräumt. Man weckt ihn und gibt ihm den Brief, an dessen Inhalt er sich angeblich nicht erinnert. Überglücklich über diese Wendung des Schicksals bittet Gottlieb Julie um ihre Hand.

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 24/II John R.P. McKenzie)

14. Internationale Nestroy-Gespräche 
29. Juni bis 2. Juli 1988 auf Schloss Rothmühle 

Mitwoch, 29. Juni
18.00 Uhr Feierliche Eröffnung
Szenische Lesung von Hagnot Elischka: „Liebesgeschichten und Heiratssachen"

Donnerstag, 30. Juni
DIE POLITISCHE, ÖKONOMISCHE UND SOZIALE KRISE IM VORMÄRZ UND IHRE SPIEGELUNG IN DEN MEDIEN Gesprächsleitung: Univ.-Prof. Dr. Jürgen Hein 
9.30 Uhr Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Häusler: „Fortschritt in der Krise" 
10.15 Uhr Univ.-Prof. Dr. Ulf Birbaumer: „Der Schützling als vorrevolutionäres Zeitbild" 
13.30 Uhr Dr. Hilde Weiss: „Nestroy zur Vergangenheitsbewältigung"
14.15 Uhr Univ.-Doz. Dr. Michael Rogers: „Handwerker und Fabriksarbeiter" oder „Die Launen des Komikers"
15.15 Uhr Dr. Irmgard Neck: „Dei dritte Kränkung"

Freitag, 1. Juli 
ZENSUR IN KRÄHWINKEL UND IHRE UNTERWANDERUNG
Gesprächsleitung: Univ.-Prof. Dr. johann Hüttner
9.30 Uhr Univ.-Prof. Dr. Johann Aust:
"Gottes rote Tinte" – Zur Rechtfertigung der Zensur in der Restaurationszeit
10.15 Uhr Univ.-Prof. Dr. Peter Branscombe: „Unter passender Musik"
13.30 Uhr Werner Schneyder: „Satire in Krähwinkel"
14.15 Uhr Johannes Vyoral:
"Der Zeit ihre Kunst – Der Kunst ihre Freihheit – Der Freiheit ihre Grenzen? 
15.30 Uhr DISKUSSION MIT AUTOREN, KABARETTISTEN, REGISSEUREN, KRITIKERN UND THEATERLEITERN

Samstag, 2. Juli
INSZENATORISCHE UND LITERARISCHE MITTEL DER AKTUALISIERUNG
Gesprächsleitung: Peter Back-Vega
10.00 Uhr Peter Gruber: Zur Inszenierung des „Schützling" anschließend Diskussion
13.30 Uhr Wilhelm Pevny: „Die beiden Nachtwandler"
15.00 Uhr Arbeitskreise zum Tagesthema
16.30 Uhr Bericht der Arbeitskreise, anschließend Abschlussdiskussion und Ausblick

Wiener Zeitung, 3. Juli 1988: Zeitnah und menschenkritisch

Die 16. Nestroy-Spiele auf Schloß Rothmühle in Schwechat, wo auch die 14. Internationalen Nestroy-Gespräche stattfanden, bringen heuer (…) Aufführungen einer wenig bekannten Posse: „Der Schützling“. Auch dieser Nestroy ist menschenkritisch. Und die Zeitnähe betrifft sowohl das Entstehungsjahr (1847) als auch unsere Gegenwart.

Um die Beziehung dieser ernsten Komödie der Protektion zur Gegenwart deutlich zu machen bzw. herauszustellen, mußte natürlich Bearbeiterhand eingreifen. Aber der echte Nestroy-Ton mit seinen vielen bissigen Bonmots ist auf der ganzen Linie da, und insbesondere von da aus wirkt die Posse, wenngleich ihr dramatischer Ablauf nicht so brillant, manches Detail nicht so schlüssig ist wie in anderen Stücken des Wiener Aristophanes.

Das Ensemble St. Jakob hat für die Schwechater Nestroy-Spiele einen Aufführungsstil anzubieten, der die possenhaften Wesenszüge handfest zur Geltung bringt, ja sogar karikaturistisch-marionettenhaft steigert, so daß kein biedermeierlicher Realismus entsteht. Die Spielfreude tut ein übriges, um den Gedanken, daß es sich um ein Amateurensemble handelt, nicht zu stark aufkommen zu lassen.

