Die schlimmen Buben in der Schule / Häuptling Abendwind

Auf der Bühne stellen wir 1977 (mit einem zum Teil stark verjüngten Ensemble) zwei der bekanntesten und beliebtesten Einakter vor, deren satirische Tiefe und politische Brisanz in vielen Aufführungen kaum zur Geltung kommt, weil sie von überflüssigem Klamauk und oberflächlichem Geblödel erdrückt wird: Die Burleske „Die schlimmen Buben in der Schule“ und Nestroys letztes Stück „Häuptling Abendwind“.

5. NESTROY Spiele Schwechat
Die schlimmen Buben in der Schule / Häuptling Abendwind

Regie

Peter Gruber

Bühne

Guido Salzer

Kostüme

Herta Mock

Musik

Herbert Ortmayr

Maske

Eveline Bolaffio

Requisite

Robert Herret

Hüte

Gertrude Pfertner

Inspizientin

Irene-Maria Stern

Souffleuse

Herta Mock

Technische Leitung und Beleuchtung

Alfred Stepan, Franz Schulcsik
DIE SCHLIMMEN BUBEN IN DER SCHULE:
Musik Herbert Ortmayr
HERR VON WOLKENFELD Gutsbesitzer
Karl Hamernik
STERNAU Landrat
Andreas Stonawski
WAMPL Lehrer an der Schloßschule
Horst Kummerfeld
NETTCHEN seine Tochter
Silvia Smaha
HERR VON WICHTIG Gutsverwalter
Rudolf Stonawski
STANISLAUS dessen Sohn
Michaela Mock
FRAU SCHNABEL Beschließerin auf dem Schloß
Gertrude Pfertner
WILLIBALD ihr Sohn
Robert Herret
FRANZ ROTTMANN Aufseher
Franz Steiner
PETER PETERSIL Sohn des Schloßgärtners
Kurt Kratky
ANTON WALDFUCHS Sohn des Försters
Maria Seis
BLASIUS PICHLER Sohn des Kellermeisters
Christine Bleyer
SEBASTIAN GROB Sohn des Inspektors
Helene Meissl
CHRISTOPH RIES Sohn des Amtsschreibers
Michael Rosner
HANS BUMMEL Sohn des Schloßdieners
Bruno Reichert
BABETT Wampls alte Magd
Olga Weinlich
ELTERN (alternierend)
Christa Liegl, Erika Stepan, Mariëtte Michielsen, Tiementje Chovanec, Irene-Maria Stern, Grete Seitl, Ingeborg Nowak, Dietmar Liegl, Horst Werner Gaigg, Peter Bolaffio, Andreas Stonawski
MUSIKANTEN (alternierend)
Franz Hafner, Ernst Rubik, Nikolaus König, Wolfgang Herret, Robert Willig, Robert Berent, Harald Annerl (alle Stadtmusik Schwechat)
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HÄUPTLING ABENDWIND:
Musik von Jacques Offenbach (Bearbeitung Prof. Kurt Wiener)
ABENDWIND, DER SANFTE Häuptling der Groß-Lulu
Walter Mock sen.
ATALA seine Tochter
Michaela Mock
BIBERHAHN, DER HEFTIGE Häuptling der Papatutu
Fritz Pfertner
ARTHUR ein Fremdling
Horst Kummerfeld
HO-GU Koch bei Abendwind
Rudolf Stonawski
WEISSER BÄR
Peter Müller-Uri
GROSS LULUERER
Andreas Stonawski, Franz Steiner, Robert Herret
PAPATUTUANER
Michael Rosner, Bruno Reichert, Kurt Kratky, Karl Hamernik

