nestroy-gespräche

Gedenkfeier

Aus Anlass der Übergabe der Forschungsbibliothek Jürgen Heins (als Schenkung) an das Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck findet am Montag, dem 26. September 2016, um 16 Uhr im Forschungsinstitut Brenner-Archiv (Innsbruck, Josef Hirn Straße 5(10. Stock) eine Gedenkfeier statt, bei welcher Dr. Walter Obermaier an Jürgen Hein – Der Wissenschaftler und Freund erinnert. (Grußworte von Univ.-Prof. Dr. Ulrike Tanzer, Leiterin des Forschungsinstituts Brenner-Archiv; MR DI Karl Zimmel, Geschäftsführer der Internationalen Nestroy-Gesellschaft

 

Die Internationale Nestroy-Gesellschaft,
die Internationalen Nestroy-Gespräche,
das Internationale Nestroy-Zentrum Schwechat
trauern um

Prof. Jürgen Hein

12. Jänner 1942 (Köln) bis 1. Dezeber 2014 (Wien)

Träger des österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
Träger des Ehrenzeichens der Stadtgemeinde Schwechat in Silber

Jürgen Hein war von 1973 bis zu seiner Emeritierung 2007 Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zu seinen Publikationsschwerpunkten zählten Ferdinand Raimund, Johann Nestroy und das Wiener Volkstheater, die Dorfgeschichte und das Volksstück. Auf diesen Gebieten legte er wegweisende Studien vor.

Darüber hinaus publizierte er zu Alexis, Auerbach, Grabbe, Grillparzer, Hebbel, Holtei, Horváth, Koeppen, Karl May, Fritz Reuter, Rosegger, Stifter, Zuckmayer, u. a., zur Dialektliteratur und zum literarischen Regionalismus, zu Editionsfragen sowie zu literaturdidaktischen Problemen.

Er war Mitherausgeber und Bandbearbeiter (11 Bände mit 15 Stücken) der neuen Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe (HKA-Nestroy, 1977–2010), Mitherausgeber und Bandbearbeiter der neuen Historisch-kritischen Raimund-Ausgabe (HKA-Raimund, 2013 ff.). Seit 1985 war er Programmgestalter der Internationalen Nestroy-Gespräche Schwechat.

Die Internationale Nestroy-Gesellschaft verdankt Jürgen Hein sehr viel – als Gründungsmitglied, herausragendem Forscher, Initiator und Mentor. Mehr als 160 Vortragende aus über 20 Ländern referierten bei den Internationalen Nestroy-Gesprächen in Schwechat. Die Verbindung von Literatur- und Theaterwissenschaft mit der Spielpraxis war ihm ein besonderes Anliegen, die Förderung junger Wissenschafter und Wissenschafterinnen ebenso. In der Scientific Community leistete er Wesentliches für die österreichische Germanistik.

Jürgen Hein fehlt – als Wissenschafter, Kollege und Freund!

Für den Vorstand der Internationalen Nestroy-Gesellschaft

Prof. Dr. Heinrich Kraus (Präsident)

MR i.R. DI Karl Zimmel (Geschäftsführer)

Dr. Walter Obermaier

Peter Gruber

 

 

Aus Nestroyana 35, 1–2:

Jürgen Heins erstes Buch Spiel und Satire in der Komödie Johann Nestroys beginnt mit einem Motto von Novalis: „Menschheit ist eine humoristische Rolle“. Doch hat Jürgen Hein eigentlich nie eine Rolle gespielt, er war wie kaum ein anderer, den wir kennen, immer er selbst. Gleich, wen man fragt, die Familie, enge Freunde, Kollegen, Mitarbeiter, Studierende, für alle ist mit Jürgen Hein nicht nur der kluge Lehrer oder der bedeutende Forscher, der ehemalige Chef, Dekan oder Kollege gestorben, sondern der Mensch voller Humor und Liebenswürdigkeit. Er widmete, wie seine Ehefrau es treffend zusammengefasst hat, seine Forschung „Raimund, Nestroy und dem Wiener Volkstheater, ihren Zeitgenossen, Grillparzer, Stifter, Hebbel, Grabbe, den Spielarten der Komödie, Lustspiel, Posse, Parodie, deren Vorlagenbearbeitung, dem Volksstück mit seinen neueren Vertretern Rosegger, Zuckmayer, Horváth“, er schrieb auch zur epischen Nachbargattung, der Dorfgeschichte von Berthold Auerbach und Gottfried Keller, sowie über die Anekdote. Er forschte und formulierte mit derselben Solidität, Klarheit und Umsicht, die er bei seiner editorischen Tätigkeit walten ließ. Als Forscher und Lehrer war er ein wirklicher Philologe, oder wie man im 18. und 19. Jahrhundert einen Homme de lettres noch nannte, ein Literator in dem Sinne, wie Grillparzer einmal über Heinrich Heine urteilte: „Ich habe kaum je einen deutschen Literator verständiger reden gehört.“ Als Philologe ging er mit seiner editorischen Tätigkeit den ‚Königsweg der Philologie‘; seine Arbeiten in dieser grundlegenden Disziplin der Germanistik sind Meisterwerke. Obwohl er Philologe, Freund des Wortes war, machte er nie große Worte. Seine letzte Mail an mich war: „vielen Dank, lieber Walter – un mach et jood“.