Peter Gruber hat wieder in bewährter Weise Regie geführt, Herta Mocks Kostüme pointieren die Milieuechtheit der Nestroy-Zeit mit einigen modernen Nuancen und entsprechen somit ganz dem Stil der Aufführung. Die Gliederung, der Aufbau der Bühne ermöglicht ein Spiel von der ebenen Erde bis zum obersten Stock.

Eher mäßig ist die Musik geraten, das einzige Couplet kommt erst langsam in Schwung. Es ist Franz Steiner anvertraut, der wieder die Hauptstütze der Aufführung ist: Diesmal in der Titelrolle – als der durch Zufall protegierte „Aufsteiger“, der über sein eigenes Ich, über die Welt und die Leute mit kritischen Tiefblick meditiert und die Fragwürdigkeit der Protektion zu decouvrieren hilft. Steiner spielt diesen Gottlieb Herb, diesen „Schützling“, der im Mittelpunkt steht und die anderen rundherum oft nur zu Stichwortbringern werden läßt, auf richtig dosierte Nestroy-Manier. Neben ihm bildet Andreas Bauer als arbeitsloser Pappinger den Gegenpol einer saftigen Volksstückfigur. Und das Ensemble liefert viel trefflich akzentuierte Typen, die nur teilweise in zu laienhafter Wirkung steckenbleiben uns sich darin verkrampfen. (Norbert Tschulik)

Wochenpresse, 8. Juli 1988: Sie sind engagiert

Das ist halt in Schwechat so Brauch: Alle Jahre wieder bringen engagierte Laien unter der Leitung eines engagierten Profis ein Stück von Johann Nestroy zur Aufführung. Heuer haben sie sich für den „Schützling“ entschieden, die Geschichte des Gottlieb Herb, der wider Willen in den Genuß allerhöchster Protektion gelangt. Natürlich ist das ein immer aktuelles Thema; natürlich ist das gerade heute brisant, wenn Herb eine Eisenfabrik unter Einsparung von Arbeitsplätzen modernisiert. Auch Regisseur Peter Gruber hat das erkannt – und dann gnadenlos „aktualisiert“: Stichworte wie „VEW“ oder „Privilegienabbau“ schlagen mit der dumpfen Kraft von schweren Holzhämmern aufs Publikum hernieder; auch in der szenischen Realisation leuchtet zwischen Biedermeier und Moderne keine klare Linie durch die Gelsenschwärme. In Schwechat wird Laientheater gespielt. Das ist gut und manchmal auch witzig. Peter Gruber aber will mehr. Das ist so Brauch. (kra)

Kurier, 3. Juli 1988: Ein Manager von Nestroys Gnaden fordert die Reform

Riesige Rohre, wiederholt steht die Bühne unter Dampf: Johann Nestroys Posse „Der Schützling“ spielt zum Teil in einem Gußeisenwerk, ihr Held Gottlieb Herb ist ein genialischer Manager. Er hat, wie er meint, die Zauberformel der Industrialisierung gefunden: „Unbeschadet der Revenue des Herrn den Arbeitern Müh’ zu ersparen, ohne ihren Lohn zu vermindern.“

Nestroy, ein Turrini des Vormärz? Auch Minderleister, die sich dem Fortschritt verschließen, kommen in seinem Stück vor, dessen Possencharakter durch amouröse Verwicklungen gewahrt bleibt. Der Held selbst nimmt seine Fortschrittsgläubigkeit im Couplet zurück: „Ich schau’ mir den Fortschritt ruhig an und find’, ’s is nicht gar so viel dran.“

Es ist das einzige Couplet, das bei den Nestroy-Spielen in Schwechat beibehalten und leider, durch den Vortrag, verschenkt wird. Die Freiluftaufführung witzelt sich durch Textzutaten immer wieder an die Gegenwart heran, als handelte es sich beim Gewerke Finsterbach um Donawitz. Mitunter entsteht der Eindruck überraschender Aktualität – und dann ist die Pointe erst Marke Nestroy, Jahrgang 1847.

Peter Grubers Inszenierung setzt auch heuer die Spielfreude der Laientruppe mit Geschick und Gespür ein, durch den hohen Aufbau der Bühne zieht sich das Spiel in die Vertikale, einmal ist der Held gar oben beim Rauchfang im abziehenden Dampf. Der Text ist geschickt gekürzt, eine eingebildete Liebe ist nahezu eliminiert.