Die schlimmen Buben in der Schule

Wampl weigert sich, Franz zu seinem Gehilfen zu ernennen, obwohl er diesen Posten bereits seit längerem bekleidet, weil dem alten Magister die „liebe Jugend“ „etwas über den Kopf gewachsen“ ist. Zudem hat Wampl stets die Sorge, seine Stellung zu verlieren. Sobald Franz eine Anstellung als Schullehrer in der Stadt hat, will er Nettchen heiraten. – Auftrittslied Willibald, 4 („Ich wär’ schon ein Knab“). – Von Willibald, der in der Schule erscheint, um eine auferlegte Strafarbeit zu machen, hören Franz und Nettchen, daß die Schule geschlossen werden soll. Die Schule ist seinerzeit von der Baronin gegründet worden, doch der Baron war stets der Meinung, die Schloßkinder könnten auch die Stadtschule besuchen. Nach dem Tod seiner Frau will er deshalb die Schloßschule schließen. Nettchen weiß, daß ihr Vater trotz seines Alters nichts mehr fürchtet, als eines Tages abgesetzt zu werden. Der nichtsahnende Wampl freut sich, weil Herr von Wichtig seinen Besuch angekündigt hat. Willibald beschließt bei sich, noch am selben Tag Franz als Liebhaber von Nettchen zu denunzieren, denn „den Aufseher verraten, der da lebt vom Verrat, das ist Ehrensache der Schülerschaft.“ Herr von Wichtig erkundigt sich bei Wampl nach den Schulleistungen seines Sohnes Stanislaus. Vor allem interessiert es ihn, ob er Aussichten bei der anstehenden Preisverteilung für gute Leistungen hat. Wampl lobt den dummen Jungen in den höchsten Tönen. Da Stanislaus der Sohn des Gutsverwalters ist, soll er trotz seiner mangelhaften Leistungen als Bester abschneiden. Stanislaus selbst möchte am liebsten der Schule verwiesen werden. Als Belohnung für die Prämierung seines Sohnes zeigt Wichtig Wampl einen Brief, den er absenden will. Von diesem Brief hofft Wampl, es befinde sich die Genehmigung für seine vor zwölf Jahren beantragte Zulage darin. Der Zwang, dem dummen Stanislaus einen Preis geben zu müssen, bringt Wampl kurzzeitig in Konflikt mit seinem Gerechtigkeitssinn. Gemeinsam mit Nettchen überlegt er, wie die als Preise ausgesetzten Bücher verteilt werden sollen. Schnell wird deutlich, daß jeder Vater Wampl auf die ein oder andere Weise von Nutzen ist und der jeweilige Sohn deshalb entsprechend berücksichtigt werden muß. Schließlich wird beschlossen, Stanislaus sechs Bücher, einem Schüler zwei Bücher und allen anderen jeweils ein Buch zu geben. Als abschreckendes Beispiel soll der Gassenjunge Willibald keinen Preis bekommen. – Chor, 9. – Frau Schnabel bringt ihren Sohn Willibald zur Schule. Sie hatte ihn und Christoph beim Birnenstehlen erwischt. Trotzdem äußert Frau Schnabel die Hoffnung, daß Willibald einen Preis bekommen könne. Doch Wampl erklärt deutlich, daß dies ausgeschlossen sei. Zum Beweis beginnt er auf der Stelle, Willibald zu examinieren. Der redegewandte Schüler weiß auf jede Frage eine treffende Antwort, die allerdings nie dem von Wampl erwarteten Lehrbuchsatz entspricht. Schießlich erklärt Wampl Willibald für „dritte Klass’“. In ihrem Ärger erzählt Frau Schnabel von der bevorstehenden Schließung der Schule. Daraufhin verlangt Wampl, die „Verleumderin“ solle ihn zum Amtmann begleiten, um diese Angelegenheit zu klären. Während der Abwesenheit des Magisters übernimmt zunächst Franz die Leitung der Klasse. Widerwillig beugen sich die Schüler seinem Willen. Als auch Franz das Klassenzimmer verläßt, um Nettchen zu helfen, übernimmt Willibald das Regiment. – Ensemble-Quodlibet mit Lied Willibald, 13 („Bubn ihr lernt jetzt das A,B,C.