Der Zerrissene

Heuer im 10. Jahr der Nestroy-Spiele, zeigen wir eines der erfolgreichsten Stücke Nestroys.

DER ZERISSENE uraufgeführt am 9. April 1844 im Theater an der Wien – erlebte allein zu Nestroys Lebzeiten etwa 107 Vorstellungen. Seine französische Vorlage, «L'homme blasé» ("Der Blasierte"), stammte aus der Feder der Vaudeville-Autoren Duvert und Lausanne. Sie wurde in einer übersetzten Fassung, pikanterweise gleichzeitig mit Nestroys Bearbeitung, im Josefstädter Theater gegeben, aber schon nach wenigen Tagen abgesetzt. Von kleinen Änderungen abgesehen, hielt sich Nestroy in Handlungsablauf und Dramaturgie an das Original. 
Seine sprachliche Gestaltung jedoch, seine Menschen und Gesellschaft entlarvenden, bös-witzigen Formulierungen und die stimmige Auslotung der Charaktere gaben dem "Zerrissenen" weit mehr Tiefe und Reiz, als die Vorlage zu bieten hatte. Peter Gruber

10. NESTROY Spiele Schwechat
Der Zerrissene
Premiere: 02. Juli 1982

Regie

Peter Gruber

Bühne

Rudolf Heske

Kostüme

Herta Mock, Olga Weinlich

Musik

Herbert Ortmayr

Technische Einrichtung

Alfred Stepan

Beleuchtung und Ton

Alfred Stepan, Franz Schulcsik

Requisiten

Traude Selinger, Robert Herret

Maske

Renate Abt, Elisabeth Hertelendy

Hüte

Hutmoden Pfertner
HERR VON LIPS
Robert Herret
STIFTLER
Georg Wertnik
SPORNER
Ernst Schüller, Franz Steiner
WIXER
Andreas Bauer
MATHILDE FLINK, VERW. SCHLEYER
Silvia Smaha
ANTON
Leopold Selinger
BEDIENTE
Kurt Muhr, Christoph Stepan, Karl Krumpholz, Peter Hartel
GLUTHAMMER ein Schlosser
Peter Wittberger
KRAUTKOPF Pächter auf einer Besitzung des Herrn Lips
Willibald Mürwald
KATHI sine Anverwandte
Susanne Urban
STAUBMANN Justitiarius
Fritz Pfertner
KNECHTE
Leopold Selinger, Kurt Muhr, Christoph Stepan
DRESCHER
Peter Hartel, Karl Krumpholz, Alexander Sommer