Vor allem Nestroy und Schwechat bleiben mit seinem Namen untrennbar verbunden. Die Internationale Nestroy-Gesellschaft in Wien initiierte er und begründete sie mit, er war einer der Hauptherausgeber der Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe (1977–2012), gab selbst zwölf Bände heraus; seit 2013 war er Mitherausgeber und Bandbearbeiter der neuen Historisch-kritischen Raimund-Ausgabe. Die 1975 begründeten Nestroy-Gespräche in Schwechat leitete er seit 1985. Es waren wirkliche Gespräche, keine üblichen Tagungen, Kolloquien oder Workshops, die Jürgen Hein mit und für Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und Deutschland, England und den USA, Australien und vielen anderen Ländern gestaltete. Der so genannte wissenschaftliche Nachwuchs war immer mit herausragenden Beiträgen beteiligt und wurde gefördert, die ‚nicht-wissenschaftlichen‘ Freunde Nestroys waren wie in kaum einer anderen literarischen Gesellschaft präsent und diskussionsfreudig, was nicht nur Jürgen Hein zu verdanken ist, sondern auch der offenen, freundlichen, zuvorkommenden Lebensart, dem Charme und der Gastfreundschaft Schwechats, Wiens, also der Österreicher.

In diesem Wien starb Jürgen Hein, in Köln wurde er geboren und lebte er bis zu seinem Tode – und man sagt auch den Kölnern eine gewisse Leichtigkeit nach. Im Anschluss an seine dortige Tätigkeit als Assistent und Lektor lehrte er im westfälischen Münster nach seiner Berufung von 1973 bis 2007, blieb aber immer Kölner und Wahl-Wiener. Seine ehemaligen Studierenden und Mitarbei ter schwärmen noch heute von ihm – „man konnte jederzeit zu ihm kommen“. Seine Schülerin Claudia Meyer hat 2007 eine 486-seitige Festschrift mit 44 Beiträgen herausgegeben, die mit ihrem Titel Nestroy und Jürgen Heins Art gelungen verbindet: „Bis zum Lorbeer versteig ich mich nicht“. Claudia Meyer schreibt heute: „Wenn ich jetzt lese, was seine ehemaligen Hilfskräfte nach seinem Tod schreiben, dann wiederholt sich – in verschiedenen Facetten – das immer gleiche Bild: ‚Ich erinnere mich noch, wie freundlich ich damals von Herrn Hein aufgenommen wurde.‘ Und was soll ich sagen? Genau so war es!“

Die Lehre war ihm eine Sache des Herzens, die universitäre Verwaltung – er war von 1999 bis 2006 Dekan des Fachbereichs 09 Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster – eine Sache der sachlichen Geduld, getragen von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung.

Wenn man die scheinbar unscheinbaren Worte ‚freundlich‘ und ‚Freundlichkeit‘ ernst nimmt, sind sie die treffendsten, die man für den Wissenschaftler, Kollegen, Freund und Menschen Jürgen Hein finden kann. Denn, so Walter Benjamin: „die Freundlichkeit besteht nicht darin, Kleines nebenher zu leisten, sondern Größtes so zu leisten, als wenn es ein Kleinstes wäre“. Genau das hat Jürgen Hein getan.

Walter Pape