Den Schützling, der keiner sein will, verkörpert Franz Steiner, der Nestroy-Spieler des Ensembles, mit fast schon professionellem Elan. Zupackend in der Diktion, mit wendiger Körpersprache spielt er diesen Zerrissenen zwischen Kühnheit und Zweifel, Liebe und Enttäuschung. Die Klippe seines Talents, an der er scheitert, ist wie alljährlich das Couplet.

Dem übrigen Ensemble ist vor allem der gute Wille zu bescheinigen, bei Susanne Urban und Robert Herret blitzt schauspielerische Begabung auf. Die Aufführung ist gediegen, frei von Experimenten, sie nimmt den Dichter beim Wort. Wo sie über ihn hinausgeht, ist der Witz nicht immer vom Teuersten.

Das Publikum, ein Fressen für die zahlreich erschienenen Gelsen, fand Gefallen an dem Spiel. (Kurt Kahl)

Neue Kronenzeitung, 4. Juli 1988: Zaubermittel Protektion

Ein brisanter politischer Spaß, dem sich Nestroy vor den Argusaugen der kaiserlichen Zensur 1847 geleistet hat, feiert im Sommer 1988 bei den Nestroy-Spielen Schwechat unverminderte Aktualität. Auf der Suche nach dem anderen Nestroy entdeckte das Ensemble um Peter Gruber „Den Schützling“, und präsentiert Nestroys bösen Spott zum unsterblichen Thema Protektion.

Wer immer strebend sich bemüht, der bleibt sein Lebtag im Dachkammerl sitzen. Eine freundliche Empfehlung an der richtigen Stelle öffnet auf oft kuriose Weise den Weg nach oben. Das verkannte Genie Gottlieb Herb lernt die Wohltaten der Protektion allerdings völlig unerwartet kennen, purzelt ahnungslos die Karriereleiter hinauf und in eine Handvoll gesellschaftliches Verwicklungen.

Vor dem Hintergrund der industriellen Revolution herrscht zu ebener Erde bittere Armut und im ersten Stock dekadentes Treiben. Peter Grubers Inszenierung strickt aus einem oft dünnen Handlungsfaden einen in buntesten Farben schillernden Komödienabend. Gags und überraschende Pointen der Ausstattung nehmen Nestroys oft dünnem Witz die Lacher ab. Umso stärker zieht die Regie die politischen und sozialkritischen Konturen des Stückes nach, die so auch unserer Gegenwart einen kritischen Spiegel vorhalten.

Franz Steiner in der Hauptrolle sprüht in der Hauptrolle nicht gerade vor Witz, behandelt aber den hoffnungslosen Idealisten mit Fingerspitzengefühl. Als gelungene Karikatur eines reichen Söhnchens spaziert Robert Herret durch die Szene und Andreas Bauer als arbeitsloser Buchbinder setzt als voll – und vor allem schnapsblütige Nestroy-Figur entscheidende Akzente in einer sehenswerter Aufführung. (Konrad Kramar)

Arbeiterzeitung, 5. Juli 1988: Eine Maschine läßt Dampf ab

Großer Premierenerfolg für die 16. Nestroy-Spiele im Schloßhof Rothmühle bei Schwechat. Mit der Wiederentdeckung des 1847 uraufgeführten Stückes „Der Schützling“ hat sich Regisseur Peter Gruber einmal mehr als „Nestroyaner“ ausgewiesen. Die bisher wenig gespielte Posse steht unter der Aussage: Nestroy kommt und immer näher.

Wenn ein merkantiler Aufsteigertyp, durch „Verbindungen“ an die Top-Position eines Eisenwerkes gelangt, dort seine Talente zur Modernisierung, Rationalisierung und zum Leistungswettkampf schrankenlos einsetzt, so ist das der „Macher von heute“. Und das Strandgut der „Industriellen Revolution?“ Sitzt heute in verschämter Armut in Linz oder Steyr und wartet auf bessere Zeiten. Armut, Protektion und Korruption sind ohne Alter. Einer wie Nestroy vermag das klarzumachen, mit Witz, Ironie und jener Wehmut, die mit machtloser Empörung einhergeht.

Damit es nicht allzu bitter zugeht, sorgen naseweise Geschöpfe beiderlei Geschlechts für Verwirrung, Liebes- und Heiratssachen und ein glückliches Ende. Trotz der fröhlichen, unkomplizierten Inszenierung ist der Tiefgang des „Schützlings“ in Schwechat zu spüren. Viele gute Regieeinfälle und bemühte Schauspieler zeigen auf, wie attraktiv Theater im Sommer sein kann. „’s ist wirklich famos, wie der Fortschritt is groß“, resümiert Franz Steiner in der Rolle des vormärzlichen Managers Gottlieb Herb in seinem (leider einzigen) Couplet, und fürwahr, er hat recht! Auf der reich bestückten Bühne (Ensemble St. Jakob) läßt keine Maschine richtig Dampf ab. Wenn das kein Fortschritt ist?