1. Akt
Gluthammer hat den Auftrag, bei Herrn von Lips ein Balkongeländer zu installieren. Um die Tafel nicht zu stören, wird das Geländer nur provisorisch aufgestellt. Bei dieser Gelegenheit trifft Gluthammer auf Kathi, die gekommen ist, um ihrem Paten Lips 100 Gulden zu bringen, die sie sich vor Jahren geliehen hatte. Zwar wollte Lips das Geld gar nicht zurückhaben, doch mußte es Kathi ihrer sterbenden Mutter versprechen. Gluthammer erzählt Kathi seine Geschichte: Vor fast zwei Jahren verliebte er sich in eine Frau namens Mathilde, der er eine Putzmacherlehre bezahlte und einen Laden kaufte. Doch einen Tag vor der Hochzeit verschwand sie auf Nimmerwiedersehn. Gluthammer blieben nur die Schulden aus dem Ladenkauf. Er verkaufte seine Schlosserei, doch mit dem Modeladen war er nach kurzer Zeitruiniert. Seit fünf Monaten arbeitet er wieder als Schlossergeselle. Dies alles hat ihn jedoch nicht von dem Glauben abbringen können, Mathilde sei verschleppt worden und würde irgendwo gefangengehalten. – Auftrittslied Lips I, 5 (R: „Meiner Seel, ’s is a fürchterlich’s G’ fühl, / wenn man selber nicht weiß, was man will.“). – Das Leben des Herrn von Lips bietet weder große Freuden noch Leiden. Wegen seines Geldes braucht er auch keine Liebesabenteuer zu bestehen, weshalb er sich entsetzlich langweilt. Lediglich über einen Mangel an Freunden kann er sich nicht beklagen, so daß er von sich selbst sagt: „Ich bin wirklich ein beneidenswerther Kerl, nur Schad daß ich mich selber gar nicht beneid.“ Lediglich Stifler, Sporner und Wixer hält Lips für richtige Freunde. Alle drei geben ihm Ratschläge, wie er Farbe in sein Leben bringen könnte. Doch weder Pferdeliebhaberei, noch eine Reise, noch Narrenstreiche erscheinen Lips als der richtige Weg. Schließlich rät Stifler zu einer Hochzeit. Dies bringt Lips auf die Idee, die erste fremde Frau zu heiraten, die ihm begegnet. In diesem Moment wird eine Dame gemeldet. Lips betrachtet die Witwe sogleich als seine Zukünftige. Sie hat nach dem Tod ihres Mannes finanzielle Probleme und lädt deshalb Herrn von Lips zu einem Wohltätigkeitsball. Über den Tod ihres Mannes zeigt sie sich ansonsten sehr erfreut. Als arme Putzmacherin hatte sie sich seinerzeit von seinem angeblichen Reichtum blenden lassen. Großzügig gibt Herr von Lips ihr 100 Gulden und macht ihr einen Heiratsantrag. Die verblüffte Madame, der diese reiche Heirat sehr willkommen ist, erbittet sich eine Bedenkzeit. Lips gewährt ihr eine Viertelstunde. Unterdessen wartet Kathi noch immer auf eine Gelegenheit, um ihre Schulden zu begleichen. So hört sie von der geplanten Hochzeit. Sie wird auch Zeugin eines Gesprächs mit Stifler, der in der Unbekannten seine alte Freundin Mathilde erkennt. Da es Mathilde einzig um Lips’ Vermögen geht, verabredet sie mit Stifler, so zu tun, als kennten sie sich nicht. Auch Mathildes ehemalige Verehrer sollen in den Plan eingeweiht werden. Wenig später trifft Kathi den aufgeregten Gluthammer, der ihr versichert, er habe von Ferne seine verlorengeglaubte Braut gesehen. Kathi weiß zu berichten, es handle sich um Lips’ Braut, die Mathilde genannt werde. Außer sich vor Wut faßt Gluthammer den Entschluß, den angeblichen Brauträuber Lips umzubringen. Dieser ist in der Zwischenzeit, sehr zu Mathildes Ärger, eingeschlafen. Sie weckt ihn und verlangt die Verlobung noch amselben Abend. Anschließend feilschen beide umeinen Hochzeitstermin, wobei beide so bald wie möglich heiraten wollen, so daß letztendlich der folgende Tag bestimmt wird. Im Hintergrund muß Gluthammer das Gespräch anhören. Rasend vor Wut stürmt er auf den erstaunten Lips zu, während Mathilde erschrocken ihren ehemaligen Geliebten erkennt. Auf Lips wirkt dieses „schmutzige Verhältnis“ seiner Braut keineswegs abschreckend, und zudem verspürt er Lust, sich zu prügeln, so daß es zu einer wilden Rauferei kommt. In deren Verlauf kommen beide auf den Balkon, fallen gegen das unbefestigte Brückengeländer und stürzen in den See. Es entsteht eine allgemeine Aufregung, weil beide Männer für tot gehalten werden. Niemand bemerkt den durchnäßten Lips, der unerkannt flieht, um nicht als Mörder verhaftet zu werden.