“). – Der zurückkehrende Wampl ist über das Benehmen der Klasse sehr erbost. Besonders wütend ist er auf Christoph, der nicht nur Wampls Obers getrunken hat, sondern auch noch von Stanislaus als Rädelsführer angeschwärzt wird. Zur Strafe für ihr Betragen läßt Wampl die ganze Klasse, mit Ausnahme von Stanislaus, niederknien. Auch Franz muß diese Strafe über sich ergehen lassen, weil Wampl sieht, wie der Aufseher wegen Nettchen seine Pflicht verletzt hat. Dennoch bittet Franz um Nettchens Hand. Um sich vor Wampls Lineal zu retten, muß Franz sich eilig aus dem Klassenzimmer flüchten. In diesem Augenblick tritt Herr von Wichtig ein. Er schickt alle Schüler nach Hause, um ihre Sonntagskleider anzuziehen. In einer halben Stunde sollen sie sich wieder in der Schule einfinden. Alle springen hinaus. Lediglich Willibald versteckt sich, um das nachfolgende Gespräch zu belauschen. Zum Entsetzen von Wampl eröffnet Wichtig ihm, daß Herr von Wolkenfeld persönlich in einer Stunde das Examen abnehmen wolle. Wichtig erwartet, daß sein Sohn so gut abschneidet, wie Wampl es versprochen hat. Jede unbeantwortete Frage oder falsche Antwort habe Wampl persönlich zu verantworten. In seiner Not ruft Wampl nach Franz, der ihm aus der Klemme helfen soll. Tatsächlich hat Franz eine Idee: Die Reihenfolge der Fragen und der aufzurufenden Schüler wird festgelegt. Jeder Schüler erhält einen Zettel mit der passenden Antwort, den er in seine Mütze legen und auf diese Weise ablesen kann. Aus Dankbarkeit verspricht Wampl Franz die Hand seiner Tochter. Willibald, der den Plan gehört hat, beschließt, die Gelegenheit zu nutzen, um sich für seine nichtbestandene Prüfung zu rächen. – Lied Willibald, 20 (R: „Drum was drüb’r erscheint auch in Druck, / In der Sprachlehr da sind wir z’ruck.“). – Wie verabredet verteilt Franz die Zettel unter den Schülern. Wampl macht eine Generalprobe, die sehr gut klappt. Willibald soll bei dieser Prüfung einfach übergangen werden. Während Wampl und Franz draußen Herrn von Wolkenfeld begrüßen, bringt Willibald die Schüler dazu, ihre Zettel zu tauschen, denn schließlich sollten sie sich „nix vorschreiben lassen“. – Chor der Väter und Mütter, 24. – Wie erwartet beginnt Wolkenfeld mit der Prüfung. Brav geben die Schüler die Antworten, die sie von ihren Zetteln ablesen, die allerdings nie zu der gestellten Frage passen, Wampl ist verzweifelt. Franz kann sich diese Verwechslung nicht erklären. Beide verfolgen das Examen mit wachsendem Schrecken. Erst im Laufe der Zeit wird deutlich, daß Wolkenfeld stocktaub ist und die falschen Antworten gar nicht hört. Am Ende der Prüfung verkündet Wolkenfeld die Aufhebung der Schule und die Vereinigung mit der Stadtschule. Wampl ist am Boden zerstört. Doch sofort hat er wieder Anlaß zur Freude: Er wird mit vollem Gehalt und einer jährlichen Zulage von 100 Gulden in den Ruhestand versetzt. Außerdem bekommt Franz eine Lehrerstelle in der Stadtschule. Die Schulmedaille, die nach Wampls Willen für Stanislaus bestimmt war, wird von Wolkenfeld an Christoph als dem Jüngsten in der Klasse verliehen. Dieser tauscht sie jedoch mit Willibald gegen ein Gebäck. Alle übrigen Schüler erhalten ein Buch. Über die bevorstehende Hochzeit von Franz und Nettchen ist Wolkenfeld sehr erfreut. 