Volksstimme 5. Juli 1988 / Niederösterreichische Rundschau, 6. Juli 1988: Champagnersäufer

Im 16. Jahr sind die Schwechater Nestroy-Spiele angelangt, und wiederum wurde erfrischend vorgeführt, daß es Alternativen zu verfälschten, süßlichen Nestroy-Possen, wie sie an Burg und anderswo üblich sind, gibt.

Das Laienensemble mit Profiregisseur Peter Gruber gab im Schwechater Schloß Rothmühle die 1847 entstandene Posse „Der Schützling“ einem Premierenpublikum, das den Funken der Theaterbegeisterung auffangen konnte, der von den nichtbeamteten Schauspielern ausging.

„Der Schützling“, eine der weniger bekannte Possen Nestroys, die Geschichte eines Protektionskindes, das keines sein will und Direktor eines Eisenwerkes wird. Gottlieb Herb, dem durch Hilfe der Ministergattin der Weg nach oben geebnet wird, sieht sich als Managergenie, mit großen Reformen soll der Laden in Schuß gebracht werden. Der Bezug zur Gegenwart ist brandaktuell, als das Werk verkauft werden soll. Zwar läßt Regisseur Gruber den potentiellen Käufer nicht aus der Sphäre der EG kommen – ein Typ mit stark amerikanischem Akzent tritt auf –, dennoch werden Mechanismen wie Kapitalkonzentrieung belegt. Das Stück hätte mehr Möglichkeiten geboten, politische Akzente zu setzen.

Brillant zeigte sich die Einrichtung der Bühne auf mehreren Ebenen. Die Haute Volé der Ministergesellschaft im ersten Stock – die Arbeiter am rauchenden Hochofen eine Etage tiefer. So wie es in der Realität eben auch ist: Champagnersaufende und froschschenkelfressende ÖIAG-Vorständler sitzen im wohlklimatisierten Aufsichtsratszimmer samt ihren Unterläufern, um über Arbeitsplätze zu entscheiden, während in Linz, in Donawitz geschuftet wird, um die Managergagen zu erarbeiten.

Der Regie Peter Gruber ist nicht nur ein sensibler Umgang mit dem Autor zu attestieren, vielmehr gelang es auch, die Laiengruppe zu besten schauspielerischen Leistungen zu führen. Franz Steiner als Gottlieb Herb war zentrale Figur des Abends und agierte im besten Nestroyschen Sinn. Ein Genuß, seinen Monolgen zuzuhören. Der arbeitslose Buchdrucker Pappinger war Spiritus rector der Protektionsaktion. Andreas Bauer meisterte diese Rolle bravourös, manch ein professioneller Possenreißer aus dem Genre Nestroy könnte sich seinen Teil abschauen. Helene Meissl zeigte, wie Ministergattinnen zu sein haben: Bestens gelang es ihr, diesen Typ Frau mit Hauptberuf Gattin zu karikieren.

Herta Mock gestaltete die Kostümausstattung, eine gelungene Arbeit.

Eine erfreuliche Überraschung war der Kauf des entsprechenden Programmheftes zum Stück: Ein mit viel Aufmerksamkeit zusammengestelltes Heft, das dem Leser Einblick in die Zeit der Entstehung des Stücks gibt. Das Ambiente, in dem das Stück entstanden ist, wird dargestellt, Zitate aus dem „Grenzboten“ (Jahrgang 1847) machen deutlich, unter welchen Bedingungen sich die Arbeitswelt im Vormärz gestaltete. Christl Bauer besorgte die ausgezeichnete Zusammenstellung des Heftes. (Clemens Staudinger)

Badener Rundschau, 7. Juli 1988: Nestroy – angriffslutig und unverblümt

„’s is’ wirklich famos, wie der Fortschritt is’ groß“, dies ist jenes resümierende, satirisch gemeinte Couplet, mit dem Johann Nestroy seine 1847 geschriebene Posse „Der Schützling“ – die dem Protektionsunwesen und der Feunderlwirtschaft zu Leibe rückt – ausklingen läßt.