2. Akt
Über den vermeintlichen Tod ihres Paten ist Kathi tief betrübt. Umso erfreuter ist sie jedoch, den als Bauern verkleideten Lips vor sich zu sehen. Da er seine Freunde erst in einigen Wochen um Geld für eine Flucht ins Ausland bitten kann, braucht er dringend Hilfe. Er bittet Kathi, ihm bei Krautkopf eine Stellung zu verschaffen. Obwohl der neue Knecht in der Landwirtschaft nicht sehr beschlagen scheint, läßt Krautkopf sich darauf ein. Auch Gluthammer flüchtet sich zu seinem Freund Krautkopf, weil er seinerseits fürchtet, als Mörder des Herrn von Lips verhaftet zu werden. Krautkopf versteckt den unter Verfolgungswahn Leidenden in der Backstube. Mühsam gewöhnt Lips sich an das ländliche Leben. Zu Kathi, die sich rührend um ihn kümmert, wächst allmählich eine tiefe Zuneigung. Eines Tages erfährt er, daß Krautkopf die Erben des Herrn von Lips in Begleitung des Justiziärs erwartet. – Lied Lips II, 11 (R: „Sich so zu verstell’n, na, da g’hört was dazur.“). – Tatsächlich erscheinen Stifler, Wixer und Sporner, um ihren neuen Besitz in Augenschein zu nehmen. Enttäuscht muß Lips die abfälligen Bemerkungen seiner vermeintlichen Freunde über sich anhören, die über seinen Tod keineswegs traurig sind. In einem unbeobachteten Moment ändert Lips sein Testament durch einen Zusatz zu Kathis Gunsten. Umihn während der Besichtigung vor einer Entdeckung zu bewahren, versteckt Krautkopf Gluthammer im Keller unter dem Getreidespeicher. Währenddessen ist unter den Erben ein heftiger Streit entbrannt, wie mit dem Gut zu verfahren sei. Der Justiziär empfiehlt, noch einmal das Testament zu lesen. Erschrocken erfahren alle Lips’ „allerletzten“ Willen.

3. Akt
Da ein Widerspruch gegen das Testament sinnlos erscheint, richten sich die Interessen von Sporner, Wixer und Stifler völligauf Kathi. Als diese von ihrem unerwarteten Reichtum erfährt, verlangt sie sogleich, demneuen Knecht davon zu berichten, was die Eifersucht aller Herren weckt. Sie beginnen, schlecht von ihm zu reden. Um Lips zu schützen, bestreitet Kathi, eine Zuneigung zu ihm zu haben. Um sich der anderen Verehrer zu entledigen, macht sie Krautkopf Hoffnungen. Zudem kündigt sie an, noch am selben Tag ihren Zukünftigen zu wählen. Lips ist enttäuscht von Kathis Verhalten und beschließt für sich, sein Testament das nächste Mal zugunsten von Taubstummen zu machen, weil diese ihm nichts Schlechtes nachsagen können. – Lied Lips III, 4 (R: „So gibt es halt allerhand Leut auf der Welt“). – Kathi hat sich in den Getreidespeicher geflüchtet, wo sie auf Lips trifft. Es gelingt ihr, ihn davon zu überzeugen, daß sie weder einen alten noch einen jungen Bräutigam habe. Statt dessen will sie als seine Erbin alle seine Güter verkaufen und ihm das Geld ins Ausland nachschicken. Allerdings traut sie sich nicht, ihm ihre Liebe zu gestehen. Als Lips ihr gerade seine Gefühle bekennen will, werden sie von Stifler, Sporner und Wixer gestört, die sich an ihrem Nebenbuhler vergreifen wollen. Erstaunt erkennen sie in dem Knecht ihren Freund Lips. Der Justiziär verhaftet ihn auf der Stelle als Mörder von Gluthammer. Verzweifelt bleibt Lips im Getreidespeicher zurück. Bei genauerer Erkundung seines Gefängnisses entdeckt er die Falltür zu Gluthammers Versteck. Ein Blick durch die Luke läßt beide Seiten glauben, sie hätten ein Gespenst gesehen. Erst durch Krautkopfs Erscheinen treten sich Lips und Gluthammer gegenüber. Überglücklich stellen beide fest, daß das angebliche Mordopfer noch lebt. Zunächst weist Lips nun seine falschen Freunde aus dem Haus und versichert Gluthammer, keinerlei Interessen mehr an Mathilde zu haben. Doch dem Schlosser ist „die ganze Mathildelieb’“ vergangen. Zuguterletzt erklärt Lips Kathi zu seiner Braut.