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner 

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (25/I Friedrich Walla)

 

Häuptling Abendwind

Häuptling Abendwind erwartet Biberhahns Besuch. Zu dieser Gelegenheit soll es ein Festmahl geben. Allerdings hatten die Groß-Luluerer in der letzten Zeit kein Jagdglück. Es gibt auch keine Gefangenen, die man anbieten könnte. – Romanze Atala, 2 (R: „In süßen Traum, / Geliebtes Kind, / Wiegt dich der Baum, / Schlaf’ ein geschwind.“). – Der Friseur Arthur betrachtet gerade die prächtige Umgebung der Insel, als er auf Atala trifft. – Couplet und Duett Atala, Arthur, 3: Arthur versucht, durch seinen Beruf Anerkennung bei Atala zu finden. Als ihm dies nicht gelingt, zeigt er ihr seine Spieluhr, die er an einer Uhrkette bei sich trägt. Die Musik gefällt Atala. Vertrauensvoll erzählt Arthur Atala seine Lebensgeschichte: Seine Eltern und seinen Geburtsort kennt er nicht. Er ist bei einem Ziehvater aufgewachsen und hat Friseur gelernt. Vor einigen Wochen gab ihm dieser Mann den Befehl, zu einer bestimmten Südseeinsel zu reisen, auf der er Auskunft über seine Herkunft erhalten soll. Vor der Insel der Groß-Luluerer hat er jedoch Schiffbruch erlitten und wurde an den Strand gespült. Atala und Arthur verspüren eine Zuneigung füreinander. Sogleich beschließt Arthur, für immer auf der Insel zu bleiben. Doch Atala warnt ihn vor den heimischen Gesetzen, nach denen sie beide zum Tode verurteilt würden. Dringend bittet sie Arthur, sich zu verstecken. Unterdessen ist Abendwind in einer schwierigen Situation, weil er noch immer kein Essen auftreiben konnte. Nun fürchtet er, den Regeln der Gastfreundschaft nicht gerecht werden zu können und damit die Allianz mit den Papatutuanern zu gefährden. Keck wagt sich Arthur aus seinem Versteck, weil er Abendwind für harmlos hält. – Terzett Atala, Arthur, Abendwind, 5: Tatsächlich ist Abendwind sehr erfreut über den Fremden, denn er kann ihm das Festmahl retten. Atala und Arthur mißdeuten seine Zufriedenheit, und Arthur beschließt, gleich nach dem Essen um Atalas Hand anzuhalten. Während Atala über das freundliche Verhalten ihres Vaters staunt, gibt dieser Ho-Gu Anweisungen für die Zubereitung des Fremden. – Ensemble Atala, Abendwind, Biberhahn, 7. – Obwohl sie sich mit freundlichen Worten begegnen, hegen Abendwind und Biberhahn ein großes Mißtrauen gegeneinander. Ohne daß der jeweils andere davon weiß, haben sie sich gegenseitig die Frauen geraubt und verspeist. Ihr gemeinsamer Feind ist jedoch die näherrückende Zivilisation. Biberhahns Insel wurde bereits entdeckt. Nach anfänglichem Zieren läßt Biberhahn sich überreden, zum Essen zu bleiben. – Ensemble Biberhahn, Abendwind, Atala, 7. – Couplet, Biberhahn, 8 (R: „Das heißt leben frey, / So das Kriegsgeschrey / Der Papatutu!