Die verhängnisvolle Faschingsnacht

Im Mittelpunkt der "Verhängnisvollen Faschingsnacht" steht der Kampf der Geschlechter um- und gegeneinander, insbesondere aber das Motiv der Eifersucht, das Nestroy ungemein geistreich und feinsinnig persifliert. 
Als roter Faden dient ihm eine eingebettete kriminalistische Handlung, die Entführung eines Kindes, welche eine Reihe von Mißverständnissen, Verwirrungen und Verwicklungen zur Folge hat, durch die der Kampf zwischen Männern und Frauen besonders lebendig zum Ausdruck kommt.

Wie immer bei Nestroy ist da alles scheinbar harmlos und gefällig verpackt.

11. NESTROY Spiele Schwechat
Die verhängnisvolle Faschingsnacht
Premiere: 01. Juli 1983

Regie

Peter Gruber

Bühne

Ensemble

Musik

Herbert Ortmayr

Akkordeon

Nikolaus König

Kostümberatung

Roswitha Meisl

Kostüme

Susanne Urban, Mariëtte Michielsen, Olga Weinlich

Requisiten

Traude und Leopold Selinger

Technische Einrichtung

Alfred Stepan, Franz Schulcsik

Maske

Brigitte Bayer, Renate Abt, Marietta Michielsen

Souffleuse

Friedelgund Hamernik
TATELHUBER ein Pächter vom Lande
Willibald Mürwald
PHILIPP sein Sohn
Franz Steiner
HELENE dessen Frau
Erika Stepan
SEPHERL Magd
Susanne Urban
ROSINE Kammerjungfer in Philipps Haus
Elisabeth Müller
HEINRICH
Leopold Selinger
HERR VON GECK
Georg Wertnik
GOTTLIEB TAUBENHERZ Bruder von Helenes verstobenem Manne
Karl Krumpholz
FRAU VON SCHIMMERGLANZ
Mariëtte Michielsen
EIN BEDIENTER
Ernst Schüller
LORENZ Holzhacker
Robert Herret
JAKOB Holzhacker
Andreas Bauer
KATHERL Jakobs Weib
Gertrude Pfertner
NANI eine Wäscherin
Renate Abt
SCHNECK Nachtwächter
Kurt Muhr
LUCHS Nachtwächter
Christoph Stepan
FRAU EVERL Kräutlerin
Traude Selinger
FRAU REGERL Kräutlerin
Victoria Posch
MARKTLEUTE
Jutta Aicher, Leopold Selinger
DIENSTBOTEN
Karin Achernigg, Elisabeth Hertelendy, Sylvia Daniel
EIN PROPHET
Eduard Maciejovsky
VOLK, WÄCHTER
Karl Götterer, Michael Hinterberger, Josef Ofner, Hans Christian Polak, Franz Poppinger, Hubert Rössler, Harald Steinberger, Alexander Toth, Bernhard Fleck