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 21 Jürgen Hein)

Die Furche, 7. Juli 1982: Doppelbödig

Die Aufführung ist unterhaltend, durchaus. Aber was der Berufsregisseur Peter Gruber mit der Schwechater Laientruppe zeigt, hat im zehnten Jahr dieser Sommerspiele nicht die Unverbindlichkeit so vieler „professioneller“ Nestroy-Aufführungen. Der Millionär, der in der Not zum Menschen wird, erscheint da als diskrete Erzherzog-Johann-Karikatur doppelbödig, und seine sonst so harmlos gezeichnte Kathi bekommt die in der Handlung, wenn schon nicht im Text angelegte Raffiniertheit hinter der naiven Fassade. Es zahlt sich aus, hinauszufahren! (H. B.)

Volksstimme, 4. Juli 1982: Wertvolle Nestroy-Arbeit

Seit zehn Jahren zeigen die Nestroy-Spiele auf Schloß Rothmühle in Schwechat-Rannersdorf, wie Nestroy exemplarisch zu spielen ist. Schon dieses Verdienst wiegt schwer. Noch erfreulicher ist die Tatsache, daß hier ein Amateur-Ensemble (!) und ein „Profi“-Regisseur, Peter Gruber, zu einer ungemein fruchtbaren Zusammenarbeit gefunden haben, allen „äußeren“ Um- und Widerständen zum Trotz.

Im Jubiläumsjahr gibt man den „Zerrissenen“. Peter Gruber arbeitet zusammen mit dem Ensemble neben einer präzisen psychologischen Typisierung des „zerrissenen“ Herrn von Lips auch die „äußeren“, die gesellschaftlichen Bedingungen für dieses Zerrissensein heraus und sichert damit eine in den wichtigsten Punkten stimmige Inszenierung.

Wie immer, bleibt er freilich auch diesmal nicht „nur“ werktreu (bei wie vielen anderen Inszenierungen hierzulande wären wir schon damit zufrieden), sondern zertrümmert mit dieser Gewichtung Nestroys einige Klischees beziehungsweise nützt sie produktiv: Das Happy-End-Millionär heiratet einfaches Mädel vom Land wird mittels Erzherzog-Johann-Jodler persifliert! Daß da „nebenbei“ auch noch traditionelle Jubelfeierlichkeiten der Herrschenden parodiert werden, macht die Aufführung insgesamt um so interessanter.

Was da auf Schloß Rothmühle zu sehen ist, entspricht gewiß nicht der Erwartung verbildeter Theaterstammkunden, die durch die gängige falsche Tradition der Nestroy-Verharmlosung gingen. Es entspricht aber einem Nestroy-Bild, an dem gewiß auch Nestroy selbst eine Freude hätte: Es entspricht jener aufklärerischen Unterhaltung, die hierzulande zwar viele falsche, aber leider noch immer zu wenige echte Freunde hat.

Die Schärfe, mit der die Nestroysche Kritik an den Auswirkungen des Millionärseins in Schwechat vorgetragen wird, ist leider andernorts nach wie vor nicht zu finden. Das ursprünglich scheinbar nur pathologische Erscheinungsbild des Millionärs Lips steigert sich präzis zur Spiegelung einer gesellschaftlichen Malaise.

Dieses Konzept ist bis auf einige kleine Mängel klug und sauber umgesetzt. Was wiegt da zum Beispiel eine etwas schleppende Einleitung gegenüber dieser Gesamterrungenschaft?

Aus dem Ensemble Sankt Jakob, das heuer durch vielerlei Umstellung besonders gehandikappt war, ragt besonders Robert Herret (als Herr von Lips) hervor; aber ohne die außerordentlich einfühlsame Mitwirkung und Mitarbeit der vielen anderen Mitglieder des Ensembles wäre diese Prachtleistung nicht zustande gekommen. Besonders hervorzuheben ist freilich auch das ungemein eindrucksvolle Bühnenbild Rudolf Heskes und vor allem die Musik Herbert Ortmayers, die über die unterstützende Funktion weit hinausgeht und ein wesentliches dramaturgisches Element bildet.