Das Schwechater Theaterensemble Sankt Jakob – Nestroy-Spieler von hohem Format (unter der Regie von Peter Gruber) – hat mit diesem fast unbekanntem Stück wieder bewiesen, daß es wie keine andere Amateurtheatergruppe in unserem Land versteht, Nestroy kräftig-deftig zu interpretieren, ohne es auf oberflächliche und vordergründige Komöduantik anzulegen.

Die Premiere am 1. Juli fand vor ausverkauftem Haus statt, das Publikum vor der Freiluftbühne im Hof des Schlosses Rothmühle wurde in seinen Erwartugen nicht enttäuscht. Bei der Figur des „Schützlings“ handelte es sich um einen Intellektuellen ärmliches Herkunft namens Gottlieb Herb, der von Franz Steiner souverän dargestellt wurde. Gottlieb Herb will eigentlich echte Anerkennung seiner Leistungen, doch sind Aufsteiger aus dem Volk in der Übergangsphase vom Feudalsystem zum Industriezeitalter nicht gefragt. Erst als er gegen seinen Willen von der Frau des Ministers (aus einer Laune heraus) protegiert wird, steht seiner Karriere nichts mehr im Weg. Die vielschichtigen Konflikte vor und während des Aufstiegs Herbs sind es, die dem sozialkritischen Stück effektvoll Wirksamkeit verleiehn. Im Grunde handelt es sich um einen Stoff, der auch heute noch modern wirkt, was die zahlreichen, vom Publikum vielbeklatschten aktuellen Anspielungen auf jüngste Vorkommnisse in unserem Land beweisen. Dem Ensemble der „Jakobiner“ gelingt es, die politische Brisanz des Stücks voll auszuschöpfen.

Eine außerordentliche Leistung und fast eine Attraktion das Bühnenbild. Durch Aufstellung mehrerer horizontaler und vertikaler Metallröhren schufen die Liebhaberschauspieler in gemeinsamer Arbeit einen zweistöckigen, in mehrere Fächer geteilten Gebäudekomplex, in dem ein Gußwerk ebenso wie eine Feudalwohnung und Elendsquartiere ihren Platz fanden. (Leo Willner)

Niederösterreichische Nachrichten, 6. Juli 1988: „Der Schützling“ eine sehr kritische Nestroy-Posse

Mit der eher unbekannten Nestroy-Posse „Der Schützling“ gelang dem Ensemble „Sankt Jakob“ bei den diesjährigen Nestroy-Spielen ein Volltreffer. Vor zahlreichem Publikum fand am Freitag, 1. 7., im Schloßhof Rothmühle die Premiere statt. Das Ensemble um Regisseur Peter Gruber präsentierte Nestroys bösen Spott zum unsterblichen und auch in die heutige Zeit passenden Thema „Protektion“.

Auch in unserem Jahrhundert scheint Nestroy aktueller zu sein denn je. Die Uraufführung des Stücks erfolgte 1847. Nestroy benützte als Vorlage wahrscheinlich ein nicht fertiggestelltes französisches Lustspiel. Der brisante politische Inhalt des „Schützlings“ ist nicht sofort zu erkennen. Die versteckten politischen Anspielungen gilt es heutzutage wieder zu verdeutlichen. Dabei zeigt sich, daß der „Schützling“ vieles enthält, was uns auch heute etwas zu sagen hat.

So zeigt sich bei dem im Dachkammerl sitzenden Genie Gottlieb Herb, daß eine freundliche Empfehlung an der richtigen Stelle sein Leben grundlegend ändert. Er lernt die Wohltaten der Protektion, wenn auch völlig unerwartet, kennen. Sehr deutlich wird dem Zuschauer die bittere Armut zu ebener Erde und das dekadente Treiben im ersten Stock vor Augen geführt.

Sehr übersichtlich daher auch der szenarische Aufbau. Dazu eine mit viel Phantasie errichtete Bühne, die so richtig zu dieser Aufteilung paßt. Stellvertretend für alle seien hier nun einige Darsteller genannt. Allen voran Franz Steiner als Gottlieb Herb in der Hauptrolle, der nur etwas mehr aus sich herausgehen müßte. In den typischen Nestroy-Figuren weiters der arbeitslose Pappinger alias Andreas Bauer und Robert Herret als August von Zollfeld. Nicht zuletzt Isabella Böhm als Nanny. Anschließend ein Tip: Hingehen und ansehen. (O. Pehan)