1. Akt
Chor I, 1. – Sepherl berichtet Tatlhuber, ihrem Ziehvater, daß sie von seiner Schwiegertochter stets schikaniert wird. Auch sein Sohn könne ihr aus Angst vor seiner Frau nicht helfen. Außerdem erzählt sie von ihrem Geliebten Lorenz. Tatlhuber ist unzufrieden darüber, daß Lorenz lediglich ein Holzhacker ist. – Auftrittslied Lorenz I, 5 („Unser Geschäft is zwar grob, doch von viel feine Leut“). – Von Everl erfährt Lorenz, daß Sepherl auf dem Markt mit einem älteren Herrn gesprochen hat, was ihn sehr eifersüchtig macht. Tatlhuber tadelt Philipp, weil er unter dem Pantoffel seiner Frau steht und deren schlechte Meinung über Sepherl teilt. Um Philipp selbst zum Herrn im Hause werden zu lassen, schlägt er ihm vor, ein Landgut außerhalb der Stadt zu erwerben und zu bewirtschaften. Obwohl Helene diesen Vorschlag ablehnt, versucht Philipp, sich mit dieser Idee durchzusetzen. Schließlich schlägt Helene selbst eine Trennung vor, wobei sie jedoch das Kind mitnehmen will. Sie glaubt aufgrund ihres Reichtums vor allen Schicksalsschlägen gefeit zu sein. Philipp beugt sich Helenes Willen, weil er das Kind, das beide abgöttisch lieben, nicht verlieren will. Von Chevalier Charmant wird Tatlhuber für den Abend auf einen Maskenball geladen. Nachdem Philipp und Tatlhuber fortgegangen sind, macht Charmant Helene den Hof. Allerdings beobachtet Helene, daß er anschließend auch Sepherl Avancen macht, woraufhin sie ihn aus dem Haus weist. Taubenherz beklagt sich, weil sein Vater seinem Bruder mehr vererbte als ihm und weil sein Bruder sein Vermögen nicht wie versprochen ihm, sondern seiner Frau hinterlassen hat. Diese wiederum will nun ihren Sohn als Erben einsetzen. Da Helene sich weitere Gespräche über diesen Punkt verbittet, beschließt Taubenherz, das Kind zu entführen und bei armen Leuten unterzubringen, wo es zu einem guten Menschen erzogen und nicht wie bei seinen Eltern völlig verwöhnt wird. Er prophezeit, daß die Ehe von Helene und Philipp ohne das Kind nicht lange halten wird, was ihm die Gelegenheit gäbe, sich bei Helene einzuschmeicheln, seine Tochter zu Helenes Freundin zu machen und auf diese Weise das Erbe doch noch, zumindest für seine Tochter, zu sichern. Gemeinsam mit Heinrich macht Taubenherz sich an die Umsetzung seines Plans. – Chor I, 22. – Im Wirtshaus erkennt Lorenz in Tatlhuber seinen angeblichen Nebenbuhler und will ihn verprügeln. Tatlhuber war mit dem Vorsatz im Wirtshaus, Lorenz zu beobachten und zu prüfen, ob er der rechte Bräutigam für Sepherl ist. Unterdessen versucht Charmant, Helenes Gunst wiederzuerlangen. Da sie ihn abweist, vermutet er einen Nebenbuhler. Von Lorenz zur Rede gestellt, erzählt Sepherl den wahren Sachverhalt. Lorenz sieht seinen Fehler ein und verspricht Sepherl die Treue. Am Abend will er seine Geliebte besuchen, sobald die Herrschaft auf dem Maskenball ist. Um Taubenherz’ Plan umzusetzen, engagiert Heinrich Jacob, der das Kind entführen soll. Tatlhuber und Charmant verkleiden sich als Holzweiber, um Lorenz beziehungsweise Helene unerkannt beobachten zu können.

2. Akt
Chor von Wäscherinnen und ihren Liebhabern II, 1. – Lorenz erzählt Nanni, daß er sich nie sicher ist, ob er Grund zur Eifersucht hat. Nanni beschließt, ihn für sich zu gewinnen, und bittet ihn, ihr am nächsten Morgen einen Wäschekorb zu Sepherls Herrschaft zu tragen, doch aus Angst vor Sepherls Zorn lehnt Lorenz ab. – Duett Nanni, Lorenz II, 2. – Am Nachmittag hatte Helene Charmant unter ihrem Fenster erkannt. Nun will sie ihren Mann mit Charmants Hilfe am Abend auf dem Ball bloßstellen, weil Philipp sich durch die Anwesenheit seines Vaters dazu ermutigt sieht, Autorität zu zeigen. Tatlhuber erzählt Sepherl von seiner Verkleidung und rät ihr dringend von Lorenz ab. Statt dessen bietet er ihr an, die Bekanntschaft mit einem gesetzten Mann zu vermitteln, doch Sepherl lehnt ab. Er selbst traut sich nicht, ihr einen offenen Antrag zu machen. – Lied Tatlhuber II, 10 (R: „Soll i das reskieren? Nein justament nicht.“). – Heinrich, Jacob und Katherl beginnen, die Entführung in die Tat umzusetzen. Nachdem die Herrschaften aus dem Haus sind, überredet Heinrich Rosine dazu, mit ihm ebenfalls zum Fasching zu gehen, so daß Sepherl allein zu Haus ist. Diese hört jemanden rumoren. Als sie nachsieht, ist der Korb mit dem Kind verschwunden. Erschrocken läuft sie aus dem Haus, um nach dem Kind zu suchen. Unterdessen wartet Lorenz auf Sepherl. Über ihr langes Ausbleiben wird er wütend und eifersüchtig. Nachdem sie ihren Gatten eifersüchtig gemacht hat, kehrt Helene in Charmants Begleitung nach Hause zurück. Da er sie jedoch nicht hineinbegleiten darf, ist Charmant sehr verärgert. Lorenz und Charmant wandern beide heimlich durch das Haus. Im Dunkeln treffen sie aufeinander. Da Charmant glaubt, Heinrich vor sich zu haben, erzählt er ihm, er habe sich mit Sepherl getroffen, und bittet Heinrich, Stillschweigen zu bewahren, um die Sache nicht publik zu machen. Lorenz ist außer sich vor Wut. Er stürmt in ein Zimmer, glaubt Sepherl vor sich zu haben, schlägt sie so, daß sie in Ohnmacht fällt, und verläßt das Haus. Gemeinsam kehren Philipp, Tatlhuber und Charmant zurück. Ihnen wankt Helene entgegen, die von einem fremden Mann geschlagen wurde. Die Aufregung ist groß, als man das Verschwinden des Kindes bemerkt.