“). – Während Biberhahn und Abendwind sich zum Essen setzen, sucht Atala nach Arthur. Auf einer der dargereichten Platten findet Biberhahn einen Kamm. Wenig später erstickt er beinahe an einem großen Brocken und zieht daraufhin eine Uhrkette zwischen den Zähnen hervor. Nach dem Mahl vertraut Biberhahn Abendwind an, daß er stündlich auf die Rückkehr seines Sohnes Arthur warte, für den er um Atalas Hand bitte. Freudig geht Abendwind auf dieses Angebot ein. Atala sorgt sich indessen weiterhin um den Verbleib ihres Freundes. Allein mit Abendwind erzählt Biberhahn von seinem Sohn. Er sei stolz gewesen, einen so schönen, blonden Jungen zu haben. Er habe ihn einem Kapitän mit nach Europa gegeben, damit er dort erzogen werde. Als Erkennungszeichen habe er ihm eine Spieluhr mitgegeben. In diesem Moment kommt Abendwind ein furchtbarer Verdacht. – Duett Abendwind, Biberhahn, 10: Auf einem Foto, das Biberhahn ihm zeigt, erkennt Abendwind den Fremden, den Ho-Gu zur Bereitung des Essens benutzen sollte. Während Abendwind sich vor Biberhahns Rache fürchtet, sorgt der sich um den Verbleib seines Sohnes und seiner Spieluhr, die das Kriegslied der Papatutuaner spielt. Noch überlegt Abendwind, wie er Biberhahn das Verschwinden seines Sohnes erklären soll, da hört man in Biberhahns Magen die Uhr schlagen und spielen. Entsetzt wird Biberhahn die Situation klar. Abendwind muß seine Schuld eingestehen, Biberhahn ruft sein Gefolge zu den Waffen. – Terzett Abendwind, Biberhahn, Atala, 11. – Abendwind läßt den heiligen weißen Bären holen. – Ensemble Biberhahn, Abendwind, Atala, 12. – Der Bär stürzt sich auf Atala und küßt ihr die Hand. Als sie ihn erschrocken von sich stößt, meldet sich unter dem Fell Arthur. Mit einer neuen Frisur hat er Ho-Gu bestochen, so daß dieser den weißen Bären an Arthurs Stelle servierte. Biberhahn will nicht glauben, daß wirklich sein Sohn vor ihm steht, zumal er die Uhr in seinem Magen hört. Doch auch Arthur hört das unverwechselbare Lied und verlangt sein Eigentum zurück. Das überzeugt Biberhahn, und beide schließen sich in die Arme. Zu guter Letzt gestehen sich Biberhahn und Abendwind, gegenseitig die Frauen verspeist zu haben. Somit steht einer Versöhnung und einer Hochzeit von Arthur und Atala nichts mehr im Wege. – Finale Arthur, 13