Welche Bedeutung diese Nestroy-Spiele haben, geht wohl auch daraus hervor, gegen welche Widerstände und mit welch kargen Mitteln sie erkämpft werden mußten. Bei der Premierenfeier wurden einige der Mentoren, darunter Regisseur Peter Gruber und Walter Mock, mit Ehrenzeichen der Stadt Schwechat ausgezeichnet. Andere, gleichfalls ausgezeichnete Mentoren, mögen sich freilich unter den Nestroy-Spielen etwas anderes vorgestellt haben, als sie jetzt erfreulicherweise darstellen. Auch „Fraktionskämpfe“ um die Ehrenzeichenverleihung zeigten dies deutlich. Die demokratische Öffentlichkeit wird wohl ein Auge auf den Fortbestand und die Entwicklung der Nestroy-Spiele in Schwechat haben müssen. (Günther Stockinger)

Arbeiterzeitung, 6. Juli 1982: Nestroys politischer Gedanke

Bei den Schwechater Komödienspielen regiert eine andere, bessere Art von Nestroy-Purismus. Eine, die nicht der Bequemlichkeit und Unverbindlichkeit der Traditionen, sondern der Kraft und Klarheit des politischen Gedankens verpflichtet ist. Was der Regie-Profi Peter Gruber in 10 Jahren mit dem Amateurtheater St. Jakob erarbeitet hat, ist vorbildlich. Und selten so gelungen wie heuer mit dem „Zerrissenen“.

„Das Rollenbild der Frau bei Nestroy“, lautete das Thema des begleitenden Symposiums, zu dem führende Fachleute nach Schloß Rothmühle gekommen waren. Wie zur Illustration hat man den „Zerrissenen“ zur Aufführung gewählt. Jene Posse, in der Nestroy – zeitlebens ein Frauenfreund im frauenfeindlichsten Sinn des Wortes – die beiden Extrempositionen der weiblichen Existenz (nicht nur) seiner Zeit dargestellt hat: Kathi, die Dulderin, und Frau von Schleyer, die eiskalt kalkulierende Hure. Von der Deutung dieser Gestalt hat man sich freilich mehr erwartet. Sie – im doppelten Sinn des Wortes – gegen den Strich als Virtuosin der einzigen ihr zugestandenen Waffen zu interpretieren, hat sich Gruber versagt. Sie bleibt ein mieses, aufgetakeltes Frauenzimmer.

Um so zwingender ist die ironische Brechung des Happy-Ends zwischen dem Millionär Lips und der armen Bauerndirn Kathi gelungen. Zu den elektronisch verfremdeten Klängen des Erzherzog-Johann-Jodlers schreiten sie zuletzt in einen Sonnenuntergang, der aus einer filmischen Heimathistorie kommt. Und abermals begibt sich ein blaublütiger Potentat von lauteren Zelluloid in das stille Glück des Landlebens. Das wiederum zeigt Gruber als harten Überlebenskampf der Knechte, die von dem agrarischen Mini-Feudalherrn Krautkopf redlich geschunden werden.

Die Laienschauspieler haben in der konsequenten Arbeit mit Peter Gruber verblüffenden Standard erreicht. Willibald Mürwald vor allem spielt den Krautkopf komisch wie ein Profi. Mit einigem Abstand sind Peter Wittberger (Gluthammer), Robert Herret (Lips) und Susanne Urban (Kathi) zu loben.(Heinz Sichrovsky)