3. Akt
Aus Wut über Sepherls angebliche Untreue will Lorenz sich Nanni zur Geliebten nehmen. Als Zeichen seiner Zuneigung will er nun doch den Wäschekorb holen. – Lied Lorenz III, 1 (R: „Und ’s is Alles nit wahr, es is Alles nit wahr.“). – Jacob und Katherl warten mit dem Kinderkorb auf Heinrich, der zum vereinbarten Treffpunkt nicht erscheint. Um die Equipage von Taubenherz zu suchen, verstecken sie den Korb hinter einem Zaun. Lorenz hat den Wäschekorb geholt. Da es aber noch mitten in der Nacht ist und er Nanni auf einem Ball weiß, versteckt er den Korb ebenfalls hinter dem Zaun und stürzt sich ins Vergnügen. Jacob findet Taubenherz und verrät ihm, obwohl es Streit um die Bezahlung gibt, das Versteck des Korbes. Keiner bemerkt, daß es der Wäschekorb ist, den Taubenherz hervorzieht, während Lorenz kurz darauf, vom Ball kommend, den Kinderkorb mitnimmt. Auch er bemerkt die Verwechslung nicht. Während Sepherl verzweifelt mit dem Nachtwächter nach dem Kind und seinem Entführer sucht, glaubt ihre Herrschaft, Sepherl selbst habe das Verschwinden des Kindes zu verantworten. Mit Hilfe des Nachtwächters werden Taubenherz, Jacob und Heinrich schließlich gestellt. Das Erstaunen ist bei allen jedoch groß, als man in dem Korb lediglich Wäsche findet. In diesem Moment tritt Lorenz mit seinem Korb ein, sehr erstaunt über die allgemeine freudige Aufregung. Sofort erzählt er Sepherl von der Begegnung mit Charmant und seiner neuen Liebe zu Nanni. Völlig ungerührt schimpft Sepherl ihn für seine Dummheit aus, Charmant zu glauben und direkt zu einer anderen zu laufen. Sie habe keinen Grund, sich bei ihm zu entschuldigen. Dem verblüfften Lorenz kommen Zweifel, ob er Sepherl zu Recht verdächtigte. Aus Dankbarkeit verspricht Philipp, daß Helene Sepherl eine Aussteuer bezahlen wird, damit sie ihren Geliebten heiraten kann. Doch Sepherl will Lorenz nicht mehr heiraten. Statt dessen nimmt sie den Antrag an, den Tatlhuber ihr macht. Helene hat ihre Fehler eingesehen und ist einverstanden, mit Philipp aufs Land zu ziehen. Sie will den Ort ihrer Torheit verlassen und sich bessern. – Schlußchor III, 16.