Aus dem „Nestroy-Schauspielführer“ von Jürgen Hein und Claudia Meyer, Verlag Lehner

Original-Stückfassung | Historisch-kritische Ausgabe (HKA 38 Peter Branscombe)

Robert Herret

Fünf Jahre Nestroy-Spiele

Als Min. Rat. Dr. Gottfried Heindl, Ex-Chef der Bundestheaterverwaltung und einer der bekanntesten und erfolgreichsten „Kulturmanager“ Österreichs, im Juni 1972 (anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Stadterhebung von Schwechat) eine „Jedermann“-Aufführung des Amateurtheaters St. Jakob im Schloß Rothmühle besucht, ist er begeistert. Eine alte, langgehegte Lieblingsidee wird wieder wach: In der unmittelbaren Nähe von Wien, im Sommer, wenn fast alle Theater geschlossen sind, Nestroy-Spiele zu veranstalten.

Er trifft sich – in Begleitung von Burgschauspieler Bruno Dallansky und dem Schriftsteller György Sebestyen, denen ähnliche Projekte vorschweben – mit jenem Mann, der sich schon seit Jahrzehnten um die kulturellen Belange Schwechats bemüht – dem Leiter der Spielgruppe St. Jakob, Walter Mock.

Man spricht über die Möglichkeiten, in der Rothmühle Nestroy zu spielen. Da eine rein professionelle Durchführung einstweilen nicht zur Debatte stehen kann, und auch der Plan, ein gemischtes Ensemble aus Berufs- und Amateurschauspielern zusammenzustellen, nicht realisierbar erscheint, beschließt man, für den Anfang die bewährten Amateurspieler von St. Jakob einzusetzen – allerdings unter professioneller Leitung und Betreuung. Als technischer Berater wird hiefür der ehemalige Burgtheater-Beleuchtungschef und Technische Direktor des Burgtheaters i. P. Prof. Sepp Nordegg gewonnen. Die künstlerische Gesamtleitung wird – auf Empfehlung von Bruno Dallansky – dem Regisseur Peter Gruber übertragen. Da Stadt, Land, Bund und Industrie ihre Unterstützung zusichern, steht einem ersten Versuch nichts mehr im Wege.

Im Juli 1973 ist es dann soweit. Nach einer erfolgreichen Vorpremiere in Belgien werden die 1. Nestroy-Spiele im Hof der Schwechater Rothmühle mit den beiden Einaktern „Zeitvertreib“ und „Frühere Verhältnisse“ eröffnet.

Trotz teilweisem Werbeverbot wegen der Maul- und Klauenseuche kommen 1650 Besucher, sie sind von dem intimen, gemütlichen Rahmen, von der Pawlatschen-Atmosphäre und von dem frischen, uneitlen Spiel der Akteure begeistert. Die Pläne, Berufsschauspieler zu beschäftigen, werden fallengelassen. Man kommt einstimmig zu dem Schluß, daß hier eine in ihrer Art wohl einmalige und besonders reizvolle Mischung gelungen ist, die in genau dieser Form beibehalten werden sollte. Die Idee, Nestroy Stücke dort zu spielen, wo sie einst entstanden sind, nämlich in der Vorstadt, hat voll eingeschlagen.

Für 1974 wird ein selten gespieltes Stück ausgewählt, das durch seine Bezüge zur näheren Umgebung Schwechats besonders gut hierher paßt: die Lokalposse „Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab“. Erstmals gibt es auch eine Kostümausstellung der Bundestheater zu sehen.

1975 folgt der Schwank „Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack“, der durch seine Schauplätze (Schloß und Mühle) für das Schloß Rothmühle wie geschaffen scheint. Die Zuschauerzahl ist bereits auf über 5000 gestiegen, die Platzausnutzung über 90%.

Erstmals werden „Nestroy-Gespräche“ abgehalten.

1976 – zu Nestroys 175. Geburtstag – steht schließlich, in einer ungewöhnlichen, historisch-kritischen Konzeption, „Lumpazivagabundus“ auf dem Programm. Die Aufführung wird zum bisherigen Höhepunkt der Spiele, was sich in den begeisterten Reaktionen von Publikum und Presse gleichermaßen niederschlägt.

Auch das Internationale Nestroy-Symposium wird ein großer Erfolg. Das Thema „Nestroy ein Europäer“ führt Experten aus 9 europäischen Ländern zu einem regen Gedankenaustausch zusammen, der heuer mit einer Analyse des geschichtlichen Hintergrundes fortgesetzt werden wird.

Auf der Bühne stellen wir 1977 (mit einem zum Teil stark verjüngten Ensemble) zwei der bekanntesten und beliebtesten Einakter vor, deren satirische Tiefe und politische Brisanz in vielen Aufführungen kaum zur Geltung kommt, weil sie von überflüssigem Klamauk und oberflächlichem Geblödel erdrückt wird: Die Burleske „Die schlimmen Buben in der Schule“ und Nestroys letztes Stück „Häuptling Abendwind“.