Wochenpresse, 13. Juli 1982: „Der Zerrissene“ von Johann Nestroy

Auch die Quartzuhr im silbrigglänzenden Metallgehäuse, die der Schlosser Gluthammer am Handgelenk trägt, kann der Werktreue keinen Abbruch tun. Jener Werktreue, um die sich die Schwechater Sommerspiele im Schloßhof Rothmühle in Sachen Nestroy seit mittlerweile bereits zehn Jahren bemühen. Und die vom Amateurtheater St. Jakob unter der Leitung von Regisseur Peter Gruber auf meist erstaunlich hohem Niveau, durchaus kritisch und wo es am Platz ist, auch mit Ironie vorgeführt wird. „Der Zerrissene“ steht heuer im Jubiläumsjahr auf dem Programmzettel. Das Ergebnis: Sommertheater, wie es sein soll. Kurzweilig, aber nicht im Telegrammstil. Ohne Stars, aber mit erfrischender Spiellaune, die auch über mitunter mangelnde Möglichkeiten und Routine hinweghilft. An schauspielerischen Talentproben fehlt es nicht: Ausgezeichnet und wirklich komisch ist der Krautkopf von Willibald Mürwald; Robert Herret schlägt sich mit Anstand in der Rolle des reichen Herrn von Lips; Peter Wittberger gibt dem Gluthammer polternden Witz, Susanne Urban der lebhaften Kathi mädchenhafte Unschuld mit einem Augenzwinkern. (M. S.)

Kurier, 9. Juli 1982: Aus viel Leid ein Lustspiel gemacht

Der reiche Herr von Lips leidet unter Langeweile, der arme Schlosser Gluthammer unter Liebeskummer. Die lasterhafte Mathilde leidet unter Geldmangel und die liebliche Kathi daran, daß ihres Herzens Sehnen nicht erhört wird – das ist die Ausgangssituation von Johann Nestroys Stück „Der Zerrissene“. Natürlich geriet dem Dichter soviel Leid zu einer Posse mit vielen Pointen und allerhand Verwicklungen. „Der Zerrissene“ ist gegenwärtig im Schwechater Schloß Rothmühle zu sehen: Das Amateurensemble St. Jakob hält dort, zum zehntenmal schon, seine Nestroy-Spiele ab.

Daß es eine Amateurtruppe schafft, eine eigene Sommertheater-Tradition aufzubauen, während in den Burg- und Schloßhöfen rundherum die Profis der Wiener Theaterszene agieren, das allein verdient Respekt. Und beachtlich ist auch, was diese Schauspiellaien aus ihrer Vorlage herausholen – da wird nicht holprig-bemüht ein Text heruntertgebetet, sondern da findet ein Schauspiel durchaus eigener Prägung statt.

Natürlich darf man sich von diesem „Zerrissenen“ nicht die Qualitäten einer Burgtheater-Inszenierung erwarten. Doch in Schwechat bekommt man viel Ambition und unverfälschte Begeisterung geboten; die Darsteller haben ihren Text allesamt im Griff, und einige von ihnen beweisen respektable komödiantische Talente. Vor allem Peter Wittberger ragt hervor, ein vierschrötig-gutherziger Gluthammer. (Gunther Baumann)

Niederösterreichische Nachrichten, 7. Juli 1982:
Nestroy – lebendig auf der Bühne

(…) Unter der Regie von Peter Gruber war anläßlich der Premiere der Nestroyposse „Der Zerrissene“ auch wieder das Bestreben dieses jungen Regisseurs zu erkennen, Lebendigkeit zu schaffe, ebenso wie seine Bemühungen, die von Nestroy in seinen Komödien und Possen geschaffenen Typen höchst lebendig zu gestalten. Wie die Premierenaufführung zeigte, ist Peter Gruber diese Intention bestens gelungen. Robert Herret war als Titeldarsteller Herr von Lips bemerkenswert facettenreich, Susanne Urban als Kathi eine sehr lebendig wirkende Ergänzung. Peter Wittberger bestach ungemein in seiner Rolle als Schlosser Gluthammer, ebenso Sylvia Smaha als heiratslustige Witwe. Friedrich Pfertner, Willibald Mürwald, Georg Wertnik, Ernst Schüller und Franz Steiner waren in den weiteren Rollen auch sehr gut eingesetzt bzw. wirkten aufgrund dieser rollentypengerechte Einsetzung sehr lebendig und effektvoll, Couplets und Zusatzstrophen künstlerisch dezent pointiert. Die frische Lebendigkeit der Regieführung und der Akteure (alle Mitglieder des Amateurtheaters St. Jakob) widerspiegelte in sehr großem Maße „Nestroy-Authentizität“. (…)