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 15 Adey Huish)

Die Presse, 4. Juli 1983: Herrin und Magd marschieren

Zum elften Male laden in Schwechat zur Sommerzeit Laiendarsteller in den Hof von Schloß Rothmühle zu Nestroy. Heuer zeigen sie in der „Verhängnisvollen Faschingsnacht“ mehr als bloß Können und Animo: Sie machen bei einer Denunziation Nestroys als frauenfeindlichem „Macho“ mit. Die ließ sich der Regisseur Peter Gruber einfallen.

Gruber nimmt gewiß Teil an der Diskussion über Nestroy. Wie gewaltsam-versöhnlich Nestroy-Possen enden, wie zwangsläufig Männer die Mädchen bekommen, die sie wollen, fiel schon vielen Nestroy-Lesern auf. Manch ein Regisseur brach die Süße schon mit kalten Schauern, doch für feine Ironie ist ein Freiluftlaienspiel wohl nicht geeignet. Gruber aber schlägt mit dem harten feministischen Hammer zu, und wie immer, wenn Männer die Partei der Frau ergreifen, nicht ohne einen Krampf. Überhaupt scheint das Spiel in Schwechat intellektualistische Töne zu lieben – im Schloß finden auch jährlich Nestroy-Gespräche statt, bei denen auf hohem Niveau Denker und Editoren an und für Nestroy werken.

In der „Verhängnisvollen Faschingsnacht“ wird einem armen Dienstmädchen das „Glück“ eher gemacht als geschenkt. Ihr Verehrer, der Holzhacker Lukas, darf es nach langen Irr- und Intrigenfahrten in die Arme schließen. Es muß nicht heiraten, es wird geheiratet. Doch an diesem Zwang eine feministische Polemik anzuhängen, scheint mir fehlgedacht. Denn das Aufregende dieser Parodie auf ein zeitgenössisches Sittenstück von Holtai ist Nestroys klammheimliche Trauer über die Unfähigkeit derer „unten“, miteinander zu harmonieren – während die „oben“ die größten Ungeheuerlichkeiten mit Manieren und Geld zudecken können. Daß es eine Standes-„Versöhnung“ gibt, ist mit dieser Trauer unvereinbar. Gruber aber setzt sie durch, indem er zwei Frauen, Herrin und Magd, sich miteinander solidarisieren läßt – weg von den schlagkräftigen Männern, wir Frauen marschieren gemeinsam der Freiheit entgegen!

Der Volkston ist uns mit Comedie italienne vergällt: wallende Carnevalsmäntel in Schwarz, weiße Masken neben dem Trachtenanzug eines niederösterreichischen Ökonomierates. Das Stilgefüge leidet, wo die Kleider, die die Leute machen, zu stark kontrastieren.

Den Schwechatern gelang dennoch in diesem Jahr ein Aufschwung in ihrer Nestroy-Pflege. Endlich sieht man Hauptrollenspieler, wie sie Nestroys Theaterpraxis und dramatisches Schaffen so nötig haben. Robert Herret ist so einer. Sein Holzhacker Lorenz agiert so menschlich uneindeutig, damit so facettenreich, wie Nestroy ihn sich gewünscht haben mag: kein Kraftlackel, sondern eine Mischidentität zwischen „Gehherda“ und Kleinstunternehmer, mit dem Spruch der Herrschaft und dem Überlebensinteresse des Kleinen Mannes. Willibald Mürwald (Tatelhuber) ist ein köstlicher Landmensch, Erika Stephan quält gekonnt die Nerven als überreife Bürgersfrau, die sich einen Bauernsohn (Franz Steiner) als Simandl hält. Susanne Urban gibt eine brave, liebesbereite Magd, die am schlechten Anfang und guten Ende der Geschichte gleichviel leidet. (hai)

Wiener Zeitung, 5. Juli 1983: Unterhaltung mit Nestroy

In bzw. bei Schwechat, im Schloßhof Rothmühle, wo Nestroy-Aufführungen nun schon Tradition haben, steht heuer (…) die Posse „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“ auf dem Programm, ein Stück, in dem der wienerische Aristophanes Gesellschaftskritik auf breitester Front geübt hat: nicht nur an den Besitzenden, sondern auch an denen aus der „unteren Schicht“, an der reichen, ihren Gatten wie alle anderen kujonierenden Madame wie an dem Holzhacker, der mit seinem komplexbedingten, übersteigerten Ehrbegriff ein rechtes Ekel ist.