Michaela Mock & Ensemble 1977

Das Stück wurde im Dezember 1847, wenige Monate vor Ausbruch der Revolution, uraufgeführt. Vorlage Nestroys war auch in diesem Fall ein französiches Vaudeville. „Le Maitre d’Ecole“ (Der Schulmeister) von Lockroy und Anicet-Bourgeois, das die Protektionswirtschaft im französichen Schulwesen kritisierte. In der Zeit der aufsteigenden revolutionären Welle 1847 nützte Nestroy dieses Motiv zu einer Kritik des vormärzlichen Schulwesens in Osterreich aus. Er mußte dabei im Hinblick auf die Zensur vorsichtig sein: die Schule, um die es geht, ist keine öffentliche, sondern eine gutsbesitzerliche Privatschule. Der Erfolg beweist jedoch, daB Nestroys Stück vom Publikum richtig als Kritik des gesamten vormärzlichen Schulwesens verstanden wurde. Selbständig gegenüber der französichen Vorlage war in Nestroys Stück die ausgezeichnete Gestalt des Schülers Willibald, der von Nestroy selbst gespielt wurde; in seinen Couplets und monologischen Betrachtungen über das Schulwesen, die begeisterte Aufnahme fanden, wird mit den für Nestroy kennzeichnenden Mitteln der Satire die Frage des Werts einer Schule gestellt, die vom Leben losgelöst ist und die Schüler auf alles vorbereitet, nur nicht auf das Leben. Ideell ging Nestroy durch diese Fragestellung über das französische Stück hinaus, das – ähnlich wie in anderen Fällen – nur die Anregung für seine Posse bot, die auch in ihrem Kolorit einen ausgeprägt österreichischen Charakter trägt.

Warnung! Historische Aufnahme zu Dokumentationszwecken • Michaela Mock, Horst Kummerfeld

In Nestroys letztem Stück, dem Einakter „Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl“, ist die Aktualität der Satire bis heute bewahrt. 1862 fand es keine günstige Aufnahme. Das Publikum wollte lieber die anspruchslosen und gefälligen französischen Vaudevilles (Singspiele) und Operetten sehen, wie sie von französischen Ensembles in Wien gebracht wurden.

Während eines Gastspiels des Offenbach-Ensembles im Juni 1861 wurde die Operette Offenbachs „Vent du Soir ou L’horrible festin“ mit großem Erfolg aufgeführt. Nestroy übernimmt daraus die Szenenfolge, ja sogar die Lieder, da er die beliebte Operettenform nicht ändern wollte. Auch die Figuren werden weitgehend aus der Quelle entnommen. Nestroys Eigenwerk ist die sprachlich-satirische Akzentuierung der entlehnten Spielschablone. Der harmlose französische Schwank wird durch originelle charakterisierende Sprachgebung, Dialogführung und Akzentuierung der Thematik zur satirischen Komödie. Die beiden wienerisch sprechenden Häuptlinge Abendwind und Biberhahn enthüllen im Dialog die Fragwürdigkeit der Schlagworte Fortschritt, Kultur, Zivilisation und Nationalismus. Nestroys Kritik zielt auf die Ideologie, die sich von den Ideen entfernt hat, zielt auf die Perversion der an sich guten Ideen. Wienerische Gemütlichkeit, Menschenfressertum (auch im übertragenen Sinn!) und aktuelle politische Tageswirklichkeit werden in ihrem Kontrast wechselseitig satirisch enthüllt. Nicht mehr der „edle Wilde“, wie in der Komödie der Aufklärung, übt Kritik an den Auswüchsen der Zivilisation in Europa, sondern in verschärfter Form der nationalistische und politisierende Wilde, der längst seine Natürlichkeit und Naivität verloren hat. Der „gemütlich“ wirkende Wiener Dialekt läßt die Menschenfresser gemütlich und heimisch erscheinen. Nestroy macht hier den Dialekt zum Werkzeug der Satire, welche die europäischen Großmächte als „Menschenfresser“ entlarvt und ihre politische Schlagwortsprache karikiert, zugleich aber die „Menschenfreundschaft“ der Menschenfresser attackiert, die sich auch jener Sprache bedienen und am Ende, dem Vorbild der Großen nacheifernd, einen Friedensbund (!) schließen. Vor dem Hintergrund der Zeit und am Vorabend der großen Kriege wirkt Nestroys Stück als Parodie auf die Konferenzen und diplomatischen Gespräche, die den Krieg doch nicht verhindern können.