Ja, Nestroy war mit Recht ein großer Skeptiker gegenüber den Menschen, und so fehlt’s in diesem Stück nicht an mehr oder weniger schäbigen Exemplaren der Spezies Mensch: da ist der Herr von Geck, der seinem Namen üble Ehre macht, Herr Taubenherz mit einem recht kriminellen Herzen, der Holzhacker Jakob, der um Geld alles tut, die tratschsüchtigen Kräutlerinnen. Der Pächter Tatelhuber und vor allem die Magd Sepherl die sind anders, sie kommen vom Land, und so wird auch ein moralisches Land-Stadt-Gefälle aufs Korn genommen.

Freilich: Nestroy wollte nicht ein Gesellschaftfkritiker modernen Zuschnitts sein, er wollte vor allem unterhalten. Und daß dieser Wille erfüllt sei, dafür sorgen die Ausführenden in Schwechat, das Ensemble St. Jakob, aufs allerbeste. Hier wird nicht hochprofessionell agiert (und gesprochen), aber mit so viel unmittelbarer Lebendigkeit und Freude am Spiel, daß die Aufführung frischer, ansprechender gerät als manche in einem hochkulturellen Musentempel.

Das ganze Ambiente trägt zum Gelingen bei. Im Schloßhof Rothmühle ist eine Art Pawlatschenbühne errichtet (Bühnenbild: Ensemble!), schon zum Eingang erwarten einen maskierte Faschingsgestalten, die sich auch sonst recht munter in der Faschingsnacht dieses Spiels herumtummeln, Wachen in biedermeierlichen Gendarmenkostüm (Nestroy-Zeit war ja auch Metternich-Zeit) stolzieren herum, beteiligen sich (am Rand) am Spiel, Reihen von bunten Lampen suggerieren ein bißchen Jahrmarktsatmosphäre.

Kurz und gut: alles rundum ist passend. Und dazu wird unter der Regie von Peter Gruber wirklich animiert gespielt. Quasi volksstückhaft. Das entspricht Nestroy besser als irgendein intellektueller Versuch. Manches wird kräftig ausgespielt und aufgetragen – und doch gibt’s keine Outrage. Man kann sich wirklich unterhalten. Die Kostüme, Bundestheaterleihgaben und aus eigenem Fundus, können sich sehen lassen, für Musik sorgte sowohl der gute alte Adolf Müller als auch – damit die Sache ins Heute, in den gegebenen Rahmen paßt – Herbert Ortmayr. Am Akkordeon: Nikolaus König.

Am allerbesten von den Darstellern ist Robert Herret als Lorenz: wie facetiert und pointiert er diesen Ehrbesessenen spielt, komödiantisch-naturhaft und zugleich mit tieferer Bedeutung, das ist prächtig. Auch seine Couplets (natürlich mit aktuellen Strophen) kommen bestens an. Willibald Mührwalds gutgelaunter, biederer Tatelhuber, Franz Steiners Pantoffelheld Philipp, Erika Stephan als dessen hochfahrende reiche und schließlich durch die Sorge um ihr (verwöhntes) Kind zum Menschsein reifende Frau, Susanne Urban, die die Sepherl unkompliziert-naturbelassen darstellt, Georg Wertnik als ältlich aufdringlicher Herr von Geck, Karl Krumpholz als herzloser Taubenherz, die verschiedenen Typen aus dem Volke usw., sie alle spielen wie von der Leber weg und zugleich erstaunlich gut. (Norbert Tschulik)

Kurier, 5. Juli 1983: Ein Purzelbaum zum Feministen-Kabarett

„Wo erfährt Johann Nestroy
Was er eigentlich dachte
Wo erfahren die Schauspieler
Warum niemand lachte
Wo erfährt die Regie
Wen sie allen nicht führte
Wo erfährt das Publikum
Warum ’s applaudierte
Subtil, objektiv, unabhängig und klar?
’s ist alles net wahr
’s alles net wahr.“

Wahr ist vielmehr, daß diese Anspielung auf Kurier-Werbung und -Kritiker nur eine von vielen bissig-aktuellen Coupletstrophen ist, die Regisseur Peter Gruber zum Gaudium des Publikums in Schwechat seinem Nestroy unterschob.

Wahr ist vielmehr, daß ein Haufen Laienschauspieler die Professionellen der übrigen Sommertheater deklassiert.

Peter Gruber inszeniert Nestroys Biedermeier nicht nach Belieben als Anbiedermeier an heutigem Publikumsgeschmack. Aber er scheut sich auch nicht, Nestroys Klamotte im Zeitgeist lüften zu lassen.

„Die verhängnisvolle Faschingsnacht“ (1839) kann das durchaus vertragen. Ihr Hauptwitz nämlich, Travestie auf eine damals populäre Tragödie zu sein, hat sich noch im vorigen Jahrhundert verflüchtigt. Der Anlaß zur Persiflage, des Deutschen Karl von Holtei melodramatisches Rührstück „Ein Trauerspiel“ in Berlin, verschimmelt vermutlich auf ewig in Bühnenrumpelkammern.

Nestroys hämischer Hohn auf die Vorlage kann uns nicht mehr vergnügen. Das schwächt uns ein Stück.

Was bleibt, sind boshafte Milieuskizzen seiner Zeitgenossen, seine scharfsinnige Bestandsaufnahme einstiger Zustände, destilliert in Humor. Und Nestroys sarkastische Anmerkungen zum Kampf der Geschlechter, aufmüpfigen Frauen, eifersuchtsrasenden Männern.

In dem Punkt gelingt Grubers Regie ein kunstvoller Purzelbaum: Nestroys Text wird durch geschicktes Spiel zu feministischem Kabarett.

Willibald Mürwald ist ein Tatelhuberbauer von Löwingerschen Dimensionen, Robert Herret gelingt eine unheimliche Kasperfigur mit Holzhackerehre, und Susanne Urbans liebenswerte Dienstmagd Sepherl würde man nicht nur zum Schandlohn von damals auf der Stelle gern einstellen.

Auch ein schwach’s Stück von Nestroy/
muß nicht sein ein Gfrett/
Wenn man karikierend/
draus macht ein Kabarett/
Spott, Gesellschaftskritik/
und zeitloser Humor/
brechen sowieso aus/
jeder Szene hervor/
Ein Ausflug nach Schwechat/
lohnt sich wunderbar/
’s ist alles echt wahr (wenigstens dieses Jahr). (Rudolf John)

Neue Kronenzeitung, 3. Juli 1983: Ihr Auftritt, bitte!

Was ist Sommertheater? Im allgemeinen, wenn Schauspieler ihren Urlaub auf der Bühne verbringen und zeigen, daß Theater noch schlechter sein kann, als es ohnehin schon ist. Ganz anders das Laienensemble St. Jakob im Schloß Rothmühle bei Schwechat: hier wird das ganze Jahr geprobt für den großen Auftritt im Juli. Die Nestroy-Spiele sind sehenswert!

Heuer hat man eine besondere Nestroy-Rarität einstudiert: „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“, eine 1839 entstandene Parodie auf ein Rührstück Karl von Holteis. Die Geschichte zweier „Maßloser“ – des Spandlholzmachers Lorenz, der voll blinder Eifersucht seine „Ehr“ zu wahren sucht, und der reichen Helene, die die Hosen anhat im Hause ihres Gemahls.

Im lampiongeschmückten Schloßhof, auf und um die selbstgebastelte Pawlatschen setzt Regisseur Peter Gruber einen ausgelassen-spöttischen Biedermeierfasching in Szene: Masken und Perchten treiben (unerlaubt) ihre Späße, die Protagonisten outrieren übermütig das Geschehen, Gendarmen überwachen Grubers Bühnenklamauk bis zum polizeilich verordneten Happy End … Arbeitslosigkeit, soziale Unterdrückung und Frauendiskriminierung sind die Themen, die in Grubers Tumult szenischer Einfälle immer wieder durchleuchten. (Andreas Weitzer)

Volksstimme, 5. Juli 1983 / Niederösterreichische Rundschau, 6. Juli 1983: Des Bürgers „erlaubte“ Freiheiten

Die erfreulichen Nestroy-Produktionen der jüngeren Zeit (Gruppe 80, Spittelberg) finden eine ebenso erfreuliche Fortsetzung: Auf Schloß Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf zeigt die Schwechater Theatergruppe „St. Jakob“ unter der Regie Peter Grubers das wenig gespielte Stück „Die verhängnisvolle Faschingsnacht“.

Erstaunlich, was Gruber mit der ambitionierten Amateurgruppe auch im elften Jahr des Bestehens der Nestroy-Spiele zustande bringt: Erfrischend brisanten und heutigen Nestroy, fernab jeder „Verbiedermeierung“, jeder hierzulande bis zum Überdruß bekannten Verharmlosung. Daß das erfreuliche Ergebnis mit einem wenig bekannten und gespielten Nestroy gelingt, zeugt von ernsthafter Teamarbeit des Regisseurs mit der etwa vierzigköpfigen Gruppe. Und der Erfolg hat viele Ursachen: Zum einen liegt er in der Struktur der Arbeit selbst. Dem Leiter der „Jakobiner“, Franz Steiner, ist es gelungen, auch über die eigentliche Gruppe hinaus Schüler des Polytechnischen Lehrgangs in die Inszenierung einzubinden und sie mit den Commedia-dell’arte-Elementen zu „betrauen“.

Die szenische Auflösung bereitete heuer mehr Kopfzerbrechen als im vergangenen Jahr, aber auch hier wurde eine optimale Lösung gefunden: Die einfach gehaltene Bühne wurde vom hinteren Haus des Schloßhofes gelöst, nach vor gerückt, damit das Publikum stärker mit den Vorgängen auf der Bühne konfrontiert und solcherart auch die Möglichkeit geschaffen, den übrigen Schloßhof mit den Gebäuden ins Spielgeschehen einzubeziehen.

Über all dem freilich steht eine grundsätzlich konsequente Nestroy-Auffassung, Nestroy nicht auf seinen „Wortwitz“ zu reduzieren, sondern die gesamte gesellschaftspolitische Dimension ausspielen zu lassen. Womit die reichlich triviale Stückvorlage, es geht um eine Kindesentführung, aktuelle Brisanz erhält: Gruber zeigt auf verschiedenen Ebenen neben dem Mann-Frau-Konflikt die erlaubten Freiheiten des Bürgers – nicht nur 1839, dem Jahr, in dem das Stück von Nestroy angesiedelt wurde. Die allgegenwärtige Exekutive beschränkt die Freiheiten auf wenige kostbare Momente: die Markt-. Trink- und Maskenfreiheit. Und zeigt dadurch, was oberstes Bestreben des Staats ist: Ruhe und Ordnung im Sinne der Herrschenden. Daß während der Pause auch das Publikum von der „Exekutive“ behelligt wird, ist nur folgerichtige Verlängerung Nestroys ins Heute, die ebenso richtig und konsequent in den Couplet-Strophen des Holzhackers Lorenz ihren Ausdruck findet. Da ist die Rede vom Justizminister Ofner, Burger, Ausländerfeindlichkeit und nicht zuletzt kriegen die bürgerlichen Medien ihre verdiente Schelte. Und überaus wichtig die Strophe zur „Nachrüstung“ – da wird ungeschminkt die Wahrheit gesagt.

Als sich das Ende der Faschingsnacht abzeichnet (musikalische Einrichtung: Herbert Ortmayr und Nikolaus König) und mit ihr der Sieg des Patriarchats und der herrschenden Ordnung, zeigen die „Jakobiner“, wie fragwürdig beides geworden ist im Schlußchor.

Möglich wird solches Theatererlebnis und Wirklichkeitsbegreifen nur durch ein Ensemble, das sich dem Zugriff jeglichen „Startums“ entzieht und in dem jede(r) seinen wichtigen Beitrag zum Erfolg leistet. Darum sei hier auf die Nennung einzelner Namen verzichtet.

Nestroy, wie er sein soll.
Hingehen.
Anschauen. (Günther Stockinger)